1R188/24k – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren **, **, vertreten durch Dr. Christa-Maria Scheimpflug, Rechtsanwältin in Wien, als Verfahrenshelferin, wider die beklagten Parteien 1. B* , geboren **, **, vertreten durch Dr. Manfred Sommerbauer, DDr. Michael Dohr, LL.M., LL.M., Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, 2. C* , geboren **, **, vertreten durch Dr. Veronika Cortolezis, Rechtsanwältin in Wien, wegen EUR 97.047,32 sA, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 4.9.2024, **-45, in nichtöffentlicher Sitzung,
I. durch Mag. Weixelbraun (Vorsitz), Mag a . Klenk und Mag. Eilenberger-Haid beschlossen:
Spruch
Die Berufung wegen Nichtigkeit wird verworfen .
II. durch den Senatspräsidenten Mag. Weixelbraun als Vorsitzenden, die Richterin Mag a . Klenk und den Kommerzialrat Mag. Lintner zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit EUR 2.720,88 (darin EUR 453,48 USt) und der zweitbeklagten Partei die mit EUR 3.890,22 (darin EUR 648,37 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin begehrt von den Beklagten zur ungeteilten Hand EUR 97.047,32 (die begehrten Einzelbeträge sind durch Unterstreichung im Vorbringen hervorgehoben).
Der Erstbeklagte sei als faktischer Geschäftsführer der D* KG ( Gesellschaft ) mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu ** rechtskräftig nach dem Strafsatz des § 158 Abs 1 StGB zu einer bedingten sechsmonatigen Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt worden. Die Klägerin sei mit ihren Ansprüchen gemäß § 366 Abs 2 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen worden.
Der Zweitbeklagte sei Komplementär der Gesellschaft gewesen und habe die Klägerin überredet, als gewerberechtliche Geschäftsführerin tätig zu werden. Sie habe daher mit ihm die am 21.3.2015 zu FN ** eingetragene und am 8.8.2017 gelöschte Gesellschaft gegründet, an der sie als Kommanditistin mit einem Firmenanteil von 75 % inklusive Gewinn- und Verlustteilung beteiligt gewesen sei. Da dem Zweitbeklagten Unterlagen abhanden gekommen seien, habe er am 26.2.2018 die Schätzung der Steuerbemessungsgrundlage 2017 beantragt. Auf Grundlage der dem Finanzamt von Jänner 2017 bis Juli 2017 abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungsdaten sei die Umsatzsteuer gerundet und ohne Erhöhung festgesetzt und mit EUR 30.000 geschätzt worden. Auf Grund des Ergebnisses des Feststellungsbescheids seien in der Einkommenssteuerveranlagung der Klägerin 2017 Einkünfte aus Gewerbebetrieb von EUR 25.000 in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen worden, die sie nie erhalten habe. Diese unkorrekte Vorgangsweise müsse ausschließlich dem Zweitbeklagten zuzurechnen sein.
Als gewerberechtliche Geschäftsführerin der Gesellschaft habe die Klägerin für eine ohne Genehmigung in Betrieb genommene Kälteanlage gehaftet. Gegen sie sei ein rechtskräftiges Verwaltungsstraferkenntnis vom 27.1.2017 zu ** ergangen, mit dem eine Strafe von EUR 560 über sie verhängt worden sei.
Laut Kontoauszug vom 22.4.2023 schulde die Klägerin EUR 7.569,54 an Beiträgen zur Sozialversicherung.
Sie habe einen Kredit von EUR 32.000 als Eigenkapital in die Gesellschaft eingebracht, und weiters am 12.11.2016 einen Kredit bei der E* über EUR 45.000 aufgenommen, mit dem Mietzahlungen für das Geschäft und Rechnungen an Händler bezahlt worden seien.
Bei Arbeitnehmerveranlagungen habe sie wegen Schulden der Gesellschaft im Jahr 2018 EUR 861,18, im Jahr 2019 EUR 1.921,19, im Jahr 2020 EUR 1.861,20, und im Jahr 2021 EUR 964,21, insgesamt EUR 5.607,78 verloren. Im Juli 2016 habe beim Finanzamt eine Abgabennachforderung von EUR 6.310 bestanden. Sie habe EUR 18.000 an Anwaltskosten für die Vertretung als Privatbeteiligte im Strafverfahren gegen den Erstbeklagten gezahlt.
