JudikaturVwGH

Ra 2020/08/0187 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
22. Februar 2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision der Mag. I B in W, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Oktober 2020, W262 2227928 1/22E, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Huttengasse), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Die zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) sprach mit Bescheid vom 29. November 2019 aus, dass der Bezug der Notstandshilfe der Revisionswerberin für den Zeitraum vom 1. Februar 2018 bis 30. Juni 2018 gemäß § 24 Abs. 2 iVm. § 38 AlVG „widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt“ und sie gemäß § 25 Abs. 1 iVm. § 38 AlVG zum Ersatz der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe in Höhe von € 4.230,00 verpflichtet werde. Begründend wurde ausgeführt, der Anspruch der Revisionswerberin auf Notstandshilfe habe aufgrund des zwischenzeitlich ergangenen Einkommensteuerbescheides ihres Lebensgefährten für das Jahr 2018 neu bemessen werden müssen, wodurch sich der genannte Rückzahlungsbetrag ergeben habe.

2 In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde vom 16. Dezember 2019 brachte die Revisionswerberin zusammengefasst vor, dass aufgrund einer Gesetzesänderung ab 1. Juli 2018 das Partnereinkommen nicht mehr auf die Notstandshilfe angerechnet werde. Aufgrund dessen seien die ab dem 1. Juli 2018 erzielten Einkünfte ihres Partners nicht auf ihre Notstandshilfe anzurechnen.

3 Das AMS wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom 2. Jänner 2020 als unbegründet ab. Die Revisionswerberin stellte einen Vorlageantrag und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

4 Mit dem angefochtenen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht auf das Wesentliche zusammengefasst aus, der Lebensgefährte der Revisionswerberin sei im Jahr 2018 durchgehend selbständig beschäftigt gewesen und habe laut Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018 Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von € 28.618,57 erzielt. Nach Abzug der Sonderausgaben in Höhe von € 3.131,00 und der Einkommensteuer in Höhe von € 3.877,00 ergebe sich ein Jahresnettoeinkommen von € 21.610,57, wodurch das monatliche Nettoeinkommen € 1.800,88 betrage. Bei Heranziehung dieses durchschnittlichen aliquoten selbständigen Erwerbseinkommens nach gewissen Abzügen ergebe sich eine monatliche Anrechnung von € 858,00 für die Zeit vom 1. Februar 2018 bis 30. Juni 2018 und in Höhe der Differenz zur tatsächlich bezogenen Notstandshilfe durch die Revisionswerberin der vom AMS ermittelte Rückzahlungsbetrag. Entgegen dem Vorbringen der Revisionswerberin ändere der Wegfall der Anrechnung des Partnereinkommens ab dem 1. Juli 2018 nichts daran, zumal der Lebensgefährte der Revisionswerberin im Jahr 2018 durchgehend selbständig beschäftigt gewesen und eine vorübergehende Einstellung der Tätigkeit nicht behauptet worden sei.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Zur Zulässigkeit der Revision wird vorgebracht, es liege noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vor, ob trotz Entfall der Anrechnung des Partnereinkommens bei der Berechnung des Anspruches auf Notstandshilfe seit dem 1. Juli 2018 ein im Kalenderjahr 2018 anzurechnendes Einkommen (des Lebensgefährten) anhand des Zwölftels des Jahreseinkommens oder nur das bis zum 30. Juni 2018 „tatsächlich verdiente Einkommen pro Monat“ heranzuziehen sei.

11 Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage dargetan, der grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG zukäme.

