Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident MMag. Maislinger sowie die Hofräte Dr. Terlitza und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revisionen der revisionswerbenden Parteien 1. E M, und 2. M M, beide vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Mai 2022, 1. W280 2180760 2/6E und 2. W280 21807582/4E, betreffend Nichterteilung von Aufenthaltstiteln nach § 56 AsylG 2005 und Erlassung von Rückkehrentscheidungen mit Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
I. Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
II. Der Bund hat der erstrevisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Die revisionswerbenden Parteien, russische Staatsangehörige, reisten nach Österreich ein und stellten am 5. Jänner 2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheiden des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 21. November 2017 wurden diese Anträge abgewiesen, jeweils kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, jeweils eine Rückkehrentscheidung gegen die revisionswerbenden Parteien erlassen, die Zulässigkeit ihrer Abschiebung in die Russische Föderation festgestellt und jeweils eine Frist für ihre freiwillige Ausreise festgelegt.
3 Die dagegen gerichteten Beschwerden der revisionswerbenden Parteien wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 6. August 2021 als unbegründet ab.
4Die revisionswerbenden Parteien verblieben im Bundesgebiet und beantragten am 5. Jänner 2022 jeweils die Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen nach § 56 AsylG 2005.
5Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diese Anträge mit Bescheiden vom 21. Jänner 2022 nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurück, ohne weitere Aussprüche zu treffen.
6Auf Grund der dagegen gerichteten Beschwerden der revisionswerbenden Parteien erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Beschwerdevorentscheidungen vom 11. März 2022, mit welchen es die angefochtenen Bescheide dahingehend abänderte, dass die Anträge der revisionswerbenden Parteien auf Erteilung der begehrten Aufenthaltstitel nach § 56 AsylG 2005 abgewiesen wurden, sowie Rückkehrentscheidungen gegen sie erlassen, die Zulässigkeit ihrer Abschiebungen in die Russische Föderation festgestellt und jeweils Fristen für ihre freiwillige Ausreise festgelegt wurden.
7 Auf Grund eines Vorlageantrags wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis die Beschwerden ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und bestätigte die Beschwerdevorentscheidung.
8 Gegen dieses Erkenntnis erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom 29. Juni 2022, E 1646 1647/2022 5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat diese über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 20. Juli 2022, E 1646 1647/2022 7, gemäß Art. 144 Abs. 3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
9 In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben. Diese bringt in den Ausführungen zu ihrer Zulässigkeit soweit hier wesentlich vor, das Bundesverwaltungsgericht habe den durch die zunächst durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verfügte Zurückweisung der Anträge auf Erteilung der Aufenthaltstitel beschränkten Verfahrensgegenstand überschritten, indem es durch Abweisung der Beschwerde die den Verfahrensgegenstand ebenso überschreitende Beschwerdevorentscheidung bestätigt habe. Damit sei das Bundesverwaltungsgericht von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.
10 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 Die Revision ist zulässig und begründet.
12Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Verhältnis zwischen Ausgangsbescheid und Beschwerdevorentscheidung im Anwendungsbereich des VwGVG derogiert die Beschwerdevorentscheidung dem Ausgangsbescheid endgültig. Das Rechtsmittel, über welches das Verwaltungsgericht zu entscheiden hat, bleibt im Fall eines zulässigen Vorlageantrags die Beschwerde; der Vorlageantrag richtet sich nämlich (nur) darauf, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht vorgelegt wird. Da sich die Beschwerde gegen den Ausgangsbescheid richtet und sich ihre Begründung auf diesen beziehen muss, bleibt der Ausgangsbescheid auch Maßstab dafür, ob die Beschwerde berechtigt ist oder nicht; durch das Verwaltungsgericht im Sinn des § 14 Abs. 1 VwGVG aufgehoben, abgeändert oder bestätigt werden kann außer in Fällen einer Zurückweisung der Beschwerdenur die an die Stelle des Ausgangsbescheids getretene Beschwerdevorentscheidung (vgl. VwGH 24.2.2022, Ro 2020/05/0018, mwN).
13Weiters ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs eine Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 VwGVGnicht anders als die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gemäß §§ 28 und 31 VwGVGeine Entscheidung über die Beschwerde, die diese, soweit kein Vorlageantrag gestellt wird, auch endgültig erledigt. Daraus folgt, dass die Sache des Verfahrens in diesem Stadium nicht anders begrenzt werden kann als im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht selbst. § 14 VwGVG verweist zudem (auch) ausdrücklich auf § 27 VwGVG, der den zulässigen Prüfungsumfang für das Verwaltungsgericht festlegt. Sache der Beschwerdevorentscheidung ist entsprechend dem Verfahren der Verwaltungsgerichtesomit jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs des Ausgangsbescheids gebildet hat (vgl. VwGH 4.4.2024, Ra 2022/08/0132, mwN).
14Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist im Falle der Beschwerde gegen einen den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückweisenden Bescheid nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Antrags durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beschränkt (vgl. VwGH 6.6.2023, Ra 2023/17/0083; 21.6.2023, Ra 2023/17/0001, jeweils mwN).
15Im vorliegenden Fall wurden die verfahrenseinleitenden Anträge der revisionswerbenden Parteien mit Bescheiden des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 21. Jänner 2022 nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurückgewiesen. Folglich war der Gegenstand des Verfahrens über die dagegen gerichteten Beschwerden der revisionswerbenden Parteien auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung der Anträge auf Erteilung der begehrten Aufenthaltstitel beschränkt.
16Daran änderte nach der vorzitierten Rechtsprechung der Umstand nichts, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die die Anträge auf Erteilung der begehrten Aufenthaltstitel nach § 56 AsylG 2005 zurückweisenden Ausgangsbescheide in weiterer Folge mit Beschwerdevorentscheidungen vom 11. März 2022 dahingehend abänderte, dass diese Anträge abgewiesen wurden, und zusätzlich Rückkehrentscheidungen mit Nebenaussprüchen gegen sie erlassen wurden.
17 Schon die Beschwerdevorentscheidungen überschritten also den durch die Ausgangsbescheide abgegrenzten Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, soweit sie die Anträge auf Erteilung der begehrten Aufenthaltstitel in der Sache erledigten und weitere über den Ausgangsbescheid hinausgehende Aussprüche trafen.
18Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Überschreitung des Gegenstands des Beschwerdeverfahrens übernommen, indem es die Beschwerde abgewiesen und die Beschwerdevorentscheidungen bestätigt hat (vgl. VwGH 17.12.2015, Ro 2015/08/0026, sowie VwGH 24.11.2022, Ra 2022/08/0098, wonach ein die Beschwerde abweisendes und die Beschwerdevorentscheidung bestätigendes Erkenntnis so zu verstehen ist, als ob das Verwaltungsgericht ein mit der Beschwerdevorentscheidung übereinstimmendes neues Erkenntnis erlassen hätte).
19Daher war das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
20Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff (insbesondere § 53 Abs. 1) VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 22. Juli 2025