Leitsatz
Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung des VwGVG betreffend den generellen Ausschluss der Gewährung von Verfahrenshilfe in allen Verfahren außerhalb des Anwendungsbereiches von Art6 EMRK und Art47 GRC; Verstoß gegen die rechtsstaatlichen Grundsätze eines effektiven verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes; Unzulässigkeit der Einschränkung der Verfahrenshilfe in verwaltungsgerichtlichen Administrativverfahren auf Verfahren im Anwendungsbereich des Art6 EMRK bzw Art47 GRC angesichts der möglichen Komplexität der inhaltlichen oder verfahrensbezogenen Rechtsfragen, der Schwierigkeiten des konkreten Sachverhaltes oder der Wahrung der Grundsätze eines fairen Verfahrens im Einzelfall
Spruch
I.1. Die Wort- und Zeichenfolge "dies auf Grund des Art6 Abs1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl Nr 210/1958, oder des Art47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr C83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist," in §8a Abs1 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I Nr 33/2013, idF BGBl I Nr 24/2017 wird als verfassungswidrig aufgehoben.
2. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. März 2026 in Kraft.
3. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
4. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
II.Im Übrigen wird §8a des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I Nr 33/2013, idF BGBl I Nr 109/2021 nicht als verfassungswidrig aufgehoben.
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren
1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E119/2023 eine auf Art144 B VG gestützte Beschwerde in einem Verfahren über Anträge auf Verleihung und Erstreckung der Staatsbürgerschaft anhängig.
Mit Bescheid vom 22. Juni 2022 wies die Wiener Landesregierung die Anträge ab. In der dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde bzw mit ergänzendem Schriftsatz wurden von den beschwerdeführenden Parteien Anträge auf Gewährung von Verfahrenshilfe für das verwaltungsgerichtliche Verfahren gestellt, die mit Beschluss vom 17. November 2022 vom Verwaltungsgericht Wien abgewiesen wurden.
2. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §8a des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I 33/2013, idF BGBl I 109/2021 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 12. Dezember 2023 beschlossen, diese Gesetzesbestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.
Der Verfassungsgerichtshof legt seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:
"Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass der Gesetzgeber die Gewährung von Verfahrenshilfe gemäß §8a VwGVG durch den Verweis in dessen Abs1 auf Art6 Abs1 EMRK und Art47 GRC auf Fälle beschränken wollte, die in den jeweiligen Anwendungsbereich dieser Bestimmungen fallen. 'Durch den Verweis auf Art6 Abs1 EMRK und Art47 GRC ist sichergestellt, dass die Verfahrenshilfe im verwaltungsgerichtlichen Verfahren den Anforderungen des Europäischen Menschenrechtsschutzes entspricht' (Erläut zur RV 1255 BlgNR 25. GP, 2).
[…] Der Verfassungsgerichtshof leitet in ständiger Judikatur aus dem rechtsstaatlichen Prinzip die Forderung nach einem solchen System von Rechtsschutzeinrichtungen ab, das gewährleistet, dass rechtswidrige Akte staatlicher Organe beseitigt werden. Aus diesem allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzip, wie es der Bundesverfassung zugrunde liegt, folgt unter anderem, dass Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen. Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang nicht nur die Position des Rechtsschutzwerbers, sondern auch Zweck und Inhalt der Regelung, ferner die Interessen Dritter sowie das öffentliche Interesse an einem funktionierenden und verfahrensökonomisch ausgestalteten Rechtsschutz. Der Gesetzgeber hat unter diesen Gegebenheiten einen Ausgleich zu schaffen, wobei aber dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes Vorrang zukommt und dessen Einschränkung nur aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen zulässig ist (vgl beginnend mit VfSlg 11.196/1986 die seitdem ständige Rechtsprechung, siehe etwa VfSlg 19.969/2015, 20.515/2021 jeweils mwN).
[…] Der Verfassungsgerichtshof hat in VfSlg 19.989/2015 den Umstand, dass nach dem damaligen System außer in Verfahren in Verwaltungsstrafsachen die unentgeltliche Beigebung eines Verfahrenshelfers schlechthin nicht möglich war, als umso schwerwiegender erachtet, 'als den Verwaltungsgerichten eine rechtsstaatliche Filterungsfunktion zukommt und die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes im Instanzenzug seit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 nur noch bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung erfolgt'. Damit dürften die Regelungen des Abschnittes A des 8. Hauptstückes des B VG über die Verwaltungsgerichts-barkeit davon ausgehen, dass der rechtsstaatlich gebotene verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz gegen (hoheitliches) Verwaltungshandeln grundsätzlich durch den Zugang zu den Verwaltungsgerichten gewährleistet ist. Ein effektiver Zugang zu den Verwaltungsgerichten dürfte daher im rechtsstaatlichen System des B VG für den Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber der (hoheitlichen) Verwaltung essentiell sein.
[…] Der Verfassungsgerichtshof ist im Hinblick darauf vorläufig der Auffassung, dass es das rechtsstaatliche Gebot effektiven Rechtsschutzes in bestimmten Konstellationen auch erfordern kann, dem vor dem Verwaltungsgericht Rechtsschutz-suchenden unter besonderen Voraussetzungen bestimmte Formen der Verfahrenshilfe (etwa die Beigebung eines Rechtsbeistandes oder die Befreiung von bestimmten Gebühren oder Kosten) zur Verfügung zu stellen:
[…] Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass dieses rechtsstaatliche Gebot eines effektiven Zugangs zu den Verwaltungsgerichten unabhängig davon bestehen dürfte, ob sich der Rechtsschutzsuchende in einer Angelegenheit an das Verwaltungsgericht wendet, die in den Anwendungsbereich des Art6 EMRK oder des Art47 GRC fällt. Denn Art6 EMRK und Art47 GRC dürften (von ihrem konventionsrechtlichen bzw unionsrechtlichen Gehalt ausgehend) nach näherer Maßgabe zwar sicherstellen wollen, dass in ihrem Anwendungsbereich in für einen wirksamen Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz erforderlichen Ausmaß dem Einzelnen Anspruch auf Verfahrenshilfe zukommen muss. Wie diese Verfahrenshilfe ausgestaltet und welche Unterstützung sie für den Einzelnen bei seiner Rechtsdurchsetzung umfassen muss, um insoweit dem jeweils grundrechtlich verankerten Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz Genüge zu tun, richtet sich dabei nach den Gegebenheiten des jeweiligen Verfahrens und den Umständen des Einzelfalles. Daher ist etwa ein gänzlicher Ausschluss bestimmter, unter den grundrechtlichen Schutz des Art6 EMRK fallender Verfahren von der Gewährung einer Verfahrenshilfe verfassungswidrig (VfSlg 19.989/2015), eine zwischen einzelnen Verfahren und den in diesen geltend gemachten Ansprüchen differenzierende Ausgestaltung der Verfahrenshilfe aber grundsätzlich zulässig (vgl etwa zur Zulässigkeit eines Komplementärmechanismus durch ein spezielles System der Rechtsberatung in asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren VfSlg 18.809/2009, 20.064/2016).
