10Ob51/24h – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi und die Hofräte Mag. Schober, Dr. Annerl und die Hofrätin Dr. Wallner Friedl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch die Heiss Heiss Rechtsanwälte OG in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Mag. C*, Rechtsanwältin, *, wegen 11.392,06 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 25. März 2024, GZ 5 R 145/23v 74, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 30. April 2023, GZ 26 C 463/20w 67, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.000,75 EUR (darin 166,79 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1]Der Kläger wurde am 4. Jänner 2020 wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung festgenommen, machte von der Möglichkeit des § 171 Abs 4 Z 2 lit a StPO Gebrauch und nahm (über den rechtsanwaltlichen Bereitschaftsdienst des Rechtsanwaltskammertages) telefonischen Kontakt mit derBeklagten als „Verteidiger in Bereitschaft“ (§ 59 Abs 4 StPO) auf. Was die Parteien anlässlich des Telefonats zur weiteren Tätigkeit der Beklagten besprachen, war nicht feststellbar.
[2] Vor seiner Befragung am 5. Jänner 2020 besprach sich der Kläger mit der Beklagten und unterfertigte dabei eine vorbereitete Verteidiger Vollmacht (für Wahlverteidiger); bei seiner anschließenden Einvernahme schritt die Beklagte auch als Wahlverteidigerin ein. Nach dem Pflichtverhör am 7. Jänner 2020, bei dem die Beklagte nicht anwesend war, wurde die Untersuchungshaft über den Kläger verhängt .
[3] Der Kläger leistete Akontozahlungen im Ausmaß von 20.000 EUR an die Beklagte. Am 27. April 2020 teilte ihr der (hier einschreitende) Klagevertreter mit, vom Kläger bevollmächtigt worden zu sein und ersuchte sie um Abrechnung ihrer Leistungen. Die Beklagte gab daraufhin die Kosten ihres Einschreitens mit 20.219,08 EUR bekannt.
[4] Der Kläger begehrt nunmehr 11.392,06 EUR sA. Der Beklagten stehe für die von ihr erbrachten Leistungen ein berechtigtes Honorar von lediglich 8.607,94 EUR zu, weshalb er Anspruch auf Rückersatz der Differenz zu den von ihm geleisteten Akonti von 20.000 EUR habe. Da ihn die Beklagte auch nicht über die Unterschiede einer Tätigkeit als „Verteidiger in Bereitschaft“ und als Wahlverteidiger in Bezug auf Umfang, Reichweite und Honorierung aufgeklärt habe, stehe ihm dieser Betrag (auch) als Vertrauensschaden zu.
[5] Die Beklagte hielt dem im Wesentlichen entgegen, der Kläger habe sie trotz Belehrung über die (Honorar )Folgen ohne Vorbehalt als frei gewählte Verteidigerin und nicht als „Verteidigerin in Bereitschaft“ beauftragt. Für ihre Leistungen gebühre ihr ein Honorar von (zuletzt verzeichnet) 32.493,88 EUR.
[6] Das Erstgericht gab der Klage teilweise statt.
[7] Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil über Berufung beider Parteien dahin ab, dass es dem Kläger 10.058,24 EUR sA zuerkannte und das Mehrbegehren abwies. Die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, den Kläger über die unterschiedliche Honorierung einer Tätigkeit als frei gewählte Verteidigerin und als „Verteidigerin in Bereitschaft“ sowie darüber aufzuklären, dass sie als solche bis zur Entscheidung über die Verhängung der Untersuchungshaft einschreiten könnte. Da sie das unterlassen habe, stünde ihr bis zum 6. Jänner 2020 das Honorar für „Verteidiger in Bereitschaft“ von (unstrittig) 120 EUR nett o pro Stunde und erst für ihre anschließende Tätigkeit ein Honorar als Wahlverteidiger zu. Angesichts der festgestellten Leistun gen und derberechtigt begehrten Honorierung nach § 23 Abs 2 RATG betrage dieses insgesamt 9.941,76 EUR, sodass die Klage im Umfang von 10.058,24 EUR sA (Differenz zu 20.000 EUR) berechtigt sei.
