JudikaturJustiz4Ob171/23k

4Ob171/23k – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Januar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi, den Hofrat MMag. Matzka und die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. B* GmbH Co KG, *, und 2. V* AG, *, Deutschland, beide vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 33.659,19 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Mai 2023, GZ 4 R 14/23t 38, womit das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 15. Dezember 2022, GZ 6 Cg 49/20w 32, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben .

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger kaufte am 3. 4. 2019 bei der erstbeklagten Fahrzeughändlerin um 35.500 EUR einen von der Zweitbeklagten hergestellten, am 27. 2. 2018 erstzugelassenen Personenkraftwagen der Marke V*, Type *. In diesem Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Beklagten des Typs EA288 verbaut, der mit mehreren NO X Kontrollsystemen ausgestattet ist. Das unter anderem verbaute Abgasrückführungssystem funktioniert nur in bestimmten Temperaturbereichen („Thermofenster“) uneingeschränkt. Es kann nicht festgestellt werden, ob die Abgasrückführung in einem Temperaturbereich von 24 Grad Celsius bis + 70 Grad Celsius uneingeschränkt funktioniert. Es kann nicht festgestellt werden, ob die Abgasstrategie hinsichtlich der Adblue Einspritzung durch zwei unterschiedliche Modi funktioniert, nämlich einen Speichermodus und einen Onlinemodus, wobei bei Letzterem temperaturabhängig und geschwindigkeitsabhängig die Adblue Zufuhr gesteuert würde. Der Adblue Verbrauch des Klagsfahrzeugs kann nicht festgestellt werden. Welches Emissionsniveau das Fahrzeug im Realbetrieb erreicht, kann nicht festgestellt werden.

[2] Der Kläger begehrt – gestützt gegenüber der Erstbeklagten auf von dieser veranlassten wesentlichen Geschäftsirrtum (in eventu gemeinsamen Irrtum), List sowie Wandlung und Schadenersatz ex contractu, gegenüber der Zweitbeklagten auf Schadenersatz ex delicto aufgrund listiger Irreführung durch bewusst unrichtige Angaben über das Fahrzeug inklusive Bewerbung in Medien und durch Verkaufsunterlagen (in eventu fahrlässiger Irreführung) – die Aufhebung des Kaufvertrags mit der Erstbeklagten und von beiden Beklagten solidarisch die Zahlung von 33.659,19 EUR samt 4 % Zinsen seit 8. 4. 2019, nämlich die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs und unter Abzug eines Benützungsentgelts von 1.840,81 EUR, das er sich anrechnen lasse; eventualiter begehrt er von beiden Beklagten solidarisch die Zahlung von 8.000 EUR sA sowie die Feststellung der solidarischen Haftung beider Beklagten für jeden aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung entstehenden Schaden. Im Fahrzeug sei eine Software installiert, die einen Prüfstand erkenne und zwischen zwei Betriebsmodi (Speichermodus und Onlinemodus) unterscheide. Sobald die Software den Prüfstand erkenne, schalte sie in eine sogenannte Aufwärmstrategie, die im normalen Fahrbetrieb nicht aktiviert werde. Eine zweite Abschalteinrichtung verfüge – abhängig von Temperatur und Geschwindigkeit – eine Reduzierung der Adblue Einspritzung und eine Reduzierung der Abgasrückführung in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur (sogenanntes „Thermofenster“ mit einem Temperaturbereich von + 15 Grad Celsius bis + 33 Grad Celsius) und der Fahrzeuggeschwindigkeit (bei über 120 km/h). Der schadstoffarme Modus sei zudem nur unter 1.000 Höhenmeter gewährleistet. Die Abgasrückführung sei nur am Prüfstand voll funktionsfähig. Außerhalb des Prüfstands würden die Abgasrückführrate und die Adblue-Einspritzung erheblich reduziert, sodass die gesetzlichen Grenzwerte überschritten würden. Hätte der Kläger von den Mängeln und dem damit einhergehenden unverhältnismäßigen Wertverlust des Fahrzeugs gewusst, hätte er es nicht gekauft.

