JudikaturJustiz9Ob49/08h

9Ob49/08h – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Juli 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Dr. Kuras als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei E***** AG, *****, vertreten durch die Dr. Wilhelm Schlein GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. Daniela C*****, Ärztin und Geschäftsführerin, *****, vertreten durch Dr. Christa Springer, Rechtsanwältin in Wien, wegen 1) 264.692,09 EUR sA und Räumung (Streitwert 66.844,08 EUR; 89 C 6/07a [zuvor 20 C 28/06b]), 2) 45.939 EUR sA (89 C 8/07w [zuvor 20 C 360/02w]), 3) Räumung (Streitwert 79.040,04; 20 C 534/02h) und 4) Zinsen und Kosten (89 C 7/07y [zuvor 20 C 63/03w]), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 20. Februar 2008, GZ 39 R 272/07z 118, womit das Teilurteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 12. Jänner 2007, GZ 89 C 6/07a 64 (zuvor 20 C 28/06b 64) bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 14. 8. 2007, 40 P 22/06b 68, wurde für die Beklagte gemäß § 120 AußStrG mit sofortiger Wirksamkeit ein einstweiliger Sachwalter zur Vertretung vor Gerichten und Behörden bestellt und ausgesprochen, dass die Betroffene insofern in ihren Rechtshandlungen beschränkt sei. Mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 1. 10. 2007, 43 R 625/07s 78, wurde dieser Beschluss infolge Rekurses der Beklagten und des einstweiligen Sachwalters wieder aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. In einem Aktenvermerk des Bezirksgerichts Hernals vom 14. 2. 2008, 40 P 22/06b 91, über die Erstanhörung der Beklagten wurde festgehalten, dass „es … nach dem subjektiven Eindruck der Richterin überhaupt keinen Hinweis auf eine psychische Erkrankung oder Behinderung [gibt], die das Weiterführen eines Sachwalterschaftsverfahrens rechtfertigen würde". Mit Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 14. 2. 2008, 40 P 22/06b 93, wurde hierauf das Sachwalterschaftsverfahren betreffend die Beklagte mit Rechtskraft dieses Beschlusses gemäß § 122 AußStrG eingestellt. Der Beschluss erwuchs in Rechtskraft.

Die Revisionswerberin stützt die Zulässigkeit der vorliegenden Revision darauf, dass die Vorinstanzen die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters für die Beklagte unberücksichtigt gelassen und den einstweiligen Sachwalter dem „gesamten Verfahren" nicht beigezogen haben. Eine nachträgliche Genehmigung durch den einstweiligen Sachwalter sei nicht ersichtlich. Der Mangel der Prozessfähigkeit der Beklagten begründe die Nichtigkeit des „gesamten Verfahrens" gemäß § 477 Abs 1 Z 5 ZPO.

Der Einwand der Revisionswerberin ist unbegründet. Wie bereits einleitend dargestellt, war für die Beklagte lediglich in der Zeit vom 14. 8. bis 1. 10. 2007 ein einstweiliger Sachwalter bestellt. In dieser Zeit fanden im vorliegenden Verfahren keine Prozesshandlungen statt, die der Genehmigung des einstweiligen Sachwalters der Beklagten bedurft hätten. Der damalige Verfahrenshelfer der Beklagten hatte bereits am 25. 6. 2007, sohin noch vor der Bestellung eines einstweiligen Sachwalters, Berufung gegen das Ersturteil erhoben. Nach Einlangen der Berufungsbeantwortung der Klägerin wurde der Akt am 25. 9. 2007 dem Berufungsgericht vorgelegt. Die Berufungsentscheidung erging am 20. 2. 2008 in nichtöffentlicher Sitzung. Eine Zustellung der Berufungsentscheidung an den ehemaligen einstweiligen Sachwalter war entgegen der Annahme der Revisionswerberin nicht geboten. Weshalb die Revisionswerberin meint, der ehemalige einstweilige Sachwalter habe die „Prozessführung" zu genehmigen, ist beim gegenständlichen Verfahrensablauf nicht nachvollziehbar.

