JudikaturJustiz2Ob211/11k

2Ob211/11k – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Oktober 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj S***** B*****, geboren am ***** 1999, wegen Unterhalt, über die Revisionsrekurse 1. des Minderjährigen, vertreten durch die Mutter J***** S*****, diese vertreten durch Mag. Eva Plaz, Rechtsanwältin in Wien, und 2. des Vaters Ing. H***** B*****, vertreten durch Dr. Thomas Krankl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 19. Mai 2011, GZ 43 R 262/11i U 185, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 18. März 2011, GZ 26 P 28/07z U 179, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Den Revisionsrekursen wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden im angefochtenen Umfang aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Der am ***** 1999 geborene Minderjährige ist der Sohn der (wiederverehelichten) J***** S***** und des H***** B*****, deren Ehe mit Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 23. 3. 2006 gemäß § 55a EheG geschieden wurde. Der Vater ist österreichischer Staatsbürger, die Mutter ist serbische Staatsangehörige. Der Minderjährige besitzt die österreichische und wie in der zum Besuchsrecht des Vaters ergangenen Entscheidung 2 Ob 19/11z festgehalten wurde auch die serbische Staatsbürgerschaft.

Im pflegschaftsbehördlich genehmigten Scheidungsfolgenvergleich vereinbarten die Eltern die alleinige Obsorge der Mutter. Der Vater verpflichtete sich zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von 500 EUR ab 1. 4. 2006 an das Kind. Dabei wurde ein monatliches Durchschnittseinkommen des Vaters von 3.050 EUR netto zugrunde gelegt.

Der Minderjährige lebt seit 2. 2. 2007 bei den mütterlichen Großeltern in Serbien.

Mit Schriftsatz vom 2. 1. 2008 stellte der Vater (ua) den Antrag „auf gerichtliche Feststellung des Unterhalts seit Februar 2007“ (ON U 59), den er in der Folge im Sinne einer Herabsetzung seiner monatlichen Unterhaltsverpflichtung auf 50 EUR konkretisierte (ON U 107). Der Minderjährige befinde sich seit Februar 2007 in Drittpflege der mütterlichen Großeltern in Serbien und werde von der Mutter nur gelegentlich besucht. Die Mutter habe daher zum Kindesunterhalt anteilig beizutragen. Im Hinblick auf die weitaus geringeren Lebenshaltungskosten in Serbien sei ein anteiliger Unterhaltsbeitrag des Vaters von 50 EUR angemessen.

Die Mutter sprach sich (namens des Minderjährigen ) gegen den Herabsetzungsantrag des Vaters aus. Die Lebenshaltungskosten in Serbien seien kaum niedriger als in Österreich. Dinge des täglichen Bedarfs wie Gewand, Schulsachen, Spielzeug oder Sportsachen kaufe die Mutter in Österreich. Die Mutter komme auch für die Ausgaben in Serbien auf und gebe den Großeltern das dafür benötigte Geld. Sie arbeite in Wien „geblockt“ und fahre zumindest zweimal pro Monat nach Serbien, wo sie mit dem Minderjährigen jeweils mehrere Tage verbringe (ON U 87). Im weiteren Verfahrensverlauf bestritt die Mutter mehrfach, dass sich der Minderjährige in Drittpflege befinde (ON U 96; ON U 121; ON U 174). Sie besuche ihn regelmäßig, treffe alle Entscheidungen, trage alle Kosten, besuche Elternabende in der Schule und unterstütze ihren Sohn telefonisch oder über „Skype“ bei den Hausaufgaben.

Am 22. 9. 2009 stellte der hiebei durch seine Mutter vertretene Minderjährige seinerseits den mit seinen gestiegenen Bedürfnissen und dem höheren Einkommen des Vaters begründeten Antrag die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters zu erhöhen und zwar soweit in diesem Rechtsmittelverfahren noch von Interesse auf 540 EUR vom 1. 1. bis 31. 3. 2007, 622 EUR vom 1. 4. bis 31. 12. 2007 und 645 EUR ab 1. 1. 2008 (ON U 121 und 122). Der Minderjährige sei nunmehr 10 Jahre alt, sodass ein „Prozentsprung“ eingetreten sei.

Der Vater widersprach dem Erhöhungsbegehren, wobei er sich im Wesentlichen auf sein Antragsvorbringen berief (ON U 124).