Die Klägerin habe durch die von den Beklagten inkriminierten Handlungen durch ihre Beteiligung an der Gesellschaft als Kommanditistin mit Gewinn- und Verlustbeteiligung von 75 % ihren gut bezahlten Job bei der F* G* mit einem 40-Stundengehalt von EUR 2.200 und einem 30-Stundengehalt von EUR 1.700 ab August 2018 verloren, weil sie aufgrund ihrer posttraumatischen Belastungsstörung nicht mehr arbeitsfähig sei und seither Bezüge vom AMS erhalte.
Der Erstbeklagte beantragte die Abweisung der Klage und wandte ein, das Vorbringen sei nicht nachvollziehbar. Es sei insbesondere nicht ersichtlich, welche der geltend gemachten Forderungen durch ihn verursacht sein sollten. Die Klage sei unschlüssig und allfällige Forderungen bereits verjährt.
Der Zweitbeklagte beantragte die Abweisung der Klage und wandte ein, er habe fast ausschließlich Angestellten- und Hilfstätigkeiten wie etwa das Kassieren, Zustellen von Warenlieferungen oder Einschlichten von Waren verrichtet. Die Leitung des Unternehmens habe die Klägerin als Geschäftsführerin gemeinsam mit dem Erstbeklagten, der als faktischer Geschäftsführer aufgetreten sei, übernommen. Ein Zusammenhang zwischen den von der Klägerin angeführten Schäden und ihm liege nicht vor. Allfällige Forderungen seien verjährt.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ohne Durchführung eines Beweisverfahrens wegen Unschlüssigkeit ab.
Begründend führte es aus, zur Haftung des Erstbeklagten erschöpfe sich die Klagserzählung darin, dass dieser als faktischer Geschäftsführer für die Gesellschaft tätig gewesen und vom Landesgericht für Strafsachen Wien rechtskräftig verurteilt worden sei, wobei die Klägerin mit ihren Ansprüchen gemäß § 366 Abs 2 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen worden sei. Dazu sei jedoch weder vorgebracht worden, auf welchem Sachverhalt die strafrechtliche Verurteilung gründe, noch inwiefern diese mit den geltend gemachten Schadenspositionen in Verbindung stehe. Die gewünschte Rechtsfolge der Haftung des Erstbeklagten scheitere daher schon am Tatsachenvorbringen zur Kausalität seines Verhaltens für den behaupteten Schaden der Klägerin.
Zu den inkriminierten Handlungen des Zweitbeklagten habe die Klägerin vorgebracht, sie sei von diesem zum Tätigwerden als gewerberechtliche Geschäftsführerin überredet worden und habe mit ihm gemeinsam die Gesellschaft gegründet, an der sie zu 75% als Kommanditistin beteiligt gewesen sei. Selbst ausgehend von einer Ursächlichkeit des behaupteten Überredens für diese Beteiligung und Übernahme der Geschäftsführung sowie die im Zusammenhang damit entstandenen Schäden fehle jegliches Tatsachensubstrat dazu, inwiefern der Zweitbeklagte diesbezüglich rechtswidrig und schuldhaft gehandelt habe. Aus der Klagserzählung lasse sich daher auch keine zivilrechtliche Haftung des Zweitbeklagten aus dem Titel des Schadenersatzes ableiten.
Trotz Verbesserungsversuchs in der vorbereitenden Tagsatzung vom 4.9.2024 sei die Klage nicht schlüssig gestellt worden.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin aus den Berufungsgründen der Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem auf Klagsstattgebung gerichteten Abänderungsantrag; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagten beantragen jeweils, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
1. Berufung wegen Nichtigkeit:
1.1 Die Klägerin rügt als Nichtigkeit des Verfahrens gemäß § 477 Abs 1 Z 4 ZPO, dass sie aufgrund eines gesetzwidrigen Zustellvorgangs keine Kenntnis von der Tagsatzung am 4.9.2024 gehabt habe. Das Erstgericht hätte die Klägerin als Partei vernehmen, eine ladungsfähige Adresse der Klägerin recherchieren und der Klagevertreterin einen längeren Zeitraum für die Ermittlung der aktuellen Adresse der Klägerin einräumen müssen.
