JudikaturVwGH

Ra 2021/03/0286 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
29. November 2021

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Nedwed als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Landeshauptfrau von Niederösterreich gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 15. September 2021, LVwG AV 1012/006 2019, LVwG AV 1013/001 2019, LVwG AV 1014/001 2019, LVwG AV 1015/001 2019, LVwG AV 1016/001 2019, LVwG AV 1017/001 2019, LVwG AV 1018/001 2019, betreffend die Kostentragung für die Sicherung von Eisenbahnkreuzungen (mitbeteiligte Parteien: 1. Land Niederösterreich, vertreten durch Dr. Andrew P. Scheichl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 20/8 9 und 2. Ö AG in W, vertreten durch Walch/Zehetbauer/Motter Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Biberstraße 11), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Die zweitmitbeteiligte Partei (im Folgenden: Ö) ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Eigentümerin bzw. Betreiberin der Schieneninfrastruktur der Eisenbahnstrecke Floridsdorf Unter Retzbach Staatsgrenze. Diese Eisenbahnstrecke wird an sieben im angefochtenen Beschluss näher umschriebenen Stellen von Landesstraßen des Landes Niederösterreich (der erstmitbeteiligten Partei) gekreuzt.

2 Mit Bescheiden vom 13., 28. und 30. April 2015 ordnete der Landeshauptmann von Niederösterreich an, diese Eisenbahnkreuzung mit näher genannten Sicherungsanlagen zu sichern.

3 Mit Schriftsatz vom 17. April 2018 stellte die Ö für diese Eisenbahnkreuzungen bei der Landeshauptfrau von Niederösterreich den Antrag auf behördliche Kostenentscheidung gemäß § 49 Abs. 2 iVm § 48 Abs. 2 bis 4 Eisenbahngesetz 1957.

4 Die Landeshauptfrau von Niederösterreich holte dazu Gutachten der gesetzlich vorgesehenen Sachverständigenkommission ein.

5 Gestützt auf die Ergebnisse dieser Gutachten setzte die Landeshauptfrau von Niederösterreich mit Bescheiden jeweils vom 28. August 2019 die mit der Errichtung sowie der Erhaltung und Inbetriebhaltung der Sicherungsanlage verbundenen Kosten fest, ordnete eine Kostenaufteilung zwischen der Ö und dem Land Niederösterreich an und verpflichtete das Land Niederösterreich, der Ö näher genannte Beträge zu zahlen.

6 Aufgrund der gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden des Landes Niederösterreich hob das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss die Bescheide der Landeshauptfrau von Niederösterreich vom 28. August 2019 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Landeshauptfrau von Niederösterreich zurück. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

7 Begründend hielt das Verwaltungsgericht zusammengefasst fest, die im Behördenverfahren eingeholten Gutachten der Sachverständigenkommission, welche die Behörde ihren Bescheiden zu Grunde gelegt habe, seien aus näher dargestellten Gründen nicht schlüssig und nachvollziehbar. Die Landeshauptfrau von Niederösterreich hätte entweder die Sachverständigenkommission auffordern müssen, ihre Gutachten zu ergänzen, oder alternativ andere (Amts )Sachverständige für die jeweiligen Fachgebiete beiziehen müssen, um den Sachverhalt so weit zu klären, dass darauf tragfähige behördliche Entscheidungen hätten gegründet werden können. Indem sie dies unterlassen habe, habe die belangte Behörde bloß ansatzweise ermittelt, wobei die Einholung der Gutachten in der vorliegenden Form ungeeigneten Ermittlungsschritten gleichzuhalten sei und deutliche Hinweise darauf vorlägen, dass die belangte Behörde die Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts dem Gericht zu überantworten gedacht habe. Festzuhalten sei, dass beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zahlreiche Beschwerden in eisenbahnrechtlichen Angelegenheiten anhängig geworden seien, welche sich gegen Bescheide der belangten Behörde richteten. Diesen seien gehäuft die in den gegenständlichen Fällen aufgezeigten Ermittlungsmängel zu entnehmen. Das Gericht habe sich signifikant öfter als in anderen Materien veranlasst gesehen, die betreffenden Entscheidungen gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben. Angesichts dessen habe sich beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich der Eindruck verdichtet, dass die belangte Behörde systematisch schwierige Ermittlungen unterlasse, um diese gänzlich ins Beschwerdeverfahren zu delegieren. Aus den genannten Gründen sei der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Landeshauptfrau von Niederösterreich zurückzuverweisen.