Das Erstgericht setzte im 2. Rechtsgang die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters auf 75 EUR vom 1. 3. bis 21. 12. 2007, 70 EUR vom 1. 1. bis 31. 12. 2008, 65 EUR vom 1. 1. bis 30. 6. 2009 und 75 EUR ab 1. 7. 2009 herab. Das Mehrbegehren des Vaters und das Erhöhungsbegehren des Minderjährigen wies es ab.

Das Erstgericht traf Feststellungen über das monatliche Durchschnittseinkommen des Vaters und der Mutter sowie darüber, dass die Kaufkraft in Österreich und in Serbien im Verhältnis 100 : 15,4 stehe.

Bei der Ermittlung des Unterhalts ging es davon aus, dass sich der Minderjährige bei den Großeltern in Serbien in Drittpflege befinde. Den Gesamtunterhaltsbedarf erblickte es im doppelten Durchschnittsbedarf, den es um (richtig) 84,6 % minderte. Sodann gelangte es nach der gängigen Berechnungsformel (Gesamtunterhaltsbedarf mal [Unterhaltsbemessungsgrundlage Vater minus Existenzmini-mum] dividiert durch [Unterhaltsbemessungsgrundlage Vater minus Unterhaltsexistenzminimum] plus [Unterhaltsbemes-sungsgrundlage Mutter minus Existenzminimum]) zu den genannten Beträgen.

Dieser Beschluss erwuchs im Umfang der Abweisung des Herabsetzungsmehrbegehrens des Vaters in Rechtskraft.

Das Rekursgericht änderte die erstinstanzliche Entscheidung dahin ab, dass es dem Minderjährigen in Herabsetzung der bisherigen Leistungsverpflichtung des Vaters an monatlichem Unterhalt 135 EUR vom 1. 3. bis 31. 12. 2007, 130 EUR vom 1. 1. bis 31. 12. 2008, 125 EUR vom 1. 1. bis 30. 6. 2009 und 135 EUR ab 1. 7. 2009 zuerkannte. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

In rechtlicher Hinsicht teilte das Rekursgericht die Ansicht des Erstgerichts, wonach von Drittpflege auszugehen sei. Nach dem Vorbringen des Minderjährigen befinde er sich ständig im Haushalt der Großeltern und nicht in jenem der Mutter in Wien. Aus welchen Gründen die Mutter die Drittpflege für den Minderjährigen vorsehe, sei für die Festsetzung des Grundunterhalts nicht relevant. Die Mutter habe nicht konkret und nachvollziehbar dargelegt, dass der Minderjährige wegen seines Aufenthalts in Serbien der Art nach andere Bedürfnisse hätte als bei einem Aufenthalt in Österreich. Soweit die Mutter Sonderbedarf behauptet (aber nicht geltend gemacht) habe, müsse dieser bei der Bemessung des laufenden Unterhalts außer Betracht bleiben. Aus verfahrensökonomischen Gründen und entsprechend der allgemeinen Lebenserfahrung sei es hier vertretbar, den Grundbedarf des Minderjährigen der Höhe nach mit dem für in Österreich lebende Kinder als Orientierungshilfe entwickelten Regelbedarf zu bemessen, wobei allerdings der Kaufkraftunterschied zwischen Serbien und Österreich in dem festgestellten, im Rekurs nicht bemängelten Verhältnis zu berücksichtigen sei. Der Minderjährige habe auch nicht dargelegt, dass der Kaufkraftunterschied bei den von ihm benötigten Produkten ein anderer wäre. Dem Erstgericht sei ferner dahin zu folgen, dass der Gesamtunterhaltsbedarf des Minderjährigen mit dem doppelten Durchschnittsbedarf anzunehmen sei. Auch die vom Erstgericht angewendete Formel sei grundsätzlich nicht zu beanstanden. Nach ständiger Rechtsprechung sei jedoch im Ausland lebenden Kindern ein „Mischunterhalt“ zuzusprechen, der sich nach dem Bedarf des Unterhaltsberechtigten im Ausland und dem besseren Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen in Österreich richte. Das Erstgericht habe bei der Bemessung des Unterhalts die überdurchschnittlichen Lebensverhältnisse des Vaters außer Acht gelassen, zudem habe es den ermittelten Unterhalt zur Gänze um den Kaufkraftunterschied zwischen Serbien und Österreich gekürzt. Das Rekursgericht halte einen Zuschlag von 60 EUR für angemessen, um den Grundsätzen der Rechtsprechung zu entsprechen.