1.2 Der Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO liegt vor, wenn einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, durch ungesetzlichen Vorgang, insbesondere durch Unterlassung der Zustellung entzogen wurde. Damit dieser Nichtigkeitsgrund gegeben ist, müssen folgende Voraussetzungen zutreffen: a) Ein ungesetzlicher Vorgang, der b) einer Partei c) die Möglichkeit nimmt, d) vor Gericht zu verhandeln. So lange auch nur eine dieser Voraussetzungen fehlt, liegt der Nichtigkeitsgrund nicht vor (RS0042202). Der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO ist also nur bei völligem Ausschluss von der Verhandlung gegeben (RS0107383).
Der Grundsatz des Parteiengehörs fordert nur, dass der Partei ein Weg eröffnet wird, auf dem sie ihre Argumente für ihren Standpunkt sowie überhaupt alles vorbringen kann, was der Abwehr eines gegen sie erhobenen Anspruchs (bzw der Durchsetzung ihres Anspruchs) dienlich ist (RS0006048). In der Nichtvernehmung einer Prozesspartei als Partei zu Beweiszwecken kann schon begrifflich keine Verletzung des rechtlichen Gehörs gelegen sein (RS0042237).
1.3 Im Zuge der Ausschreibung der vorbereitenden Tagsatzung am 4.9.2024 forderte das Erstgericht die geladenen Parteienvertreter im Sinn des § 258 Abs 2 ZPO auf, die Parteien oder informierte Vertreter stellig zu machen; eine Ladung der Klägerin zur Parteienvernehmung erfolgte nicht (ON 38).
1.4 Es liegt daher weder ein ungesetzlicher (Zustell)Vorgang vor noch wurde der Klägerin die Möglichkeit genommen, vor Gericht zu verhandeln. Die zur vorbereitenden Tagsatzung am 4.9.2024 ordnungsgemäß geladene – und erschienene - Rechtsvertreterin der Klägerin hatte die Möglichkeit, Vorbringen zu erstatten und Anträge zu stellen.
1.5 Die Zustellung der Ladung zur vorbereitenden Tagsatzung erfolgte an alle Parteienvertreter am 31.5.2024 (Zustellscheine zu ON 40), sodass die in § 257 Abs 1 ZPO vorgesehene Frist zur Vorbereitung für die Streitverhandlung von drei Wochen bis zur Tagsatzung am 4.9.2024 eingehalten wurde. Ein ungesetzlicher Vorgang, der der Klägerin die Möglichkeit nahm, vor Gericht zu verhandeln, liegt daher auch in diesem Zusammenhang nicht vor.
1.6 Zum Vorbringen, das Erstgericht hätte die Zustelladresse der Klägerin ermitteln müssen, ist festzuhalten, dass nicht ersichtlich ist, gegen welche gesetzlichen Bestimmungen das Erstgericht verstoßen haben sollte. Es ist vielmehr Sache der Parteien und ihrer Vertreter dafür zu sorgen, dass in der vorbereitenden Tagsatzung der Sachverhalt und allfällige Vergleichsmöglichkeiten umfassend erörtert werden können, wozu die Partei oder, soweit diese zur Aufklärung des Sachverhalts nicht beitragen kann, eine informierte Person zur Unterstützung des Vertreters stellig zu machen ist (§ 258 Abs 2 ZPO).
