JudikaturJustiz7Ob72/15m

7Ob72/15m – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Mai 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr.

Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. S***** GmbH Co KG; 2. S***** GmbH, 3. S***** M*****, alle *****, vertreten durch Mag. Nicole Neugebauer-Herl, Mag. Simone Maier Hülle, Rechtsanwältinnen in Wien, und des Nebenintervenienten Dr. O***** K*****, vertreten durch Dr. Manfred Steininger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Lederer Rechtsanwalt GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revisionen der klagenden Parteien und des Nebenintervenienten gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 16. Dezember 2014, GZ 1 R 125/14z 23, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 23. April 2014, GZ 8 C 682/13x 18, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 892,89 EUR (darin enthalten 148,82 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts sind die ordentlichen Revisionen mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

1. Verfahrensverstöße bilden nur dann eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens, wenn sie abstrakt geeignet sind, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen (RIS Justiz RS0043027). Der Rechtsmittelwerber ist zur Dartuung der abstrakten Eignung des Verfahrensmangels gehalten, wenn die Erheblichkeit nicht offenkundig ist (RIS Justiz RS0043027 [T10]).

Als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens macht der Nebenintervenient geltend, dass das Berufungsgericht sich mit seiner in der Berufungsbeantwortung enthaltenen Mängelrüge nicht auseinandergesetzt habe, ohne darzulegen, welche Relevanz einem solchen Verstoß beigemessen werden könnte.

2.1. Der einheitliche, auf Befreiung von begründeten und auf Abwehr von unbegründeten Ansprüchen gerichtete Deckungsanspruch aus der Haftpflichtversicherung entsteht und wird in dem Zeitpunkt fällig, in dem der Versicherungsnehmer von einem geschädigten Dritten ernstlich in Anspruch genommen wird; die Verjährungsfrist des § 12 Abs 1 VersVG für diesen einheitlichen Anspruch beginnt zu diesem Zeitpunkt zu laufen (RIS Justiz RS0080086).

2.2. Die Wirkungen eines materiell rechtskräftigen Urteils erstrecken sich soweit auf den einfachen Nebenintervenienten und denjenigen, der sich am Verfahren trotz Streitverkündung nicht beteiligte, als diese Personen als Parteien eines als Regressprozess geführten Folgeprozesses keine rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einreden erheben dürfen, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung des Vorprozesses in Widerspruch stehen. In diesem Rahmen sind sie daher an die ihre Rechtsposition belastenden Tatsachenfeststellungen im Urteil des Vorprozesses gebunden, sofern ihnen in jenem Verfahren soweit unbeschränktes rechtliches Gehör zustand. Das gilt jedoch nicht auch für denjenigen, der sich am Vorprozess nicht beteiligte, dem aber auch gar nicht der Streit verkündet worden war (RIS Justiz RS0107338).

2.3. Nach Art 5.2 der zugrunde liegenden Allgemeinen Bedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden (AVBV) 2006 gilt:

Macht der Dritte seinen Anspruch gegen den Versicherungsnehmer gerichtlich geltend, ergeht gegen den Versicherungsnehmer eine Strafverfügung, eine Streitverkündung, eine einstweilige Verfügung oder wird gegen ihn ein Beweissicherungsverfahen eingeleitet, so ist der Versicherungsnehmer außerdem verpflichtet, dem Versicherer hiervon unverzüglich Anzeige zu erstatten .“

Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung 7 Ob 148/06z unter Darstellung von Rechtsprechung und Lehre zu einer vergleichbaren Bedingungslage Stellung genommen. Die AVB (hier Art 5.2 AVBV 2006) in Verbindung mit § 153 Abs 4 VersVG legen dem Versicherungsnehmer im Fall einer Streitverkündung die Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeigenerstattung an den Versicherer auf. Eine solche Anzeigenerstattung bezweckt, dass der Versicherer dadurch in die frühest mögliche Lage versetzt wird, die für die Prozessabschätzung (mit allfälliger späterer Deckungsnotwendigkeit im Fall einer tatsächlich gegebenen Schadenersatzverpflichtung seines Versicherungsnehmers) maßgeblichen Informationen bewerten und auch steuern zu können. Unter Umständen wird dadurch sogar eine künftige und Kosten verursachende gerichtliche Geltendmachung von Forderungen des Dritten gegen den Versicherungsnehmer, wofür dessen Haftpflichtversicherer später einzutreten hätte, gänzlich vermieden. Im Hinblick auf die nunmehr zu beachtende Bindungswirkung im Fall des Beitritts eines ausdrücklich streitverkündeten Versicherungsnehmers, hat der Versicherer, da der Versicherungsschutz die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten der gerichtlichen Feststellung und die Abwehr einer von einem Dritten behaupteten Schadenersatzverpflichtung umfasst, die Kosten der Nebenintervention zu übernehmen. Dies entspricht dem herrschenden Verständnis vom Entstehen des Rechtsschutzanspruchs des Versicherungsnehmers gegenüber seinem Haftpflichtversicherer mit der ernstlichen Erhebung von Ansprüchen angeblich geschädigter Dritter gegen ihn. Auch nach deutscher herrschender Meinung reicht Streitverkündung dafür aus. Darin manifestiert sich auch die Einheitlichkeit und die untrennbare sachliche Zusammengehörigkeit des einem Versicherungsnehmer gegen den Haftpflichtversicherer zustehenden Rechtsschutz und Befreiungsanspruchs.

2.4. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die im Verfahren 13 Cg 87/08f des Handelsgerichts Wien im Dezember 2008 an die Kläger erfolgte Streitverkündung stelle die ernstliche Inanspruchnahme durch einen (angeblich) geschädigten Dritten dar, weshalb der Deckungsanspruch der Kläger zu diesem Zeitpunkt fällig geworden sei und die Verjährung nach § 12 Abs 1 VersVG begonnen habe, hält sich im Rahmen der bereits bestehenden oberstgerichtlichen Judikatur.

Aus der von den Revisionswerbern herangezogenen Entscheidung 7 Ob 207/12k ergibt sich entgegen ihrer Ansicht nicht das Gegenteil. Dort wurde von den Vorinstanzen das Feststellungsinteresse des Versicherungsnehmers bejaht, da die Möglichkeit, dass der Kläger vom geschädigten Dritten im Rahmen der Haftpflichtversicherung in Anspruch genommen werde, sich schon daraus ergebe, dass bereits an ihn Ansprüche gestellt und der Versicherer auch dem Dritten gegenüber seine Deckungspflicht abgelehnt habe. Diese Ansicht wurde vom Obersten Gerichtshof als nicht korrekturbedürftig angesehen.

3. Nach § 12 Abs 2 VersVG ist für den Zeitraum zwischen der Geltendmachung des Versicherungsanspruchs und der schriftlichen Entscheidung des Versicherers darüber, ob Versicherungsschutz bestehe, die Verjährung des Anspruchs gehemmt. Unter einer schriftlichen Entscheidung im Sinne des § 12 Abs 2 VersVG ist die abschließende Stellungnahme des Versicherers zur Entschädigungspflicht zu verstehen (RIS Justiz RS0080149). Die Ablehnung muss nach dem Gesetzeswortlaut keine Belehrung über die Verjährung enthalten (RIS Justiz RS0080182).

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte habe mit Schreiben vom 1. 9. 2009 unter Hinweis auf die fehlende Vordeckung die (weitere) Gewährung von Versicherungsschutz abgelehnt und damit eine abschließende negative Stellungnahme zu Grund und Umfang des Deckungsanspruchs abgegeben, weshalb der Anspruch der Kläger bei Einbringung der Klage am 7. 10. 2013 jedenfalls verjährt gewesen sei, ist ebenfalls nicht korrekturbedürftig.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revisionen hingewiesen.

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