Weder Art6 EMRK noch Art47 GRC dürfte aber zu entnehmen sein, dass sie eine rechtsstaatliche Bedeutung der Gewährung von Verfahrenshilfe (als in bestimmten Konstellationen Voraussetzung für einen effektiven Zugang zu verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz) außerhalb des Anwendungsbereiches dieser Grundrechte schlechthin ausschließen.
[…] Der Verfassungsgerichtshof vermag vorläufig nicht zu erkennen, dass die Gewährung von Verfahrenshilfe in allen Verfahren außerhalb des Anwendungsbereiches von Art6 EMRK und Art47 GRC schlechthin in keinem Fall erforderlich sein könnte, um aus den genannten rechtsstaatlichen Gründen einen wirksamen Zugang zum verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen. Der Verfassungsgerichtshof ist vielmehr vorläufig der Auffassung, dass es auch in anderen als den im Anwendungsbereich der genannten Grundrechte erfassten Verfahren Konstellationen geben kann, in denen es im Einzelfall aus rechtsstaatlichen Gründen erforderlich ist, dem Rechtsschutzsuchenden im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestimmte Formen der Unterstützung zu ermöglichen, insbesondere einen kostenlosen Rechtsbeistand beizugeben. So etwa, weil dies auf Grund der Komplexität des Verfahrensgegenstandes einschließlich der zu beurteilenden Rechtsfragen oder der persönlichen Umstände der betroffenen Partei erforderlich ist, um effektiven Rechtsschutz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu gewährleisten, und die Partei nicht im Stande ist, die Mittel für diese Unterstützung aus Eigenem zu tragen (vgl Köchle , Verfahrenshilfe vor den Verwaltungsgerichten, in: Holoubek/Lang [Hrsg.], Grundfragen der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit, 2017, 165 [181 mwN]).
[…] Der Verfassungsgerichtshof hält es daher vorläufig als mit rechtsstaatlichen Grundsätzen eines effektiven verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nicht für vereinbar, dass §8a VwGVG die Gewährung von Verfahrenshilfe in verwaltungs-gerichtlichen Verfahren, die nicht in den Anwendungsbereich des Art6 EMRK oder des Art47 GRC fallen, schlechthin ausschließen dürfte."
3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:
" Zur Zulässigkeit:
[…] Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes soll ein Gesetzesprüfungsverfahren dazu dienen, die behauptete Verfassungswidrigkeit – wenn sie tatsächlich vorläge – zu beseitigen. Unzulässig ist ein Normenprüfungsantrag daher dann, wenn die Aufhebung einer Bestimmung beantragt wird, welche die angenommene Verfassungswidrigkeit gar nicht beseitigen würde (VfSlg 16.191/2001, 18.397/2008, 18.891/2009, 19.178/2010, 19.674/2012; VfGH 26.11.2015, G179/2015; 14.12.2016, G573/2015 ua; jeweils mwN).
Ein gleichgelagerter Fall liegt hier vor: Würde §8a VwGVG zur Gänze aufgehoben, so wäre in Verfahren, die weder den sachlichen Schutzbereich des Art6 Abs1 EMRK noch jenen des Art47 GRC betreten, auch nach der Aufhebung keine Verfahrenshilfe zu gewähren. Durch die Aufhebung würde sohin keine Rechtslage hergestellt, auf die die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes nicht mehr zuträfen. Vielmehr würde ein Rechtszustand hergestellt, in dem die Verfahrenshilfe sachlich auf Verfahren betreffend Verwaltungsstrafsachen beschränkt wäre (§40 VwGVG), mithin jener Rechtszustand, den der Verfassungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis VfSlg 19.989/2015 für verfassungswidrig erkannte. Auch wäre für die beschwerdeführenden Parteien des Anlassverfahrens nichts gewonnen, ihnen könnte nach der solcherart 'bereinigten' Rechtslage (erst recht) keine Verfahrenshilfe zukommen. Zur Beseitigung der vermeintlichen Verfassungswidrigkeit, so sie denn vorläge, wäre vielmehr die zuständige Materiengesetzgebung aufgerufen. Diese könnte für Verfahren außerhalb des Schutzbereichs von Art6 Abs1 EMRK sowie von Art47 GRC spezialgesetzliche Institute der Prozesskostenhilfe schaffen, die §8a VwGVG, der nach seinem Abs1 bloß subsidiäre Geltung besitzt, samt seiner Grundrechtsakzessorietät verdrängen.
[…] Im Gesetzesprüfungsverfahren gemäß Art140 Abs1 B VG hat der Verfassungsgerichtshof keine Möglichkeit, Vollzugsmängel wahrzunehmen, selbst wenn diese in die Verfassungssphäre reichen sollten. Der Verfassungsgerichtshof entscheidet gemäß Art140 Abs1 B VG über 'Verfassungswidrigkeit [...] von Gesetzen'. Die Entscheidung eines Gerichtes ist nicht Prüfungsgegenstand eines Verfahrens nach Art140 B VG (vgl zu Art140 Abs1 Z1 lita B VG VfSlg 20.409/2020 und zu Art140 Abs1 Z1 litd BVG VfGH 23.2.2017, G274/2016, mwH; VfGH 1.7.2022, G118/2022; VfGH 1.7.2022, G143/2022).
Bei Übertragbarkeit jener Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union auf den Anlassfall, nach der auch Verfahren über die Verleihung der Staatsbürgerschaft in den Anwendungsbereich des Rechts der Europäischen Union (Art20 AEUV) fallen können, sodass Art47 GRC anwendbar wäre, würde ein solcher 'bloßer' Vollziehungsfehler vorliegen (vgl dazu im Einzelnen unten Punkt III.2.5).
[…] Zusammengefasst vertritt die Bundesregierung daher die Ansicht, dass das gegenständliche Gesetzesprüfungsverfahren einzustellen ist.
[…] In der Sache:
[…] Unter dem abbreviierenden Begriff 'Rechtsstaatsprinzip' kann sowohl das rechtsstaatliche Baugesetz der österreichischen Bundesverfassung als auch ein unter Zusammenschau 'einfachverfassungsgesetzlicher' Bestimmungen induziertes Prinzip verstanden werden (vgl Grabenwarter/Holoubek , Verfassungsrecht – Allgemeines Verwaltungsrecht 5 [2022] Rz. 781).
[…] Der Gehalt des rechtsstaatlichen Baugesetzes lässt sich nach Auffassung der Bundesregierung alleine aus der historisch ersten Bundesverfassung unter Berücksichtigung der bislang einzigen Gesamtänderung der Bundesverfassung im Sinne des Art44 Abs3 B VG gewinnen, welche durch das Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, BGBl Nr 744/1994, erfolgte. Dieser Zugang gründet auf der herrschenden Meinung, dass ein Baugesetz nur im Wege des Verfahrens nach Art44 Abs3 B VG, nicht jedoch 'stillschweigend' zuwachsen kann (vgl Jabloner , Verfassungsrechtliche Grundordnung und historisch erste Verfassung, in Olechowski/Zeleny [Hrsg.], Methodenreinheit und Erkenntnisvielfalt [2013] 129 [146]).
