Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofrätin Mag. Hainz Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision des Mag. T S in W, vertreten durch die Singer Musil Singer Rechtsanwälte OG in 1190 Wien, Döblinger Hauptstraße 68, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 3. Dezember 2020, Zl. LVwG S 1453/001 2020, betreffend eine Übertretung der Gewerbeordnung 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Mistelbach), zu Recht erkannt:
Spruch
1. Die Revision wird, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet, als unbegründet abgewiesen.
2. Im Übrigen hinsichtlich des Straf- und Kostenauspruches wird der Revision Folge gegeben und wie folgt entschieden:
Das mit dem angefochtenen Erkenntnis mit einer näher bezeichneten Maßgabe bestätigte erstinstanzliche Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach vom 4. Juni 2020, Zl. MIS2 V 20 7365/5, wird wie folgt geändert:
Die verhängte Geldstrafe wird gemäß § 367 Z 1 GewO 1994 in Verbindung mit § 20 VStG mit € 200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 24 Stunden) und der Beitrag zu den Kosten des erstinstanzlichen Strafverfahrens gemäß § 64 Abs. 1 und 2 VStG mit € 20,-- festgesetzt.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
I.
1 1.Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 4. Juni 2020 wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, er habe es als das gemäß § 9 VStG für die Vertretung nach außen hin berufene Organ der K [...] Immobilienentwicklungs GmbH in M zu verantworten, dass die genannte Gesellschaft nach Ausscheiden des gewerberechtlichen Geschäftsführers am 13. Juli 2019 ihrer Verpflichtung, innerhalb eines halben Jahres einen gewerberechtlichen Geschäftsführer namhaft zu machen, nicht nachgekommen sei. Die genannte Gesellschaft habe daher seit dem 13. Jänner 2020 bis zumindest 10. Februar 2020 das Gewerbe „Immobilientreuhänder (Immobilienmakler, Immobilienverwalter, Bauträger), eingeschränkt auf Immobilienmakler“ ohne Namhaftmachung eines gewerberechtlichen Geschäftsführers ausgeübt. Der Revisionswerber habe dadurch gegen § 367 Z 1 GewO 1994 verstoßen. Wegen dieser Verwaltungsübertretung werde über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von € 400,(Ersatzfreiheitsstrafe: 48 Stunden) verhängt. Der vorgeschriebene Kostenbeitrag gemäß § 64 Abs. 2 VStG betrage € 40, .
2 2.1. Der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers gab das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis insofern Folge, als die Tatzeit von 13. Jänner bis 10. Februar 2020 auf nunmehr 14. Jänner bis 10. Februar 2020 eingeschränkt werde und somit im Spruch der Ausdruck „13.01.“ jeweils auf „14.01.“ abgeändert und die verhängte Strafe von € 400, (Ersatzfreiheitsstrafe von 48 Stunden) auf nunmehr € 380, (Ersatzfreiheitsstrafe von 44 Stunden) herabgesetzt werde.
Die Kosten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens setzte das Verwaltungsgericht mit € 38,-- neu fest.
Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es für nicht zulässig.
3 2.2. In der Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, das durchgeführte Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass die K [...] Immobilienentwicklungs GmbH Gewerbeinhaberin für das Gewerbe „Immobilientreuhänder (Immobilienmakler, Immobilienverwalter, Bauträger), eingeschränkt auf Immobilienmakler“ am Standort in M sei und dieses Gewerbe auch ausgeübt habe bzw. ausübe. Die Berechtigung sei aufrecht und nicht etwa ruhend gestellt worden. Auch ergebe sich aus der näher bezeichneten Homepage dieser Gesellschaft ein Leistungskatalog, der unter den Tätigkeitsbereich des Immobilienmaklers zu subsumieren sei. Beispielsweise würden hier die Koordination aller Leistungen (Kauf, Verkauf, Miete, Vermietung, Pacht, Verpachtung), Verhandlungen mit dem Verkäufer bzw. Interessenten, Begleitung bis zum Vertragsabschluss genannt.
4 Das Verwaltungsgericht habe (in Abwesenheit des Revisionswerbers) eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt und im Zuge dieser durch Verlesung der Verfahrensakten Beweise erhoben. Auf Grund der eindeutigen Aktenlage sei eine Einvernahme des Revisionswerbers nicht notwendig gewesen, weshalb diese habe entfallen können.
5 Die Tatzeit sei um einen Tag zu verkürzen gewesen, weil der Ablauf eines halben Jahres erst mit 13. Jänner 2020, 24:00 Uhr erfolgt sei. Auf Grund der Einschränkung der Tatzeit sei die Strafe geringfügig herabzusetzen gewesen.