8 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der Landeshauptfrau von Niederösterreich, die zur Zulässigkeit unter anderem vorbringt, das Verwaltungsgericht sei von der (näher bezeichneten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu seiner meritorischen Entscheidungspflicht gemäß § 28 VwGVG abgewichen.

9 Die erstmitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurück bzw. Abweisung der Revision beantragte. Die zweitmitbeteiligte Partei brachte eine als „Revisionsbeantwortung“ bezeichnete Stellungnahme ein, in der sie lediglich die Gutachten der Sachverständigenkommission als ausreichend und richtig bezeichnete und keine weiteren Anträge stellte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 Die Revision ist im Sinne des angeführten Zulassungsvorbringens zulässig und begründet.

11 Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung (beginnend mit VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063), dass die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Zurückverweisung einer Rechtssache an die Verwaltungsbehörde eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt hervorgehoben, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.

13 Zwar kann sich im Rahmen der Verhandlung auch herausstellen, dass die noch fehlenden Ermittlungen einen Umfang erreichen, der eine Behebung und Zurückverweisung erlaubt. Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass eine erforderliche Ergänzung eines Gutachtens bzw. Befragung von Sachverständigen oder überhaupt die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens im Allgemeinen nicht die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 12.4.2018, Ra 2017/04/0061, mwN).

14 Im gegenständlichen Fall hat das Verwaltungsgericht zwar Mängel der eingeholten Gutachten der Sachverständigenkommission und der darauf aufbauenden Bescheide der belangten Behörde aufgezeigt. Dass diese Mängel im Sinne der dargestellten höchstgerichtlichen Rechtsprechung eine Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde gerechtfertigt hätten, vermag das Verwaltungsgericht aber nicht darzulegen.

15 Wenn das Verwaltungsgericht ausführt, es sei nur ansatzweise ermittelt worden, ist zu erwidern, dass die belangte Behörde jedenfalls die gesetzlich vorgesehenen Gutachten eingeholt hat. Die weitere Erwägung des Verwaltungsgerichts, es lägen „deutliche Hinweise darauf vor, dass die belangte Behörde im konkreten Fall die Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes dem Gericht zu überantworten gedachte“, lässt sich weder anhand der Begründung der Entscheidung noch des Akteninhaltes nachvollziehen. Allein der Umstand, dass beim Verwaltungsgericht mehrere eisenbahnrechtliche Verfahren anhängig sind oder waren, in denen das Gericht die eingeholten Gutachten ebenfalls für unzureichend angesehen hat, um darauf tragfähige Kostenentscheidungen zu gründen, reicht nicht aus, um den Schluss des Verwaltungsgerichts zu rechtfertigen, die Verwaltungsbehörde habe Ermittlungen unterlassen, um diese an das Verwaltungsgericht zu delegieren. Dieser Sichtweise tritt die Amtsrevision auch ausdrücklich entgegen und verweist - unwiderlegt - darauf, dass sie lediglich einen anderen Rechtsstandpunkt zur Eignung der Gutachten eingenommen habe.

16 Der Verwaltungsgerichtshof weist abschließend darauf hin, dass der auch in dieser Entscheidung eingenommene Rechtsstandpunkt des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich schon in mehreren Vorentscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes für unzutreffend erachtet worden ist (vgl. zuletzt etwa VwGH 6.10.2021, Ra 2021/03/0142) und das Verwaltungsgericht, wie oben dargestellt, keine ergänzenden Gründe anzuführen vermag, die seine Überlegungen stützen würden.

17 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 29. November 2021

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