[…] Im (damaligen) sechsten Hauptstück betrat das Gesetz, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundes-Verfassungsgesetz), BGBl Nr 1/1920 (im Folgenden B VG 1920), zwar vielfach Neuland. Im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit blieb es jedoch dem aus der Monarchie übernommenen 'österreichischen System' treu. Art129 B VG 1920 knüpfte an die Tradition des k. k. Verwaltungsgerichtshofes an, auf dessen Rechtsgrundlagen der Verwaltungsgerichtshof mit dem Gesetz über die Errichtung eines deutschösterreichischen Verwaltungsgerichtshofes, StGBl. Nr 88/1919, (wieder) errichtet worden war. Der Verfassungsgesetzgeber ging dabei mit Selbstverständlichkeit davon aus, dass mit dem überkommenen (Organisations- und) Verfahrensrecht das Auslangen zu finden war. In §38 des Verfassungsgesetzes betreffend den Übergang zur bundesstaatlichen Verfassung, BGBl Nr 2/1920, traf er die Anordnung, dass dieses Gesetz, soweit es nicht durch die Bestimmungen des B VG 1920 und dieses Gesetz abgeändert wird, 'bis auf weiteres' als das im Art136 BVG 1920 vorgesehene Bundesgesetz in Kraft zu bleiben habe. Für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof maßgeblich war danach das Gesetz betreffend die Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofes, RGBl. Nr 36/1876 (im Folgenden VwGG 1875), das keinerlei Bestimmungen über einen 'Anwaltsprozess' bzw (absoluten) 'Anwaltszwang' oder ein 'Armenrecht' enthielt: §18 VwGG 1875 bestimmte lediglich, dass die Beschwerde 'mit der Unterschrift eines Advocaten versehen' sein musste (sie brauchte von diesem also nicht selbst abgefasst worden zu sein); gemäß §31 VwGG 1875, in der Fassung des Gesetzes RGBl. Nr 149/1905, stand es der beteiligten Partei frei, 'sich in der mündlichen Verhandlung selbst zu vertreten oder durch Advokaten vertreten zu lassen'; ein 'Armenrecht' gewährte das VwGG 1875 nicht. Die soeben erwähnte Novelle wurde bezeichnenderweise zehn Jahre nach der Zivilprozessordnung, RGBl. Nr 113/1895, erlassen, der zufolge im Verfahren vor den Gerichtshöfen erster Instanz und vor allen Gerichten höherer Instanz grundsätzlich (absoluter) 'Anwaltszwang' bestand ('Anwaltsprozess') und die ein 'Armenrecht' bereits vorsah (§27 und §§63 ff ZPO).
An diesem Rechtszustand sollte sich auch unter dem Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929, BGBl Nr 1/1930, nichts Wesentliches ändern: Gemäß §17 Abs4 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes, BGBl Nr 153/1930 (im Folgenden VwGG 1930), musste grundsätzlich jede Beschwerde oder Klage 'mit der Unterschrift eines Rechtsanwaltes versehen' sein; gemäß §19 Abs1 VwGG 1930 konnten die Parteien unbeschadet der Bestimmungen des §17 Abs4 VwGG 1930 'ihre Sache vor dem Verwaltungsgerichtshof selbst führen oder sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen'; ein 'Armenrecht' war im VwGG 1930 ebenfalls nicht vorgesehen.
Eingeführt wurde das 'Armenrecht' im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erst mit dem – durch die Provisorische Staatsregierung erlassenen – Verwaltungsgerichtshofgesetz, StGBl. Nr 208/1945 (im Folgenden: VwGG 1945), und zwar in dessen §48, für den erkennbar §34 des Bundesgerichtshofgesetzes, BGBl II Nr 123/1934, als Vorbild gedient hat. Nach wie vor bestand hinsichtlich der Abfassung und Einbringung von Beschwerden absoluter, hinsichtlich der Vertretung im Verfahren relativer 'Anwaltszwang' (§23 Abs1 und §24 Abs2 VwGG 1945).
Unabhängig davon, welchen Zeitpunkt bzw welche Rechtsvorschrift man als für die Bestimmung des Gehalts des rechtsstaatlichen Baugesetzes für maßgeblich ansieht – das B VG 1920 oder die Proklamation StGBl. Nr 1/1945 ('Unabhängigkeitserklärung') – hat die Verfassungsgesetzgebung also eine Rechtslage vorgefunden, die ein 'Armenrecht' im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht vorsah. Nach Ansicht der Bundesregierung ist die einfache Gesetzgebung daher nicht auf Grund des rechtsstaatlichen Baugesetzes zur Einführung eines solches 'Armenrechts' (bzw der Verfahrenshilfe) verpflichtet.
[…] Im Übrigen macht die Bundesregierung auf einen wesentlichen Unterschied zwischen der seinerzeitigen und der heute geltenden Rechtslage aufmerksam: Sowohl im Jahr 1920 als auch im Jahr 1945 war die Verwaltungsgerichtsbarkeit nach dem B VG eine einstufige, der Verwaltungsgerichtshof entschied also in erster und letzter Instanz. Da dies seit der Einführung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I Nr 51/2012, nicht mehr der Fall ist, könnte jedoch grundsätzlich bezweifelt werden, ob das für den Verwaltungsgerichtshof geltende (historische) Verfahrensrecht überhaupt einen methodisch geeigneten Maßstab dafür zu bilden vermag, wie das Verfahrensrecht der – dem Verwaltungsgerichtshof instanzenmäßig untergeordneten – Verwaltungsgerichte von Verfassung wegen beschaffen sein muss. Zieht man allerdings – ausgehend von der Überlegung, dass die Verwaltungsgerichte funktionell an die Stelle der (administrativen) Berufungsbehörden und der unabhängigen Verwaltungssenate getreten sind – das für diese geltende (Verwaltungs-)Verfahrensrecht als Orientierung dafür heran, was das rechtsstaatliche Baugesetz für die dem Verwaltungsgerichtshof untergeordnete Entscheidungsinstanz allenfalls gebieten könnte, so kann erst recht kein Zweifel daran bestehen, dass die einfache Gesetzgebung zur Einführung einer Verfahrenshilfe nicht verpflichtet ist: Denn in diesen Verfahren wurde die Verfahrenshilfe überhaupt erst durch das Bundesgesetz, mit dem das Verwaltungsstrafgesetz geändert wird, BGBl Nr 358/1990, eingeführt, und zwar zunächst beschränkt auf das Verfahren der unabhängigen Verwaltungssenate über Berufungen in Verwaltungsstrafsachen. Eine derartige Betrachtungsweise liegt auch deswegen nahe, weil sich das verwaltungsgerichtliche Verfahren – in gleicher Weise wie das Verwaltungsverfahren und das Verfahren der früheren unabhängigen Verwaltungssenate – durch weitgehende Formlosigkeit und einen besonders niederschwelligen Zugang für Rechtsschutzsuchende auszeichnet, worauf sogleich einzugehen sein wird.