[3] Die Beklagten erwiderten, der Motor verfüge über keine unzulässige Abschalteinrichtung. Das Fahrzeug schalte auf dem Prüfstand in keinen anderen Modus. Die Abgasrückführung sei im Temperaturbereich zwischen 24 Grad Celsius und + 70 Grad Celsius voll aktiv. Es gebe in diesem Temperaturbereich auch keine Abrampung. Oberhalb und unterhalb dieses Thermofensters, also bei Außentemperaturen kälter als 24 Grad Celsius und wärmer als + 70 Grad Celsius, erfolge aus Motorschutzgründen und zum sicheren Betrieb des Fahrzeugs keine Abgasrückführung. Es handle sich nicht um eine Abschalteinrichtung, weil nicht unter Bedingungen, die bei normalem Fahrbetrieb vernünftigerweise zu erwarten seien, die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert werde.

[4] Das Erstgericht wies die Klage ab, weil der Kläger die von ihm behaupteten Mängel nicht habe beweisen können.

[5] Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung auf. Bei Vorliegen einer Abschalteinrichtung treffe die Beklagte die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass die Ausnahme nach Art 5 Abs 2 der Verordnung (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20. 6. 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (VO 715/2007/EG) vorliege. Unter einer Abschalteinrichtung sei nach Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil zu verstehen, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittle, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten seien, verringert werde. Der in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegende Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ verweise auf die Verwendung des Fahrzeugs unter tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Unionsgebiet üblich seien. Selbst unter der Annahme, dass es sich bei Außentemperaturen von unter 24 Grad Celsius und über + 70 Grad Celsius um Bedingungen handle, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten seien, wäre vom Vorliegen einer Abschalteinrichtung auszugehen. Zwar gehe es hier nicht um den Erfolg einer Verbesserungsmaßnahme, sondern um den Beweis der primären Mangel- bzw Fehlerhaftigkeit des Fahrzeugs, wofür nach allgemeinen Regeln der Kläger beweispflichtig wäre. Die Definition der Abschalteinrichtung in Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG , welche die Einschränkung auf Bedingungen enthalte, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten seien, schließe aber nur jene Fälle aus der Definition der Abschalteinrichtung aus, mit denen vernünftigerweise nicht mehr zu rechnen sei; die Einschränkung sei deshalb als Ausnahmeregelung zu werten, womit demjenigen der Beweis für die genannte Ausnahme obliege, der sich auf sie berufe. Da hier ein Thermofenster verbaut sei, wären die Beklagten gehalten, ihre Behauptung zu beweisen, wonach dieses Thermofenster das Emissionskontrollsystem nur bei Temperaturen deaktiviere, die im normalen Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise nicht zu erwarten seien. Die Negativfeststellung, ob die Abgasrückführung zwischen 24 Grad Celsius und + 70 Grad Celsius voll funktionsfähig sei, gehe also zu Lasten der Beklagten. Dies habe zur Folge, dass vom Vorliegen einer Abschalteinrichtung auszugehen sei. Davon ausgehend habe das Erstgericht aber keine Feststellungen zu den Behauptungen der Beklagten betreffend die Ausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG getroffen, was nachzutragen sei und die Aufhebung des Ersturteils erfordere.

[6] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gegen diese Entscheidung zur Frage zu, wen – abgesehen vom Fall der Verbesserung eines bereits festgestellten Mangels – die Beweislast dafür treffe, ob ein Thermofenster nur unter solchen Bedingungen die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems beeinträchtige, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise nicht zu erwarten seien.

[7] Der Rekurs der Beklagten beantragt die Aufhebung des Beschlusses und die Wiederherstellung des Ersturteils, hilfsweise die Zurückverweisung an das Erstgericht.

[8] Der Kläger beantragt, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der Rekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

[10] 1. Dass auf den gegenständlichen Motor die VO 715/2007/EG anwendbar ist, wird von den Parteien nicht in Zweifel gezogen.