Richtig ist, dass Nichtigkeiten, über deren Vorliegen oder Nichtvorliegen eine den Obersten Gerichtshof (OGH) bindende Entscheidung der Vorinstanzen - wie hier nicht vorliegt, aus Anlass eines prozessual zulässigen außerordentlichen Rechtsmittels als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wahrzunehmen sind (1 Ob 56/00t; RIS Justiz RS0042743 ua). Insbesondere ist auch der Mangel der Prozessfähigkeit einer Partei in jeder Lage des Rechtsstreits von Amts wegen zu berücksichtigen (§ 6 Abs 1 ZPO). Das außerordentliche Rechtsmittel ist aber entgegen der Auffassung der Revisionswerberin nicht schon deswegen anzunehmen, weil eine Nichtigkeit bloß behauptet wird ( Zechner in Fasching/Konecny ² IV/1 § 502 Rz 94 mwN ua). Die unbegründete Geltendmachung eines Nichtigkeitsgrunds führt nicht dazu, dass eine erhebliche Rechtsfrage vorliegt (3 Ob 1004, 1005/89; RIS Justiz RS0043067 ua). Andernfalls könnte allein durch die Geltendmachung eines Nichtigkeitsgrunds die Revisionsbeschränkung des § 502 Abs 1 ZPO umgangen werden (2 Ob 320/99v ua).

Die Revisionswerberin rügt im vorliegenden Fall einen Vertretungsmangel gemäß § 477 Abs 1 Z 5 ZPO als Nichtigkeitsgrund. Eine Nichtigkeit nach dieser Bestimmung liegt dann vor, wenn eine Partei in dem Verfahren gar nicht oder, falls sie eines gesetzlichen Vertreters bedarf, nicht durch einen solchen vertreten war, sofern die Prozessführung nicht nachträglich ordnungsgemäß genehmigt wurde. Die Vermutung der Revisionswerberin, nach der Aktenlage „dürfte" sie die für die Bestellung eines Sachwalters ursächliche geistige Behinderung bereits im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung im Jahr 2002 gehabt haben, findet in der von ihr angesprochenen „Aktenlage" keine Deckung. Aus dieser folgt vielmehr, dass das Sachwalterschaftsverfahren laut Einschätzung der zuständigen Richterin bei der Erstanhörung der Beklagten „überhaupt keinen Hinweis" auf eine psychische Erkrankung oder Behinderung der Beklagten ergeben hat, der die Weiterführung des Sachwalterschaftsverfahrens gerechtfertigt hätte, weshalb es mit Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 14. 2. 2008 rechtskräftig eingestellt wurde. Demzufolge ist auch das weitere Vorbringen der Revisionswerberin, dass „aus den maßgebenden Tatsachen", die sie ausschließlich im Sachwalterschaftsverfahren sieht, zu „schließen" sei, dass die Beklagte bereits bei Klagezustellung am 25. 6. 2002 prozessunfähig gewesen sei, nicht nachvollziehbar. Die Schlussfolgerung der Revisionswerberin steht auch im Widerspruch mit ihrem eigenen Hinweis, dass sie ausgebildete Ärztin sei und schon mehrfach in der Vergangenheit darauf hingewiesen habe, an keiner psychischen Krankheit und geistigen Behinderung zu leiden. Ob die intellektuellen Fähigkeiten der Beklagten bei Prozesseinleitung „mit prozesspraktischer Gewissheit" nicht größer als im Zeitpunkt der Sachwalterbestellung gewesen sein können, kann nach der Lage des Falls auf sich beruhen. Für die Beklagte wurde, wie schon erwähnt, gerade kein Sachwalter, sondern lediglich vorübergehend für rund sechs Wochen ein einstweiliger Sachwalter bestellt.

Die Rechtsprechung, dass das Prozessgericht nicht selbst, sondern das Pflegschaftsgericht (§ 6a ZPO) die Frage zu beurteilen hat, ob eine Partei, die der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterliegt, prozessfähig ist (vgl RIS Justiz RS0035270 ua), kommt hier nicht zum Tragen. Zum einen liegt hier bereits eine den OGH bindende Entscheidung des Pflegschaftsgerichts vor, wonach bei der Beklagten keine Anzeichen einer Beeinträchtigung bestehen und daher das Verfahren ohne Sachwalterbestellung einzustellen ist (vgl RIS Justiz RS0035228 ua). Zum anderen steht die Prüfung, ob eine Partei vor dem Einschreiten des Pflegschaftsgerichts, dessen Rechtsgestaltung nur in die Zukunft gerichtet ist, prozessfähig war, dem Prozessgericht zu ( Schubert in Fasching/Konecny ² II/1 § 6a Rz 1; Kodek in Rechberger , ZPO³ § 477 Rz 8; Fucik in Rechberger , ZPO³ § 6a Rz 1; 8 ObA 2185/96y; 3 Ob 308/00s; RIS Justiz RS0110082 ua). Zu einer - trotz ablehnender Entscheidung des Pflegschaftsgerichts und nicht in der Berufung der Beklagten gegen das Ersturteil geltend gemachten Überprüfung der Prozessfähigkeit der Beklagten bei Klagezustellung im Jahr 2002 besteht hier keine Veranlassung, weil die Beklagte ihre Zweifel an der eigenen Prozessfähigkeit lediglich aus dem Sachwalterschaftsverfahren und der Tatsache ableitet, dass vorübergehend ein einstweiliger Sachwalter bestellt worden war. Die Revisionswerberin missversteht offenbar die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters. Dabei handelt es sich um keine endgültige Maßnahme (arg „einstweiliger"). Im Zeitpunkt der Bestellung eines einstweiligen Sachwalters ist noch nicht geklärt, ob die betroffene Person in Hinkunft einen Sachwalter benötigt (RV 224 BlgNR 22. GP 80 ua). Es kann sich daher, wie auch im vorliegenden Fall, ergeben, dass für die betroffene Person gar kein Sachwalter bestellt zu werden braucht. Bestehen somit keine begründeten Bedenken hinsichtlich der Prozessfähigkeit einer Partei, dann ist auf die behauptete Nichtigkeit nicht weiter einzugehen ( Schubert in Fasching/Konecny ² II/1 § 6 Rz 4; 7 Ob 596, 597/79, JBl 1980, 551; 2 Ob 522/82, 7 Ob 623/82; 9 Ob 93/04y; RIS Justiz RS0035150, RS0035351 ua). Ist der Nichtigkeitsgrund nicht gegeben, dann kann daraus auch keine erhebliche Rechtsfrage abgeleitet werden (2 Ob 320/99v ua).

