Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag. a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 22. November 2018, VGW 151/011/14651/2018 2, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: A D S, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Der Mitbeteiligte, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 15. November 2017 bei der Österreichischen Botschaft Teheran einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Studierende“ (nunmehr „Studenten“) gemäß § 64 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).
2 Mit Bescheid vom 18. Juli 2018 wies der Landeshauptmann von Wien (Revisionswerber) diesen Antrag gemäß § 11 Abs. 2 NAG ab, weil kein ausreichender Nachweis über die Herkunft der Geldmittel erbracht worden sei, zum Entscheidungszeitpunkt kein Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft vorliege und die vorgelegte Krankenversicherung nicht einem alle Risken abdeckenden und vollleistungspflichtigen Krankenversicherungsschutz in Österreich entspreche. Besondere berücksichtigungswürdige Umstände gemäß § 11 Abs. 3 NAG iVm Art. 8 EMRK hätten nicht festgestellt werden können.
3 Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Verwaltungsgericht Wien (VwG) der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde statt, behob den Bescheid und verwies ihn gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG an den Revisionswerber zurück. Weiter erklärte das VwG die ordentliche Revision für zulässig, weil keine einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 VwGVG vorliege (Hinweis auf VwGH 5.5.2015, Ra 2015/22/0056,0057; 12.10. 2015, Ra 2015/22/0115).
Begründend führte das VwG aus, der Revisionswerber habe keinerlei Ermittlungsschritte hinsichtlich der besonderen Erteilungsvoraussetzungen (Feststellungen zum Vorstudienlehrgang, Zulassungsbescheid einer universitären Einrichtung) und allfälliger Versagungsgründe (insbesondere Prüfung des Leumundes, Gefährdungsprognose sowie der persönlichen Dokumente) gesetzt. Im Hinblick auf eine alle Risken abdeckenden Krankenversicherung habe der Revisionswerber eine spezifische sachverhaltsbezogene Feststellung unterlassen und auch bei der gemäß Art. 8 EMRK gebotene Abwägung lediglich § 11 Abs. 3 NAG zitiert, ohne die persönlichen Umstände des Mitbeteiligten einfließen zu lassen. Bei der Beurteilung der finanziellen Grundlagen fehle die nach der Judikatur gebotene Zukunftsprognose (§ 11 Abs. 2 Z 4 NAG). Letztlich habe der Revisionswerber zu Unrecht den Abweisungsgrund des fehlenden Nachweises eines Rechtsanspruches auf eine Unterkunft für Studenten herangezogen. Damit lägen krasse Ermittlungsfehler vor, die eine meritorische Entscheidung durch das VwG ausschließe.
4 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende ordentliche Amtsrevision.
5 Der Mitbeteiligte beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 In seiner Zulässigkeitsbegründung führt der Revisionswerber unter Hinweis auf die zahlreichen aktenkundigen Unterlagen, die eine brauchbare Grundlage für eine Entscheidung in der Sache dargestellt hätten, aus, das VwG sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG abgewichen.
7 Die Revision erweist sich im Hinblick auf das damit wie unten näher darzutun ist aufgezeigte gehäufte Verkennen des Vorliegens von Gründen für eine Aufhebung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGG als zulässig und begründet.
8 Nach ständiger hg. Rechtsprechung zu § 28 VwGVG normiert diese Bestimmung einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Zudem hat das Verwaltungsgericht wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt festhielt nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt (vgl. VwGH 25.4.2019, Ra 2018/22/0177, Rn 7, mwN).
Von dieser Rechtsprechung wich der Verwaltungsgerichtshof entgegen der Auffassung des VwG auch nicht in den Entscheidungen VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115 und 5.5.2015, Ra 2015/22/0056 ab. Es trifft zwar zu, dass in diesen Verfahren das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung verneint wurde und die Revisionen jeweils zurückgewiesen wurden; allerdings lagen diesen Verfahren keine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zugrunde, sondern eine Behebung der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG. Der Verwaltungsgerichtshof bestätigte diese Vorgehensweise, nämlich eine ersatzlose Behebung des Bescheides, weil das VwG nur über die Rechtmäßigkeit von Zurückweisungen zu entscheiden hatte, sodass es ihm verwehrt war, eine inhaltliche Entscheidung zu treffen. Eine solche Fallkonstellation liegt im gegenständlichen Verfahren jedoch nicht vor. Eine uneinheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 VwGVG wurde damit nicht aufgezeigt.
