JudikaturJustiz6Ob131/01k

6Ob131/01k – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Januar 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerlinde K*****, ohne Beschäftigung,***** vertreten durch die Sachwalterin Franziska S*****, ebendort, diese vertreten durch Dr. Christoph Rogler, Rechtsanwalt in Steyr, gegen die beklagte Partei Dipl. Ing. Franz K*****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Herbert Heigl KEG und Mag. Willibald Berger in Marchtrenk, wegen Unterhalt, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Berufungsgericht vom 7. Februar 2001, GZ 21 R 6/01h-16, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Wels vom 27. Oktober 2000, GZ 4 C 313/99m-9, teilweise abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden im angefochtenen Umfang (klagsstattgebenden Teil) aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Prozessgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die am 7. 5. 1983 geschlossene Ehe der Streitteile wurde mit Urteil des Erstgerichtes vom 9. 11. 1999 gemäß § 55 Abs 3 EheG ohne Ausspruch eines Verschuldens rechtskräftig geschieden. Die Klägerin leidet an multipler Sklerose. Die Krankheit war nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes der Streitteile im Juli 1990 ausgebrochen und verschlechterte sich zunehmend. Die Klägerin kehrte nach einem stationären Aufenthalt Ende 1992 nicht mehr in die Ehewohnung zurück, sondern zog zu ihren Eltern. Eine im Juni 1993 eingebrachte Ehescheidungsklage des Beklagten wurde mangels Verschuldens der Klägerin abgewiesen. Am 23. 3. 1995 wurde die Mutter der Klägerin zur Sachwalterin zur Vertretung der Klägerin in sämtlichen Verfahren vor Gericht und Verwaltungsbehörden bestellt. Die Klägerin ist nicht in der Lage, selbst Einkünfte zu erzielen. Sie bedarf aufgrund ihrer schweren Erkrankung einer ständigen Betreuung und Pflege. Sie bezieht ein Pflegegeld (der Stufe 3) von 5.690 S monatlich. Nach ihrem am 3. 8. 1998 verstorbenen Vater kam ihr ein Pflichtteilsbetrag von 124.200 S zu, der mit einer Verzinsung von 1,25 % angelegt ist. Am 18. 2. 2000 erhielt sie vom Beklagten als Ausgleichszahlung im Rahmen der Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens 230.000 S. Die Mutter der Klägerin bezieht eine Witwen- und eine Alterspension von zusammen ca 12.000 S monatlich. Aus der Vermietung eines Hauses erhält sie einen monatlichen Mietzins von 6.000 S brutto, wovon ihr nach Abzug von Steuern und sonstigen Auslagen (insbesondere für Versicherungen) 4.000 S monatlich verbleiben. Sie betreut die Klägerin überwiegend selbst. Sie ließ in ihrem Haus einen Lift einbauen, der sowohl von der Klägerin als auch deren ebenfalls im Haushalt der Mutter wohnenden behinderten Bruder benützt wird. Die Mutter zahlt auch 2.800 S monatlich für eine Heilbehandlung der Klägerin, die im März 2000 begann und zunächst für ein Jahr vorgesehen war. Diese Kosten werden von der Sozialversicherung nicht ersetzt. Der Beklagte erzielt ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 34.500 S inklusive anteiliger Sonderzahlungen. Er ist für den in seinem Haushalt lebenden Sohn der Streitteile sorgepflichtig. Bis Ende 1999 zahlte er der Klägerin Unterhaltsbeiträge von 8.500 S und seit Dezember 1999 von 3.000 S monatlich.

