8Ob65/25d – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Mag. Malesich als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*, vertreten durch die Eberle Ender Rechtsanwälte OG in Feldkirch, gegen die beklagten Parteien 1. Dr. M*, M.Sc., *, und 2. D* AG *, beide vertreten durch Dr. Horst Lumper, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen 62.420 EUR sA, Feststellung und Auskunft (Gesamtstreitwert 68.420 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 13. Februar 2025, GZ 2 R 1/25a 111, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 14. November 2024, GZ 64 Cg 87/22s 100, in der Hauptsache bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen .
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 2.998,27 EUR (darin 499,71 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die damals 19 ½ Jahre alte Klägerin wurde vom erstbeklagten Zahnarzt, dessen Berufshaftpflichtversicherer nach § 26c ZÄG die Zweitbeklagte ist, kieferorthopädisch behandelt. Der Erstbeklagte riet der Klägerin zur Entfernung aller v ier Weisheitszähne und führte dies in zwei Sitzungen auch durch . Als Folge dieser Behandlungen blieb bei der Klägerin vorerst eine Funktionsstörung eines linksseitigen Gesichtsnervs zurück, eine typische Komplikation der operativen Weisheitszahnentfernung.
Rechtliche Beurteilung
[2]Die Revision der Klägerin ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
[3] 1. Vorauszuschicken ist, dass die Frage der – vom Erstgericht verneinten – Fehlbehandlung nicht mehr Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist; bereits die Berufung der Klägerin hatte sich zur Begründung des von ihr geltend gemachten Schadenersatzanspruchs nur noch auf die von ihr behauptete fehlende Einwilligung in die ärztliche Behandlung gestützt.
[4] 2.1.Nach ständiger Rechtsprechung haftet ein Arzt als Sachverständiger im Sinne des § 1299 ABGB nicht für außergewöhnliche Kenntnisse und außergewöhnlichen Fleiß, wohl aber für die Kenntnisse und den Fleiß, den seine Fachgenossen gewöhnlich haben, also wie ein Durchschnittsarzt, der im Durchschnitt „befriedigende“ Leistungen erbringt (vgl RS0026489 [insb T7]); er hat jene Sorgfalt aufzuwenden, die von einem ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittsarzt in der konkreten Situation erwartet wird, welche nicht über den eigenen medizinischen Verantwortungsbereich hinausreichen muss und kann (vgl RS0038202 [insb auch T16]).
[5] 2.2. Die Verpflichtung des Arztes aus dem Behandlungsvertrag umfasstauch die Pflicht, den Patienten über die Art und Schwere sowie die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen einer Behandlung oder ihrer Unterlassung zu unterrichten; fehlt es daran, so ist die Behandlung grundsätzlich rechtswidrig und der Arzt haftet für nachteilige Folgen, auch wenn der Eingriff selbst – wie hier – medizinisch indiziert gewesen und lege artis durchgeführt worden ist (vgl RS0038176; RS0118355 [T1]; RS0026783; RS0026578; RS0026499; RS0026413). Ein ärztlicher Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten ist nur insoweit nicht rechtswidrig, als die Einwilligung des – das Wesen, die Bedeutung und die Tragweite des ärztlichen Eingriffs und seine möglichen Folgen in ihrenGrundzügen erkennenden – Patienten reicht (vgl RS0026499; RS0026413), wobei abernicht der innere, sondern der erklärte Wille des Patienten maßgebend ist (vgl RS0026473 [insb T2]).
[6]Der Umfang der Aufklärungspflicht im Einzelfall hängt stets von den konkreten Umständen ab (RS0026529 [T18, T21, T30, T31]; RS0026763 [T1, T2, T5]) und istdaher nur revisibel (RS0026763 [T5]), wenn dem Berufungsgericht eine Fehlbeurteilung unterlaufen ist , die aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden muss(RS0021095).