9 Wenn das VwG die Zurückverweisung damit begründet, der Revisionswerber habe keine Ermittlungsschritte hinsichtlich der besonderen Erteilungsvoraussetzungen gesetzt, so ist dem entgegenzuhalten, dass den Verwaltungsakten ein Bescheid der Universität Wien vom 10. Jänner 2017 betreffend den Antrag des Mitbeteiligten auf Zulassung zum Studium beiliegt. Anhand dessen wäre dem VwG eine Beurteilung möglich gewesen, ob dieser Bescheid eine Aufnahmebestätigung gemäß § 64 Abs. 1 Z 2 iVm § 8 Z 8 lit. a NAG DV darstellt und der Mitbeteiligte damit die besondere Erteilungsvoraussetzung erfüllt oder nicht (vgl. zum Vorliegen einer Aufnahmebestätigung etwa VwGH 8.10.2019, Ra 2019/22/0161, Rn. 9).
10 Darüber hinaus fehlt auch hinsichtlich der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen im Hinblick auf die zahlreichen im Akt befindlichen Dokumente (ua. ein iranischer Reisepass des Mitbeteiligten, eine Geburtsurkunde, ein Führungszeugnis, eine Bankbestätigung über ein näher genanntes Sparguthaben des Mitbeteiligten, eine Verpflichtungserklärung, eine Gewerbeerlaubnis, eine Geburtsurkunde und Bankbestätigung betreffend seines Onkels, zwei Benützungsverträge für eine Unterkunft und eine Schengen Reisekrankenversicherung) und das Schreiben des Revisionswerbers vom 1. Juni 2018, in dem der Mitbeteiligte über das Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt wurde, eine nachvollziehbare Begründung, worin aus Sicht des VwG besonders gravierende Ermittlungslücken im Sinn des § 28 Abs. 3 VwGVG vorlägen.
11 Wenn das VwG argumentiert, der Revisionswerber habe sowohl im Hinblick auf die Krankenversicherung als auch hinsichtlich der Abwägung gemäß Art. 8 EMRK iVm § 11 Abs. 3 NAG eine „sachverhaltsbezogene Spezifizierung“ unterlassen, so wird auf die hg. Rechtsprechung verwiesen, wonach selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Aufhebung und Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden mündlichen Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind (vgl. VwGH 25.4.2019, Ra 2017/22/0067, Rn. 7.1).
12 Der Vorwurf, der Revisionswerber habe den Abweisungsgrund des Nachweises eines Rechtsanspruches auf eine Unterkunft (§ 11 Abs. 2 Z 2 NAG iVm § 64 Abs. 1 Z 1 NAG) zu Unrecht herangezogen, ist nicht berechtigt, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionswerbers (18. Juli 2018) diese Erteilungsvoraussetzung noch zu prüfen war; sie fiel erst durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2018, BGBl. I Nr. 56/2018, das am 1. September 2018 in Kraft trat, weg. Darüber hinaus rechtfertigte auch der Umstand, dass das VwG die rechtliche Beurteilung durch den Revisionswerber als unrichtig erachtet, für sich genommen nicht eine Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG (vgl. VwGH 17.9.2019, Ra 2019/22/0059, Rn. 9).
13 Auch aus dem Hinweis, dass es zu einer Verkürzung des Instanzenzuges käme, weil das VwG die Erteilungsvoraussetzungen erstmals prüfe, ist für den angefochtenen Beschluss nichts zu gewinnen, weil es gerade der Zielsetzung des Gesetzgebers entspricht, einen neuerlichen Instanzenzug durch kassierende Entscheidungen des VwG zu vermeiden (vgl. VwGH 14.11.2019, Ra 2018/22/0276, Rn. 15).
14 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
15 Kosten waren nicht zuzusprechen, weil der Mitbeteiligte gemäß § 47 Abs. 3 VwGG nur im Fall der Abweisung der Revision Anspruch auf Aufwandersatz hätte.
Wien, am 14. Mai 2020