Zur Begründung seines Zulassungsausspruchs führte das Rekursgericht aus, dass die Frage nach dem für ein Kind in Serbien auszumessenden Unterhalt unter Berücksichtigung der Kaufkraft und der besonderen Bedürfnisse des Kindes im Aufenthaltsland in Rechtsprechung und Schrifttum nicht einheitlich gelöst sei. Es sei auch nicht geklärt, ob ein Kind mit österreichischer Staatsbürgerschaft mit seinen Bedürfnissen allenfalls auch allein auf serbische Verhältnisse verwiesen werden könne. Ebenso sei nicht geklärt, ob die angewendete Formel auch bei ausländischer Drittpflege gelte und ob von einer solchen unter den gegebenen Verhältnissen auszugehen sei.

Gegen diese Rekursentscheidung richten sich die Revisionsrekurse des Vaters und des Minderjährigen . Während Ersterer die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses anstrebt, beantragt Letzterer die Abänderung im Sinne der Stattgebung seines Erhöhungsantrags. Hilfsweise werden in beiden Rechtsmitteln Aufhebungsanträge gestellt.

In ihren Revisionsrekursbeantwortungen beantragen der Vater und der Minderjährige jeweils dem gegnerischen Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsrekurse sind zulässig, weil die Tatsachengrundlage einer Ergänzung bedarf. Sie sind im Sinne der Eventualanträge auch berechtigt.

Der Vater macht geltend, dass der zugesprochene Unterhalt bei Umrechnung auf österreichische Verhältnisse nicht nur den nach der Prozentmethode berechneten Unterhalt übersteigen würde, sondern auch die „Luxusgrenze“, die bei Kindern im Alter des Minderjährigen mit dem zweifachen Regelbedarf anzusetzen sei. Der ihm einseitig auferlegte Zuschlag von 60 EUR entbehre jeglicher Rechtfertigung. Auch die steuerliche Entlastung sei unberücksichtigt geblieben. Bei der Unterhaltsbemessung sei auf den konkreten Bedarf des Minderjährigen und die Lebensverhältnisse in Serbien abzustellen, wozu es an Feststellungen fehle. Auch die Leistungsfähigkeit der Mutter stehe nicht fest.

Der Minderjährige steht weiterhin auf dem Standpunkt, dass die Voraussetzungen für die Annahme von Drittpflege nicht vorliegen würden. Jedenfalls aber sei von seinem konkreten Unterhaltsbedarf auszugehen, der Regelbedarf sei nicht entscheidend. Die Mutter habe dem Erstgericht eine Aufstellung über ihre monatlichen Aufwendungen vorgelegt, auf den Kaufkraftunterschied komme es daher nicht an. Der Zuschlag von 60 EUR sei nicht nachvollziehbar.

Hierzu wurde erwogen:

1. Anzuwendendes Recht:

1.1 Die Vorinstanzen haben den Unterhaltsanspruch des Minderjährigen für den von ihren Entscheidungen umfassten Zeitraum zutreffend nach österreichischem Sachrecht beurteilt. Nach Art 1 des insoweit noch maßgeblichen Übereinkommens über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht (Haager Unterhaltsstatutübereinkommen), BGBl 1961/293, bestimmt das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Kindes, ob, in welchem Ausmaß und von wem das Kind Unterhaltsleistungen verlangen kann. Abweichend von Art 1 des Übereinkommens kann gemäß Art 2 jeder der vertragsschließenden Staaten sein eigenes Recht für anwendbar erklären, wenn das Begehren vor eine Behörde dieses Staats gebracht wird, der Unterhaltsschuldner und das Kind die Staatsangehörigkeit dieses Staats besitzen und der Unterhaltsschuldner seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat hat. Österreich hat von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht (4 Ob 513/96; 1 Ob 220/01m; Neumayr in KBB³ § 24 IPRG Rz 3). Die Voraussetzungen des Art 2 des Übereinkommens lägen hier vor. Nach dessen Art 6 ist das Übereinkommen allerdings nur in den Fällen anzuwenden, in denen das in Art 1 bezeichnete Recht das eines vertragsschließenden Staats ist.

