Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 3. September 2024, Zl. LVwG 351567/3/Bm/EP, betreffend Sozialhilfe (mitbeteiligte Partei: P B), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Bescheid der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde des nunmehrigen Amtsrevisionswerbers vom 18. Juni 2024 wurde der Antrag des Mitbeteiligten auf Gewährung einer Leistung zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts und zur Befriedigung des Wohnbedarfs nach dem Oberösterreichischen Sozialhilfe Ausführungsgesetz (Oö. SOHAG) abgewiesen.
2 Begründend ging die Behörde im Kern davon aus, dass der Mitbeteiligte die sachlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Sozialhilfe „hinsichtlich des Einsatzes der Arbeitskraft gem. § 3 Abs. 5 iVm § 6 Abs. 5 Z 2 und § 12 Abs. 1 Oö. SOHAG“ nicht erfülle. Darüber hinaus sei auch in § 19 Abs. 4 Oö. SOHAG normiert, dass in Fällen wie dem vorliegenden eine Leistung von vornherein nicht zu gewähren sei. Hinsichtlich des Mitbeteiligten sei vom Arbeitsmarktservice die Notstandshilfe mit 21. Juni 2023 „mangels Arbeitswilligkeit“ eingestellt worden, da dieser „im letzten Jahr mehrere zumutbare Beschäftigungen nicht angenommen“ habe. Nach einer aktuellen Auskunft des Arbeitsmarktservice bleibe diese Sperre so lange aufrecht, bis der Mitbeteiligte „nachweislich ein dauerhaftes Dienstverhältnis vorweisen“ könne.
3 Mit dem angefochtenen Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 3. September 2024 wurde einer dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde stattgegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde ausgesprochen, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG unzulässig sei (Spruchpunkt II.).
4 Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die Behörde habe im gegenständlichen Fall wesentliche, für die rechtliche Beurteilung maßgebliche Ermittlungen betreffend die sachlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfeleistungen unterlassen. Der Bescheid sei „ausschließlich“ auf den Bescheid des Arbeitsmarktservice vom 18. Juli 2023 gestützt worden, der vor über einem Jahr erlassen worden und dessen Aktualität „in Frage zu stellen“ sei. Zwar habe das Arbeitsmarktservice in seiner Auskunft vom 18. Juni 2024 darauf verwiesen, dass die Sperre erst ende, wenn der Mitbeteiligte ein nachhaltiges Dienstverhältnis vorweisen könne. Allein daraus könne aber nicht auf die mangelnde Bereitschaft des Mitbeteiligten geschlossen werden, Arbeit zu suchen bzw. nach erfolgreicher Arbeitssuche eine Beschäftigung aufzunehmen. Im Gegenteil deuteten eine Stellungnahme einer Sozialarbeiterin vom 13. Juni 2024 sowie die mit der Beschwerde vorgelegten Bewerbungsunterlagen „auf ein gewisses Bemühen“ des Mitbeteiligten hin. Eine Sanktionierung durch das Arbeitsmarktservice führe (aus näher dargelegten Gründen) nicht automatisch zum Verlust der Sozialhilfeleistungen. Ein Sozialhilfeanspruch des Mitbeteiligten sei im vorliegenden Fall trotz aufrechter Sanktion nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 „durchaus denkbar“, weshalb die belangte Behörde verpflichtet gewesen wäre, diesbezüglich eigenständige Erhebungen durchzuführen. Im fortgesetzten Verfahren werde von der Behörde zu prüfen sein, ob der Mitbeteiligte „seine Bemühungspflicht ... tatsächlich verletzt hat oder nunmehr die Bereitschaft aufweist, seine Arbeitskraft einzusetzen“. Sollte das behördliche Ermittlungsverfahren ergeben, dass dem Mitbeteiligten Sozialhilfe zu gewähren sei, sei bei deren Berechnung § 14 Abs. 4 Oö. SOHAG zu berücksichtigen, wonach Ansprüche nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, die der betreffenden Person grundsätzlich zustünden, die aber aufgrund eines zurechenbaren Fehlverhaltens verloren gegangen seien, anzurechnen seien. Im behördlichen Ermittlungsverfahren werde auch (aufgrund näher dargestellter Umstände) die Frage der Arbeitsfähigkeit des Mitbeteiligten „noch einmal aufzuwerfen und die Aktualität“ näher genannter Gutachten „zu hinterfragen“ sein.
5 Resümierend so das Verwaltungsgericht abschließend sei der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen gewesen, weil „notwendige Ermittlungen betreffend die Arbeitswilligkeit und Arbeitsfähigkeit“ des Mitbeteiligten sowie allenfalls erforderliche Berechnungen unterlassen worden seien. Das Verwaltungsgericht dürfe „derartige Sachverhaltsermittlungen nicht selbst durchführen und sodann im Hinblick auf die Höhe der Sozialhilfe in der Sache selbst entscheiden“, weil dem Mitbeteiligten „dadurch eine Instanz genommen würde“.