[11] Inzwischen besteht zur Frage von Abschalteinrichtungen reichhaltige Rechtsprechung des Europäischen sowie des Obersten Gerichtshofs, die in Ansehung der hier relevanten Umstände wie folgt zusammengefasst werden kann:

[12] 2.1. Es ist grundsätzlich geklärt, dass nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, generell unzulässig ist.

[13] Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition in Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

[14] 2.2. Ein „Thermofenster“, aufgrund dessen die volle Abgasrückführung nur innerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs erfolgt, wohingegen sie bei Temperaturen darüber oder darunter sukzessive reduziert wird, ist eine Abschalteinrichtung im Sinne des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ( 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 56; 6 Ob 155/22w Rz 37; 10 Ob 16/23k Rz 24; 6 Ob 158/22m Rz 45; 9 Ob 53/23v Rz 11).

[15] 3.1. Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EG normiert nur drei Ausnahmetatbestände von diesem grundsätzlichen Verbot von Abschalteinrichtungen.

[16] Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen dann nicht unzulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Kraftfahrzeugs zu gewährleisten. Dabei ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ im Sinne von Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG, wenn zum Zeitpunkt der EG Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (EuGH C 145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen , Rn 73; C 128/20, GSMB Invest , Rn 62; C 134/20, IR gegen Volkswagen , Rn 74; C 873/19 , Deutsche Umwelthilfe , Rn 94 f; ÖJZ 2023/16 [ Brenn ]; 10 Ob 31/23s Rz 28; 2 Ob 5/23h Rz 26; 6 Ob 155/22w Rz 38 f; 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 59 f).

[17] Die Ausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit b VO 715/2007/EG (dass die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist) ist hier nicht einschlägig.

[18] Nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit c VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, (ausnahmsweise) nicht unzulässig, wenn „die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind“.

[19] 3.2. Da jedenfalls die Ausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG eng auszulegen ist, kann eine solche Abschalteinrichtung nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, wobei diese Risiken so schwer wiegen müssen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs bilden (vgl 10 Ob 31/23s Rz 27 f).

[20] Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, fällt – ungeachtet des Vorliegens der sonst in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG normierten Voraussetzungen – nicht unter diese Verbotsausnahme (vgl 10 Ob 31/23s Rz 31 mwN). Dasselbe gilt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für eine Abschalteinrichtung, deren einziger Zweck darin besteht, die Einhaltung der in der VO 715/2007/EG vorgesehenen Grenzwerte allein während der Zulassungstests sicherzustellen; auch eine solche Einrichtung läuft der Verpflichtung zuwider, bei normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs eine wirkungsvolle Begrenzung der Emissionen sicherzustellen ( C 693/18 , CLCV , Rn 98; ÖJZ 2021/38, 299 [ Kumin/Maderbacher ]). Daher kann eine Abschalteinrichtung, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Emissionskontrollsystems verbessert, damit die in der VO 715/2007/EG festgelegten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden können und so die Zulassung dieser Fahrzeuge erreicht wird, nicht unter die Ausnahmebestimmung des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG fallen ( C 693/18 , CLCV , Rn 115; 6 Ob 155/22w Rz 36; 3 Ob 146/22z Rz 13).

[21] 4. Grundsätzlich hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0106638; RS0037797).

[22] Die Beweislast für eine mangelhafte Erfüllung nach Übergabe der Sache trifft grundsätzlich den Erwerber (RS0018687 [T2]; 1 Ob 149/22a Rz 27). Der Kläger, der einen Mangel am Kaufgegenstand und einen ihm dadurch entstandenen Schaden behauptet, hat daher zunächst zu beweisen, dass eine – wie dargelegt grundsätzlich verbotene – Abschalteinrichtung vorliegt.

