JudikaturJustiz9ObA158/13w

9ObA158/13w – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Dezember 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Rolf Gleißner und Susanne Jonak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G***** F*****, vertreten durch Ganzert Partner Rechtsanwälte OG in Wels, gegen die beklagte Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Bernhard Steinbüchler ua, Rechtsanwälte in St. Florian, wegen 4.417,53 EUR brutto sA (Revisionsinteresse: 3.878,86 EUR brutto sA), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. Oktober 2013, GZ 12 Ra 64/13p-31, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Der Kläger erschien am 2. 11. 2011 nicht zur Arbeit. Vom Niederlassungsleiter telefonisch zur Rede gestellt, teilte er mit, er habe nicht in die Arbeit fahren können. Ob er dafür einen Grund, insbesondere eine Alkoholbeeinträchtigung, nannte oder inwieweit der Alkoholisierungsgrad am Telefon erkennbar war, konnte nicht festgestellt werden. Jedenfalls sagte der Kläger nicht, dass er aufgrund einer Erkrankung, insbesondere einer krankhaften Alkoholabhängigkeit, nicht arbeiten könne. Der Niederlassungsleiter erwiderte ihm, dass dies seine letzte Chance sei und das Dienstverhältnis beendet sei, falls er am 3. 11. nicht komme. Eine Absicht des Niederlassungsleiters, das Dienstverhältnis auch bei einer allfälligen Erkrankung des Klägers zu beenden, konnte nicht festgestellt werden. Am 3. 11. 2011 erschien der Kläger nicht zur Arbeit und war auch telefonisch nicht erreichbar. Vielmehr suchte er eine Ärztin auf, die ihm eine stationäre Entgiftungsbehandlung ab 7. 11. 2011 ermöglichte. Einer Kollegin erklärte der Kläger am 8. 11. 2011 telefonisch, stationär im Krankenhaus zu sein. Aufgrund einer Schlamperei in der Lohnverrechnung der Beklagten wurde das Entlassungsschreiben erst am 8. 11. 2011 nachmittags in ihrer Zentrale verfasst und am 9. 11. 2011 versendet. Zum Zeitpunkt der Entlassung und Versendung des Entlassungsschreibens war die Arbeitsunfähigkeitsmeldung des Klägers bereits in der Niederlassung der Beklagten eingelangt.

Das Berufungsgericht erachtete die vom Kläger wegen ungerechtfertigter Entlassung geltend gemachten Lohnforderungen mit Ausnahme jener für den Zeitraum von 2. bis 7. 11. 2011 als gerechtfertigt. Die Unterlassung der rechtzeitigen Krankmeldung ziehe nur den Verlust des Anspruchs auf das dem Arbeitnehmer zustehende Entgelt für die Zeit des Unterbleibens der Verständigung nach sich. Am 3. 11. 2011 sei der Kläger nicht pflichtwidrig der Arbeit ferngeblieben, die vom Niederlassungsleiter am 2. 11. 2011 bedingt ausgesprochene Entlassung sei daher nicht wirksam geworden. Da das Entlassungsschreiben die Beklagte erst verlassen habe, als ihr die Erkrankung des Klägers bereits bekannt gewesen sei, treffe den Kläger auch kein Mitverschulden an der Entlassung.

Zu dieser Beurteilung zeigt die außerordentliche Revision der Beklagten keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

1. Soweit die Beklagte einen Verfahrensmangel wegen Verletzung des Verbots der Überraschungsentscheidung geltend macht, ist ihr zu entgegnen, dass das Gericht zwar das Sach- und Rechtsvorbringen der Parteien mit diesen erörtern, aber nicht seine Rechtsansicht vor der Urteilsfällung kundtun muss. Anderes gilt bloß dann, wenn rechtserhebliche Tatsachen nicht vorgebracht wurden (vgl RIS Justiz RS0122749; RS0037300 [T46 ua]). Die Beklagte legt aber gar nicht dar, welches zusätzliche oder andere Vorbringen sie aufgrund der Rechtsansicht des Berufungsgerichts erstattet hätte (vgl RIS Justiz RS0037300 [T48]).