Letzteres gilt auch für die Rüge der angeblichen Verletzung des rechtlichen Gehörs, die die Revisionswerberin darin erblickt, dass sich das Berufungsgericht mit den Ausführungen der Beklagten nicht „im Mindesten" auseinandergesetzt habe. Dieser Vorwurf ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat sich in seiner gründlichen Beurteilung mit allen wesentlichen Argumenten der Beklagten in der Berufung befasst.

Auch sonst werden in der außerordentlichen Revision der Beklagten keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan:

Die Rüge, das Berufungsgericht habe sich nicht mit der handschriftlichen Ergänzung der Berufung des Verfahrenshelfers durch die Beklagte vom 22. 6. 2007 (ON 92) auseinandergesetzt und damit einen wesentlichen Verfahrensmangel verwirklicht, übergeht, dass diese Ergänzung mit Beschluss des Erstgerichts vom 27. 6. 2007 (ON 98) zurückgewiesen wurde.

Das Berufungsgericht ist auch nicht von der Rechtsprechung des OGH zum Themenkreis des groben Verschuldens eines mit der Zahlung des Mietzinses im Rückstand befindlichen Mieters abgewichen. Es hat sich mit dieser Frage ausführlich auseinandergesetzt und das grobe Verschulden der Beklagten im Hinblick darauf, dass nach den Feststellungen des Erstgerichts keine tragfähige Grundlage für die Annahme einer vollständigen Mietzinsbefreiung nach § 1096 ABGB vorlag, bejaht. Die Revisionswerberin vermengt den Vorwurf angeblich unterbliebener Feststellungen mit den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen, die ihr nicht genehm, allerdings im Revisionsverfahren bindend sind, weil die in der Berufung der Beklagten erhobene Beweis- und Tatsachenrüge ohne Erfolg blieb. Auch die Revisionswerberin räumt ein, dass es nach der Rechtsprechung des OGH eines Teilurteils nach § 33 Abs 2 MRG über den Zahlungsrückstand (vgl RIS Justiz RS0111942 ua) nicht bedarf, wenn ein grobes Verschulden des Mieters vorliegt. Ob dies der Fall ist, hängt - wie bei der Frage des Umfangs der Zinsminderung (RIS Justiz RS0108260) - von den Umständen des Einzelfalls ab, die keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründen (RIS Justiz RS0042773 ua). Das Berufungsgericht hat den ihm bei der Beurteilung des groben Verschuldens an der nicht rechtzeitigen Zahlung des Mietzinses eingeräumten Beurteilungsspielraum nicht überschritten.

Andere erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO, die der gesonderten, substantiierten Darlegung in der Revision bedurft hätten, dass das Urteil des Berufungsgerichts von der Rechtsprechung des OGH abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist, werden von der Revisionswerberin nicht wirksam geltend gemacht. Bei einer außerordentlichen Revision (§ 505 Abs 4 ZPO) sind die Gründe, warum die Revision, entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts, nach § 502 Abs 1 ZPO für zulässig erachtet wird, gesondert - und nicht, wie von der Revisionswerberin (bloß) angekündigt, „im jeweiligen Zusammenhang" - darzulegen (§ 506 Abs 1 Z 5 ZPO).

Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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