[23] Soweit sich ein Beklagter aber auf eine Ausnahme vom Verbot des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG stützen wollte, läge es dann an ihm, die für die Verbotsausnahme erforderlichen Voraussetzungen zu behaupten und zu beweisen (6 Ob 155/22w Rz 66; 1 Ob 149/22a Rz 43, 46; 10 Ob 31/23s Rz 25; RS0134458); verbleibende Unklarheiten gehen zu seinen Lasten.

[24] 5.1. Im in Ansehung der Erstbeklagten zu prüfenden Vertragsverhältnis ist ein Fahrzeug, das im Zeitpunkt der bedungenen Übergabe mit einer gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, nicht vertragskonform im Sinne der Verbrauchsgüterkauf-RL 1999/44/EG (konkret Art 2 Abs 2 lit d) und mangelhaft gemäß § 922 ABGB, weil es nicht die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften aufweist ( 6 Ob 155/22w Rz 43; eingehend 3 Ob 146/22z Rz 21 ff; jeweils mwN).

[25] 5.2. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Übernehmer schon bei Misslingen (oder Ablehnung durch den Übergeber) des ersten Verbesserungsversuchs einen sekundären Gewährleistungsbehelf (Wandlung oder Preisminderung) in Anspruch nehmen (RS0018722 [T2]; RS0018702 [T9]; 9 Ob 83/21b).

[26] 5.3. Die Wandlung setzt gemäß § 932 Abs 4 ABGB überdies voraus, dass der Mangel nicht geringfügig ist. Dem Ausschluss des Wandlungsrechts bei Geringfügigkeit des Mangels liegt Art 3 Abs 6 Verbrauchsgüterkauf-RL 1999/44/EG zugrunde. Diese Bestimmung ist nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu C 145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen , dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die darin besteht, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, deren Verwendung nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verboten ist, nicht als „geringfügig“ eingestuft werden kann, selbst wenn der Verbraucher – falls er von der Existenz und dem Betrieb dieser Einrichtung Kenntnis gehabt hätte – dieses Fahrzeug dennoch gekauft hätte. Daraus folgt, dass eine im Zeitpunkt der Übergabe des Fahrzeugs an den Käufer vorhandene unzulässige Abschalteinrichtung einen Sachmangel begründet, der nicht geringfügig ist (3 Ob 146/22z Rz 24).

[27] 6.1. Die Erwägung, wonach ein individueller Käufer, der ein Fahrzeug erwirbt, das zur Serie eines genehmigten Fahrzeugtyps gehört und somit mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, vernünftigerweise erwarten könne , dass die VO 715/2007/EG und insbesondere deren Art 5 bei diesem Fahrzeug eingehalten werden, ist allerdings auch für das – im vorliegenden Fall in Ansehung der Zweitbeklagten relevante – außervertragliche Verhältnis zwischen einem Fahrzeugerwerber und dem Fahrzeughersteller maßgeblich (vgl 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 Rz 28). Das Vorhandensein einer verbotenen Abschalteinrichtung kann daher auch außerhalb eines Vertragsverhältnisses einen Schadenersatzanspruch des Käufers eines Fahrzeugs gegen dessen Hersteller begründen (vgl C 100/21, QB gegen Mercedes Benz Group AG ; 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 Rz 10 ff; 10 Ob 16/23k Rz 25 ff).

[28] Daraus folgt, dass ein individueller Fahrzeugkäufer die Person oder Stelle für einen deliktischen Schadenersatzanspruch aus der (bloß schuldhaften) Verletzung des als Schutzgesetz zu qualifizierenden Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG in Anspruch nehmen kann , die im Typengenehmigungsverfahren als Herstellerin des Fahrzeugs aufgetreten ist und die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat ( stRsp, zB 6 Ob 161/22b Rz 20 ff; 3 Ob 40/23p Rz 32 ff; 8 Ob 88/22g Rz 15 ff; vgl 6 Ob 114/23t ; vgl auch BGH VIa ZR 1119/22).

