JudikaturVwGH

Ra 2022/08/0132 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
04. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision des Arbeitsmarktservice Wien Hauffgasse in 1110 Wien, Hauffgasse 28, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. August 2022, W164 2221842 1/25E, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe (mitbeteiligte Partei: C B in W, vertreten durch Mag. Thomas Loos, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Leopold Werndl Straße 16), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Bund hat der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1Zur Vorgeschichte wird zunächst auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Februar 2022, Ro 2021/08/0005, verwiesen.

2Hervorzuheben ist, dass von der revisionswerbenden regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) mit Bescheid vom 10. Jänner 2019 ausgesprochen wurde, dass der Bezug der Notstandshilfe durch die Mitbeteiligte gemäß § 38 iVm. § 24 Abs. 2 AlVG für den Zeitraum vom 6. April 2016 bis 31. Dezember 2016 „widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt“ und die Mitbeteiligte gemäß § 38 iVm. § 25 Abs. 1 AlVG zum Ersatz der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe in Höhe von € 2.916,50 verpflichtet werde. In seiner Begründung stützte sich das AMS darauf, dass das sich nunmehr aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016 ergebende Einkommen des Lebensgefährten der Mitbeteiligten zu einer geänderten Bemessung der Notstandshilfe führe.

3Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten änderte das AMS mit Beschwerdevorentscheidung vom 12. April 2019 den Ausgangsbescheid ab und berichtigte den Bezug der Notstandshilfe der Mitbeteiligten gemäß § 24 Abs. 2 AlVG nunmehr dahingehend, dass dieser von 6. April 2016 bis 31. Dezember 2016 täglich € 10,62 und im Jänner 2017 täglich € 10,87 betrage. Im Weiteren verpflichtete es die Mitbeteiligte gemäß § 25 Abs. 1 AlVG nunmehr für 6. April 2016 bis 31. Jänner 2017 zum Ersatz der unberechtigt bezogenen Notstandshilfe in Höhe von € 5.220,62. In der Begründung hielt das AMS unter anderem fest, das ermittelte Einkommen sei im Folgemonat (gemeint: somit auch im Jänner 2017) auf die Notstandshilfe anzurechnen. Die Mitbeteiligte stellte einen Vorlageantrag.

4 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis änderte das Bundesverwaltungsgericht in teilweiser Stattgabe der Beschwerde die Beschwerdevorentscheidung des AMS dahingehend ab, dass „der Rückforderungszeitraum“ mit 6. April 2016 bis 31. Dezember 2016 festgesetzt und die Mitbeteiligte zur Rückzahlung von insgesamt € 4.689,90 verpflichtet werde. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

5Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, im Sinn des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Februar 2022, Ro 2021/08/0005, habe das AMS die Notstandshilfe der Mitbeteiligten hinsichtlich des Zeitraums vom 6. April 2016 bis 31. Dezember 2016 zu Recht berichtigt und die Mitbeteiligte zur Rückzahlung des Überbezugs verpflichtet. Zu beachten sei aber, dass im Beschwerdeverfahren zwar kein Verschlechterungsverbot gelte, die Beschwerdevorentscheidung jedoch die durch den Ausgangsbescheid festgelegte Sache des Verfahrens - nämlich den Widerruf und die Rückforderung für die im Bescheid genannte Zeit - nicht überschreiten hätte dürfen. Dagegen verstoße die durch die Beschwerdevorentscheidung erfolgte Ausdehnung des Zeitraums der Berichtigung und Rückforderung auch auf den Jänner 2017.

6 Werde die Sache des Verfahrens in der Beschwerdevorentscheidung überschritten, dürfe das Verwaltungsgericht deshalb die Entscheidung allerdings nicht ersatzlos beheben, sondern habe selbst eine Entscheidung innerhalb der Sache des Verfahrens zu treffen. Der Beschwerde sei daher teilweise somit hinsichtlich des Jänners 2017 Folge zu geben und eine Korrektur der Leistung nur für 6. April 2016 bis 31. Dezember 2016 vorzunehmen gewesen.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.

8Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 BVG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

9Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10Zur Zulässigkeit der Revision macht das AMS geltend, ausgehend von den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts sei „strittig“, ob hinsichtlich der Berichtigung und Rückforderung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung für eine Beschwerdevorentscheidung ein Verbot der reformatio in peius (Verschlechterungsverbot) gelte. Der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom 6. Mai 2020, Ra 2019/08/0114, ausgeführt, dass ein solches Verbot nicht existiere und es daher für rechtmäßig erachtet, dass in einer Beschwerdevorentscheidung eine in einem Ausgangsbescheid nach § 10 Abs. 1 AlVG ausgesprochene Sanktion des Anspruchsverlusts von sechs Wochen auf den Sanktionszeitraum von acht Wochen geändert werde. Die Frage, für welchen Zeitraum eine Berichtigung und Rückforderung der Notstandshilfe auszusprechen gewesen sei, sei im Übrigen eine reine Rechtsfrage. Wie sich aus § 36 Abs. 3 AlVG ergebe, sei ein in einem Kalendermonat erzieltes Einkommen im Folgemonat auf die Notstandshilfe anzurechnen. Der Fehler des Ausgangsbescheids vom 10. Jänner 2019, mit dem (aufgrund des für das Jahr 2016 festgestellten Einkommens des Lebensgefährten der Mitbeteiligten) keine Berichtigung des Notstandshilfebezuges der Mitbeteiligten auch für den Jänner 2017 erfolgt sei, sei daher mit der Beschwerdevorentscheidung vom 12. April 2019 zulässigerweise korrigiert worden.

11Mit diesem Vorbringen verkennt die Revision zunächst die Ausführungen in der Entscheidungsbegründung des angefochtenen Erkenntnisses. Darin hat das Bundesverwaltungsgericht sich nämlich nicht darauf gestützt, dass in einer Beschwerdevorentscheidung eine Verschlechterung gegenüber dem Ausgangsbescheid nicht möglich wäre. Vielmehr hat es zutreffend darauf hingewiesen, dass es im Beschwerdeverfahren nach dem VwGVG kein Verbot der reformatio in peius (Verschlechterungsverbot) gibt (vgl. VwGH 9.9.2019, Ro 2016/08/0009, mwN; siehe dagegen zum Verfahren in Verwaltungsstrafsachen § 42 VwGVG).

12 Davon ist aber die Frage zu unterscheiden, ob der mit der Beschwerdevorentscheidung erfolgten Abänderung des Ausgangsbescheidswie vom Bundesverwaltungsgericht angenommen - entgegenstand, dass vom AMS die Sache des Verfahrens überschritten wurde. Insoweit entspricht es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass eine Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 VwGVGnicht anders als die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gemäß §§ 28 und 31 VwGVGeine Entscheidung über die Beschwerde ist, die diese, soweit kein Vorlageantrag gestellt wird, auch endgültig erledigt. Schon daraus folgt, dass die Sache des Verfahrens in diesem Stadium nicht anders begrenzt werden kann als im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht selbst. § 14 VwGVG verweist zudem (auch) ausdrücklich auf § 27 VwGVG, der den zulässigen Prüfungsumfang für das Verwaltungsgericht festlegt. Sache der Beschwerdevorentscheidung ist entsprechend dem Verfahren der Verwaltungsgerichtesomit jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs des Ausgangsbescheids gebildet hat (vgl. VwGH 18.8.2022, Ra 2021/08/0082, mwN; sowie grundlegend VwGH 8.5.2018, Ro 2018/08/0011).

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist die Beurteilung des Bestehens von Ansprüchen auf Arbeitslosengeld bzw. auf Notstandshilfe sofern der Gesetzgeber nicht anderes anordnetzeitraumbezogen vorzunehmen und nach der Sach- und Rechtslage zu prüfen, die im Zeitraum der Gewährung der Leistung gegolten hat. Das gilt folgerichtig daher auch für die Voraussetzungen des Widerrufs oder der Berichtigung der Leistungen nach § 24 Abs. 2 AlVG und ihrer Rückforderung nach § 25 Abs. 1 AlVG (vgl. VwGH 22.2.2022, Ra 2020/08/0187; 3.4.2019, Ra 2017/08/0067; jeweils mwN; vgl. dagegen zur Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Antragstellung nach § 21 Abs. 1 AlVG für die Berechnung des Arbeitslosengeldes VwGH 11.12.2013, 2012/08/0079).

14Im Sinn dieser Grundsätze kam für die Berechnung der Notstandshilfe der Mitbeteiligten in den verfahrensgegenständlichen Zeiträumen § 36 Abs. 3 lit. B AlVG in der Fassung vor BGBl. I Nr. 157/2017 und, wie in § 81 Abs. 16 AlVG für Zeiträume vor dem 1. Juli 2018 ausdrücklich angeordnet, die Notstandshilfeverordnung (NH-VO), BGBl. Nr. 352/1973 in der Fassung der Verordnung BGBl. II Nr. 490/2001, zur Anwendung (vgl. bereits das Vorerkenntnis Ra 2020/08/0187, Rn. 13). Zu dieser hier noch maßgebenden Rechtslage hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass das Ausmaß der Notstandshilfe in Hinblick auf die zeitraumbezogen vorzunehmende Prüfung daher grundsätzlich entsprechend den in § 36 AlVG und der NH VO festgelegten Kriterien zu errechnen und bei einer Änderung der Verhältnisse insbesondere einer Änderung des Einkommens des Ehepartners entsprechend zeitraumbezogen laufend anzupassen ist (vgl. näher VwGH 21.12.2011, 2008/08/0242, mwN).