[…] Ungeachtet der Frage, ob ein Baugesetz oder ein Rechtsprinzip einfachverfassungsgesetzlichen Ranges in Rede steht, tritt die Bundesregierung der Auffassung des Verfassungsgerichtshofes bei, dass aus dem rechtsstaatlichen Baugesetz – ebenso wie aus einem wie auch immer konstituierten einfachverfassungsgesetzlichen Rechtsstaatsprinzip – ein Erfordernis effektiven Rechtsschutzes abgeleitet werden kann. So muss der Zugang zum öffentlich-rechtlichen Rechtsschutzsystem, wie es im achten Hauptstück des B VG (Garantien der Verfassung und Verwaltung) grundgelegt ist, nicht nur theoretisch, sondern auch tatsächlich offenstehen. Diese starke teleologische Komponente kommt auch schon in der Überschrift des Hauptstücks zum Ausdruck, welchem 'Garantien' gerichtsförmlichen Rechtsschutzes gegen die Hoheitsverwaltung und die Gesetzgebung innewohnen sollen (vgl VfSlg 13.699/1994). Der Rechtsschutz darf durch rechtliche Hürden in seiner faktischen Wirksamkeit nicht unterminiert werden (vgl insbesondere VfSlg 11.196/1986 grundlegend zur aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln; VfSlg 15.218/1998, 15.369/1998 und 15.529/1998 zu Rechtsmittelfristen; VfSlg 17.340/2004 und 20.515/2021 zu 'Neuerungsverboten' oder VfSlg 17.969/2006 zu Pauschalgebühren). In diesem Zusammenhang erlaubt sich die Bundesregierung, im Folgenden auf zahlreiche Vorzüge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrensrechts hinzuweisen. Diese ermöglichen es auch finanziell schlechter gestellten Rechtsschutzsuchenden, denen keine Verfahrenshilfe gewährt wird und die nicht rechtsfreundlich vertreten werden, die Verwaltungsgerichte in Anspruch zu nehmen:
Erstens zeichnet sich das verwaltungsgerichtliche Verfahren durch eine sehr geringe Gebührenlast aus. So beschränkt sich die Eingabengebühr für diese Beschwerden auf 30 Euro, die mit 15 Euro bezifferte Gebühr für die Einbringung eines Vorlageantrags im Sinne des §15 VwGVG fällt nur dann an, wenn dieser von einer Beschwerde gesondert eingebracht wird (§2 der VwG-Eingabengebührverordnung […]). Ein Kostenbeitrag in einem Ausmaß von 20 vH der Geldstrafe besteht bei Bescheidbeschwerden nur in Verwaltungsstrafsachen und auch dort einzig bei vollständigem Unterliegen des Bestraften (§52 VwGVG). Im Gegenzug entfällt in diesen Verfahren die Eingabengebühr (§14 TP 6 Abs5 Z7 des Gebührengesetzes 1957 […]).
Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass §13a des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 – AVG […] vor den Verwaltungsgerichten vollumfänglich Anwendung findet (§17 VwGVG; vgl statt vieler VwGH 21.3.2017, Ra 2017/12/0010). Nicht durch berufsmäßige Parteienvertreter vertretene Personen sind demzufolge durch das erkennende Gericht mündlich zur Vornahme ihrer Verfahrenshandlungen im nötigen Maß anzuleiten und über die mit diesen Handlungen oder Unterlassungen unmittelbar verbundenen Rechtsfolgen zu belehren. Da im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, im Unterschied zu Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, keine Pflicht zur Vertretung durch berufsmäßige Parteienvertreter besteht (vgl den sinngemäß anwendbaren §10 AVG), werden die Parteien sohin von einem gewichtigen Aufwand entlastet und dennoch in die Lage versetzt, die erforderlichen Verfahrenshandlungen vorzunehmen.
Überdies kommt die Niederschwelligkeit des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens auch darin zum Ausdruck, dass dort uneingeschränkt neue Tatsachen und Beweise vorgebracht werden können (§10 VwGVG), auch wenn diese Rechtswohltat nicht allein unvertretenen Parteien zu Gute kommt. Parteien in verwaltungsgerichtlichen Verfahren, seien sie durch berufsmäßige Parteienvertreter vertreten oder nicht, werden auch dadurch von der Verfahrensführung entlastet, dass die Verfahrensgrundsätze der materiellen Wahrheit und der Offizialmaxime vollumfänglich gelten (§17 VwGVG in Verbindung mit §37 und §39 Abs2 AVG).
Nach Auffassung der Bundesregierung ist damit die Bundesgesetzgebung ihrem durch das Rechtsstaatsprinzip respektive durch das achte Hauptstück des B VG erteilten Auftrag, den Zugang zur Verwaltungsgerichtsbarkeit faktisch wirksam zu gestalten, hinreichend nachgekommen.
Flankierend zum Ordnungssystem des VwGVG bestehen auch noch materienspezifische Vorkehrungen, die es finanzschwächeren bzw vulnerableren Parteien erleichtern, in den Genuss verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes zu gelangen: So wird die Verfahrenshilfe in den meisten verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in denen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl belangte Behörde ist, nach Maßgabe unionsrechtlicher Vorgaben […] durch die Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsvertreters substituiert (VwSlg 19.359 A/2016). Weitere von der Materiengesetzgebung bereitgestellte Erleichterungen bestehen in Gebührenbefreiungen (ua §70 letzter Satz des Asylgesetzes 2005 […], §23 letzter Satz des Behinderteneinstellungsgesetzes […], §19 Abs10 des Berufsausbildungsgesetzes […] sowie §11 Abs2 des Verbrechensopfergesetzes […]) oder verlängerten Beschwerdefristen (ua §93 Abs3 erster Satz des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 […] sowie §9c Abs3 erster Satz des Verbrechensopfergesetzes).
[…] Es sei auch darauf aufmerksam gemacht, dass – anders als gemäß Art6 Abs3 litc EMRK für Verwaltungsstrafsachen – nicht einmal aus Art6 Abs1 EMRK ein Gebot erwächst, in Verfahren über 'civil rights' mittellosen Parteien generell Verfahrenshilfe zu gewähren, solange nur der effektive Zugang zu Gericht sichergestellt ist, wofür aber verschiedene Möglichkeiten bestehen; die Schaffung eines Systems der Verfahrenshilfe stellt nur eine davon dar. Eine Alternative ist die Vereinfachung des Verfahrens, sodass auch eine nicht rechtskundige Partei ihre Sache vor Gericht alleine vertreten kann (EGMR 9.10.1979, Airey gg. Irland, App. Nr 6289/73). Auch Art47 Abs3 GRC verpflichtet die Mitgliedstaaten ausweislich der Erläuterungen nur zur Gewährung von Prozesskostenhilfe, wenn ansonsten die Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs nicht gewährleistet wäre. Art47 Abs3 GRC hat insoweit keinen über Art6 Abs1 EMRK hinausgehenden Gehalt (Erläuterungen zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr C303 vom 14.12.2007 S. 30). Der Anforderung, alternativ zur Prozesskostenhilfe das Verfahren möglichst niederschwellig zu gestalten, ist die Bundesgesetzgebung durch den oben erörterten Rechtsrahmen nachgekommen. Folglich entspringt schon aus Art6 Abs1 EMRK als einschlägigster Norm des österreichischen Verfassungsrechts im formellen Sinne bzw dem wohl verfassungsgleich gewährleisteten Art47 Abs3 GRC (vgl VfSlg 19.632/2012 bzw im Kontext der genannten Verbürgung VfSlg 20.064/2016 und 20.394/2020) gerade kein generelles Gebot der Zurverfügungstellung von Verfahrenshilfe in Verfahren, die keine strafrechtlichen Anklagen betreffen. Umso weniger kann daher ein solches Gebot nach Auffassung der Bundesregierung aus dem – wie auch immer gearteten – Rechtsstaatsprinzip erwachsen.
