Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision des Landeshauptmannes von Burgenland gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland vom 20. Februar 2023, Zl. E 156/02/2020.001/041, betreffend Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG in einer lebensmittelrechtlichen Angelegenheit (mitbeteiligte Partei: D GmbH in G), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Bescheid der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde des nunmehrigen Amtsrevisionswerbers vom 8. November 2019 wurde der mitbeteiligten Partei gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 Lebensmittelsicherheits und Verbraucherschutzgesetz (LMSVG) iVm Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 2015/2283 über neuartige Lebensmittel das Inverkehrbringen von elf näher umschriebenen, nicht zugelassenen neuartigen Lebensmitteln („Bio Hanf“ Produkte) untersagt.
2 Begründend ging der Amtsrevisionswerber gestützt auf Prüfberichte der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH und eine Einschätzung des Niedersächsischen Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit im Kern davon aus, dass die verfahrensgegenständlichen Nahrungsergänzungsmittel aufgrund des zuvor aus Hanfpflanzen isolierten und danach den Nahrungsergänzungsmitteln im konzentrierten Zustand zugesetzten Inhaltsstoffen Cannabidiol bzw. Cannabigerol als neuartige Lebensmittel einzustufen seien, für die es keine Zulassung nach der Verordnung (EU) Nr. 2015/2283 über neuartige Lebensmittel gebe. Da gemäß Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 2015/2283 über neuartige Lebensmittel nur zugelassene und in der Unionsliste aufgeführte neuartige Lebensmittel in Verkehr gebracht werden dürften, sei das Inverkehrbringen zu untersagen gewesen.
3 Über die dagegen von der mitbeteiligten Partei mit Schriftsatz vom 12. März 2020 erhobene Beschwerde führte das Verwaltungsgericht am 5. Jänner 2021 eine Beschwerdeverhandlung durch. Nach Befragung eines Amtssachverständigen u.a. dazu, ob es sich bei den in Rede stehenden Produkten um Präsentationsarzneimittel handeln könnte (nachdem dieser in seinem Gutachten das Vorliegen von Funktionsarzneimitteln bereits ausgeschlossen habe), wurde vom Verwaltungsgericht ein (rund zweieinhalbseitiges) „Ergebnis der Verhandlung“ festgehalten und darauf bezugnehmend angeregt, ein „einvernehmliches Ruhen dieses Verfahrens (iS einer Aussetzung des Verfahrens nach § 73 AVG) entweder bis zum Vorliegen einer fächerübergreifenden wissenschaftlich fundierten Abgrenzung zu Arzneimitteln in Österreich oder dem Abschluss des wieder in Gang gesetzten Zulassungsverfahrens vor der Europäischen Kommission“ festzulegen.
4 Nach den vorgelegten Verfahrensakten wurde seitens der Parteien des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht einer „Aussetzung des Verfahrens“ zunächst zugestimmt bzw. diese Aussetzung in weiterer Folge verlängert. Mit Schreiben vom 14. Februar 2023 wurde vom Amtsrevisionswerber aus näher dargestellten Gründen einer weiteren Verfahrensaussetzung allerdings nicht mehr zugestimmt und um Entscheidung über die Beschwerde ersucht.
5 Mit dem angefochtenen Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland vom 20. Februar 2023 wurde der Beschwerde der mitbeteiligten Partei stattgegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde ausgesprochen, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG unzulässig sei (Spruchpunkt II.).
6 Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst zunächst aus, bei den verfahrensgegenständlichen Produkten habe zuerst eine Prüfung zu erfolgen, ob es sich um Lebensmittel oder um Arzneimittel handle. Dies sei im verwaltungsbehördlichen Verfahren aber nicht geschehen. Nach Studium der europäischen Rechtsprechung zur Abgrenzung von Lebensmitteln von Arzneimitteln sei hervorgekommen, dass in Österreich bislang keine einzige grundlegende und wissenschaftlich fundierte Untersuchung stattgefunden habe, ob es sich um Nahrungsergänzungsmittel oder um Arzneimittel handle. Solche Untersuchungen seien aus näher dargestellten Gründen erforderlich gewesen. Es bedürfe jedenfalls fundierter wissenschaftlicher Untersuchungen, ob es sich bei diesen Produkten nicht um Präsentationsarzneimittel handle. Das Verwaltungsgericht habe die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 19. November 2020, C 663/18, zum Anlass genommen, um sich bei der Europäischen Kommission nach den anhängigen Zulassungsverfahren unter Bezugnahme auf das gegenständliche Verfahren zu erkundigen. Die Europäische Kommission habe in ihrem Schreiben vom 26. April 2021 (unter anderem) ausgeführt, dass bei der Beurteilung von Cannabidiol und anderen aus der Hanfpflanze gewonnenen Produkten mehrere Rechtsvorschriften ins Spiel kämen. Die Beurteilung des rechtlichen Status solcher Stoffe habe sich als „komplex“ erwiesen. In seinem Urteil in der Rechtssache C 663/18 sei der EuGH jedoch zum Ergebnis gekommen, dass Cannabidiol nicht als Droge im Sinne des Übereinkommens der Vereinten Nationen über Suchtstoffe von 1961 angesehen werden sollte, wenn es keine psychotropen Wirkungen entfalte. Die Kommission sei daher der Auffassung, dass Cannabidiol als „Lebensmittel“ eingestuft werden könne, sofern es auch die anderen Bedingungen des Artikel 2 der Verordnung (EU) Nr. 178/2002 (sog. „Lebensmittelbasisverordnung“) erfülle. Die betroffenen Produkte könnten aber auch gemäß den in der Arzneimittelrichtlinie festgelegten Regeln als Arzneimittel angesehen werden: Nach dem derzeitigen EU Rechtsrahmen und im Lichte der Rechtsprechung des EuGH seien die nationalen Behörden der Mitgliedstaaten unter Aufsicht der Gerichte dafür verantwortlich, die Merkmale des betreffenden Produkts im Einzelfall zu bewerten, um festzustellen, ob ein Produkt als Arzneimittel oder als Lebensmittel zu qualifizieren sei.