15 Unter Beachtung der Zeitraumbezogenheit der Prüfung hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Sache des Verfahrens bei einem Widerruf oder einer Berichtigung bzw. einer Rückforderung von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe durch den im Bescheid angesprochenen Zeitraum begrenzt wird und im Rechtsmittelverfahren nunmehr im Beschwerdeverfahren des Bundesverwaltungsgerichtsdaher ein Ausspruch des Widerrufs oder einer Berichtigung nach § 24 Abs. 2 AlVG und einer Rückforderung nach § 25 Abs. 1 AlVG für einen längeren Zeitraum die Sache des Verfahrens überschreitet (vgl. VwGH 11.3.2024, Ro 2021/08/0003; 24.6.1997, 95/08/0075; idS auch VwGH 30.1.2002, 98/08/0233).

16 Dieser Rechtsprechung entspricht vor dem Hintergrund, dass wie dargestellt auch die Sache des Verfahrens der Beschwerdevorentscheidung mit derjenigen des Ausgangsbescheids begrenzt ist, die vorliegende Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, die Beschwerdevorentscheidung vom 12. April 2019 habe durch die Ausdehnung des Zeitraums, für den eine Berichtigung und Rückforderung der Notstandshilfe erfolge, die Sache des Verfahrens überschritten.

17Ein Abweichen des Bundesverwaltungsgerichts von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs vermag die Revision somit nicht aufzuzeigen. Soweit sie sich auf das Erkenntnis vom 6. Mai 2020, Ra 2019/08/0114, beruft, verkennt sie, dass Gegenstand dieser Entscheidung nicht ein Widerruf oder eine Berichtigung von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe und die Rückforderung der Leistung, sondern einen Anspruchsverlust nach § 10 Abs. 1 AlVG gewesen ist.

18Zur Abgrenzung des Gegenstands der Entscheidungen ist insoweit festzuhalten, dass nach § 10 Abs. 1 AlVG eine arbeitslose Person bei Erfüllung eines der in dieser Bestimmung genannten Tatbestände insbesondere der Weigerung, eine von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, oder der Vereitelung der Annahme einer solchen Beschäftigung den Anspruch für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung folgenden sechs bzw. im Wiederholungsfallacht Wochen „verliert“. Der Anspruchsverlust tritt nach diesem Konzept ex lege ein und ist mit dem aus Rechtsschutzgründen und im Hinblick auf eine mögliche Nachsicht nach § 10 Abs. 3 AlVG jedenfalls zu erlassenden Bescheid festzustellen (vgl. VwGH 26.3.2021, Ra 2021/08/0016, mwN). Anders als bei einem Ausspruch eines Widerrufs oder einer Berichtigung nach § 24 Abs. 2 AlVG sowie einer Rückforderung nach § 25 AlVG ist bei einer Entscheidung über einen Anspruchsverlust nach § 10 AlVG somit keine zeitraumbezogene Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld (§§ 7 ff AlVG) oder Notstandshilfe (§§ 33 ff AlVG) in bestimmten Zeiträumen vorzunehmen, sondern die Erfüllung eines der in § 10 Abs. 1 AlVG genannten Tatbestände zu prüfen, woran der Verlust des Anspruchs für die im Gesetz festgelegte Zeit anknüpft.

19Folgerichtig ist die Sache des Verfahrens, wie in dem von der Revision genannten Erkenntnis vom 6. Mai 2020, Ra 2019/08/0114, ausgeführt, in den Verfahren eines Anspruchsverlusts nach § 10 AlVG die Erfüllung eines der in dieser Bestimmung genannten Tatbestände, sodass eine Korrektur des Zeitraums, für den es ex lege zu einem Verlust des Anspruchs kommt, keine Überschreitung der Sache darstellt.

20Da die Sache des Verfahrens eines einen Anspruchsverlust nach § 10 AlVG aussprechenden Bescheides somit in anderer Weise als hinsichtlich einer wie vorliegend gegenständlichenBerichtigung der Leistung nach § 24 Abs. 2 AlVG und einer Rückforderung nach § 25 Abs. 1 AlVG abzugrenzen ist, ist aus dem von der Revision genannten Erkenntnis vom 6. Mai 2020, Ra 2019/08/0114, für ihren Standpunkt nichts zu gewinnen.

21 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem die Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattet hat gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

22Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 4. April 2024