1.2 Der Minderjährige lebt seit Februar 2007 bei seinen Großeltern in Serbien. Es ist daher davon auszugehen, dass er mittlerweile in Serbien seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Serbien zählt nicht zu den Vertragsstaaten des Haager Unterhaltsstatutübereinkommens (vgl Nademleinsky/Neumayr , Internationales Familienrecht [2007] Rz 10.77). Das Unterhaltsstatut ist wandelbar. Zieht das Kind in einen Nichtvertragsstaat, wird das Übereinkommen unanwendbar (vgl 3 Ob 194/00a; 1 Ob 220/01m; Nademleinsky/Neumayr aaO Rz 10.79).

1.3 Das anzuwendende Recht beurteilt sich seit dem Aufenthaltswechsel des Minderjährigen daher nach § 24 IPRG, wonach das Personalstatut des Kindes berufen ist (vgl 3 Ob 194/00a; Nademleinsky , Der internationale Unterhaltsstreit, EF-Z 2008/89, 115 [116]). Gemäß § 9 Abs 1 Satz 1 IPRG richtet sich das Personalstatut einer natürlichen Person nach der Staatsangehörigkeit („Heimatrecht“). Besitzt ein Doppel- oder Mehrstaater auch die österreichische Staatsangehörigkeit, so ist nach § 9 Abs 1 Satz 2 IPRG allein diese maßgebend (2 Ob 19/11z mwN; Neumayr aaO § 9 IPRG Rz 2). Demnach ist österreichisches Recht anzuwenden.

1.4 Da sich aber, wie noch zu zeigen sein wird, das erstinstanzliche Verfahren als ergänzungsbedürftig erweist, ist schon jetzt darauf hinzuweisen, dass für die nach dem 18. 6. 2011 fällig gewordenen Unterhaltsansprüche des Minderjährigen eine neuerliche kollisionsrechtliche Beurteilung nach dem ab diesem Tag anzuwendenden Haager Unterhaltsprotokoll erforderlich sein wird (vgl dazu etwa Fucik in Fasching/Konecny 2 V/2 Art 15 EuUVO Rz 1 ff; ders , Neues zur Unterhaltsdurchsetzung im Ausland, iFamZ 2011, 170; Nademleinsky Die neue EU Unterhaltsverordnung samt dem neuen Haager Unterhaltsprotokoll, EF Z 2011/82, 130).

2. Drittpflege:

2.1 Gemäß § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Nach Abs 2 dieser Bestimmung leistet der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem er das Kind betreut, dadurch seinen Beitrag. Wird aber das Kind von keinem der beiden Elternteile betreut, so ist § 140 Abs 2 ABGB nicht anzuwenden und dem Kind steht gegen beide Elternteile ein Unterhaltsanspruch in Geld zu. Die Unterhaltsbemessung ist dann nach § 140 Abs 1 ABGB anteilig vorzunehmen. Das bedeutet, dass jeder Elternteil unter Berücksichtigung seiner eigenen Leistungsfähigkeit zum Unterhalt des Kindes beizutragen hat (vgl 1 Ob 564/91; 6 Ob 120/03w; 10 Ob 53/03x; 7 Ob 182/07a; 2 Ob 67/09f; RIS-Justiz RS0047415; Barth/Neumayr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang ³ § 140 Rz 126; Neuhauser in Schwimann/Kodek , ABGB I 4 § 140 Rz 99; Schwimann/Kolmasch , Unterhaltsrecht 6 [2012] 96).

2.2 Für die Beurteilung, ob sich ein Kind in Drittpflege befindet, ist entscheidend, ob es ein Elternteil tatsächlich betreut. Damit wird auf die übliche Versorgung abgestellt, die ein Kind im Rahmen eines geordneten und funktionierenden Haushalts im Allgemeinen erfährt. Dazu zählen insbesondere Unterkunft, Beaufsichtigung, geistig-seelische Erziehung, Körperpflege, Verpflegung (Nahrungszubereitung), Reinigung und Instandhaltung von Kleidung und Wäsche sowie Pflege im Krankheitsfall (10 Ob 53/03x mwN; RIS-Justiz RS0047367, RS0047394).