[…] Die Bundesregierung weist im Übrigen auf die Reichweite des Schutzbereiches insbesondere des Art47 GRC hin, welche die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes schmälern dürfte. Art47 GRC ist, die Anwendbarkeit der Charta nach deren Art51 vorausgesetzt, bereits eröffnet, sobald ein durch das Unionsrecht gewährleistetes subjektives Recht in Rede steht ( Kröll , Art47, in Holoubek/Lienbacher [Hrsg.], GRC-Kommentar 2[2019] Rz. 12 ff). Zu Verfahren betreffend die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft ist festzuhalten, dass mit der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an Drittstaatsangehörige oder Staatenlose auch der Erwerb der Unionsbürgerschaft einhergeht (Art20 Abs1 AEUV). Aufgrund dieses Konnexes zwischen nationaler Staatsangehörigkeit und der Unionsbürgerschaft als einem Rechtsinstitut des europäischen Primärrechts hat der Gerichtshof der Europäischen Union bereits wiederholt anerkannt, dass auch Verfahren betreffend die Staatsangehörigkeit den Vorgaben des Unionsrechts unterliegen können, obwohl der Europäischen Union in dieser Materie keine Verbandskompetenz zukommt (EuGH 12.3.2019, Rs C 221/17 [Tjebbes ua] ECLI:EU:C:2019:189; jüngst wieder EuGH 5.9.2023, Rs C 689/21 [X] ECLI:EU:C:2023:626). So hat der Gerichtshof etwa den österreichischen Fall einer Staatenlosen (ehemaligen Unionsbürgerin estnischer Nationalität), der gegenüber die Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft bescheidmäßig widerrufen worden war (§20 Abs2 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 […]), im Anwendungsbereich des Unionsrechts verortet. Im genannten Fall einer verweigerten Einbürgerung verlangte der Gerichtshof die Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung (EuGH 18.1.2022, Rs C118/20 [JY] ECLI:EU:C:2022:34). Bei Übertragbarkeit dieser Judikatur auf andere Verfahren zur Verleihung der Staatsbürgerschaft wäre wegen der durch Art20 AEUV eingeräumten subjektiven Berechtigung neben der Durchführung von Unionsrecht im Sinne des Art51 GRC auch von einer Eröffnung des Schutzbereiches des Art47 GRC auszugehen. Demnach dürfte in weiterer Folge keine Abweisung von Anträgen auf Gewährung der Verfahrenshilfe mit der Begründung fehlender Grundrechtsakzessorietät ergehen. Eine Verletzung der beschwerdeführenden Parteien des Anlassfalls in (einfach- oder verfassungsgesetzlich gewährleisteten) Rechten durch den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien wäre zutreffendenfalls der Vollziehung, nicht jedoch §8a VwGVG als der gesetzlichen Grundlage anzulasten.
[…] Hilfsweise wird auf die Möglichkeit einer verfassungskonformen Interpretation hingewiesen (zum Gebot einer solchen innerhalb der Grenzen des Wortlauts vgl statt vieler VfSlg 4440/1963 bzw speziell im Kontext von Rechtsgrundlagen der Verfahrenshilfe VfSlg 20.394/2020), die der Verfassungsgerichtshof in seinem zugrundeliegenden Prüfungsbeschluss selbst in den Raum stellt. So ließe sich die in §8a Abs1 VwGVG enthaltene Bezugnahme auf Art6 Abs1 EMRK bzw Art47 GRC nach Auffassung der Bundesregierung dahin auslegen, dass einzig die von diesen grundrechtlichen Verbürgungen festgelegten inhaltlichen Erfordernisse maßgebend sind, nicht jedoch, dass auch deren Schutzbereich eröffnet sein muss. So kann §8a Abs1 VwGVG so ausgelegt werden, dass Verfahrenshilfe dann zu gewähren ist, wenn ansonsten, insbesondere wegen der Komplexität der Rechtssache, kein effektiver Zugang zu Gericht nach den Maßstäben des Art6 Abs1 EMRK bzw des Art47 Abs3 GRC gewährleistet wäre. Bei dieser einschränkenden Interpretation wären außerhalb des sachlichen Schutzbereiches dieser Garantien gelegene Rechtssachen von der Gewährung von Verfahrenshilfe nicht ausgeschlossen.
[…] Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig ist.
[…] Zum Aufhebungsumfang weist die Bundesregierung auf Folgendes hin:
Sollten sich die im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes nicht zerstreuen lassen, so könnte der Sitz der Verfassungswidrigkeit ausschließlich im Ausdruck 'dies auf Grund des Art6 Abs1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl Nr 210/1958, oder des Art47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr C83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist,' in §8a Abs1 erster Satz VwGVG, nicht jedoch im gesamten Normtext des §8a VwGVG gelegen sein: Der zitierte Ausdruck stellt die Grundrechtsakzessorietät des Anspruchs auf Verfahrenshilfe her. Dass der Anwendungsbereich des Art6 Abs1 EMRK oder des Art47 GRC eröffnet sein muss, mithin im Umkehrschluss sonstige Verfahren vor den Verwaltungsgerichten von Verfahrenshilfe ausgeschlossen sind, kann (allein) aus der genannten Wort- und Zeichenfolge abgeleitet werden."
II. Rechtslage
Die in Prüfung gezogene Bestimmung des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I 33/2013, idF BGBl I 109/2021 lautet wie folgt (§8a Abs1 VwGVG steht in der Fassung BGBl I 24/2017 in Geltung):
" Verfahrenshilfe
§8a. (1) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ist einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art6 Abs1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl Nr 210/1958, oder des Art47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr C83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Juristischen Personen ist Verfahrenshilfe sinngemäß mit der Maßgabe zu bewilligen, dass an die Stelle des Bestreitens der Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts das Aufbringen der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel durch die Partei oder die an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten tritt.
(2) Soweit in diesem Paragraphen nicht anderes bestimmt ist, sind die Voraussetzungen und die Wirkungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung – ZPO, RGBl. Nr 113/1895, zu beurteilen. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe schließt das Recht ein, dass der Partei ohne weiteres Begehren zur Abfassung und Einbringung der Beschwerde, des Vorlageantrags, des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder zur Vertretung bei der Verhandlung ein Rechtsanwalt beigegeben wird.
(3) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist schriftlich zu stellen. Der Antrag ist bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde und ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht einzubringen; ein ab Vorlage der Beschwerde vor Zustellung der Mitteilung über deren Vorlage an das Verwaltungsgericht bei der Behörde gestellter Antrag gilt als beim Verwaltungsgericht gestellt und ist diesem unverzüglich vorzulegen. Für Verfahren über Beschwerden gemäß Art130 Abs1 Z2 B VG ist der Antrag unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzubringen.
(4) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe kann ab Erlassung des Bescheides bzw ab dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat, gestellt werden. Wird die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer Säumnisbeschwerde beantragt, kann dieser Antrag erst nach Ablauf der Entscheidungsfrist gestellt werden. Sobald eine Partei Säumnisbeschwerde erhoben hat, kann der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe auch von den anderen Parteien gestellt werden.