[8] Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich zu, weil zu den Aufklärungspflichten eines als „Verteidiger in Bereitschaft“ einschreitenden Rechtsanwalts keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision der Beklagten ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil darin keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird ( RS0102059 ; RS0048272 ). Die Zurückweisungkann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
1. Vorweg ist Folgendes klarzustellen:
[10] 1.1. Vorschüsse sind nach der ständigen Rechtsprechung Geldbeträge, die jemandem im Voraus bezahlt werden, obgleich er darauf erst später Anspruch hätte (5 Ob 52/11z ErwGr II.3; 10 Ob 148/05w; vgl RS0021417). Ein Vorschuss ist daher eine antizipierte Leistung in Erwartung einer Gegenleistung, die die Schuld im Voraus tilgt, sofern der Vorschuss für eine konkrete Verbindlichkeit geleistet wird (RS0019458; 3 Ob 201/19h ErwGr 5.3. ua). Er wird demgemäß von der Forderung abgerechnet und nicht gegen sie aufgerechnet, mindert also einfach den Anspruch um den betreffenden Betrag (RS0019454 [T1]; 7 Ob 183/08z ua). Wird der für einen bestimmten Aufwand geforderte und gewährte Vorschuss nicht bestimmungsgemäß verwendet, kann ihn der Vorausleistende nach § 1435 ABGB kondizieren(RS0021411; 8 Ob 145/19k ErwGr II.5. [Anwaltshonorar] ua ).
[11] Davon zu unterscheiden sind die Folgen einer Verletzung von Aufklärungspflichten, die nach der ständigen Rechtsprechung (regelmäßig nur) zum Ersatz des verursachtenVertrauensschadens berechtigt (RS0112203 [T7]; 7 Ob 22/23w Rz 25 ua). Unterlässt der Rechtsanwalt eine gebotene Aufklärung über seinen Honoraranspruch, bedeutet das nämlic hnicht, dass seine Leistungen für den Mandanten unbrauchbar oder wertlos wären und ihm demgemäß das dafür verrechnete Honorar nicht gebührte. Vielmehr führt das nur zu Schadenersatzansprüchen, wobei die Vermögensdifferenz zu ersetzen ist, die bei pflichtgemäßer Beratung nicht eingetreten wäre (10 Ob 25/22g Rz 20; 7 Ob 85/20f ErwGr 4.4.2. je mwN ua).
[12] 1.2. Das Berufungsgericht hat zwar nicht zwischen diesen (vom Kläger geltend gemachten) Anspruchsgrundlagen differenziert. Wenn es der Beklagten aber vorwirft, es unterlassen zu haben, dem Kläger den Unterschied der mit den beiden möglichen Varianten ihres Einschreitens verbundenen Kosten darzulegen, ist es – wie das Erstgericht – inhaltlich offenkundig davon ausgegangen, dass ihr am 5. Jänner 2020 Vollmacht als Wahlverteidiger erteilt wurde, weil es auf eine Verletzung etwaiger Aufklärungspflichten ausschließlich in dieser Konstellation ankommt. Wäre die Beklagte dagegen als „Verteidiger in Bereitschaft“ beauftragt worden, wäre nur zu prüfen (gewesen), in welchem berechtigten Umfang der Vorschuss für die von ihr erbrachten Leistungen verwendet wurde.
[13]1.3. Letztlich hat das Berufungsgericht daher den auf § 1435 ABGB gestützten Anspruch des Klägers grundsätzlich bejaht und ihm für die (Teil )Leistungen der Beklagten bis 7. Jänner 2020 zusätzlich die Vermögensdifferenz zuerkannt, die ihm bei Beauftragung der Beklagten als „Verteidiger in Bereitschaft“ anstatt als Wahlverteidiger n icht entstanden wäre. Dass es nicht den Kondiktionsanspruch insgesamt, das heißt inklusive der am 5. Jänner 2020 und 6. Jänner 2020 erbra chten Leistungen, und dann den Differenzschaden für diesen Zeitraum berechnet und diese Beträge addiert hat, sondern für die Leistungen bis 7. Jänner 2020 vom geringeren Honorar als „Verteidiger in Bereitschaft“ ausgegangen ist, ändert daran nichts, weil das nur eine abgekürzte Form der Berechnung des dem Kläger zustehenden Betrags ist.