Unmaßgeblich ist dabei, ob der haushaltsführende Elternteil ausschließlich oder, besonders weil er berufstätig ist, nur während bestimmter Tageszeiten oder überhaupt nur an bestimmten Tagen sich der Betreuung des Kindes widmet. Es leistet daher auch zB der geschiedene Elternteil, dem die Elternrechte zustehen, seinen Beitrag im Sinn dieser Bestimmung, wenn er das Kind tagsüber in einem Hort, bei den Großeltern oder einem Dritten unterbringt. Auch wenn das Kind während der Woche in einem Internat untergebracht ist und sich nur an Wochenenden, zu den Feiertagen und während der Ferien bei diesem Elternteil befindet, leistet er einen vollen Beitrag zur Deckung der Bedürfnisse des Kindes (6 Ob 120/03w; RIS-Justiz RS0047434, RS0047443). Die Rechtfertigung wird darin gesehen, dass Pflege und Erziehung Teil der Obsorge sind und es Sache des obsorgeberechtigten Elternteils ist, wie er die Pflege und Erziehung des Kindes „organisiert“ (3 Ob 26/11m).

§ 140 Abs 2 ABGB stellt auf stabile Verhältnisse ab. Voraussetzung ist daher, dass sich das Kind zumindest teilweise in dem vom obsorgeberechtigten Elternteil geführten Haushalt befindet und dieser Elternteil dort - selbst oder auch durch Fremdpflege - relevante Betreuungsleistungen erbringt (vgl 6 Ob 120/03w mwN; RIS-Justiz RS0047443; Barth/Neumayr aaO § 140 Rz 115). Gelegentliche Besuche eines im Übrigen getrennt lebenden Minderjährigen stellen hingegen die Voraussetzungen für den Tatbestand des § 140 Abs 2 ABGB nicht her (10 Ob 53/03x mwN).

2.3 Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Minderjährige seit Februar 2007 im Haushalt der mütterlichen Großeltern in Serbien lebt. Zu den Lebensverhältnissen der Mutter haben die Vorinstanzen zwar keine Feststellungen getroffen. Nach der Aktenlage und den Angaben der Mutter ist aber davon auszugehen, dass sie - mit ihrem Ehemann in Wien wohnt und arbeitet und ihren Sohn so oft wie möglich in Serbien besucht (vgl ON U 87: zweimal im Monat; ON U 121: alle drei Wochen). Dass sich der Minderjährige auch nur zeitweise bei ihr in Wien aufhalten würde, geht aus ihrem Vorbringen jedoch nicht hervor. Selbst wenn dies mit der von ihr immer wieder behaupteten aber keineswegs erwiesenen Angst des Minderjährigen vor dem Vater im Zusammenhang stehen sollte, ist auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen. Danach ist aber von einem Fall der Drittpflege auszugehen, wie dies von den Vorinstanzen richtig erkannt worden ist. Die bloße Beistellung von Geldmitteln an die Großeltern kommt ebenso wenig als Betreuungsmaßnahme der Mutter in Betracht (vgl Barth/Neumayr aaO § 140 Rz 115), wie ihre telefonischen oder auf elektronischem Weg hergestellten Kontakte mit ihrem Sohn. Auch dass die Mutter „alle Entscheidungen trifft“, hat mit der Betreuung nichts zu tun.

2.4 Maßgeblich für die Ermittlung des Unterhaltsanspruchs bei Drittpflege ist ua der Gesamtunterhaltsbedarf des Minderjährigen, der sich nach der Rechtsprechung aus den Drittpflegekosten und einem Zuschlag für zusätzliche Kindesbedürfnisse, wie Kleidung, kulturelle und sportliche Bedürfnisse, Ferienkosten, Taschengeld etc ergibt (7 Ob 2337/96v; 4 Ob 57/98f; 2 Ob 67/09f; RIS-Justiz RS0047403 [T3]; Barth/Neumayr aaO § 140 Rz 126; Schwimann/Kolmasch aaO 96).

Wie der Oberste Gerichtshof schon mehrfach betonte, reicht bei Drittpflege der Regelbedarf (auch Durchschnittsbedarf) als Orientierungshilfe zur Ermittlung des Unterhaltsbedarfs des Kindes regelmäßig nicht aus, weil er nur eine Messgröße dafür abgibt, welcher Geldunterhalt zusätzlich zur Betreuung eines Kindes erforderlich ist (vgl 6 Ob 355/97t; 9 Ob 222/02s; 2 Ob 67/09f; 5 Ob 106/10i; Barth/Neumayr aaO § 140 Rz 77; Neuhauser aaO § 140 Rz 100).