(5) In dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist die Rechtssache bestimmt zu bezeichnen, für die die Bewilligung der Verfahrenshilfe begehrt wird.
(6) Die Behörde hat dem Verwaltungsgericht den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und die Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Hat das Verwaltungsgericht die Bewilligung der Verfahrenshilfe beschlossen, so hat es den Ausschuss der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu benachrichtigen, damit der Ausschuss einen Rechtsanwalt zum Vertreter bestelle. Dabei hat der Ausschuss Wünschen der Partei zur Auswahl der Person des Vertreters im Einvernehmen mit dem namhaft gemachten Rechtsanwalt nach Möglichkeit zu entsprechen.
(7) Hat die Partei innerhalb der Beschwerdefrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt, so beginnt für sie die Beschwerdefrist mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Beschluss über die Bestellung des Rechtsanwalts zum Vertreter und der anzufechtende Bescheid diesem zugestellt sind. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag abgewiesen, so beginnt die Beschwerdefrist mit der Zustellung des abweisenden Beschlusses an die Partei zu laufen. Entsprechendes gilt für die Fristen, die sich auf die sonstigen in Abs2 genannten Anträge beziehen.
(8) Die Bestellung des Rechtsanwalts zum Vertreter erlischt mit dem Einschreiten eines Bevollmächtigten.
(9) In Verfahrenshilfesachen ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zulässig.
(10) Der Aufwand ist von jenem Rechtsträger zu tragen, in dessen Namen das Verwaltungsgericht in der Angelegenheit handelt."
III. Erwägungen
A. Zur Zulässigkeit des Verfahrens
1. Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung zweifeln ließe.
2. Die Bundesregierung stellt in Frage, ob die vom Verfassungsgerichtshof zur Erörterung gestellte mögliche Verfassungswidrigkeit durch Aufhebung des §8a VwGVG zur Gänze, wie ihn der Verfassungsgerichtshof in Prüfung gezogen hat, überhaupt beseitigt würde. Durch die Aufhebung würde nämlich ein Rechtszustand hergestellt, in dem die Verfahrenshilfe sachlich auf Verfahren betreffend Verwaltungsstrafsachen (§40 VwGVG) beschränkt wäre.
Dieser Einwand verfängt auf Ebene der Zulässigkeitsprüfung deswegen nicht, weil der Verfassungsgerichtshof – vor dem Hintergrund der Bedenken und der Erforderlichkeit, die den Sitz der Bedenken bildenden Bestimmungen (bei geringstmöglichem Eingriff in den Gehalt der Rechtsordnung) zu ermitteln – über den Umfang der allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen im Zuge der Entscheidung in der Sache entscheidet, wenn sich seine Bedenken als begründet erweisen (vgl VfGH 12.3.2024, G122/2023 ua).
Weiters ist im Hinblick auf die Ausführungen der Bundesregierung zur Auslegung der in Prüfung gezogenen Bestimmung durch das Verwaltungsgericht im Anlassfall darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsgerichtshof losgelöst vom Anlassfall zu beurteilen hat, ob die in Prüfung gezogene Bestimmung aus den in der Begründung des Prüfungsbeschlusses dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl VfSlg 9901/1983, 15.271/1998).
3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Gesetzesprüfungsverfahren als zulässig.
B. In der Sache
1. Die (allgemeine) Möglichkeit der Gewährung von Verfahrenshilfe im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist – neben dem nur in Verwaltungsstrafverfahren anwendbaren §40 VwGVG – in §8a VwGVG geregelt. Gemäß §8a Abs1 erster Satz VwGVG ist einer Partei – soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist – Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art6 Abs1 EMRK oder des Art47 GRC geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhaltes zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
2. Der Verfassungsgerichtshof ist in seinem Prüfungsbeschluss von der Annahme ausgegangen, dass aus der Anordnung des §8a Abs1 VwGVG, wonach Verfahrenshilfe zu bewilligen ist, "soweit dies auf Grund des Art6 Abs1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten [...] oder des Art47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union [...] geboten ist," folge, dass eine Gewährung von Verfahrenshilfe gemäß §8a VwGVG nicht in allen Verfahren der Verwaltungsgerichte in Betracht komme, sondern nur in jenen, die in den Anwendungsbereich des Art6 Abs1 EMRK oder des Art47 GRC fielen.
Dieses Verständnis des §8a Abs1 VwGVG, von dem auch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausgeht (vgl VwGH 11.9.2019, Ro 2018/08/0008; 22.2.2022, Ra 2021/11/0071), ist – auch vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte dieser Regelung (vgl Erläut zur RV 1255 BlgNR, 25. GP, 1 f.) – zutreffend. §8a Abs1 VwGVG macht den Anspruch des Beschwerdeführers auf Verfahrenshilfe im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht nur vom Vorliegen der inhaltlichen Voraussetzungen, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Gerichtshofes der Europäischen Union im Einzelfall die Zuerkennung von Verfahrenshilfe erfordern, sondern auch davon abhängig, dass das konkrete verwaltungsgerichtliche Verfahren in den Anwendungsbereich des Art6 Abs1 EMRK bzw des Art47 GRC fällt.
3. Der Verfassungsgerichtshof ist in seinem Prüfungsbeschluss weiters davon ausgegangen, dass weder Art6 EMRK noch Art47 GRC (weitere) verfassungsrechtliche Vorgaben für die Gewährung von Verfahrenshilfe (als in bestimmten Konstellationen Voraussetzung für einen effektiven Zugang zu verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz) außerhalb des Anwendungsbereiches dieser Grundrechte schlechthin ausschließen dürften.
Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei dieser Auffassung, der auch die Bundesregierung nicht entgegengetreten ist. Die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte des Art6 EMRK und Art47 GRC sollen, von ihrem konventionsrechtlichen bzw unionsrechtlichen Gehalt ausgehend, nach näherer Maßgabe sicherstellen, dass in ihrem Anwendungsbereich dem Einzelnen in einem für einen wirksamen Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz erforderlichen Ausmaß Anspruch auf Verfahrenshilfe zukommen muss. Damit ist aber kein Bedeutungsgehalt dieser verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte dahingehend verbunden, vergleichbare verfassungsrechtliche Anforderungen an sonstige gerichtliche Verfahren auszuschließen. Art6 EMRK und Art47 GRC enthalten verfassungsrechtliche Anforderungen an die Gewährung von Verfahrenshilfe in gerichtlichen Verfahren in ihrem Anwendungsbereich, aber keine abschließende verfassungsrechtliche Regelung der Anforderungen an die Gewährung von Verfahrenshilfe für alle gerichtlichen Verfahren.
4. Die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken gehen dahin, dass eine gesetzliche Regelung, die die Gewährung von Verfahrenshilfe in allen Verfahren außerhalb des Anwendungsbereiches von Art6 EMRK und Art47 GRC schlechthin ausschließt und damit davon ausgeht, dass die Gewährung von Verfahrenshilfe in derartigen Verfahren keinesfalls erforderlich sein kann, um einen wirksamen Zugang zum verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen, mit rechtsstaatlichen Grundsätzen eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes nicht vereinbar sei.