6 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
7 Die belangte Behörde erstattete im eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 1.1. In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe offensichtlich die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen gesehen und deshalb eine mündliche Verhandlung anberaumt. Der Revisionswerber habe auch eine Ladung zum Verhandlungstermin erhalten. Dennoch sei die Verhandlung in Abwesenheit des Revisionswerbers durchgeführt worden. Nachdem dieser ein Vertagungsersuchen eingebracht habe, sei das Verwaltungsgericht auf Grund der „eindeutigen Aktenlage“ davon ausgegangen, dass eine Einvernahme des Revisionswerbers nicht mehr notwendig sei.
Der Revisionswerber habe die Teilnahme an der an einem öffentlichen Ort abgehaltenen Verhandlung auf Grund der (damals) herrschenden Covid 19 Pandemie für ihn als „lebensgefährlich“ eingestuft. Die berechtigte Angst, sich mit dem neuartigen Virus zu infizieren, habe den Revisionswerber an der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung gehindert, weil sich dieser schon im Zuge der Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln einem enormen Gesundheitsrisiko hätte aussetzen müssen. Deswegen greife auch das (im Vorfeld geäußerte) Argument des Verwaltungsgerichts nicht, dass alle Vorkehrungen zur Durchführung einer Verhandlung trotz der Pandemie getroffen würden. Dem Revisionswerber sei eine Teilnahme an der Verhandlung unter derartigen Umständen nicht zumutbar gewesen.
Es stelle sich daher die Rechtsfrage, ob auf Grund der Pandemie und der dargestellten Situation das Bestehen eines „sonstigen begründeten Hindernisses“ zu bejahen sei, das ein Fernbleiben von der Verhandlung gemäß § 19 Abs. 3 AVG rechtfertige.
9 1.2. Die Revision ist aus den vorgebrachten Gründen zulässig. Sie erweist sich aus nachstehenden Erwägungen jedoch nur teilweise als begründet.
10 2.§ 19 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51 in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise wie folgt:
„ Ladungen
§ 19. (1) Die Behörde ist berechtigt, Personen, die in ihrem Amtsbereich ihren Aufenthalt (Sitz) haben und deren Erscheinen nötig ist, vorzuladen.
(2) [...]
(3) Wer nicht durch Krankheit, Behinderung oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, hat die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten und kann zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden. Die Anwendung dieser Zwangsmittel ist nur zulässig, wenn sie in der Ladung angedroht waren und die Ladung zu eigenen Handen zugestellt war; sie obliegt den Vollstreckungsbehörden.
(4) [...]“
11Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hindert das Nichterscheinen einer Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung die Durchführung der Verhandlung nicht (vgl. § 17 VwGVG iVm. § 42 Abs. 4 AVG). Voraussetzung für die Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Partei ist eine „ordnungsgemäße Ladung“. Davon kann dann nicht gesprochen werden, wenn einer der in § 19 Abs. 3 AVG genannten das Nichterscheinen des Geladenen rechtfertigendenGründe vorliegt. Eine rechtswirksam geladene Partei hat die zwingenden Gründe für ihr Nichterscheinen darzutun. Sie muss etwa im Fall einer Erkrankung nicht nur deren Vorliegen behaupten und dartun, sondern auch die Hinderung am Erscheinen bei der Verhandlung aus diesem Grund. Die Triftigkeit des Nichterscheinens muss überprüfbar sein (vgl. VwGH 27.1.2021, Ra 2020/18/0428, Rn. 12, mwN).
12 3. Die Revision bringt vor, das Verwaltungsgericht habe mit der Anberaumung der mündlichen Verhandlung selbst zum Ausdruck gebracht, dass weitere Ermittlungen erforderlich seien, und den Revisionswerber auch zur Verhandlung geladen. Das Verwaltungsgericht müsse vorgebrachte Behauptungen überprüfen und auf Beweisanträge eingehen. Pauschal jeden Beweisantrag mit einem (bloßen) Verweis auf die Aktenlage zu „zerschlagen“, werde dem nicht gerecht.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat in der Vergangenheit in vergleichbaren Konstellationen, in denen das Verwaltungsgericht ursprünglich selbst von der Notwendigkeit einer näheren Abklärung des maßgeblichen Sachverhalts durch Einvernahme einer Zeugin ausging und in der Folge aber im Widerspruch dazu ohne nachvollziehbare Begründungvon der Einvernahme der beantragten Zeugin absah, einen relevanten Verfahrensmangel erkannt (vgl. etwa VwGH 25.7.2024, Ra 2023/01/0318, Rn. 11 und 14).
