Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25. August 2021, W240 2245534 1/3E, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 30. September 2021, W240 2245534 1/5Z, betreffend ein befristetes Aufenthaltsverbot (mitbeteiligte Partei: A S), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Dem Mitbeteiligten, einem serbischen Staatsangehörigen, war infolge seiner Eheschließung mit einer italienischen, ihre Freizügigkeit in Österreich ausübenden Staatsangehörigen am 9. Mai 2018 eine Aufenthaltskarte ausgestellt worden.
2 Mit Erledigung vom 22. Juni 2021 räumte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem in Strafhaft angehaltenen Mitbeteiligten unter Hinweis auf von ihm begangene Straftaten und die deshalb rechtskräftig erfolgten strafgerichtlichen Verurteilungen die Möglichkeit einer Stellungnahme zu einer deshalb beabsichtigten aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein und es ersuchte um die Beantwortung näher dargestellter Fragen (unter anderem) zu seinen Straftaten sowie zu seinen persönlichen und familiären Verhältnissen. Hierauf erfolgte innerhalb der gesetzten Frist von 14 Tagen keine Reaktion.
3 In der Folge erließ das BFA gegen den Mitbeteiligten mit Bescheid vom 27. Juli 2021 gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Unter einem sprach das BFA aus, dass dem Mitbeteiligten gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt werde, erkannte allerdings einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA VG die aufschiebende Wirkung ab.
4 Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten, in der insbesondere unter Hinweis auf seine bislang unterbliebene Einvernahme, näher dargestellte private und familiäre Bindungen sowie das Erfordernis eines persönlichen Eindrucks vor der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt worden war, behob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Beschluss vom 25. August 2021 gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG den Bescheid des BFA vom 27. Juli 2021 und verwies die Angelegenheit an das BFA zurück. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 30. September 2021 aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende der Sache nach: außerordentliche Amtsrevision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen der Mitbeteiligte eine Äußerung erstattete, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen hat:
6 Zur Zulässigkeit der Amtsrevision macht das BFA im Sinne des Begründungserfordernisses nach § 28 Abs. 3 VwGG zusammengefasst geltend, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur eingeschränkten Möglichkeit einer Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen (Hinweis auf das grundlegende Erkenntnis VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, und daran anschließende Judikate).
7 Dieser Einwand trifft wie die weiteren Ausführungen zeigen zu, weshalb sich die Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG als zulässig und auch als berechtigt erweist.
8 Das BVwG erachtete die Voraussetzungen für die von ihm ausgesprochene Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGG den Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung zufolge in erster Linie deshalb für gegeben, weil der vom BFA festgestellte Sachverhalt in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig sei und es nicht im Sinne des Gesetzes liege, dass das BVwG erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittle und beurteile, somit seiner umfassenden Kontrollbefugnis nicht nachkommen könne. Das BFA werde im fortgesetzten Verfahren daher die Einvernahme des Mitbeteiligten, etwa zu seinem (strafbaren) Verhalten und den (insbesondere familiären) Lebensverhältnissen in Österreich, durchzuführen haben.
9 Dabei ließ das BVwG jedoch die diesbezügliche ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes außer Acht, wonach der letztgenannte Umstand nicht zur Zurückverweisung berechtigt, weil es grundsätzlich auch immer Aufgabe des BVwG ist, sich vor Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Rahmen einer mündlichen Verhandlung selbst einen persönlichen Eindruck vom Fremden zu verschaffen, sofern nicht ausnahmsweise ein eindeutiger Fall gegeben ist (vgl. etwa VwGH 22.12.2020, Ra 2020/21/0438, Rn. 10, mwN).
10 Dazu kommt, dass das BFA dem Mitbeteiligten ohnehin eine schriftliche Äußerungsmöglichkeit (siehe Rn. 2) eingeräumt hatte, sodass nicht gesagt werden kann, es habe insoweit jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt. Vielmehr war die unterlassene Mitwirkung des Mitbeteiligten im Verfahren vor dem BFA dafür kausal, dass in der Beschwerde erstmals vorgebrachte Tatsachen soweit sie nicht dem Neuerungsverbot des § 20 Abs. 1 BFA VG unterlagen die Notwendigkeit von Ermittlungen des BVwG, zweckmäßigerweise im Rahmen der durchzuführenden mündlichen Verhandlung, auslösten (vgl. zum Ganzen neuerlich etwa VwGH 22.12.2020, Ra 2020/21/0438, nunmehr Rn. 12, mwN).
11 Ebenso ist aus dem der Sache nach vorgenommenen Hinweis des BVwG auf eine „Verkürzung des Instanzenzuges“ nichts zu gewinnen, hat doch der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach festgehalten, dass es vielmehr der Zielsetzung des Gesetzgebers entspricht, einen neuerlichen Instanzenzug durch kassierende Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes zu vermeiden (vgl. etwa VwGH 26.3.2015, Ro 2015/22/0011, und darauf Bezug nehmend VwGH 14.11.2019, Ra 2018/22/0276, Rn. 15).
12 Infolge Fehlens relevanter, eine Zurückverweisung rechtfertigender Umstände war der angefochtene Beschluss daher in Stattgebung der Amtsrevision gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 22. Februar 2022