Dass es effektiver gerichtlicher Rechtsschutz in bestimmten Konstellationen auch erfordern kann, dem vor dem Verwaltungsgericht Rechtsschutzsuchenden unter bestimmten Voraussetzungen gewisse Formen der Verfahrenshilfe (etwa die Beigebung eines Rechtsbeistandes oder die Befreiung von bestimmten Gebühren oder Kosten) zur Verfügung zu stellen, ist Ausformung jenes allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzips, wie es in der Bundesverfassung zwar nicht ausdrücklich geregelt ist, aber einer Reihe von Bestimmungen des B VG in systematischer und teleologischer Auslegung entnommen werden kann, und das vom rechtsstaatlichen Grundprinzip (Baugesetz) im Sinne des Art44 Abs3 B VG zu unterscheiden ist (siehe schon Spielbüchler , Recht als Instrument und Zügel der Politik, in: Barfuß [Hrsg.], Österreichs Rechtstheorie und Rechtspraxis um die Jahrtausendwende, 1994, 22 [33]; weiters Berka , Verfassungsrecht 8 , 2021, Rz 186; Grabenwarter/Holoubek , Verfassungsrecht – Allgemeines Verwaltungsrecht 5 , 2022, Rz 781). Soweit die Bundesregierung insbesondere mit systematisch-historischen Argumenten darlegt, dass ein Gebot, unter bestimmten Voraussetzungen ein "Armenrecht", also Verfahrenshilfe zu gewähren, kein Bestandteil des rechtsstaatlichen Baugesetzes im Sinne des Art44 Abs3 B VG sei, trifft sie insofern nicht die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes.
5. Der Verfassungsgerichtshof hat mit VfSlg 19.989/2015 §40 VwGVG idF BGBl I 33/2013 als verfassungswidrig aufgehoben. Als Begründung ging der Verfassungsgerichtshof von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Art6 EMRK aus, derzufolge ein effektiver Zugang zu Gericht erfordere, dass im Einzelfall die Möglichkeit besteht, einem Rechtsschutzsuchenden – bei entsprechender finanzieller Bedürftigkeit und wenn sein Rechtsschutzbegehren nicht aussichtslos oder missbräuchlich ist – im gerichtlichen Verfahren Verfahrenshilfe zu gewähren, wenn etwa das einschlägige Verfahrensrecht kompliziert sei, eine schwierig zu entscheidende Rechtsfrage vorliege oder insbesondere auch im Hinblick auf die Bedeutung der Angelegenheit für die Partei der Anschein eines fairen Verfahrens gewahrt werden müsse (EGMR 13.3.2007, 77.765/01, Laskowska). Da nach §40 VwGVG in der genannten Fassung die unentgeltliche Beigebung eines Verfahrenshelfers im verwaltungsgerichtlichen Verfahren außer in Verfahren in Verwaltungsstrafsachen schlechthin nicht möglich war, verstieß diese Bestimmung angesichts der das Gesetzesprüfungsverfahren bestimmenden Bedenken hinsichtlich des damit bewirkten Ausschlusses der Möglichkeit der Verfahrenshilfe in verwaltungsgerichtlichen Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche gegen Art6 EMRK.
In der Folge hat der Gesetzgeber die Verfahrenshilfe im verwaltungsgerichtlichen Verfahren dahingehend neu geregelt, dass er für Verwaltungsstrafverfahren in §40 VwGVG eine eigene Regelung belassen hat, und für die verwaltungsgerichtlichen Administrativverfahren §8a VwGVG in das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz aufgenommen hat. "Diese Verfahrenshilfe soll der Verfahrenshilfe im zivilgerichtlichen Verfahren entsprechen." (Erläut zur RV 1255 BlgNR, 25. GP, 1). Dass der Gesetzgeber dabei nicht nur die vom Verfassungsgerichtshof festgestellte Verfassungswidrigkeit im Hinblick auf Art6 EMRK beseitigt, sondern den Anwendungsbereich der Verfahrenshilfe nach §8a VwGVG auch auf alle Verfahren im Anwendungsbereich des Art47 GRC ausgedehnt hat, erklärt sich als Reaktion auf eine zwischen Aufhebung des §40 VwGVG in der alten Fassung und der Neuregelung ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, derzufolge "ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe bzw Verfahrenshilfe gegebenenfalls, wenn keine geeignete innerstaatliche Anspruchsgrundlage existiert, direkt auf Basis von Art47 Abs3 GRC zu gewähren ist" (VwGH 3.9.2015, Ro 2015/21/0032).
6. Im vorliegenden Verfahren stellt sich nun die Frage, ob §8a VwGVG, der die Gewährung von Verfahrenshilfe in verwaltungsgerichtlichen Administrativverfahren davon abhängig macht, dass diese Verfahren im Anwendungsbereich des Art6 EMRK bzw des Art47 GRC liegen, deswegen mit rechtsstaatlichen Grundsätzen eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes in Widerspruch steht, weil es diese Bestimmung damit in sonstigen verwaltungsgerichtlichen Administrativverfahren, die dem Anwendungsbereich der genannten Grundrechte nicht unterfallen, gänzlich ausschließt, im Einzelfall Verfahrenshilfe zu gewähren.
6.1. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hält zu Art6 EMRK in ständiger Rechtsprechung fest, dass der Zugang zu Gericht nicht bloß theoretisch und illusorisch, sondern effektiv gewährleistet sein muss (beginnend mit EGMR 9.10.1979, 6289/73, Airey , Z26 ff. ständige Rechtsprechung, vgl nur EGMR 26.2.2002, 46.800/99, Del Sol , Z21; Laskowska, Z51 ff.). Dieses Gebot schließt, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Folge diesbezüglich konkretisierend dargelegt hat, mit ein, dass nicht nur dem Beschuldigten in einem strafrechtlichen Verfahren im Sinne des Art6 Abs1 EMRK, sondern auch der Partei in einem Verfahren vor einem Gericht ("tribunal") über zivilrechtliche Ansprüche gemäß Art6 Abs1 EMRK im Einzelfall bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen Verfahrenshilfe gewährt werden muss, wenn etwa das Rechtsschutzbegehren komplexe (verfahrensrechtliche oder inhaltliche) Rechtsfragen aufwirft und der Rechtsschutzsuchende ohne einen (Rechts-)Beistand sein Rechtsschutzanliegen nicht wirksam vertreten kann (EGMR 15.2.2005, 68.416/01, Steel and Morris , Z61; Laskowska , Z51, 54). Dabei kommt es auch auf die Bedeutung der Angelegenheit für die Partei sowie darauf an, dass der Anschein eines fairen Verfahrens gewahrt wird (EGMR, Laskowska , Z51, 54). Unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung geht der Gerichtshof der Europäischen Union davon aus, dass der in Art47 GRC verankerte Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes ebenso im Einzelfall eine solche Prüfung erfordert, ob die Gewährung von Verfahrenshilfe in einem gerichtlichen Verfahren erforderlich ist, damit der Rechtsschutzsuchende sein Anliegen wirksam vertreten kann (vgl etwa EuGH 22.12.2010, C-279/09, Deutsche Energiehandels- und Beratungsgesellschaft mbH , und dazu bereits VfSlg 20.394/2020).
