Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident MMag. Maislinger sowie die Hofräte Dr. Terlitza und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. in Schimpfhuber, über die Revision des D O, vertreten durch Mag. a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. August 2022, I406 20159434/21E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 sowie Erlassung einer Rückkehrentscheidung mit Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 20. Oktober 2020 wurde ein Antrag des Revisionswerbers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK nach § 55 AsylG 2005 abgewiesen, eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen, die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Nigeria festgestellt und eine Frist für seine freiwillige Ausreise festgelegt.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und erklärte die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
3 Begründend ging das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen davon aus, dass der Revisionswerber am 19. Mai 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, der letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. April 2015 „vollinhaltlich abgewiesen“ worden sei. Seither sei der Revisionswerber zur Ausreise verpflichtet. Während seines Aufenthalts im Bundesgebiet habe der Revisionswerber eine mittlerweile beendete Partnerschaft mit einer nigerianischen Staatsangehörigen geführt, der zwei in den Jahren 2017 und 2018 geborene Kinder entstammen würden. Diese Kinder würden bei deren Mutter leben und von dieser versorgt werden. Mutter wie Kinder würden sich auf Grund einer Rot Weiß Rot Karte plus rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Zu diesen Kindern habe der Revisionswerber nach den insoweit nicht näher begründeten Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts „keinen intensiven Kontakt“ mehr. Seit drei Jahren führe der Revisionswerber eine neue Beziehung mit einer Staatsangehörigen von Ghana. Dieser Verbindung entstamme ein im Jahr 2020 geborener Sohn mit ghanaischer Staatsangehörigkeit. Der gegenwärtigen Partnerin wie dem Sohn des Revisionswerbers sei der Status von Asylberechtigten zuerkannt worden. An der Betreuung dieses Sohnes beteilige sich der Revisionswerber.
4 Die dagegen vom Revisionswerber erhobene Revision wendet sich in den Ausführungen zu ihrer Zulässigkeit u.a. gegen die Feststellung, wonach dieser zu seinen Kindern aus der früheren Partnerschaft „keinen intensiven Kontakt“ mehr habe und rügt diesbezüglich einen Begründungsmangel.
5 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Im Hinblick auf das dargestellte Zulässigkeitsvorbringen erweist sich die Revision als zulässig und begründet.
7Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFAVG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 31.3.2025, Ra 2022/17/0016, mwN).
8Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. erneut VwGH 31.3.2025, Ra 2022/17/0016, mwN).
9 Der Verwaltungsgerichtshof betont in ständiger Rechtsprechung die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFAVG vorzunehmenden Interessenabwägung. Dies gilt auch dann, wenn es sich beim Adressaten der Entscheidung nicht um ein Kind, sondern um einen Elternteil handelt (vgl. erneut VwGH 31.3.2025, Ra 2022/17/0016, mwN).
10Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt darauf verwiesen, dass ein Kind grundsätzlich Anspruch auf „verlässliche Kontakte“ zu beiden Elternteilen hat. Wird es durch die Rückkehrentscheidung gegen den Vater gezwungen, ohne diesen aufzuwachsen, so bedarf diese Konsequenz einer besonderen Rechtfertigung (vgl. VwGH 5.3.2021, Ra 2020/21/0465, mwN).
11Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch geführt haben. Diesen Erfordernissen wird ein Verwaltungsgericht dann gerecht, wenn sich die seine Entscheidung tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung selbst ergeben (vgl. VwGH 27.3.2025, Ra 2022/17/0006, mwN).
12Die Begründungspflicht stellt keinen Selbstzweck dar. Ein Begründungsmangel führt daher nur dann zur Aufhebung der Entscheidung, wenn dadurch entweder die Rechtsverfolgung durch die Parteien oder die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird (vgl. erneut VwGH 27.3.2025, Ra 2022/17/0006, mwN).
13Vorliegend ist die durch das Bundesverwaltungsgericht angestellte Interessenabwägung mit einem im Revisionsverfahren aufzugreifenden Mangel belastet, weil die begründenden Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts den aus der vorzitierten Rechtsprechung abzuleitenden Anforderungen an eine hinreichende Begründung nicht gerecht werden. Das Bundesverwaltungsgericht geht im Rahmen seiner Interessenabwägung betreffend die Rückkehrentscheidung davon aus, dass der Revisionswerber zu den Kindern aus seiner nicht mehr aufrechten Partnerschaft „keinen intensiven Kontakt“ mehr habe, weswegen deren Kindeswohl der Beendigung seines Aufenthalts nicht entgegenstehe. Nachvollziehbare beweiswürdigende Erwägungen, wie das Bundesverwaltungsgericht zu dieser Einschätzung gelangt, sind dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen, sodass das angefochtene Erkenntnis insoweit den der vorzitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu entnehmenden Anforderungen an seine Begründung nicht genügt. Es ist nämlich nicht nachvollziehbar, ob die durch das Bundesverwaltungsgericht der Interessenabwägung zugrunde gelegte Prämisse, wonach kein intensiver Kontakt des Revisionswerbers zu den Kindern aus seiner früheren Beziehung mehr bestehe, auf einer (zumindest) vertretbaren Beweiswürdigung beruht (vgl. zu diesem Maßstab VwGH 21.7.2025, Ra 2023/17/0068, mwN). Insbesondere steht diese Feststellung zu den Angaben des Revisionswerbers in einer schriftlichen Stellungnahme sowie den Angaben der in der mündlichen Verhandlung als Zeugin einvernommenen gegenwärtigen Lebensgefährtin des Revisionswerbers zur Intensität von dessen Kontakt zu seinen Kindern aus der vergangenen Beziehung in einem Spannungsverhältnis. Deshalb wäre eine Erörterung, auf Grund welcher Erwägungen das Bundesverwaltungsgericht diese Feststellung erzielte, erforderlich gewesen. Die disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung getroffenen Ausführungen, wonach die Mutter der Kinder alleine für diese sorge, vermögen daran nichts zu ändern, weil auch für diese Ausführungen beweiswürdigende Erwägungen fehlen, und selbst dann, wenn diese Angaben zutreffen sollten, ein näherer Kontakt des Revisionswerbers zu den Kindern nicht ausgeschlossen wäre. Die in der rechtlichen Beurteilung getroffene weitere Ausführung, wonach „Indizien“ für eine besondere Bindung des Revisionswerbers an diese Kinder nicht hervorgekommen seien, erweist sich vor dem Hintergrund der genannten Stellungnahme des Revisionswerbers und der genannten Zeugenaussage als aktenwidrig. Das Fehlen hinreichender beweiswürdigender Erwägungen zur Feststellung, wonach der Revisionswerber zu den Kindern aus seiner früheren Partnerschaft keinen intensiven Kontakt mehr habe, beeinträchtigt die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof wesentlich.
14Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
15Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 25. August 2025