6 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht.
7 Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor.
8 Die mitbeteiligte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 Der Amtsrevisionswerber macht in der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden außerordentlichen Revision unter anderemein Abweichen des Verwaltungsgerichtes von der hg. Rechtsprechung zur Zurückverweisungsmöglichkeit nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG geltend (Verweis auf VwGH 26.6.3014, Ro 2014/03/0063, VwSlg. 18.886 A; 27.8.2014, Ro 2014/05/0062, VwSlg. 18.912 A).
10 Die Revision erweist sich als zulässig und begründet:
11Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheids streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 9.4.2024, Ra 2023/10/0065, mit Verweis auf VwGH 28.6.2023, Ra 2022/10/0169; 29.7.2022, Ro 2020/07/0006 bis 0007; 20.12.2017, Ra 2017/10/0116).
12Zudem liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, wenn (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen sind, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist (vgl. nochmals VwGH 9.4.2024, Ra 2023/10/0065, mit Verweis auf VwGH 4.5.2023, Ra 2022/07/0218 bis 0219; 13.3.2023, Ra 2022/06/0227; 2.2.2023, Ra 2021/10/0145). Auch eine erforderliche Ergänzung eines Gutachtens bzw. Befragung von Sachverständigen oder überhaupt die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens rechtfertigen im Allgemeinen nicht die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (vgl. abermals VwGH 9.4.2024, Ra 2023/10/0065, mit Verweis auf VwGH 4.5.2023, Ra 2022/07/0218 bis 0219; 27.7.2022, Ra 2022/04/0031; 29.11.2021, Ra 2021/03/0286).
13Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht seiner Verpflichtung zur nachvollziehbaren Begründung des Nichtvorliegens seiner meritorischen Entscheidungszuständigkeit nicht entsprochen, wenn sich dem Beschluss iSd § 28 Abs. 3 VwGVG keine Begründung dazu entnehmen lässt, warum das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre (vgl. wiederum VwGH 9.4.2024, Ra 2023/10/0065, mit Verweis auf VwGH 18.7.2023, Ra 2022/10/0093; 18.12.2019, Ra 2019/10/0119; 27.9.2018, Ra 2017/10/0101).
14 Das Verwaltungsgericht vertritt nach der oben wiedergegebenen Begründung des angefochtenen Beschlusses die Ansicht, dass in Bezug auf die Frage der „Arbeitswilligkeit und Arbeitsfähigkeit“ des Mitbeteiligten weitere Ermittlungen erforderlich seien.
15 Ein näheres Eingehen daraufund damit auf die Frage, ob im Revisionsfall überhaupt die Voraussetzungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorlagenerübrigt sich im vorliegenden Fall allerdings schon deshalb, weil sich dem angefochtenen Beschluss keine Begründung entnehmen lässt, warum das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Wie bereits ausgeführt, ist bei der Beurteilung der Frage, ob die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG liegt, nicht lediglich auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen.
16 Soweit das Verwaltungsgericht aber die Ansicht vertritt, es dürfe diese Sachverhaltsermittlungen „nicht selbst durchführen und sodann im Hinblick auf die Höhe der Sozialhilfe selbst in der Sache entscheiden“, weil dem Mitbeteiligten „dadurch eine Instanz genommen würde“, so genügt es auf die ständige gegenteiligeRechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen (vgl. VwGH 27.1.2025, Ra 2023/05/0228; 22.2.2022, Ra 2021/21/0308; 14.5.2020, Ro 2019/22/0005; 14.11.2019, Ra 2018/22/0276; 26.3.2015, Ro 2015/22/0011), wonach aus dem Hinweis des Verwaltungsgerichtes, dass es zu einer Verkürzung des „gesetzlich intendierten Instanzenzuges“ käme, nichts zu gewinnen ist, hat der Verwaltungsgerichtshof doch in seiner Rechtsprechung (etwa bereits in seinem Erkenntnis VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, VwSlg. 18.886 A) festgehalten, dass es gerade der Zielsetzung des Gesetzgebers entspricht, einen neuerlichen Instanzenzug durch kassierende Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes zu vermeiden.
17Da das Verwaltungsgericht somit, ohne seiner Verpflichtung zur nachvollziehbaren Begründung des Nichtvorliegens einer meritorischen Entscheidungszuständigkeit zu entsprechen, in Verkennung der Rechtslage von einer Sachentscheidung Abstand genommen hat, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 26. September 2025