[29] 6.2. Eine unionsrechtliche Vorgabe eines Schadenersatzanspruchs ist das Vorliegen eines Schadens: Der Europäische Gerichtshof betont, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs ein Schadenersatzanspruch zusteht, wenn ihm ein Schaden entstanden ist (C 100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG , Rn 91). Als nachteilige Folge – vor der ein Fahrzeugkäufer durch das Unionsrecht geschützt werden soll – sieht der Europäische Gerichtshof dabei an, dass durch die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung die Gültigkeit der EG Typengenehmigung und daran anschließend die der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage gestellt werden, was wiederum (unter anderem) zu einer Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit (Anmeldung, Verkauf oder Inbetriebnahme des Fahrzeugs) und „letztlich“ zu einem Schaden führen kann (C 100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG , Rn 84). Damit stellt der Europäische Gerichtshof klar, dass ein deliktischer Schadenersatzanspruch nicht als ein von einem Schadenseintritt losgelöster Akt der privaten Durchsetzung von Emissionsnormen zu sehen ist. Vielmehr geht es um den Ausgleich der objektiven Unsicherheit hinsichtlich der Fahrzeugnutzung, mit der der individuelle Fahrzeugerwerber konfrontiert ist.

[30] Der Schadensbegriff des ABGB wird diesen unionsrechtlichen Voraussetzungen gerecht: Als Schaden im Sinne des § 1293 ABGB ist jeder Zustand zu verstehen, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RS0022537). Im Fall des Erwerbs eines mit einer im Sinne des Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs besteht dieses geringere rechtliche Interesse – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend – in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit. Ein Schadenseintritt wäre lediglich dann zu verneinen, wenn das den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach, indem er die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs (C 100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG , Rn 84) in Kauf genommen und das gegenständliche Fahrzeug dennoch erworben hätte (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 Rz 20 ff; 10 Ob 16/23k Rz 35 ff [ insb Rz 45]; 9 Ob 17/22y Rz 12).

7. Für den hier vorliegenden Fall folgt daraus:

[31] 7.1. Hier ist – wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte – dem Kläger der Beweis gelungen, dass ein „Thermofenster“ und damit eine nach der Grundregel des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung verbaut ist.

[32] 7.2. Oben wurde bereits dargelegt, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, – ungeachtet des Vorliegens der in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG normierten Voraussetzungen – nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG fällt (C 145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen , Rn 74, 81; C 128/20, GSMB Invest , Rn 65, 70; C 134/20, IR gegen Volkswagen , Rn 77, 82; C 873/19, Deutsche Umwelthilfe , Rn 90 f; 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 61 f).

[33] 7.3. Das Erstgericht hat umfangreiche Negativfeststellungen getroffen, die das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat und an die der Oberste Gerichtshof gebunden ist.

[34] Insbesondere steht hier nicht fest, ob die Abgasrückführung in einem Temperaturbereich von 24 Grad Celsius bis + 70 Grad Celsius (bzw – ausgehend vom Klagsvorbringen – außerhalb eines Bereichs von + 15 Grad Celsius bis + 33 Grad Celsius) uneingeschränkt funktioniert.

[35] 7.4. Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, dass dies nicht ausreiche, um das von den Beklagten zu beweisende Vorliegen der Verbotsausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG beurteilen zu können.

[36] In diesem Punkt kann dem Berufungsgericht nicht gefolgt werden: Wenn nicht feststellbar ist, in welchem Temperaturbereich die Abschalteinrichtung nicht wirksam ist, kann auch nicht beurteilt werden, ob sie den überwiegenden Teil des Jahres (nicht) wirksam ist (vgl schon 10 Ob 31/23s Rz 31 ff). Die Beklagten konnten somit nicht nachweisen, dass die gegenständliche Abschalteinrichtung unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG fällt. Es ist daher festzuhalten, dass hier eine nach Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt.

[37] 7.5. Die Erstbeklagte beharrt hier daher zu Unrecht darauf, dass das Fahrzeug nicht mit einem (konkret: Sach-)Mangel behaftet und daher nicht verbesserungsbedürftig ist, womit dem Kläger die Inanspruchnahme eines sekundären Gewährleistungsbehelfs (hier Wandlung ) eröffnet ist.