1.7 Das angefochtene Urteil ist daher nicht mit Nichtigkeit behaftet.
2. Zur Verfahrensrüge
2.1 Die Klägerin rügt als Mangelhaftigkeit des Verfahrens, dass das Erstgericht unterlassen habe, sie als Partei zu vernehmen. Hätte das Erstgericht die Verhandlung erstreckt, hätte die Vertreterin der Klägerin die Zustelladresse der Klägerin ermitteln können und die Klägerin hätte als Partei vernommen werden können. Aufgrund dieses Verfahrensmangels habe die Klägerin nicht die Rechtswidrigkeit, das Verschulden und die Kausalität des Verhaltens der Beklagten für den eingetretenen Schaden darlegen können.
2.2 Der Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens ist nur dann gegeben, wenn der Verstoß gegen ein Verfahrensgesetz abstrakt geeignet war, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern (RS0043049; RS0043027). Der Rechtsmittelwerber hat diese abstrakte Eignung darzutun, wenn die Erheblichkeit des Mangels nicht offenkundig ist (RS0043049 [T6]).
2.3 Wie bereits zur Nichtigkeitsberufung ausgeführt, hat das Erstgericht im Zusammenhang mit der Anberaumung und Ladung zur vorbereitenden Tagsatzung am 4.9.2024 keine Verfahrensgesetze verletzt, sodass das Verfahren schon aus diesem Grund nicht mangelhaft ist.
Da Angaben in der Parteiaussage fehlendes Prozessvorbringen nicht ersetzen können (RS0038037; RS0043157), war die Unterlassung der Einvernahme der Klägerin – was hier im konkreten Fall ohnehin keinen Verstoß gegen Verfahrensgesetze begründet - aber auch schon abstrakt nicht geeignet, eine unrichtige Entscheidung des Erstgerichts herbeizuführen.
3. Zur Rechtsrüge
3.1 Die Klägerin wiederholt in der Rechtsrüge in weiten Teilen ihr in erster Instanz erstattetes Vorbringen und meint ohne weitere Begründung, ihr Klagsvorbringen entspreche den Erfordernissen des § 76 ZPO auf knappe und gedrängte Tatsachenbehauptungen und Bezeichnung der Beweismittel; aufgrund des Klagsvorbringens könnte ein Versäumungsurteil ergehen, weshalb es auch schlüssig sei.
3.2 Sie setzt der Rechtsansicht des Erstgerichts, aus den Tatsachenbehauptungen lasse sich die Kausalität des Verhaltens des Erstbeklagten und die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Zweitbeklagten sowie sein Verschulden nicht ableiten, nichts entgegen, sondern beschränkt sich darauf, pauschal die Unrichtigkeit dieser Rechtsansicht zu behaupten. Dies entspricht keiner gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge, die eine Überprüfung der im angefochtenen Urteil vertretenen Rechtsansicht begründen könnte (RS0041719).
3.3 Der Rechtsrüge sind keine Argumente zu entnehmen, aus welchen (rechtlichen) Gründen die Beurteilung des Erstgerichts unrichtig sein sollte. Die nicht näher begründete Behauptung, das Vorbringen in Verbindung mit der strafrechtlichen Verurteilung des Erstbeklagten und der Funktion des Zweitbeklagten als Komplementär der Gesellschaft dokumentiere ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten, das kausal für die von der Klägerin erlittenen Schäden sei, erfüllt nicht die Erfordernisse für eine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge (RS0043605).
3.4 Wenn sich die Klägerin auch in der Rechtsrüge darauf stützt, das Erstgericht habe keine Parteienvernehmung durchgeführt und sich nicht mit den vorgelegten Urkunden befasst, ist erneut darauf zu verweisen, dass fehlendes Prozessvorbringen weder durch Aussagen (siehe 2.3 ) noch durch Urkunden ersetzt werden kann (RS0037915).
4. Der Berufung war daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der vom Zweitbeklagten verzeichnete Streitgenossenzuschlag steht nicht zu (§ 15 Abs 1 RATG). Hinsichtlich des Erstbeklagten war zu berücksichtigen, dass für die Berufungsbeantwortung nach § 23a RATG ein ERV-Zuschlag von lediglich EUR 2,60 gebührt, weil es sich bei Rechtsmittelschriften um Folgeeingaben handelt (RS0126594).
Die Revision ist nicht zulässig, weil eine Rechtsfrage in der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht vorliegt.