[14]2. Wenn die Beklagte daher in ihren sprunghaften und mitunter nur schwer nachvollziehbaren Ausführungen wiederholt darauf verweist, das Berufungsgericht sei zu Unrecht nicht davon ausgegangen, dass der Kläger sie als Wahlverteidigerin bevollmächtigt habe, kommt dem weder unter dem Aspekt einer mangelhaften Erledigung der Beweisrüge (vgl RS0043144 [T7, T8]) noch der unrichtigen rechtlichen Beurteilung Relevanz zu.
[15] 3. Die ständige Rechtsprechung bejaht Aufklärungspflichten eines Rechtsanwalts hinsichtlich der zu erwartenden Honorarverrechnung vor allem dann, wenn der Mandant in solchen Fragen unerfahren und unsicher ist ( RS0047275 ; 10 Ob 25/22g Rz 20; 7 Ob 164/18w ErwGr 4.5 ua).Die Beurteilung, ob diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen und daher eine Belehrung durch den Rechtsanwalt erforderlich war, hängt von den jeweiligen Umständen ab und begründet damit grundsätzlich keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0047275 [T1]; 1 Ob 70/17a ErwGr 4. ua).
[16] Die Ansicht des Berufungsgerichts, wonach die Beklagte den (verhafteten und in Honorarfragen unkundigen) Kläger auch über das mit ihrem Einschreiten als Wahlverteidigerin anstatt als „Verteidiger in Bereitschaft“ verbundene Honorar aufklären hätte müssen, bedarf im Interesse der Rechtssicherheit keiner Korrektur. Ob diese Pflicht „Verteidiger in Bereitschaft“ nicht ohnehin generell trifft (vgl Beilage A des Erlasses des Bundesministeriums für Justiz vom 18. Mai 2020 über den rechtsanwaltlichen Bereitschaftsdienst GZ 2020 0.308.727; so auch Haißl in Schmölzer/Mühlbacher, StPO 2 § 59 Rz 12), muss daher nicht (mehr) geklärt werden.
[17]Soweit sich die Klägerin in diesem Kontext noch auf die Entscheidung 6 Ob 187/21z beruft, ist diese nicht einschlägig. Dort ging es um den unterlassenen Hinweis des Rechtsanwalts auf eine kostengünstigere Vertretung durch einen Dritten (Arbeiterkammer) und nicht um die Aufklärung über die Kosten des eigenen Einschreitens.
[18]4. Die Feststellungsgrundlage ist nur dann unvollständig, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind (RS0053317; 4 Ob 136/24i Rz 25 ua). Mit der auf Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gestützten Ansicht, das sei in Bezug auf das von der Beklagten verzeichnete Honorar für „rechtliche Recherchen“ nicht der Fall, weil das RATG dafür keinen eigenen Tarifansatz vorsehe (vgl 8 Ob 93/17k ErwGr 3.), setzt sich die Revision nicht auseinander. Ebenso wenig geht sie auf die Beurteilung des Berufungsgerichts ein, Kosten nach TP 9 RAT stünden mangel s einer Reisebewegung von mehr als 2 km nicht zu, sodass es zu den begehrten „Reisekosten“ keiner Feststellungen bedürfe.
[19] 5. Zu den von der Beklagten weiters begehrten, über die festgestellten Leistungen hinausgehenden Leistungen ging das Berufungsgericht davon aus, das Erstgericht habe die von ihr erbrachten Leistungen abschließend festgestellt, sodass die Rechtsrüge der Beklagten vom festgestellten Sachverhalt abweic he und nicht gesetzmäßig ausgeführt sei (vgl RS0043603 [T9]; RS0043231 ). Diese Beurteilung bekämpft die Beklagte in der Revision nicht als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, sodass dem Obersten Gerichtshof eine weitere Überprüfung verwehrt ist (RS0043231).
[20] Abgesehen davon begründet die Auslegung der Urteilsfeststellungen im Einzelfall regelmäßig auch keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung ( RS0118891 ;4 Ob 114/24d Rz 12 ua). Warum die vorliegende Interpretation des Berufungsgerichts eine unvertretbare Fehlbeurteilung darstellen sollte, zeigt die Revision (ebenfalls) nicht auf.
[21]6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0112296; RS0035979 [T16]). Der Einheitssatz beträgt 60 % (§ 23 Abs 3 RATG).