Die Klägerin begehrte monatliche Unterhaltsbeiträge von 8.000 S ab 1. 12. 1999. Sie stützt ihr Begehren auf § 69 Abs 3 EheG. Der Beklagte sei gegenüber den Verwandten der Klägerin primär unterhaltspflichtig. Sein eigener angemessener Unterhalt sei bei Leistung des begehrten Betrages nicht gefährdet. Die Mutter der Klägerin lebe keineswegs in besseren Verhältnissen als er.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin habe sich den bei optimaler Verzinsung zu erzielenden Kapitalertrag aus dem ihr zugekommenen Pflichtteil und der Ausgleichszahlung von zumindest 1.500 S monatlich als Eigeneinkommen anrechnen zu lassen. Ihr Naturalunterhalt werde durch das Pflegegeld abgegolten. Gemäß § 71 EheG sei primär die Mutter der Klägerin, die ein ausreichendes Einkommen beziehe, für die Klägerin unterhaltspflichtig. Das der Mutter am vermieteten Haus zustehende Fruchtgenussrecht sei ein zu berücksichtigender Vermögenswert. Der verstorbene Vater der Klägerin sei Hälfteeigentümer dieses Hauses sowie einer weiteren Liegenschaft gewesen. Der Verlassenschaftsabhandlung sei ein reiner Nachlass von 1,117.711,48 S zugrunde gelegt worden. Dieser Nachlass sei der Mutter als Alleinerbin zugekommen, die daraus den Unterhalt der Klägerin zu bestreiten habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Das Pflegegeld habe bei der Unterhaltsbemessung zur Gänze außer Betracht zu bleiben. Der der Klägerin zugekommene Pflichtteilsbetrag und die Ausgleichszahlung stellten kein im Rahmen der Billigkeitserwägungen nach § 69 Abs 3 EheG anrechenbares Vermögen der Klägerin dar, weil der Beklagte in wesentlich besseren Verhältnissen als die Klägerin lebe. Es seien zwar auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der nach § 71 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten zu berücksichtigen. Gemäß § 71 EheG sei aber grundsätzlich der geschiedene Ehegatte vor den Verwandten zur Unterhaltsleistung heranzuziehen. Eine Ausnahme sei nur dann gegeben, wenn der geschiedene Ehegatte bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen den eigenen angemessenen Unterhalt gefährden würde oder wenn die Rechtsverfolgung gegen ihn im Inland ausgechlossen oder erheblich erschwert wäre. Hier sei jedoch das Einkommen des Beklagten mehr als zweimal so hoch wie jenes der Mutter der Klägerin, sodass eine Entlastung des Beklagten im Sinn des § 71 Abs 1 EheG nicht in Betracht komme. Daran ändere selbst die Unterhaltspflicht des Beklagten für den zehnjährigen Sohn nichts, weil auch bei Berücksichtigung dieser Unterhaltspflicht der eigene angemessene Unterhalt des Beklagten nicht gefährdet wäre. Gemäß der nach § 66 EheG üblichen Berechnungsmethode würde der Unterhaltsanspruch der Klägerin etwa 10.000 S (33 % abzüglich 4 % für die Sorgepflicht für den mj. Sohn vom Nettoeinkommen des Beklagten) betragen, der als absolute Obergrenze für den nach § 69 Abs 3 EheG zustehenden Unterhalt heranzuziehen sei. Der begehrte Unterhalt betrage ohnehin nur 23 % des vom Beklagten erzielten monatlichen Nettoeinkommens und entspreche im Hinblick auf seine Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der Billigkeit. Ein Übergang der Unterhaltspflicht des verstorbenen Vaters auf die Mutter der Klägerin gemäß § 142 ABGB sei schon deshalb nicht erfolgt, weil der Vater aufgrund der aufrechten Ehe zum Todeszeitpunkt der Klägerin zu keiner Unterhaltsleistung verpflichtet gewesen sei.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es den Beklagten für die Zeit vom 1. 12. 1999 bis 31. 5. 2000 zu Unterhaltsbeiträgen von 5.000 S und ab 1. 6. 2000 zu solchen von 8.000 S monatlich verpflichtete und das Mehrbegehren von 3.000 S monatlich für die Zeit vom 1. 12. 1999 bis 31. 5. 2000 abwies. Die fortlaufenden Zahlungen des Beklagten von 3.000 S monatlich seien bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz zu berücksichtigen. Im Übrigen sei die Ansicht des Erstgerichtes über die Rangordnung der Unterhaltspflichtigen nach § 69 Abs 3 EheG im Zusammenhang mit § 71 EheG zu billigen. Ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhaltes könnte eine Entlastung des unterhaltspflichtigen Ehegatten nur dann der Billigkeit entsprechen, wenn die Verwandten des Unterhaltsberechtigten in wesentlich besseren Verhältnissen lebten als er selbst. Dies sei aber hier selbst dann nicht der Fall, wenn das von der Klägerin bezogene Pflegegeld als Einkommen der betreuenden Mutter gewertet werde. Eine vorrangige Unterhaltspflicht der Mutter der Klägerin komme aber auch nicht unter dem Aspekt in Betracht, dass die Mutter Erbin nach dem Vater der Klägerin gewesen sei. Es gehe zwar auch eine im Zeitpunkt des Todes eines Elternteiles "ruhende" Unterhaltspflicht gemäß § 142 ABGB auf die Erben über, sodass für die Erben die Leistungspflicht auch dann bestehe, wenn das Kind erst nach dem Tod des Elternteils bedürftig werde. Es wäre jedoch der Beklagte gegenüber dem Vater der Klägerin auch dann vorrangig unterhaltspflichtig, falls dieser nicht verstorben wäre, woraus folge, dass eine allenfalls aus § 142 ABGB resultierende Unterhaltspflicht der Mutter der Unterhaltspflicht des Beklagten im Range nachgehe. Zudem habe die Mutter über das ererbte Vermögen bereits wieder verfügt und sei nicht mehr Eigentümerin, sondern bloß Fruchtnießerin des ererbten Vermögens. Entscheidend sei das zur Zeit der Anspruchserhebung noch vorhandene Vermögen. Es könnten daher nur die monatlichen (Netto )Mieteinnahmen der Mutter von 4.000 S Berücksichtigung finden. Der vom Erstgericht festgestellte Unterhaltsbeitrag entspreche unter Würdigung der Umstände des vorliegenden Falles auch der Höhe nach der Billigkeit. Auf mögliche Zinserträge aus langfristigen Kapitalanlagen könne die Klägerin nicht verwiesen werden, weil sie aufgrund ihrer Erkrankung kurzfristigen Zugriff auf ihr Barvermögen brauche. Im Übrigen würde die Klägerin selbst bei Eigeneinkünften von 1.500 S monatlich gemeinsam mit den begehrten Unterhaltszahlungen nur über ein Einkommen im Bereich des Existenzminimums verfügen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Verhältnis des § 69 Abs 3 EheG zu § 142 ABGB vorliege. Die Revision des Beklagten ist wegen der Frage der Rangordnung der Unterhaltspflichtigen im Fall eines auf § 69 Abs 3 EheG gegründeten Unterhaltsbegehrens zulässig. Sie ist im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zur Auslegung des § 68 EheG idF vor dem EheRÄG 1999, BGBl I 1999/125, und der in dieser Bestimmung enthaltenen Verweisung auf § 71 EheG vertritt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung (SZ 22/140; SZ 54/140; EvBl 1982/5; EvBl 1989/66; 8 Ob 570/93), die Rangordnung des § 71 EheG (wonach der unterhaltspflichtige geschiedene Ehegatte grundsätzlich vor den Verwandten des Berechtigten haftet) könne im Fall des § 68 EheG nicht Platz greifen. Diese Rangordnung setze nämlich einen Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen Ehegatten voraus. Fehle es jedoch an einer Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehegatten, hafteten die Verwandten nach den allgemeinen Vorschriften über die Unterhaltspflicht. Daraus müsse zwingend der Schluss gezogen werden, dass bei einer Scheidung im Sinne des § 68 EheG die in § 71 genannten Verwandten primär haften, weil dem aus dem gleichteiligen Verschulden geschiedenen Ehegatten grundsätzlich kein Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen Ehegatten zustehe, sondern ein solcher nur ausnahmsweise aus Billigkeit zugestanden werden könne. Der Ausspruch auf Billigkeitsunterhalt nach § 68 EheG stehe daher im Regelfall subsidiär zu, soweit keine unterhaltspflichtigen Verwandten vorhanden seien oder diese im Einzelfall keinen (oder keinen ausreichenden) Unterhalt schuldeten, sie also Unterhalt entweder überhaupt nicht oder nur unter Gefährdung ihres eigenen angemessenen Unterhalts (unter Berücksichtigung ihrer sonstigen Sorgepflichten) gewähren könnten. Von dieser grundsätzlichen Regel ist der Oberste Gerichtshof allerdings dann abgewichen, wenn sie im Einzelfall nicht der Billigkeit entsprochen hätte, wie in Fällen, in denen der geschiedene Ehegatte über ein die Einkommensverhältnisse der (primär) unterhaltspflichtigen Kinder weit übersteigendes Einkommen verfügte (8 Ob 570/93).

Wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 22. 2. 2001, 6 Ob 9/01v, ausgeführt hat, können diese für Unterhaltsansprüche nach § 68 EheG idF vor dem EheRÄG 1999, BGBl I 1999/125, geltenden Grundsätze auch auf Unterhaltsansprüche nach § 69 Abs 3 EheG angewendet werden. Für den hier geltend gemachten laufenden Unterhaltsanspruch gilt aber bereits die Rechtslage nach dem am 1. 1. 2000 in Kraft getretenen EheRÄG 1999 (Art VII Z 1; die Z 2 bis 6 betreffen andere Verfahren). Der Gesetzgeber hat nunmehr zwar die Subsidiarität der Unterhaltspflicht des einen geschiedenen Ehegatten gegenüber der von Verwandten des anderen unterhaltsbedürftigen Ehegatten bei gleichteiligem Verschulden durch die Anordnung des Entfalles der entsprechenden Wendung in § 68 EheG eliminiert, im Abs 3 des § 69 EheG, der insgesamt unverändert blieb, aber beibehalten. Im Schrifttum wurde ohne eingehende Untersuchung dieser Frage wiederholt erwogen, ob die Belassung der Subsidiarität in § 69 Abs 3 EheG ein Redaktionsversehen gewesen sei (Hopf/Stabentheiner, ÖJZ 1999, 864 bei FN 112; Deixler-Hübner, Grundfragen des neuen verschuldensunabhängigen Unterhaltsanspruchs nach § 68a EheG, ÖJZ 2000, 715 mwN in FN 71; Gitschthaler, Unterhaltsrecht RZ 717). Einer teleologischen Reduktion des § 69 Abs 3 EheG dahin, dass auch in dem dort geregelten Fall (kein Schuldausspruch bei Scheidung "aus anderen Gründen") die Wortfolge "und der nach § 71 unterhaltspflichtigen Verwandten des Berechtigten" als gegenstandslos zu betrachten sei, steht jedoch entgegen, dass die Subsidiarität der Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehegatten in dem durch die Novelle neu geschaffenen § 69a Abs 2 EheG (Scheidung im Einvernehmen ohne rechtswirksame Unterhaltsvereinbarung) ebenfalls enthalten ist. Andernfalls wäre dem Gesetzgeber zu unterstellen, dass ihm ein doppeltes Redaktionsversehen unterlaufen sei. Im Hinblick darauf, dass § 68 EheG die unterhaltsrechtlichen Folgen einer Scheidung aus - wenn auch gleichteiligem - Verschulden regelt, während die §§ 69 Abs 3 und 69a Abs 2 EheG jeweils auf eine Scheidung ohne Verschuldensausspruch Bezug nehmen, demnach nunmehr für doch unterschiedliche Tatbestände unterschiedliche Rechtsfolgen vorgesehen sind, ist ein solches Redaktionsversehen nicht ohne weiteres zu unterstellen. Der Anspruch auf Unterhalt nach Billigkeit im Sinn des § 69 Abs 3 EheG steht gegen den geschiedenen Ehegatten daher auch weiterhin nur insoweit zu, als keine unterhaltspflichtigen Verwandten vorhanden sind oder diese im Einzelfall keinen oder keinen ausreichenden Unterhalt schulden, sie somit den Unterhalt überhaupt nicht oder nur unter Gefährdung ihres eigenen angemessenen Unterhaltes (unter Mitberücksichtigung ihrer sonstigen Sorgepflichten) gewähren könnten (6 Ob 9/01v).

Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten:

Mit dem EheRÄG 1999 werde der Satzteil "und der nach § 71 unterhaltspflichtigen Verwandten des Berechtigten" zwar im § 68 EheG, nicht aber im § 69 Abs 3 EheG aufgehoben und sogar in dem neu geschaffenen § 69a Abs 2 EheG fortgeschrieben. Angesichts dieser Legistik und der unterschiedlichen Tatbestände von Scheidungen mit und ohne Verschuldensausspruch bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte für ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers und damit für eine teleologische Reduktion des § 69 Abs 3 EheG. Allerdings unterliegt auch der Grundsatz der Subsidiarität der Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Ehegatten nach § 69 Abs 3 EheG dem Vorbehalt der Billigkeit: Dieser Grundsatz kann daher dann nicht mehr gelten, wenn er nicht der Billigkeit entspricht. Dies ist - wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat (8 Ob 570/93, 6 Ob 9/01v) - dann der Fall, wenn der geschiedene Ehegatte über ein hohes Einkommen verfügt, das jenes der primär unterhaltspflichtigen Verwandten um ein Vielfaches übersteigt. Ob nun die Subsidiarität der Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Ehegatten in Fällen der Unterhaltsbemessung nach § 69 Abs 3 EheG dem Grundsatz der Billigkeit entspricht, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des geschiedenen Ehegatten und jene der primär unterhaltspflichtigen Verwandten des Unterhaltsberechtigten wie auch die jeweiligen Sorgepflichten der genannten Beteiligten sind demnach für die Beurteilung der Frage maßgebend, ob es der Billigkeit entspricht, den Unterhaltsbetrag ganz oder teilweise dem geschiedenen Ehegatten anzulasten oder ob die Kinder oder Eltern in Befolgung ihrer primären Unterhaltspflicht für den Unterhalt des Unterhaltsberechtigten ganz oder teilweise aufzukommen haben.

Zur Entscheidung dieser Frage reichen die Feststellungen der Vorinstanzen nicht hin. Es steht zwar fest, dass die Klägerin selbst über keinerlei Einkünfte verfügt. Das zur pauschalen Abgeltung von Pflegeleistungen erhaltene Pflegegeld ist, wie die Vorinstanzen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ausgeführt haben, bei der Unterhaltsbemessung nicht als ein den Unterhaltsanspruch minderndes Eigeneinkommen der Klägerin zu werten (6 Ob 635/93 = SZ 66/167 = EvBl 1994/90).