12 Zur Frage der (zeitlichen) Anwendbarkeit von Rechtsnormen vertritt der Verwaltungsgerichtshof ausgehend vom Erkenntnis eines verstärkten Senates (VwGH 4.5.1977, 898/75, VwSlg. 9315/A) in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass das Verwaltungsgericht (früher die Rechtsmittelbehörde) im Allgemeinen das zum Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses bzw. Beschlusses geltende Recht anzuwenden hat (vgl. VwGH 12.11.2020, Ra 2020/08/0098; 5.6.2019, Ra 2019/08/0051; 19.9.2017, Ra 2016/18/0381 bis 0383; 24.3.2015, Ro 2014/09/0066, VwSlg. 19083/A, jeweils mwN). Eine andere Betrachtungsweise wäre nur dann geboten, wenn der Gesetzgeber in einer Übergangsbestimmung zum Ausdruck bringt, dass auf anhängige Verfahren noch das bisher geltende Gesetz anzuwenden ist, oder wenn darüber abzusprechen ist, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem konkreten Zeitraum rechtens gewesen ist (vgl. VwGH 23.2.2021, Ra 2019/04/0054; 19.2.1991, 90/08/0177, VwSlg. 13384/A). Welche Rechtslage im Entscheidungszeitpunkt heranzuziehen ist, muss daher durch Auslegung der betreffenden Verwaltungsvorschriften ermittelt werden (vgl. VwGH 23.6.2021, Ra 2019/13/0111; 6.5.2004, 2001/20/0622; 28.11.1983, 82/11/0270, VwSlg. 11237/A).

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Ansprüche auf Arbeitslosengeld bzw. auf Notstandshilfe sofern der Gesetzgeber nicht anderes anordnet zeitraumbezogen zu beurteilen. Dies gilt auch für die Frage der Rechtmäßigkeit der Verpflichtung zum Rückersatz des empfangenen Arbeitslosengeldes (der Notstandshilfe) gemäß § 25 AlVG (vgl. VwGH 7.4.2016, Ro 2014/08/0037; 14.1.2013, 2012/08/0284, jeweils mwN).

14 Mit der AlVG Novelle BGBl. I Nr. 157/2017 wurden die Bestimmungen über die Anrechnung von Partnereinkommen auf die Notstandshilfe abgeschafft. Nach den Übergangs- bzw. Inkrafttretensbestimmungen treten die mit dieser Novelle vorgenommenen Änderungen § 6 Abs. 2, § 36 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Abs. 5 und Abs. 6, § 42 sowie § 43 AlVG idF der AlVG Novelle BGBl. I Nr. 157/2017 mit 1. Juli 2018 in Kraft und gelten für Zeiträume nach dem 31. Juni 2018. Für Zeiträume vor dem 1. Juli 2018 gelten hingegen jene Bestimmungen, in denen die Anrechnung von Partnereinkommen geregelt war § 6 Abs. 2, § 36 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 bis 8, § 42 sowie § 43 AlVG idF vor der AlVG Novelle BGBl. I Nr. 157/2017 weiter (vgl. § 79 Abs. 161 AlVG). Die Bestimmungen, die mit dieser Novelle ersatzlos aufgehoben wurden § 34 samt Überschrift und § 42 Abs. 6 AlVG sowie die Notstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 352/1973, in der Fassung der Verordnung BGBl. II Nr. 490/2001 treten mit 1. Juli 2018 außer Kraft, sie gelten jedoch für Zeiträume vor dem 1. Juli 2018 weiter (vgl. § 80 Abs. 16 AlVG).

15 Aus diesen Übergangs- bzw. Inkrafttretensbestimmungen ergibt sich somit, dass bei der Beurteilung der Ansprüche auf Notstandshilfe vor dem 1. Juli 2018 die bis zu diesem Stichtag in Geltung stehenden Bestimmungen des AlVG unverändert anzuwenden sind. Dazu gehören auch die mit der AlVG Novelle BGBl. I Nr. 157/2017 aufgehobenen Bestimmungen über die Anrechnung von Partnereinkommen (vgl. idS Sdoutz/Zechner , Arbeitslosenversicherungsgesetz 18 § 36 Rz 678).

16 In der Revision wird hingegen die Rechtsansicht vertreten, wonach bei der vor dem 1. Juli 2018 bezogenen Notstandshilfe zwar grundsätzlich eine Anrechnung des Partnereinkommens zu erfolgen habe, dies allerdings nur hinsichtlich bestimmter Teile jener, die bis zum 30. Juni 2018 erzielt wurden des Partnereinkommens. Ein derartiges Verständnis der Bestimmungen des § 36a AlVG über die Ermittlung des anzurechnenden Einkommens die im Übrigen durch die AlVG Novelle BGBl. I Nr. 157/2017 keine Änderung erfahren haben kann den Übergangs- bzw. Inkrafttretensbestimmungen allerdings, auch unter Einbeziehung des Gesetzeszwecks, nicht entnommen werden.

17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 22. Februar 2022

Rückverweise