[38] 7.6. Auch in Ansehung eines Schadenersatzanspruchs gegen die Zweitbeklagte ist – anders als das Berufungsgericht vermeint – bereits jetzt vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen. Dies sowie die Frage, ob die Beklagte objektiv rechtswidrig gehandelt hat, sind abschließend erledigte Streitpunkte, die auch aufgrund neuer Tatsachen nicht mehr in Zweifel gezogen werden können (RS0042031).

[39] 8. Dennoch erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig:

[40] 8.1. Es mangelt an Feststellungen darüber, ob der Kläger ein mit einer solchen unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug nicht wollte und bei entsprechender Kenntnis (insbesondere auch über eine allfällige Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs) nicht erworben hätte, oder ob das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret seinem Willen entsprach (vgl 10 Ob 16/23k Rz 38 ff [insb Rz 42 ff]; ebenso 9 Ob 65/22g Rz 41 ff [insb Rz 46 ff]).

[41] 8.2. Soweit sich die Zweitbeklagte in erster Instanz darauf berufen hat, dass ihr im Vertrauen auf Auskünfte des deutschen Kraftfahrt-Bundesamts erfolgte Gesetzesverstöße nicht als Verschulden angerechnet werden dürften (was sie nun in ihrem Rekurs weiter ausführt) , ist darauf hinzuweisen, dass e ine Haftung wegen einer Schutzgesetzverletzung ein „Verschulden“ im Sinn (zumindest) einer vorzuwerfenden Sorgfaltswidrigkeit voraussetzt (RS0026351), es aber zu einer Beweislastumkehr kommt (RS0026351 [T7]): Der Schädiger hat nachzuweisen, dass ihn an der Übertretung kein „Verschulden“ trifft (RS0112234 [T1]; RS0026351 [T1]). Allfällige Negativfeststellungen gehen daher zu Lasten der Zweitbeklagten. Ein Rechtsirrtum ist nach der Rechtsprechung dann nicht vorwerfbar, wenn eine Behörde demselben Rechtsirrtum unterlag und die Beteiligten auf Richtigkeit dieser Entscheidung vertrauen durften (RS0008651 [T9]). Im gegebenen Zusammenhang wäre überdies erforderlich, dass der relevante Sachverhalt (hier: die konkrete Abschalteinrichtung) der Behörde – aus der Sicht der Zweitbeklagten – bekannt war (vgl 2 Ob 152/21y Rz 57), und zwar ungeachtet allfälliger Offenlegungspflichten vor ihrer Entscheidung, weil nur dann ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Richtigkeit ihrer Entscheidung bestehen kann (vgl 10 Ob 27/23b Rz 34).

[42] Die bisherigen Behauptungen der Zweitbeklagten lassen aber nicht ausreichend erkennen, in Kenntnis welcher Fakten die zuständige Typengenehmigungsbehörde – allenfalls rechtsirrig – welche vorhandene Einrichtung konkret gebilligt haben und ob die Zweitbeklagte einem der Rechtsansicht der Behörde entsprechenden Rechtsirrtum unterlegen sein soll . Die Zweitbeklagte hätte daher ihr diesbezüglich in erster Instanz vage und pauschal gebliebenes Vorbringen und Beweisanbot dahin zu konkretisieren, zu welchem Zeitpunkt (bis zum Inverkehrbringen des gegenständlichen Fahrzeugs) aufgrund welcher konkreten Prüfschritte und/oder Ereignisse welche ihr zurechenbare Person legitimerweise darauf hätte vertrauen dürfen und auch konkret darauf vertraut habe , dass und warum die verbaute Abschalteinrichtung nach den unionsrechtlichen Normen ausnahmsweise zulässig gewesen wäre (vgl eingehend nochmals 10 Ob 27/23b Rz 34 ff sowie 6 Ob 155/22w Rz 71 ff ), und es wären entsprechende Feststellungen nachzutragen .