Den Vorinstanzen ist auch dahin zuzustimmen, dass die Zinsenerträgnisse aus der der Klägerin im Zuge der Auseinandersetzung der Eheleute über das Ehevermögen zugekommenen Ausgleichszahlung bei der Unterhaltsbemessung außer Betracht zu bleiben haben. Nach der Rechtsprechung zu Unterhaltsansprüchen nach § 94 ABGB und § 66 EheG stellen einerseits Kapitalzinsen, die der Unterhaltspflichtige erzielt, Einnahmen dar, die grundsätzlich die Unterhaltsbemessungsgrundlage erhöhen; andererseits muss sich der Unterhaltsberechtigte Einkünfte aus Kapitalerträgen auf den Unterhaltsanspruch anrechnen lassen. Nicht gezogene Einkünfte an Kapitalerträgen, die der Ehepartner "vertretbarerweise" erzielen hätte können, sind ebenfalls zu berücksichtigen. Was vertretbar oder unvertretbar ist, bestimmt sich nach den konkreten Lebensverhältnissen "unter Bedachtnahme auf die Entscheidung, die partnerschaftlich eingestellte Ehepartner im gemeinschaftlichen Interesse unter den gegebenen Umständen getroffen hätten" (10 Ob 53/00t). Stammt das Sparguthaben aus einer Ausgleichszahlung, die der Unterhaltsberechtigte anlässlich der nachehelichen Vermögensaufteilung erhalten hat, kommt es nach der Rechtsprechung darauf an, ob die Ausgleichszahlung für den gedachten Zweck - etwa die Anschaffung einer neuen Wohnung - in absehbarer Zeit Verwendung finden soll (5 Ob 65/97p = EvBl 1997/188). Ebenso wird bei der Frage, ob eine Ausgleichszahlung an den Unterhaltspflichtigen in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen ist, darauf abgestellt, ob die Ausgleichszahlung der Beschaffung einer Ersatzwohnung bzw Sicherung der wirtschaftlichen Grundlagen dient oder ob sie für den laufenden eigenen Unterhalt verwendet wird (RIS-Justiz RS0047461). Bei zweckmäßiger Verwendung der Ausgleichszahlung ist nicht nur diese, sondern auch deren - tatsächliche oder fiktive - Verzinsung nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen (1 Ob 622/93). Diese Grundsätze sind zwar nicht ohne weiteres auf den Unterhaltsanspruch nach § 69 Abs 3 EheG übertragbar, der gleich einem solchen nach § 68 EheG nur nach Billigkeitsgrundsätzen zu gewähren ist und bei dem dem Unterhalt fordernden Teil im Regelfall sogar die Heranziehung des Stammes seines Vermögens zur Deckung seines Unterhaltsbedarfes auferlegt wird (Pichler in Rummel ABGB II2, § 68 EheG Rz 1). Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Klägerin keine eigene Wohnung besitzt und auf die Unterkunft im Haus ihrer Mutter angewiesen ist, wobei die Sicherung ihres Wohnbedarfs im Fall des Ablebens ihrer Mutter völlig ungewiss ist. Sie ist nicht die einzige gesetzliche Erbin nach ihrer Mutter und wird ihrem - ebenfalls behinderten - Bruder mindestens einen Pflichtteil zukommen lassen müssen. Insbesondere aber ist sie auf eine ständige Betreuung angewiesen und hat mit dem Fortschreiten ihrer Krankheit damit zu rechnen, dass bei Wegfall der Pflege ihrer bereits betagten Mutter die Frage der Übersiedlung in ein Pflegeheim oder die ständige Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich wird. Im Gegensatz dazu verfügt der Beklagte über ein überdurchschnittlich gutes regelmäßiges Einkommen. Unter diesen Umständen wäre es unbillig, der Klägerin, die mangels Erhaltes sonstiger Vermögenswerte aus dem Ehevermögen nach der Scheidung ohne jede Absicherung geblieben ist, auf den Stamm oder auch nur auf die Zinsen der Ausgleichszahlung zu verweisen. Es ist durchaus billig, der Klägerin auch die Zinsen zu belassen, um dem Sinken des Geldwertes entgegenzuwirken und ihr damit für den Notfall zumindest das Kapital zu sichern, das dem ehemaligen Wert der Ausgleichszahlung entspricht. Im Hinblick auf die schwere Erkrankung und die Notwendigkeit einer finanziellen Absicherung wäre es auch unbillig, die Klägerin zum Verbrauch ihres Pflichtteiles nach ihrem Vater zu veranlassen. Der daraus erzielbare Zinsertrag wäre selbst bei einer bestmöglichen Veranlagung als Eigeneinkommen der Klägerin zu vernachlässigen. Dem vom Beklagten nach Billigkeit zu leistenden Unterhalt steht weiters auch nicht die