14 Im vorliegenden Fall wurde die Einvernahme des Revisionswerbers zum Beweis dafür beantragt, dass im betreffenden Zeitraum weder eine Liegenschaft vermakelt noch sonst eine geschäftliche Handlung gesetzt worden sei, die mit der Tätigkeit eines Maklers in Zusammenhang stünde.
Das Verwaltungsgericht erachtete die Einvernahme des Revisionswerbers angesichts der eindeutigen Aktenlage als nicht mehr notwendig, weil durch die Ankündigung der Leistungen auf der Homepage der K [...] Immobilienentwicklungs GmbH von der Ausübung des gegenständlichen Gewerbes (Immobilienmakler) ausgegangen werden könne.
15Nach § 1 Abs. 4 zweiter Satz GewO 1994 wird das Anbieten einer den Gegenstand eines Gewerbes bildenden Tätigkeit an einen größeren Kreis von Personen oder bei Ausschreibungen der Ausübung des Gewerbes gleichgehalten.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Tatbestand des Anbietens einer gewerblichen Tätigkeit im Sinn dieser Bestimmung dann erfüllt, wenn einer an einen größeren Kreis von Personen gerichteten Ankündigung die Eignung zukommt, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, dass eine unter den Wortlaut der Ankündigung fallende, gewerbliche Tätigkeit entfaltet wird. Ob die angebotene gewerbliche Tätigkeit tatsächlich ausgeübt wurde, ist hingegen nicht von Relevanz, weil bereits das Anbieten der den Gegenstand des Gewerbes bildenden Tätigkeit der Ausübung des Gewerbes gleichzuhalten ist (vgl. zuletzt etwa VwGH 23.8.2024, Ra 2024/04/0326, Rn. 13, mwN).
16 Ausgehend davon kann dem Verwaltungsgericht nicht entgegengetreten werden, wenn es im vorliegenden Fall den maßgeblichen Sachverhalt angesichts der Ankündigung der Leistungen auf der Homepage der K [...] Immobilienentwicklungs GmbH als geklärt ansah und die in diesem Zusammenhang beantragte Einvernahme des Revisionswerbers als nicht mehr notwendig erachtete.
17 Der von der Revision behauptete Begründungsmangel liegt daher nicht vor und die Revision ist somit insoweit unbegründet.
18 3. Allerdings erweisen sich die Strafbemessung und der Ausspruch über die Kosten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens als rechtswidrig:
19 Dem Revisionswerber wurde die Verwaltungsübertretung erstmals mit Strafverfügung vom 12. Februar 2020 vorgeworfen. Nach Erhebung eines Einspruches erging das Straferkenntnis vom 4. Juni 2020. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 3. Dezember 2020 (mit der oben beschriebenen Maßgabe) als unbegründet ab.
20Nach der Rechtsprechung des EGMR und des Verfassungsgerichtshofes ist auch das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof in die zu beurteilende Verfahrensdauer einzurechnen (vgl. VwGH 27.9.2018, Ra 2017/17/0391, Rn. 28, mwN).
21Im vorliegenden Fall beträgt die zu beurteilende Gesamtverfahrensdauer daher mehr als viereinhalb Jahre. Es ist nicht ersichtlich, dass die Verfahrensverzögerung der Sphäre des Revisionswerbers zuzurechnen oder einer ungewöhnlichen Komplexität und Schwierigkeit dieser Rechtssache geschuldet wäre. Die Dauer des vorliegenden Verfahrens ist daher nicht mehr als angemessen im Sinn des Art. 6 Abs. 1 EMRK zu beurteilen.
22Dieser Umstand ist in Anwendung des § 19 VStG in Verbindung mit § 34 Abs. 2 StGB als strafmildernd zu bewerten (vgl. VwGH 14.3.2013, 2011/08/0187, mwN).
23Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Dies trifft im vorliegenden Fall zu, weshalb der Verwaltungsgerichtshof von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat.
24Die verhängte Geldstrafe war daher vom Verwaltungsgerichtshof unter Berücksichtigung des Milderungsgrundes der unangemessen langen Verfahrensdauer unter Anwendung der außerordentlichen Milderung der Strafe nach § 20 VStG auf € 200, und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 24 Stunden herabzusetzen. Dementsprechend waren auch die Kosten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens mit € 20,neu festzulegen (vgl. VwGH 14.10.2022, Ra 2019/04/0021, Rn. 24).
25 4.Der Ausspruch über den Aufwandersatz im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 21. November 2024