[43] 8.3.1. Nach Auflösung eines Vertrags durch Anfechtung oder Wandlung hat gemäß § 877 ABGB (bei Gewährleistung in Verbindung mit § 932 ABGB) in Verbindung mit §§ 1435 ff ABGB jeder Teil alles zurückzustellen, was er aus einem solchen Vertrag zu seinem Vorteil erlangt hat. Stehen beiden Teilen Rückforderungsansprüche zu, so brauchen diese nur Zug um Zug erfüllt zu werden (RS0016321; 4 Ob 70/18z; 8 Ob 59/16h). Die Rückabwicklung Zug um Zug ist nur auf Einrede zu beachten (RS0086350). Der Kläger kann die Zug-um-Zug-Verpflichtung allerdings – wie hier – auch selbst durch entsprechende Beifügung in der Klage anbieten (vgl RS0041069; 4 Ob 70/18z).

[44] 8.3.2. Bei einem Kaufvertrag ist der primäre Bereicherungsanspruch des beklagten Verkäufers auf die Rückgabe der vom Käufer empfangenen Leistung, also auf Rückgabe der Sache in der Natur gerichtet (6 Ob 265/01s; 4 Ob 70/18z). Bereicherungsansprüche des beklagten Verkäufers können aber auch in Geld bestehen. Derartige Ansprüche des Beklagten sind somit grundsätzlich als Gegenforderungen einzuwenden (4 Ob 70/18z; vgl 8 Ob 74/13k; 10 Ob 32/15a), was hier im Umfang von 11.364 EUR auch geschah.

[45] 8.3.3. Der Vorteil, den der klagende Käufer eines Kraftfahrzeugs erlangt hat, besteht im Gebrauchsnutzen, weshalb er dem Verkäufer ein Benützungsentgelt für die Nutzung des Fahrzeugs zu entrichten hat. Für die Ermittlung des Benützungsentgelts kommt es auf den konkret gezogenen Nutzen an. Nach der Rechtsprechung hat der klagende Käufer, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, aber weder die Wertminderung durch Zeitablauf noch die merkantile Wertminderung durch die verzögerte Rückabwicklung zu tragen (3 Ob 248/08d; 8 Ob 74/13k).

[46] Dieser Gebrauchsnutzen des Käufers eines Kraftfahrzeugs, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, ist grundsätzlich in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern linear zu berechnen (RS0134263; vgl im Einzelnen auch 3 Ob 146/22z).

[47] 8.3.4. Als Grundlagen der Bemessung dieses Gebrauchsnutzens, den der Kläger bereits selbst im Umfang von 1.840,81 EUR in Abzug brachte, hat das Erstgericht aber ebenfalls keine Feststellungen getroffen, was im fortgesetzten Verfahren nachzutragen wäre.

[48] Hinzuweisen ist darauf, dass im Einzelfall zur Bemessung des angemessenen Benützungsentgelts auch § 273 ZPO herangezogen werden kann (RS0018534 [T5]; 3 Ob 131/19i; 3 Ob 146/22z), was im vorliegenden Zusammenhang insbesondere dann von Bedeutung sein kann, wenn der Fahrzeugkäufer nach der linearen Berechnungsmethode nur einen Betrag erhielte, der deutlich unter dem aktuellen Zeitwert liegt (vgl RS0134263 [T3]).

[49] 8.3.5. Die von den Beklagten zuletzt im Verfahren geltend gemachte prozessuale Gegenforderung wäre nur dann weiter zuspruchsmindernd zu berücksichtigen, wenn sie betraglich über das vom Kläger bereits abgezogene Benützungsentgelt hinausginge.

[50] 9. Zusammengefasst ist die schon vom Berufungsgericht angeordnete Aufhebung des Ersturteils auf Grundlage der dargelegten Rechtslage unvermeidlich, sodass dem dagegen erhobenen Rekurs der Erfolg zu versagen war.

[51] 10. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO. Der Rekurs hat zur Klarstellung der Rechtslage beigetragen (vgl RS0035976; RS0036035).

Rechtssätze
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