2. In ihrer Rechtsrüge meint die Beklagte, das Dienstverhältnis sei bereits am 3. 11. 2011 beendet worden, weil die dem Kläger am 2. 11. 2011 gesetzte Bedingung („falls er am 3. November nicht komme“) eingetreten sei.

Bedingte Entlassungserklärungen sind grundsätzlich unzulässig (RIS Justiz RS0029152). Allerdings steht der Zulässigkeit einer bedingten Entlassungserklärung der Grundsatz, dass die Entlassung den bis zum Eintritt der Bedingung herrschenden Schwebezustand nicht verträgt, nicht entgegen, wenn es sich um eine Potestativbedingung handelt, deren Erfüllung nur im Willen des Arbeitnehmers liegt und innerhalb kurzer Frist möglich ist (RIS Justiz RS0028418; RS0029520; s auch RIS Justiz RS0031490).

Die Auflösungserklärung ist so zu beurteilen, wie sie der Empfänger nach ihrem Wortlaut und dem Geschäftszweck unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände bei objektiver Betrachtungsweise verstehen konnte; auf eine davon abweichende subjektive Auffassung des Erklärenden kommt es dabei nicht an (RIS Justiz RS0028612).

Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob es aufgrund der Alkoholerkrankung im Willen des Klägers lag, die ihm gesetzte Potestativbedingung (Erscheinen am 3. November 2011) zu erfüllen. Denn aus der Sicht eines redlichen Erklärungsempfängers konnte bereits die am 2. 11. 2011 getätigte Äußerung des Niederlassungsleiters jedenfalls hier nicht dahin verstanden werden, dass die Entlassung selbst für den Fall einer Erkrankung des Klägers wirksam sein sollte. Eine derartige Absicht des Niederlassungsleiters steht vielmehr explizit nicht fest. War aber die Bedingung („falls er am 3. November nicht kommt“) nicht auf ein krankheitsbedingtes Fernbleiben des Klägers von der Arbeit zu beziehen, konnte die am 2. 11. 2011 getätigte Erklärung des Niederlassungsleiters am 3. 11. 2011 auch keine Wirksamkeit als Entlassungsausspruch entfalten.

3. Damit gehen auch die Revisionsausführungen, dass der Kläger seine Mitteilungsobliegenheit in schwerwiegender Weise verletzt habe, ins Leere. Zwar kann nach der jüngeren Rechtsprechung auch den Arbeitnehmer ein Verschulden an einer unberechtigten Entlassung treffen, wenn er einen ihm bekannten Rechtfertigungsgrund für ein an sich pflichtwidriges Verhalten dem Arbeitgeber schuldhaft nicht bekannt gibt und der Arbeitgeber bei Kenntnis dieses Rechtfertigungsgrundes die Entlassung aller Voraussicht nach nicht ausgesprochen hätte (RIS Justiz RS0101991 ua). Hier hat die Beklagte das Entlassungsschreiben allerdings erst zu einem Zeitpunkt versendet, als ihr die Erkrankung des Klägers bereits bekannt war. Dass die Zentrale der Beklagten nicht rechtzeitig von der Krankmeldung des Klägers in der Niederlassung der Beklagten erfuhr, ist ein dem Kläger nicht zurechenbarer organisatorischer Umstand auf Beklagtenseite.

4. Damit ist für die Beklagte auch aus der Rechtsprechung, dass eine verspätete Krankmeldung dann zum Anlass einer Entlassung genommen werden kann, wenn der Dienstnehmer wusste, dass dem Dienstgeber dadurch ein wesentlicher Schaden erwachsen werde und ihm die rechtzeitige Meldung leicht möglich gewesen wäre (RIS Justiz RS0029527), nichts zu gewinnen: Im Hinblick auf das Entlassungsschreiben war die Krankmeldung nicht verspätet. Ungeachtet dessen liegen auch keine Feststellungen vor, die auf einen wesentlichen Schaden des Dienstgebers, umso weniger aber auf eine entsprechende Kenntnis des Klägers hinweisen könnten.

5. Entgegen der Ansicht der Beklagten führt dies selbst unter Berücksichtigung eines früheren unentschuldigten Fernbleibens des Klägers (das nachträglich als Urlaubstag gewertet wurde) auch zu keiner beharrlichen Pflichtverletzung.

6. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision daher zurückzuweisen.

Rechtssätze
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