JudikaturVfGH

E779/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
Immobilienrecht
11. Dezember 2024
Leitsatz

Aufhebung des angefochtenen Beschlusses im Anlassfall

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden. Der Beschluss wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Justiz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I.

Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Mit Zahlungsauftrag vom 19. Juni 2023 schrieb das Landesgericht Krems an der Donau dem Beschwerdeführer in Folge eines Grundbuchverfahrens die Zahlung von Gerichtsgebühren in Höhe von € 74,– vor.

1.1. Die hiegegen vom Beschwerdeführer erhobene Vorstellung wies der Präsident des Landesgerichtes Krems an der Donau am 18. Oktober 2023 mit Bescheid zurück.

2. Parallel hiezu schrieb das Landesgericht Krems an der Donau dem Beschwerdeführer mit Bescheiden vom 9. sowie vom 16. Oktober 2023 hinsichtlich eines weiteren Grundbuchsverfahrens sowie der Einbringung einer Klage auf Schadenersatz die Zahlung von Gerichtsgebühren in Höhe von € 74,– sowie € 3.582,25 vor.

3. Am 21. November 2023 begehrte der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe, um gegen die Bescheide vom 9. und 18. Oktober 2023 Rechtsmittel zu erheben. Diese wiederholte er schließlich mit Schreiben vom 4. Dezember 2023 vollinhaltlich und beantragte zusätzlich Verfahrenshilfe zur Erhebung eines Rechtmittels gegen den Bescheid vom 16. Oktober 2023.

4. Der Präsident des Landesgerichtes Krems an der Donau legte in Folge am 6. Dezember 2023 dem Bundesverwaltungsgericht die Verfahrenshilfeanträge des Beschwerdeführers zur Entscheidung vor.

5. Das Bundesverwaltungsgericht wies schließlich die Anträge am 9. Jänner 2024 mit Beschluss ab (Spruchpunkt A).

Die Abweisung der Anträge auf Verfahrenshilfe begründet das Bundesverwaltungsgericht damit, dass die Eintreibung von Gerichtsgebühren nicht in den Anwendungsbereich des Art6 EMRK falle, weil keine "civil rights" betroffen seien und auch Art47 GRC nicht anwendbar sei, weil kein Bezug zum Recht der Europäischen Union vorliege.

Da die Voraussetzungen des §8a VwGVG schon deshalb nicht erfüllt seien, erübrige sich eine weitere Prüfung.

6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt wird.

7. Das Bundesverwaltungsgericht hat sowohl die Verwaltungs- als auch die Gerichtsakten vorgelegt und ebenso wie der Präsident des Landesgerichtes Krems an der Donau von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 3. Oktober 2024, G3504/2023, die Wort- und Zeichenfolge "dies auf Grund des Art6 Abs1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl Nr 210/1958, oder des Art47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr C83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist," in §8a Abs1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG, BGBl I 33/2013, idF BGBl I 109/2021 als verfassungswidrig aufgehoben.

1.2. Gemäß Art140 Abs7 B VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

1.3. Dem in Art140 Abs7 B VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg 10.616/1985, 11.711/1988); darüber hinaus muss der das Verwaltungsverfahren einleitende Antrag vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 1.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes gestellt worden sein (VfSlg 17.687/2005).

1.4. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 18. Juni 2024. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Beschwerdeführer – am 1. März 2024 – bereits einen Verfahrenshilfeantrag beim Verfassungsgerichtshof gestellt. Darüber hinaus waren die diesem zugrunde liegenden, das Verwaltungsverfahren einleitenden Anträge auch bereits vor Bekanntmachung des Prüfungsbeschlusses (am 8. Jänner 2024) beim Bundesverwaltungsgericht gestellt worden, nämlich am 21. November bzw 4. Dezember 2023.

1.5. Die nach Bewilligung der Verfahrenshilfe durch einen Rechtsanwalt fristgerecht eingebrachte Beschwerde gilt gemäß §73 Abs2 und §464 Abs3 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG als zum Zeitpunkt der Einbringung des Verfahrenshilfeantrages, somit also noch vor Beginn der nichtöffentlichen Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren erhoben und beim Verfassungsgerichtshof anhängig (vgl zB VfSlg 11.748/1988, 13.665/1994). Der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

1.6. Das Bundesverwaltungsgericht wendete im Verfahren zur Erlassung des angefochtenen Beschlusses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Beschluss wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.

2. Der Beschluss ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevor-bringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.