[7] 2.3. Grundvoraussetzung für jede schadenersatz- rechtliche Haftung und daher auch für die des Arztes für den Patienten entstandene Schäden – wie hier – ist jedoch neben Kausalität, Adäquanz und Rechtswidrigkeit das Verschulden des Schädigers (auch) im Sinne einer subjektiven Vorwerfbarkeit seines Verhaltens (vgl Wittwer in Schwimann/Neumayr, ABGB TaKomm 6[2024] § 1294 Rz 11 mN aus der Rsp, vgl insb 9 Ob 20/20m); dabei trifft im deliktischen Bereich den Geschädigten in der Regeldie Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen (vgl RS0022560 [T20]), wogegenim vertraglichen Bereich nach § 1298 ABGB demSchädiger der Beweis mangelnden Verschuldens obliegt (vgl RS0022686).
[8] Auch die Beurteilung des Verschuldens ist eine grundsätzlich nicht revisible Einzelfallentscheidung (vgl RS0087606 [insb T9]).
[9] 3.1. Nach den Sachverhaltsfeststellungen klärte der Erstbeklagte die Klägerin anhand des – zur Gänze festgestellten und von der Klägerin selbst vorgelegten – Aufklärungsbogens auf, den er mit ihr mündlich durchging, und dokumentierte die Aufklärung auch in seiner Behandlungsdokumentation; im sich auf alle vier Weisheitszähne beziehenden Aufklärungsbogen findet sich auch eine Passage zum Risiko einer möglichen persistierenden Nervverletzung, auf deren Möglichkeit der Erstbeklagte ebenfalls ausdrücklich hinwies. In diesem Zusammenhang riet er der Klägerin auch zu einer besonderen – keine Kassenleistung bildenden und daher von ihr selbst zu bezahlenden – radiologischen Untersuchung (3D Röntgen bzw „DVT“ [Digitales Volumen-Tomogramm]), die wegen der bereits im vorhandenen Panoramaröntgen ersichtlichen örtlichen Nähe der unteren Weisheitszähne zum später auch tatsächlich beeinträchtigten Nerv notwendig sei. Die Frage des Erstbeklagten, ob sie alles verstanden habe, bejahte die Klägerin und vereinbarte dann die Behandlungstermine; sie ließ in der Folge auch das empfohlene Röntgen auf eigene Kosten durchführen. Der Erstbeklagte gab der Klägerin nach dem Aufklärungsgespräch den Aufklärungsbogen mit nach Hause.
[10] Bei der Klägerin liegt eine Intelligenzminderung F70 ICD 10 vor. Sie konnte den Aufklärungsbogen aufgrund ihrer kognitiven Defizite nur in geringen Teilbereichen verstehen; Begriffe wie „Abszesse“, „Zysten“, „neuralgiforme Schmerzen“ sind Fremdwörter, die für die Klägerin nicht verständlich sind. Ihre „Geschäftsfähigkeit war großteils aufgehoben in Bezug auf Zustimmung zum Verstehen eines Aufklärungsbogens“; der Inhalt von dessen Seite 2 (unter anderem mit anamnestischen Fragen und Hinweisen, wie sie sich postoperativ zu verhalten habe) war für die Klägerin hingegen verständlich. Durch Konsultierung ihrer Mutter oder sonst einer vertrauten Person wäre die Klägerin in die Lage versetzt worden, die Aufklärung zu verstehen und einzuwilligen.
[11] Anlässlich des Aufklärungsgesprächs fiel dem Erstbeklagten keine Einschränkung der Klägerin in ihren kognitiven Fähigkeiten auf. Die tatsächliche Einschränkung der Klägerin und ihre allenfalls mangelnde Geschäfts- bzw Entscheidungsfähigkeit waren für ihn auch nicht erkennbar. Es zählt nicht zum Fachgebiet eines Facharztes der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, eine derartige leichtgradige Intelligenzminderung zu erkennen. Die Erkennbarkeit dieses Umstands ist bestenfalls einem Spezialisten, daher einem Psychiater oder Psychologen, zuzutrauen. Die Klägerin hat ein völlig unauffälliges Erscheinungsbild; man sieht ihr keine kognitive Einschränkung an. Auch auf die Mitarbeiter des Erstbeklagten machte die Klägerin beim selbständigen Ausfüllen des Anamnesebogens bzw bei den kurzen Gesprächen, die im Rahmen ihrer Aufnahme erfolgten, keinen eingeschränkten Eindruck und zeigte für jene keine Auffälligkeiten.