grundsätzlich primäre Unterhaltspflicht der Mutter entgegen. Dieser steht trotz ihrer Mieteinnahmen, die nach den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen mit 4.000 S netto monatlich anzusetzen sind, nicht einmal die Hälfte des Einkommens des Beklagten zur Verfügung. Sie betreut als betagte Frau neben ihrem behinderten Sohn auch die Klägerin, während der Beklagte jeglicher unmittelbarer Belastung durch die schwere Erkrankung seiner geschiedenen Frau enthoben und in der Lage ist, sein berufliches und privates Leben durch diesen Schicksalschlag ungehindert zu gestalten. Es geht auch nicht an, die Mutter der Klägerin auf ihren Grundbesitz zu verweisen, stellt doch das Haus, das sie, die Klägerin und deren behinderter Bruder bewohnen, die unverzichtbare Existenzgrundlage dieser drei Personen dar. Ob die Mutter der Klägerin ihre (zur Hälfte ererbte) zweite Liegenschaft inzwischen gegen Einräumung eines Fruchtgenussrechtes an ihren Schwiegersohn veräußert hat, ist nicht entscheidungswesentlich, ist sie doch aufgrund ihrer niedrigen Pensionsbezüge einerseits - ebenso wie die Klägerin - auf ihre wirtschaftliche Absicherung und andererseits auf die Mieteinnahmen als zusätzliche Einkommensquelle angewiesen, sodass sie weder veranlasst werden könnte, die Liegenschaft zu veräußern noch insbesondere auf ihr Fruchtgenussrecht, sei es auch gegen Entgelt, zu verzichten. Vergleicht man ihre finanziellen Verhältnisse mit jenen des Beklagten, so ist es billig, nicht die Mutter der Klägerin, sondern den Beklagten zur Unterhaltsleistung für die Klägerin heranzuziehen, und zwar ungeachtet dessen alleiniger Sorgepflicht für den Sohn der Streitteile, weil er jedenfalls in wesentlich besseren Verhältnissen lebt als die Mutter der Klägerin und diese ohne Gefährdung ihres eigenen Unterhaltes die finanziellen Bedürfnisse ihrer Tochter nicht befriedigen kann.

Eine letztlich die Mutter treffende und den Beklagten allenfalls entlastende Pflicht zur Erfüllung von Unterhaltsansprüchen gegenüber der Klägerin käme aber allenfalls aus folgenden Erwägungen in Betracht:

Gemäß § 142 ABGB geht bei Tod eines Elternteiles dessen gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber seinen Kindern "bis zum Wert der Verlassenschaft" auf seine Erben über. Das Kind muss sich in seinen Anspruch alles einrechnen lassen, was es von Todes wegen aus der Verlassenschaft oder von Dritten bekommt, insbesondere auch den Pflichtteil. Reicht die Verlassenschaft für die Unterhaltsleistung bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes nicht aus, mindert sich der Unterhaltsanspruch "entsprechend". Die Unterhaltsverbindlichkeit geht zunächst auf den Nachlass und nach der Einantwortung auf den oder die Erben des unterhaltspflichtigen Elternteiles über und ist im Streitweg durchzusetzen. Haftungsobergrenze ist der "Wert der Verlassenschaft". Diese Haftungsbeschränkung greift bei unbedingter Erbserklärung ebenso ein wie bei bedingter, sodass der Erbe dem Unterhaltsberechtigten immer nur wie ein Vorbehaltserbe haftet. Unter dem "Wert der Verlassenschaft" wird der Wert des Reinnachlasses verstanden, also jene Vermögensposition im Sinne der §§ 784 und 786 ABGB und § 105 Abs 3 AußStrG, die sich durch Abzug der Nachlassverbindlichkeiten (Erblasserschulden und Erbfallsschulden) ergibt, wobei auch die Ertragsfähigkeit des Nachlasses zu berücksichtigen ist. Bei überschuldetem Nachlass kann es deshalb zu keinem Übergang der Unterhaltsverpflichtung auf die Erben kommen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung ist nach zuletzt herrschender Meinung nicht der Zeitpunkt der Geltendmachung des Unterhaltsanspruches oder der Urteilsfällung, sondern der Zeitpunkt der Einantwortung. Maßgebliche Bemessungsgrundlage für die Höhe der auf den Erben übergegangenen Unterhaltspflicht, insbesondere der für die "Angemessenheit" der Bedürfnisse des Kindes und die Leistungsfähigkeit des verpflichteten Elternteiles sind die zuletzt gegebenen Lebensverhältnisse des verstorbenen Elternteiles, nicht die der Erben (7 Ob 290/00y = JBl 2001, 511 mwN).

