Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des S S, vertreten durch die Lansky, Ganzger, Goeth, Frankl Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Biberstraße 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Mai 2022, W154 2254959 1/8E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in Österreich im September 2008 einen Antrag auf internationalen Schutz, der im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 11. April 2012 vollinhaltlich abgewiesen wurde. Unter einem wurde der Revisionswerber nach Indien ausgewiesen.
2 Der Revisionswerber verblieb in der Folge im Bundesgebiet, wobei er lediglich bis Juli 2016 (mit Unterbrechungen) Wohnsitzmeldungen aufwies.
3 Am 11. Jänner 2022 wurde der Revisionswerber im Zuge einer Fahrzeugkontrolle aufgegriffen. Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 13. Jänner 2022 wurde über ihn nachdem er von einem Organ des BFA vernommen worden war die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung verhängt.
4 Der Revisionswerber wurde am 20. Jänner 2022 aus der Schubhaft entlassen und es wurde ihm mit am selben Tag zugestelltem Bescheid des BFA als gelinderes Mittel iSd § 77 FPG eine periodische Meldeverpflichtung auferlegt.
5 Am 16. Februar 2022 wurde der Revisionswerber beim Versuch, mit einem fremden Reisepass aus Österreich nach Portugal auszureisen, am Flughafen Wien Schwechat aufgegriffen und festgenommen.
6 Das BFA verhängte daraufhin mit Bescheid vom 17. Februar 2022 über den Revisionswerber neuerlich die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung. Aufgrund einer Infektion mit COVID 19 wurde der Revisionswerber am 22. Februar 2022 aus der Schubhaft wieder entlassen.
7 Nach Beendigung der behördlich angeordneten Absonderung in einer „Quarantäne Einrichtung“ wurde über den Revisionswerber mit Mandatsbescheid des BFA vom 5. März 2022 erneut gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung verhängt.
8 Die gegen diesen Bescheid und die darauf gegründete Anhaltung mit Schriftsatz vom 13. Mai 2022 erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 19. Mai 2022 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA VG als unbegründet ab, es stellte gemäß § 22a Abs. 3 BFA VG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlägen, und es traf diesem Ergebnis entsprechende Kostenentscheidungen. Schließlich sprach das BVwG noch gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
10 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
12 Unter diesem Gesichtspunkt macht der Revisionswerber mit Hinweis auf den seit der Rechtskraft der gegen ihn erlassenen Ausweisung vergangenen Zeitraum von etwa zehn Jahren der Sache nach geltend, dass diese aufenthaltsbeendende Maßnahme ihre Wirksamkeit verloren habe, weshalb auch die Verhängung von Schubhaft nicht zulässig sei. Weiters habe das BVwG zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen.
13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verliert zwar eine aufenthaltsbeendende Maßnahme ihre Wirksamkeit, wenn sich die Beurteilungsgrundlagen im Hinblick auf die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK iVm § 9 Abs. 2 BFA VG maßgeblich zu Gunsten des Fremden geändert haben; gegebenenfalls erwiese sich eine Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung wegen des Fehlens eines durchsetzbaren Titels für die Außerlandesbringung als rechtswidrig (vgl. etwa VwGH 29.6.2017, Ro 2016/21/0007, Rn. 10, mwN, und daran anknüpfend beispielsweise VwGH 21.12.2022, Fe 2021/21/0001, Rn. 27).
14 Die Revision zeigt aber nicht auf, dass in der vorliegenden Konstellation eine maßgebliche Änderung der Beurteilungsgrundlagen derart auf der Hand gelegen wäre, dass sie schon im Rahmen eines Schubhaftbeschwerdeverfahrens einer näheren Untersuchung hätte unterzogen werden müssen. Zwar ist die der Schubhaftverhängung zu Grunde liegende aufenthaltsbeendende Maßnahme bereits vor rund zehn Jahren ergangen und der Revisionswerber konnte bereits auf einen insgesamt etwa 14 Jahre dauernden Inlandsaufenthalt verweisen. In der Revision werden aber ebenso wenig wie im Beschwerdeverfahren vor dem BVwG und in der Vernehmung des Revisionswerbers vor dem BFA am 13. Jänner 2022 trotzdem keine maßgeblichen Änderungen der Beurteilungsgrundlagen aufgezeigt. Der Revisionswerber führt in diesem Zusammenhang nämlich nur den Ablauf eines etwa zehnjährigen Zeitraumes seit der Rechtskraft der aufenthaltsbeendenden Maßnahme ins Treffen, vermag aber keine in diesem Zeitraum ins Gewicht fallenden Integrationsschritte zu nennen. Überdies war der Revisionswerber im genannten Zeitraum für die Behörden jahrelang nicht greifbar. Von daher kann er sich im gegebenen Zusammenhang auch nicht auf die in der Revision angesprochene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes berufen, wonach bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden regelmäßig von einem Überwiegen seiner persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen sei (vgl. zu einem in dieser Hinsicht ähnlich gelagerten Sachverhalt VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0251, Rn. 11).
