JudikaturVwGH

Ra 2022/04/0031 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
27. Juli 2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofrätin Mag. Hainz Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision der S GmbH in W, vertreten durch die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Mölker Bastei 5, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 25. Jänner 2022, Zl. LVwG 851652/6/Bm, betreffend Genehmigung der Änderung einer Betriebsanlage nach der GewO 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Steyr Land; mitbeteiligte Partei: W E in W, vertreten durch Dr. Ewald Wirleitner, Mag. Claudia Oberlindober und Mag. Harald Gursch, Rechtsanwälte in 4400 Steyr, Stelzhamerstraße 2), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

I.

1 1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land (belangte Behörde) vom 5. Juli 2021 wurde der revisionswerbenden Partei die gewerbebehördliche Genehmigung für die Änderung ihrer bestehenden Betriebsanlage in der Gemeinde W durch Erhöhung der Betriebsdauer und der Traktorzufahrten erteilt.

2 Dagegen erhob der Mitbeteiligte (als Nachbar der Anlage) Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) und brachte unter anderem vor, dass bei der Beurteilung der zu erwartenden Lärmemissionen auf die südliche Grenze seines Grundstückes und nicht auf den von der Projektwerberin (revisionswerbenden Partei) gewählten Messpunkt abzustellen sei. Nach der Rechtsprechung dürfe nämlich schon an der Grundstücksgrenze keine das örtlich zumutbare Maß übersteigende Belästigung eintreten. Auch seien die von der zu genehmigenden Betriebsanlage ausgehenden Immissionen unter Zugrundelegung jener Situation zu beurteilen, in der diese Immissionen für den Nachbarn am ungünstigsten seien. Das gegenständliche Projekt sei zudem insofern mangelhaft, als es von unrichtigen Ist Werten am Messpunkt 4 zur Tageszeit ausgehe. Hinsichtlich Staub, Abgase und Luftreinhaltung sehe das Projekt schließlich keine Einschränkung der zu und abfahrenden Fahrzeuge auf solche mit Abgasgrenzwerten vor.

3 2.1. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 25. Jänner 2022 gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde insofern Folge, als es den Bescheid der belangten Behörde aufhob und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Behörde zurückverwies. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

4 2.2. Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der angefochtene Genehmigungsbescheid stütze sich auf § 81 GewO 1994. Die Behörde habe hier zu prüfen, ob durch die Änderung der bestehenden Betriebsanlage zu erwarten sei, dass Gefährdungen im Sinn des § 74 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinn des § 74 Abs. 2 Z 2 bis 5 GewO 1994 auf ein zumutbares Maß beschränkt würden. Maßstab für diese Beurteilung seien die tatsächlichen örtlichen Verhältnisse. Zu beachten sei dabei, dass dieses Ist Maß auch konsensgemäße Immissionen bereits genehmigter Anlagen bzw. Anlagenteile umfasse. Zum Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde über die gegenständlichen Änderungen habe der Zurkenntnisnahme Bescheid vom 17. Mai 2019 noch dem Rechtsbestand angehört, weshalb bei der Beurteilung der möglichen Veränderung der bestehenden Ist-Situation auch davon ausgehende Emissionen dem Ist Maß zuzurechnen gewesen seien. Nunmehr habe sich die Sachlage jedoch insofern geändert, als mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 8. Oktober 2021 die angezeigten Änderungen im Grunde des § 81 Abs. 2 Z 7 GewO 1994 nicht zur Kenntnis genommen und gleichzeitig der Betrieb untersagt worden sei. Sohin fehle im gegenständlichen Verfahren der von der belangten Behörde bei der Beurteilung der Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse angenommene Bezugspunkt.

5 Damit stehe der maßgebliche Sachverhalt nicht in einer Art und Weise fest, der eine abschließende Beurteilung ermögliche, ob durch den Betrieb der gegenständlichen Änderungen Belästigungen oder Gesundheitsgefährdungen zu besorgen seien bzw. ob die Vorschreibung von zusätzlichen Auflagen erforderlich sei.

6 Hinzu komme, dass nunmehr bei der belangten Behörde von der revisionswerbenden Partei wiederum Änderungen gemäß § 81 Abs. 2 Z 7 GewO 1994 angezeigt worden seien, die sich ebenfalls auf die gegenständlichen Änderungen (Erhöhung der Anlagenbetriebsdauer und der Traktorzufahrten) beziehen würden.

