Ra 2020/21/0389 4 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Rechtssatz
Eine mit § 41a Abs. 10 NAG 2005 im Zusammenhang mit "unbegegleiteten Minderjährigen" inhaltsgleiche Regelung wurde erstmals durch das FrÄG 2009 mit Geltung ab 1. Jänner 2010 dem § 69a Abs. 1 NAG 2005 als Z 4 lit. a angefügt, wobei in Bezug auf den "unbegleiteten Minderjährigen" in einem Klammerausdruck auf die entsprechende Begriffsdefinition des § 2 Abs. 1 Z 17 NAG 2005 verwiesen wurde. Danach ist unter einem "unbegleiteten Minderjährigen" ein minderjähriger Fremder zu verstehen, der sich nicht in Begleitung eines für ihn gesetzlich verantwortlichen Volljährigen befindet. Dieses Verständnis liegt erkennbar auch den späteren Fassungen dieser Bestimmung zugrunde, auch wenn der aktuell geltende § 41a Abs. 10 NAG 2005 den Verweis auf § 2 Abs. 1 Z 17 NAG 2005 nicht mehr enthält. Insoweit gibt es aber keine Anhaltspunkte, dass deshalb eine inhaltliche Änderung beabsichtigt gewesen sein könnte (vgl. ErläutRV zum FrÄG 2009 (330 BlgNR 24. GP 54)). Angesichts der Absicht des Gesetzgebers, durch die Schaffung des Aufenthaltstitels nach § 41a Abs. 10 NAG 2005 den Rechtsschutz iSd. Kindeswohls in Fällen eines unbegleiteten Minderjährigen zu stärken, verbietet sich in Bezug auf dieses Tatbestandsmerkmal eine dem erwähnten Zweck zuwiderlaufende einschränkende Auslegung. Dass sich der Minderjährige iSd. § 2 Abs. 1 Z 17 NAG 2005 nicht in Begleitung eines für ihn gesetzlich verantwortlichen Volljährigen befindet, stellt offenbar darauf ab, dass der Minderjährige ohne den Genannten nach Österreich eingereist ist und sich auch in der Folge hier nicht in dessen "Begleitung" befindet. Dabei geht es in der Regel um einen leiblichen Elternteil oder einen anderen - schon vor der Einreise - "gesetzlich verantwortlichen Volljährigen". Diese Bedingung fällt nicht schon deshalb weg, weil in Österreich einem Pflegelternteil die Obsorge übertragen wird. Damit wird das Pflegeverhältnis nur "auf eine qualifizierte Stufe gehoben", was auf das Fortbestehen der Pflegeelternschaft keinen Einfluss hat (vgl. VwGH 21.3.2017, Ra 2015/22/0160). Das muss aber auch für die Frage gelten, ob der Minderjährige weiterhin das Tatbestandselement "unbegleitet" erfüllt, weil er andernfalls mit der zur Wahrung des Kindeswohls erfolgten Obsorgeübertragung an einen Pflegeelternteil den Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 41a Abs. 10 NAG 2005 verlieren würde. Dafür, dass der Gesetzgeber ein solches Ergebnis beabsichtigt hätte, gibt es keine Hinweise. Somit hatte die (auch aktuell noch minderjährige) Fremde einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 41a Abs. 10 NAG 2005, der ihr von der Niederlassungsbehörde von Amts wegen oder auf entsprechenden Antrag zu erteilen ist. Demzufolge wäre der - hier gegenständliche - Antrag auf Erteilung des nur subsidiären Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 in analoger Anwendung des § 58 Abs. 9 Z 1 AsylG 2005 zurückzuweisen gewesen.