6.2. Der Verfassungsgerichtshof leitet in ständiger Rechtsprechung aus dem (einfachen) rechtsstaatlichen Prinzip ab, dass Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effektivität für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen (vgl beginnend mit VfSlg 11.196/1986 die seitdem ständige Rechtsprechung, siehe etwa VfSlg 19.969/2015, 20.515/2021 jeweils mwN). Mit Blick auf den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz muss, wie die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme hervorhebt, "der Zugang zum öffentlich-rechtlichen Rechtsschutzsystem, wie es im 8. Hauptstück des B VG (Garantien der Verfassung und Verwaltung) grundgelegt ist, nicht nur theoretisch, sondern auch tatsächlich offenstehen. Diese starke teleologische Komponente kommt auch schon in der Überschrift des Hauptstücks zum Ausdruck, welchem 'Garantien' gerichtsförmlichen Rechtsschutzes gegen die Hoheitsverwaltung und die Gesetzgebung innewohnen sollen […]." Dies schließt eine Garantie effektiven Zuganges zu verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz mit ein, die insbesondere Art130 B VG mitenthält, der aus rechtsstaatlichen Gründen von dem Grundgedanken getragen ist, umfassenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten.
Dass es daher im rechtsstaatlichen System des B VG für den Rechtsschutz des Einzelnen gegenüber der (hoheitlichen) Verwaltung essentiell ist, dass der Rechtsschutzsuchende im verwaltungsgerichtlichen Verfahren seine Rechte wirksam vertreten kann, folgt, wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg 19.989/2015 festgehalten hat, auch daraus, dass "den Verwaltungsgerichten eine rechtsstaatliche Filterungsfunktion zukommt und die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes im Instanzenzug seit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 nur noch bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung erfolgt" (siehe auch VfSlg 20.017/2015, 20.028/2015; Eberhard , Art130 Abs1 B VG, in: Korinek/Holoubek/Bezemek/Fuchs/Martin/Zellenberg [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 2021, Rz 6).
Art6 EMRK und Art47 GRC in Verbindung mit Art130 B VG liegt der allgemeine Grundsatz der Effektivität des gebotenen (verwaltungs-)gerichtlichen Rechtsschutzes zugrunde. Aus diesem folgt auch, dass es zur Gewährleistung eines effektiven Zuganges zum (verwaltungs-)gerichtlichen Rechtsschutz für eine wirksame Vertretung seiner Rechte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Einzelfall erforderlich sein kann, dem Rechtsschutzsuchenden bei Vorliegen der einschlägigen Voraussetzungen Verfahrenshilfe zu gewähren. Insoweit enthält Art130 B VG als eine Ausformung des rechtsstaatlichen Prinzips zur Gewährleistung (verwaltungs-)gerichtlichen Rechtsschutzes gegen (hoheitliches) Verwaltungshandeln eben auch bestimmte Anforderungen an das verwaltungsgerichtliche Verfahren.
6.3. Die Bundesregierung weist nun grundsätzlich zutreffend darauf hin, dass eine Reihe von Ausgestaltungen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrensrechts bewirken, dass effektiver Rechtsschutz auch ohne Gewährung von Verfahrenshilfe, insbesondere ohne Gewährung eines kostenlosen Rechtsbeistandes, gewährleistet ist. Dazu trägt insbesondere die über §17 VwGVG in Verbindung mit §13a AVG auch den Verwaltungsgerichten aufgegebene Verpflichtung bei, unvertretene Rechtsschutzsuchende zur Vornahme ihrer Verfahrenshandlungen im nötigen Maß anzuleiten und über die mit diesen Handlungen oder Unterlassungen unmittelbar verbundenen Rechtsfolgen zu belehren. Auch steht ein die Gewährung von Verfahrenshilfe im Einzelfall bei Vorliegen der einschlägigen Voraussetzungen miteinschließendes Gebot effektiven verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nicht entgegen, dass der Gesetzgeber die Verfahrenshilfe in bestimmten verwaltungsgerichtlichen Verfahren differenziert ausgestaltet (vgl zur Zulässigkeit eines Komplementärmechanismus durch ein spezielles System der Rechtsberatung und -vertretung in asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren VfSlg 18.809/2009, 20.064/2016).
Im Einzelfall kann es aber, und nur dahin gehen die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, zur Sicherstellung effektiven Rechtsschutzes im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erforderlich sein, dass der beschwerdeführenden Partei bei Vorliegen entsprechender Bedürftigkeit und Fehlen von Mutwillen oder Aussichtslosigkeit ihres Rechtsschutzbegehrens Verfahrenshilfe gewährt wird, weil nur so in der konkreten Verfahrenskonstellation eine wirksame Vertretung ihrer Rechte angesichts der Komplexität der inhaltlichen oder verfahrensbezogenen Rechtsfragen, der Schwierigkeiten des konkreten Sachverhaltes oder zur Wahrung der Grundsätze eines fairen Verfahrens gewährleistet werden kann.
Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, dass es gegen die in Art130 BVG zum Ausdruck kommende rechtsstaatliche Garantie effektiven Zuganges zu verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz verstößt, die Gewährung von Verfahrenshilfe in verwaltungsgerichtlichen Verfahren, die nicht dem Anwendungsbereich des Art6 Abs1 EMRK oder des Art47 GRC unterfallen, unter allen Umständen auszuschließen, erweisen sich daher als zutreffend.
7. Im Hinblick darauf, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Verfahrenshilfe im Gesetzestext der einschlägigen Bestimmung im VwGVG klar und gerade auch für unvertretene Rechtsschutzsuchende verständlich zum Ausdruck kommen sollten, hält der Verfassungsgerichtshof den von der Bundesregierung angedachten Weg einer verfassungskonformen Interpretation, derzufolge §8a Abs1 VwGVG nur auf die in Art6 Abs1 EMRK bzw Art47 GRC enthaltenen inhaltlichen Anforderungen für die Gewährung der Verfahrenshilfe, nicht aber auf den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen abstellt, nicht für gangbar.
Es kann aber zur Beseitigung der aufgezeigten Verfassungswidrigkeit mit der Aufhebung der im Spruch genannten Wort- und Zeichenfolge in §8a Abs1 VwGVG das Auslangen gefunden werden, weil, wie die Bundesregierung auch darlegt, in dieser Wort- und Zeichenfolge die Anordnung in §8a Abs1 VwGVG zum Ausdruck kommt, dass "der Anwendungsbereich des Art6 Abs1 EMRK oder des Art47 GRC eröffnet sein muss, mithin im Umkehrschluss sonstige Verfahren vor den Verwaltungsgerichten von Verfahrenshilfe ausgeschlossen sind".
IV. Ergebnis
1. Die Wort- und Zeichenfolge "dies auf Grund des Art6 Abs1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl Nr 210/1958, oder des Art47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr C83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist," in §8a Abs1 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I 33/2013, idF BGBl I 24/2017 ist daher wegen Verstoßes gegen das rechtsstaatliche Prinzip als verfassungswidrig aufzuheben.
Im Übrigen ist §8a des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I 33/2013, idF BGBl I 109/2021 nicht als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B VG.
3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B VG.
4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz BVG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.