7 Unter Beachtung der nunmehr bei der belangten Behörde anhängigen Anzeigen der revisionswerbenden Partei, die ausgehend vom ursprünglichen Genehmigungsstand einer gemeinsamen Beurteilung unterliegen würden, sei davon auszugehen, dass die Behebung des Bescheides und die Zurückverweisung an die Behörde zur neuerlichen Entscheidung unter dem Blickwinkel der Verfahrensdauer und Kostenersparnis zulässig sei. Im besonders gelagerten gegenständlichen Fall sei nicht ersichtlich, dass vollständige Sachverhaltsermittlungen durch das Verwaltungsgericht eine Kostenersparnis (in welche Richtung auch immer) bewirken könnten.

8 3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Im eingeleiteten Vorverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

II.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 1. In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vorgebracht, dass der angefochtene Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 VwGVG abweiche. Das Verwaltungsgericht habe bloß behauptet, aber nicht begründet, dass eigene Sachverhaltsermittlungen keine Kostenersparnis bewirken könnten. Es sei dabei vom Verwaltungsgericht negiert worden, dass eine Beurteilung der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse durchaus möglich gewesen wäre, zumal die belangte Behörde bereits ein gewerbetechnisches Amtssachverständigengutachten eingeholt hätte. Kostenersparnis und größere Raschheit wäre schon deshalb gegeben gewesen, weil die belangte Behörde Ermittlungen auf Sachverständigenebene durchgeführt hätte, die vom Verwaltungsgericht lediglich zu ergänzen gewesen wären. Die Begründung des Verwaltungsgerichts sei vage, weil nicht dargelegt werde, welche weiteren Ermittlungen fehlen würden, sondern lediglich die Fortsetzung des begonnenen Ermittlungsverfahrens und die neuerliche Entscheidung gefordert werde. Mit diesem „Auftrag“ würden letztlich keine Ermittlungslücken aufgezeigt, die den eigenen Ermittlungshorizont des Verwaltungsgerichts übersteigen würden.

11 2. Die Revision erweist sich in Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig und aus nachstehenden Erwägungen auch als begründet.

12 3.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, ausgesprochen, dass sich die Anwendbarkeit der Zurückverweisungsbestimmung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht auf die von § 28 Abs. 2 VwGVG erfassten Fälle erstreckt. Eine Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Verwaltungsbehörde kommt erst dann in Betracht, wenn die in § 28 Abs. 2 VwGVG normierten Voraussetzungen, die eine Pflicht des Verwaltungsgerichtes zur „Entscheidung in der Sache selbst“ nach sich ziehen, nicht vorliegen. Ebenso sieht § 28 Abs. 4 VwGVG für den Fall der Ermessensübung durch die Verwaltungsbehörde lediglich dann eine bloße Aufhebung des angefochtenen Bescheides samt Zurückverweisung der Angelegenheit an die Verwaltungsbehörde zur Erlassung eines neuen Bescheides vor, wenn die Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG nicht vorliegen. § 28 VwGVG, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

13 Ebenso hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt hervorgehoben, dass die erforderliche Ergänzung eines Gutachtens bzw. Befragung von Sachverständigen oder überhaupt die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens im Allgemeinen nicht die Zurückweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen (vgl. etwa VwGH 22.6.2016, Ra 2016/03/0027, und VwGH 29.11.2021, Ra 2021/03/0286, beide mwN).

14 Zudem kommt es nach der Rechtslage unter dem Blickwinkel der vom Verwaltungsgericht herausgekehrten Gesichtspunkte der Verfahrensdauer und der Kostenersparnis nicht darauf an, ob eine Verfahrensergänzung für sich genommen jeweils vor dem Verwaltungsgericht bzw. vor der Verwaltungsbehörde mit höheren Kosten oder einer längeren Verfahrensdauer verbunden wäre, zumal in diesem Zusammenhang nicht lediglich auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist (vgl. VwGH 25.4.2018, Ra 2018/03/0005).

15 3.2. Es ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar, dass die belangte Behörde bloß ansatzweise ermittelt oder lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt hätte.

16 Das Verwaltungsgericht führte zwar mit näherer Begründung aus, dass der maßgebliche Sachverhalt für eine abschließende Beurteilung nicht feststehe und vollständige Sachverhaltsermittlungen durch das Verwaltungsgericht keine Kostenersparnis bewirken könnten.

Damit wird vom Verwaltungsgericht aber nicht dargetan, dass es sich bei den angenommenen Mängeln um krasse bzw. besonders gravierende Ermittlungslücken der belangten Behörde im Sinn der oben wiedergegebenen Rechtsprechung handeln würde.

17 4. Indem das Verwaltungsgericht dem oben Gesagten zuwider den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit an die belangte Behörde zurückverwiesen hat, hat es seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet. Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

18 Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. Juli 2022

Rückverweise