15 Ferner ist das BVwG in vertretbarer Weise davon ausgegangen, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA VG keiner weiteren Klärung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung bedurfte. Schon daraus, dass der Revisionswerber über mehrere Jahre hinweg untergetaucht war und seiner Meldepflicht zuletzt seit Mitte 2016 nicht nachgekommen ist sowie rezent das ihm am 20. Jänner 2022 auferlegte gelindere Mittel nicht befolgte, sondern einen Ausreiseversuch in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union unter Verwendung eines fremdem Reisedokumentes unternahm, durfte nämlich auf eine hohe, auch aktuell gegebene Fluchtgefahr geschlossen werden, der nur durch die Verhängung bzw. Aufrechterhaltung der Schubhaft und nicht durch gelindere Mittel begegnet werden könne (vgl. dazu, dass es zur Beurteilung der Fluchtgefahr nicht in allen Fällen einer mündlichen Verhandlung bedarf, sondern sich diese auch aus einem einschlägigen Vorverhalten ableiten lässt, etwa zuletzt VwGH 11.4.2024, Ra 2021/21/0336, Rn. 9, mit Hinweis auf VwGH 5.11.2020, Ra 2020/21/0287, Rn. 19, mwN).
16 Dem Revisionsvorbringen zufolge sei zwar die Zustellung eines Schriftstückes im Jahr 2018 und im März 2021 auch eine Vernehmung des Revisionswerbers vor dem BFA möglich gewesen. Damit vermag der Revisionswerber, der wie das BVwG im Einklang mit dem Akteninhalt feststellte bei dieser Vernehmung selbst angab, seinen Wohnsitz alle zehn Tage zu wechseln, und der den unbestrittenen Feststellungen zufolge nach dieser Vernehmung erneut untertauchte, aber auch nicht darzulegen, dass die Annahme des BVwG, er sei über mehrere Jahre für die Behörden nicht greifbar gewesen, unvertretbar wäre (zur Maßgeblichkeit des Vertretbarkeitskalküls für die Prüfung der Beweiswürdigung vgl. etwa VwGH 30.3.2023, Ra 2021/21/0028 , Rn. 15, u.a. mit dem Hinweis auf VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0056 , Rn. 12, mwN).
17 Angesichts des nicht bestrittenen Ausreiseversuches unter Verwendung eines fremden Reisedokumentes am 16. Februar 2022 gelingt es dem Revisionswerber auch mit der in der Schubhaftbeschwerde und in der Revision bloß unsubstantiiert vorgebrachten Behauptung, die Befolgung des am 20. Jänner 2022 verhängten gelinderen Mittels sei an einem (nicht näher konkretisierten) Krankenhausaufenthalt gescheitert, nicht aufzuzeigen, dass das BVwG im Ergebnis zu Unrecht vom Vorliegen einer die Verhängung von Schubhaft rechtfertigenden Fluchtgefahr ausgegangen wäre. Dasselbe gilt für die vom Revisionswerber in seiner Vernehmung vom 13. Jänner 2022 ins Treffen geführte Wohnmöglichkeit, die das BVwG bei der wie erörtert im Ergebnis nicht zu beanstandenden Beurteilung der Fluchtgefahr ohnehin berücksichtigte.
18 Schließlich kommt der in der Revision auch noch aufgeworfenen Frage der zeitnahen Erlangbarkeit eines Heimreisezertifikats in diesem frühen Stadium der Schubhaft der Revisionswerber befand sich erst etwa zehn Wochen in Schubhaft und wurde bereits am 31. März 2022 von einer Delegation der indischen Botschaft als eigener Staatsangehöriger identifiziert noch keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu (vgl. VwGH 31.8.2023, Ra 2023/21/0114, Rn. 20, mit Hinweis auf VwGH 19.5.2022, Ra 2021/21/0288 , Rn. 19), sodass es ihrer Erörterung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung ebenfalls nicht bedurfte. Entgegen der in der Revision zum Ausdruck kommenden Auffassung musste das BVwG ebenso wenig wie das BFA bei der Erlassung des Schubhaftbescheides angesichts der dem BFA vorliegenden Informationen über die Praxis der Ausstellung von Heimreisezertifikaten durch die indische Botschaft, zu denen dem Revisionswerber im Beschwerdeverfahren auch Parteiengehör gewährt worden war, nicht davon ausgehen, dass die zeitnahe Erlangung eines Heimreisezertifikates von vornherein nicht anzunehmen sei.
19 Soweit in der Revision schließlich noch gerügt wird, das BVwG habe die vom Revisionswerber im Beschwerdeverfahren zur Frage der Erlangbarkeit eines Heimreisezertifikates erstattete Stellungnahme vom 18. Mai 2022 ignoriert, lässt die Revision eine Darlegung der Relevanz dieses Begründungsmangels vermissen (zur Notwendigkeit die Relevanz eines geltend gemachten Verfahrensmangels in konkreter Weise darzulegen, siehe etwa VwGH 19.11.2020, Ra 2020/21/0338, Rn. 10, mwN).
20 Die Revision war daher nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
21 Von der in der Revision beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 23. Mai 2024