[12] 3.2. Das Berufungsgericht war der Auffassung, aufgrund dieser Feststellungen zwar nicht abschließend beurteilen zu können, ob die Klägerin in medizinischen Angelegenheiten als „entscheidungsfähig“ im Sinne des§ 24 Abs 2 (in Verbindung mit § 173 Abs 1 Satz 2) ABGB einzustufen sei bzw ob die dort normierten Zweifelsregeln Platz greifen würden; mangels Feststellungen sei es auch nicht möglich, die Frage rechtmäßigen Alternativverhaltens zu beantworten.
[13]Allerdings habe der Erstbeklagte objektiv und ex ante betrachtet keine Veranlassung gehabt, nach § 252 Abs 2 ABGB eine weitere Vertrauensperson, einen Angehörigen oder eine sonst nahestehende Person der Klägerin zum Aufklärungsgespräch beizuziehen; dass er die volljährige Klägerin für entscheidungsfähig erachtet und ihre kognitive Einschränkung nicht erkannt habe, könne ihm nicht als Verschulden zur Last gelegt werden. Ihm sei daher der Nachweis gelungen, dass ihn an einer im Ergebnis allenfalls (subjektiv) unzureichenden Aufklärung kein Verschulden treffe.
[14] 4.1. Diese Auffassung hält sich im Rahmen der dargelegten Rechtslage und des den Gerichten im Einzelfall notwendigerweise zukommenden Beurteilungsspielraums.
[15]Das Berufungsgericht hat im Einklang mit der Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass § 1298 ABGB auch im Arzthaftungsrecht grundsätzlich gilt und ein Arzt auch bei einem kunstgerecht durchgeführten medizinischen Eingriff für die dadurch entstandenen Schäden nur dann haftet, wenn er nicht nachweisen kann, dass ihn an der unterlassenen oder nicht hinreichenden Aufklärung kein Verschulden trifft (vgl RS 0026499 [T1]).
[16]Dass dem Erstbeklagten hier der ihm obliegende Entlastungsbeweis nach § 1298 ABGB gelungen ist, weil er Einschränkungen der Entscheidungsfähigkeit der Klägerin aufgrund ihrer bloß leichten Intelligenzminderung nicht erkannte und dies auch nicht für einen durchschnittlichen Zahnarzt wie ihn, sondern bestenfalls für einen psychiatrischen Facharzt erkennbar war, ist im Lichte der Rechtsprechung (vgl RS0026226 ; RS0026598 [T1]) nicht zu beanstanden zumal die Klägerin selbst in der Revision keine Umstände anführt, aus denen der Erstbeklagte auf eine eingeschränkte Entscheidungsfähigkeit hätte schließen können. Diese Umstände werfen ebenso wenig erhebliche Rechtsfragen auf wie die Einschätzung des Berufungsgerichts, dass im Hinblick auf das Fehlen des Verschuldens als wesentliche Haftungsvoraussetzung die Fragen der adäquaten Verursachung und der Rechtswidrigkeit dahingestellt bleiben können .
[17] Vor diesem Hintergrund geht auch die nur auf die Rechtswidrigkeit abzielende Argumentation der Revision ins Leere, dass die Klägerin tatsächlich kognitiv nicht in der Lage, hinreichend aufgeklärt zu werden, und daher nicht einwilligungsfähig gewesen sei. Im Hinblick darauf ist auch nicht erkennbar, w elcher Mangel des Berufungsurteils vorliege oder inwieweit dieses in sich widersprüchlich sein sollte.