7 Die Voraussetzungen so das Verwaltungsgericht weiter für eine Zurückverweisung im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063) lägen hier vor: Es fehlten fundierte wissenschaftliche Untersuchungen darüber, ob es sich bei den verfahrensgegenständlichen Produkten um Präsentations oder Funktionsarzneimittel handle. Auch müssten konkrete Grenzwerte festgelegt werden, ab denen gesundheitliche Risiken nicht mehr auszuschließen seien und bei deren Überschreitung bereits Arzneimittel vorlägen. Die Verwaltungsbehörden hätten für eine nähere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik seit einem näher genannten Erlass der (damaligen) Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz aus dem Jahr 2018 ausreichend Zeit gehabt. Dieser Umstand lege den Schluss nahe, dass „die heikle politische Frage über die Zulassung von Hanfprodukten“ insbesondere aus medizinischer Sicht und die Abgrenzung von Nahrungsergänzungsmitteln von den Verwaltungsbehörden durch den genannten Erlass auf das Verwaltungsgericht abgewälzt werden solle. Ungeachtet dessen, dass die hier nachzuholenden Gutachten das Jahresbudget des Verwaltungsgerichtes für Sachverständigengutachten um ein Vielfaches überschreiten würden, fehle es an jeglichen fundierten wissenschaftlichen Kriterien und Maßstäben, an Hand derer das Verwaltungsgericht beurteilen könne, ob es sich im konkreten Fall um Funktions oder Präsentationsarzneimittel handle. Das Verfahren befinde sich daher im Anfangsstadium, die Verwaltungsbehörde habe bislang gänzlich ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt, um die anstehenden Tatsachenfragen zu lösen. Der angefochtene Bescheid sei daher im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufzuheben und das Verfahren an die Behörde zurückzuverweisen gewesen.
8 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht.
9 Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor.
10 Die mitbeteiligte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 Der Amtsrevisionswerber macht in der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden außerordentlichen Revision unter anderem ein Abweichen des Verwaltungsgerichtes von der hg. Rechtsprechung zur Zurückverweisungsmöglichkeit nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG geltend (Verweis auf VwGH 12.6.2020, Ra 2020/18/0084).
12 Die Revision erweist sich als zulässig und begründet:
13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheids streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 28.6.2023, Ra 2022/10/0169; 29.7.2022, Ro 2020/07/0006 bis 0007; 20.12.2017, Ra 2017/10/0116).
14 Zudem liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, wenn (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen sind, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist (vgl. VwGH 4.5.2023, Ra 2022/07/0218 bis 0219; 13.3.2023, Ra 2022/06/0227; 2.2.2023, Ra 2021/10/0145). Auch eine erforderliche Ergänzung eines Gutachtens bzw. Befragung von Sachverständigen oder überhaupt die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens rechtfertigen im Allgemeinen nicht die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (vgl. VwGH 4.5.2023, Ra 2022/07/0218 bis 0219; 27.7.2022, Ra 2022/04/0031; 29.11.2021, Ra 2021/03/0286).
15 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht seiner Verpflichtung zur nachvollziehbaren Begründung des Nichtvorliegens seiner meritorischen Entscheidungszuständigkeit nicht entsprochen, wenn sich dem Beschluss iSd § 28 Abs. 3 VwGVG keine Begründung dazu entnehmen lässt, warum das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre (vgl. VwGH 18.7.2023, Ra 2022/10/0093; 18.12.2019, Ra 2019/10/0119; 27.09.2018, Ra 2017/10/0101).
16 Das Verwaltungsgericht vertritt nach der oben wiedergegebenen Begründung des angefochtenen Beschlusses die Ansicht, dass im Hinblick auf die Frage, ob die verfahrensgegenständlichen Produkte (nicht wie sowohl vom Amtsrevisionswerber als auch von der mitbeteiligten Partei angenommen Lebensmittel, sondern vielmehr) Arzneimittel seien, weitere (sachverständige) Ermittlungen erforderlich seien. Die Behörde habe diesbezüglich bislang gänzlich ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt.
17 Ein näheres Eingehen darauf und damit auf die Frage, ob im Revisionsfall überhaupt die Voraussetzungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorlagen erübrigt sich im vorliegenden Fall allerdings schon deshalb, weil sich dem angefochtenen Beschluss keine Begründung entnehmen lässt, warum das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens (im seit März 2020 beim Verwaltungsgericht anhängigen Verfahren) durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Wie bereits ausgeführt, ist bei der Beurteilung der Frage, ob die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG liegt, nicht lediglich auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen.
18 Da das Verwaltungsgericht somit, ohne seiner Verpflichtung zur nachvollziehbaren Begründung des Nichtvorliegens einer meritorischen Entscheidungszuständigkeit zu entsprechen, in Verkennung der Rechtslage von einer Sachentscheidung Abstand genommen hat, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 9. April 2024