Diesen Grundsätzen folgend ist hier zunächst entscheidend, ob und allenfalls in welchem Umfang der Vater der Klägerin imstande gewesen wäre, ihr Unterhalt zu leisten. Erst ein Vergleich der jeweiligen Einkommens- und Vermögensverhältnisse einerseits des verstorbenen Vaters der Klägerin mit jenen des Beklagten, dessen Vermögensverhältnisse noch näher zu erheben sein werden, wird eine Beurteilung ermöglichen, ob es der Billigkeit entspricht, den Beklagten trotz der grundsätzlichen Unterhaltspflicht des Vaters und der gemäß § 142 ABGB auf die Mutter als Alleinerbin nach dem Vater übergegangene Unterhaltsschuld zur begehrten Unterhaltsleistung zu verpflichten. Zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Vaters der Klägerin fehlen jedoch jegliche Feststellungen. Diese Frage wird mangels entsprechender Parteibehauptungen zunächst auch einer Erörterung mit den Parteien bedürfen.

Der Umstand, dass die Klägerin im Todeszeitpunkt ihres Vaters noch verheiratet war und damals infolge ihres Unterhaltsanspruches gegen den Beklagten keinen Unterhaltsanspruch gegen ihren Vater hatte, steht dem nicht entgegen, weil die Unterhaltsschuld des Erben des unterhaltspflichtigen Elternteiles auch dann wieder auflebt, wenn das Kind zur Zeit des Todes des Elternteiles bereits versorgt war, später aber wieder unterhaltsbedürftig wird (6 Ob 53/97f = EFSlg 83.817 f; RIS-Justiz RS0047850).

Sollten die Billigkeitserwägungen infolge entsprechend guter Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Vaters der Klägerin vor seinem Tod zunächst gegen eine Heranziehung des Beklagten zur Unterhaltsleistung sprechen, wäre der Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt der Einantwortung (RIS-Justiz RS0047842) festzustellen, weil dieser die Haftungsobergrenze der Mutter der Klägerin bildete. Es wäre in diesem Fall zu beachten, dass Satz 3 des § 142 ABGB verhindern will, dass der Nachlass absehbar vor einer Erreichung der Selbsterhaltungsfähigkeit aufgezehrt wird und deshalb anordnet, dass bei augenscheinlich nicht ausreichendem Nachlass eine entsprechende Kürzung des Unterhaltes vorzunehmen ist. Es soll dabei beachtet werden, dass dem Kind möglichst lange eine ins Gewicht fallende Unterhaltsleistung gewährt werden kann (7 Ob 290/00y; Schwimann, Unterhaltsrecht2 106). Es könnte daher immer noch ein Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten bestehen, sollte der nach den dargestellten Grundsätzen zu ermittelnde Reinnachlass zur Befriedigung des laufenden und wohl auch auf unabsehbare Zeit nicht von der Klägerin selbst zu finanzierenden Unterhaltsbedarfes nicht hinreichen.

Der Revision des Beklagten war daher im Sinn einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen zur Verfahrensergänzung durch das Erstgericht Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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