2.5 Das Rekursgericht hat in seinem Aufhebungsbeschluss vom 31. 8. 2010 (ON U 161) dem Erstgericht im Einklang mit dieser Rechtsprechung die Ermittlung des konkreten Unterhaltsbedarfs des Minderjährigen in Serbien aufgetragen, im 2. Rechtsgang aber „aus verfahrensökonomischen Gründen“ die für Fälle der Eigen pflege bei durchschnittlichen Lebensverhältnissen als sachgerecht empfundene ( Barth/Neumayr aaO § 140 Rz 126) Heranziehung des doppelten Durchschnittsbedarfs toleriert. Zu Recht bemängeln beide Rechtsmittelwerber, dass die Vorinstanzen mit dieser Vorgangsweise von der erörterten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sind.

3. Mischunterhalt:

3.1 Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass die im Ausland lebenden Unterhaltsberechtigten einerseits am Lebensstandard des in Österreich lebenden unterhaltspflichtigen Elternteils teilhaben sollen, aber der Unterhalt andererseits in einem angemessenen Verhältnis zu den durchschnittlichen Lebensverhältnissen und zur Kaufkraft in dem jeweiligen Heimatland stehen muss (7 Ob 118/07i; 10 Ob 55/09z; RIS-Justiz RS0111899). Bei der Bemessung dieses „Mischunterhalts“ sind die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten konkret und individuell mit den Lebensverhältnissen der Eltern in Relation zu setzen (1 Ob 112/04h; 10 Ob 55/09z). Es ist jener Unterhaltsbetrag zu ermitteln, der den Bedarf des Unterhaltsberechtigten im Ausland deckt, ihn aber auch an den (besseren) Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen teilhaben lässt und zugleich dessen Leistungsfähigkeit entsprechend berücksichtigt (10 Ob 55/09z). Die Beurteilung, wie und in welchem Ausmaß der Minderjährige an den besseren Lebensverhältnissen seiner Eltern teilhaben soll, steht im pflichtgebundenen Ermessen der Vorinstanzen, ein konkretes Berechnungssystem ist dafür nicht vorgesehen (vgl etwa Nademleinsky , Praktisches zum Mischunterhalt, EF Z 2009/116, 176 [177]).

3.2 Auch in diesem Zusammenhang ist es demnach erforderlich, den konkreten Unterhaltsbedarf des im Ausland lebenden Kindes festzustellen (vgl 2 Ob 72/99y; 3 Ob 194/00a; RIS-Justiz RS0047522; Barth/Neumayr aaO § 140 Rz 141). An solchen Feststellungen fehlt es derzeit noch.

4. Ergebnis:

Infolge der aufgezeigten Feststellungsmängel zum konkreten Unterhaltsbedarf des Minderjährigen in Serbien sind die Entscheidungen der Vorinstanzen im noch streitverfangenen Umfang aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht den Gesamtunterhaltsbedarf des Minderjährigen zu ermitteln und allenfalls unter Anwendung des § 34 AußStrG die fehlenden Feststellungen dazu nachzuholen haben. Dabei wird es sich insbesondere mit dem sowohl vom Vater (etwa in Bd I AS 301 und 377) als auch von der Mutter namens des Minderjährigen (ON U 174) erstatteten Vorbringen zu diesem Thema befassen müssen. Im Übrigen ist schon jetzt festzuhalten:

Gegen die Anwendung der „Drittpflegeformel“ im vorliegenden Fall bestehen grundsätzlich keine Bedenken. Zur Klärung der Leistungsfähigkeit der Mutter wird es aber nötig sein, der Behauptung über ihre vorübergehende Unterhaltspflicht gegenüber ihrem Ehemann nachzugehen. (Bd II AS 184). Soweit der Vater die Ausschöpfung der Leistungsfähigkeit der Mutter in Zweifel zieht, ist dies in einem Fall der Drittpflege zwar beachtlich (vgl 3 Ob 2115/96t; Schwimann/Kolmasch aaO 96), es trifft ihn aber die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass die Mutter zumutbarerweise ein höheres Einkommen erzielen könnte (2 Ob 141/11s mwN). Konkrete Behauptungen, auf welche Weise dies der Mutter möglich sein sollte, hat der Vater bisher noch nicht aufgestellt.

Auf die weiteren Argumente der Rechtsmittelwerber ist derzeit (noch) nicht einzugehen.

Rechtssätze
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