[18] 4.2.Inwiefern die §§ 24, 252 f ABGB in der Fassung des 2. ErwSchG (BGBl I 2017/59) eine Änderung der dargelegten allgemeinen Grundsätze des Schadenersatzes bewirkt haben sollten, welche zudem eine im konkreten Fall aufzugreifende Fehlbeurteilung der Vorinstanzen nahelegen könnten, ist nicht ersichtlich. Insbesondere legen diese Bestimmungen nach schon ihrem klaren Wortlaut keinen besonderen, von der sonst geltenden Rechtslage abweichenden Sorgfaltsmaßstab fest. Vielmehr konkretisieren sie Handlungspflichten des Arztes bei ihm erkennbarem [arg „Hält ... für nicht entscheidungsfähig“] möglichen Vorliegen von (nach den Materialien zum 2. ErwSchG [vgl E rläutRV 1461 BlgNR 25. GP 9, 30 f] zudem erheblichen und nicht schon bei jedem Nichtverstehen einzelner Aspekte der Bedeutung und Folgen des Handelns zu unterstellenden Einschränkungen der Entscheidungsfähigkeit seines Patienten (vgl etwa Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB 5 [2018] § 252 Rz 7 [unter Hinweis auf E rläutRV 1461 BlgNR 25. GP 31]; Pesendorfer in Klang 3 [2020] § 252 Rz 13, 15 und 29 ; vgl auch Koza , Einwilligung in die medizinische Behandlung nach dem 2. ErwSchG – Die wesentlichen Änderungen im Überblick, iFamZ 2017, 169 [171]). Die §§ 24, 252 f ABGB normieren hingegen keine ex post zu beurteilende, verschuldensunabhängige Erfolgsverbindlichkeit dahin, dass der Arzt für ein Scheitern der Aufklärung jedenfalls haften würde .
[19] 5. Auch sonst zeigt die Revision keine erheblichen Rechtsfragen auf:
[20] 5.1. Soweit sie neuerlich eine Aufklärung vor jedem einzelnen gleichartigen Eingriff fordert, so ist dies in der Rechtsprechung für einen insoweit gleichgelagerten Fall bereits im gegenteiligen Sinne geklärt(vgl 1 Ob 139/04d). Die Aufklärung betraf nach den Feststellungen die Operation aller vier Weisheitszähne. Dass im Einzelfall Besonderheiten der zweiten Operation und der von dieser betroffenen Weisheitszähne vorgelegen wären, welche eine gesonderte abweichende oder ergänzende Aufklärung geboten erscheinen ließen, hat die Klägerin weder in erster Instanz noch in ihrer Revision behauptet und ist auch nicht ersichtlich.
[21] 5.2. Zum wie schon in der Berufung gerügten Fehlen von Konstatierungen (insbesondere von Negativfeststellungen zur Aufklärung) ist darauf hinzuweisen, dass sekundäre Feststellungsmängelnur dann vorliegen, wenn Tatsachenfeststellungen fehlen, die für die Beurteilung wesentlich sind, und diese nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren, nicht aber, wenn – wie hier – zu einem bestimmten Thema Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, mögen diese auch von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen (RS0053317 [T1]). Zudembegründet die Auslegung der Urteilsfeststellungen im Einzelfall regelmäßig keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung (RS0118891).
[22] Das Berufungsgericht hat die erstgerichtlichen Feststellungen im Einklang mit den beweiswürdigenden Überlegungen des Erstgerichts dahin verstanden, dass der Erstbeklagte der Klägerin alle im Aufklärungsbogen angeführten Inhalte und insbesondere auch das sich verwirklichende Risiko einer persistierenden Nervverletzung mündlich erläuterte, wogegen die Revision keine stichhaltigen Argumente bringt.
[23] Dass die mündliche Erörterung anhand eines solchen Aufklärungsbogens auch im Hinblick auf die nicht zu überspannenden Anforderungen an die ärztliche Aufklärungspflicht ausreichend sein kann, ist in der Rechtsprechung ebenfalls bereits geklärt (vgl 10 Ob 137/98i ).
[24] 5.3. Die Abweisung des gegen den Erstbeklagten gerichteten Auskunftsbegehrens über die Höhe der Haftpflichtversicherungssumme wirft zufolge Abweisung der sich auf dessen Haftung sowie die seines zweitbeklagten Haftpflichtversicherers stützenden (Leistungs- und Feststellungs )Begehren keine erhebliche Rechtsfrage auf, zumal es der Klägerin insofern – schon mangels Schadenersatzverpflichtung des Erstbeklagten – am Rechtsschutzbedürfnis fehlt (vgl RS0038062 ) und einer Entscheidung nur mehr theoretisch abstrakte Bedeutung zukäme.
[25] 6. Die Kostenentscheidung beruhtauf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben in ihrer Revisions beantwortung erkennbar auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.