JudikaturJustiz6Ob24/06g

6Ob24/06g – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. März 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Dr. Markus Schuster, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. Andreas H*****, vertreten durch Dr. Ernst Gruber, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 17. November 2005, GZ 21 R 321/05x-57, womit der Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Tulln vom 22. Juli 2005, GZ 11 C 225/01p-53, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Klägerin stützt ihr Räumungsbegehren zuletzt auf einen Mietzinsrückstand seit Jänner 2004. Eine Ausdehnung des Klagebegehrens um den nach ihrem Vorbringen aushaftenden Betrag nahm sie nicht vor.

Der Beklagte bestritt den Mietzinsrückstand und machte als Gegenforderung Honorar für Architektenleistungen geltend. Das Erstgericht stellte mit Beschluss gemäß § 33 MRG fest, dass die monatlichen Mietzinse für den Zeitraum zwischen Jänner 2004 bis einschließlich Juli 2005 in Höhe von jeweils 254,55 EUR (insgesamt mit 4.832,65 EUR) aushaften (Punkt 1), die Gegenforderung nicht zu Recht besteht (Punkt 2) und die Kosten dem Endurteil vorbehalten werden (Punkt 3).

Der Beschluss des Erstgerichts wurde dem Beklagtenvertreter am 26. 7. 2005 zugestellt. Der Rekurs des Beklagten wurde am 22. 9. 2005 zur Post gegeben und wäre daher nur unter Berechnung einer vierwöchigen Rechtsmittelfrist rechtzeitig.

Das Rekursgericht wies den Rekurs als verspätet zurück. Der Entscheidung 9 Ob 34/04x folgend bejahte es zwar die Zweiseitigkeit des Rekurses. Zugleich vertrat es aber die Auffassung, die Rechtsmittelfrist bestimme sich nach § 521 ZPO und betrage lediglich 14 Tage.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, nicht jedoch 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Beklagten ist nicht jedenfalls unzulässig, weil die Grenze des § 502 Abs 3 ZPO für Streitigkeiten aus dem Bestandvertrag nicht anzuwenden ist (§ 502 Abs 5 Z 2 iVm § 528 Abs 2 Z 1 ZPO) und ein Konformatsbeschluss im Sinn des § 528 Abs 2 Z 2 ZPO nicht vorliegt (RIS-Justiz RS0042977 und RS0042922). Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof den Rekurs gegen einen Beschluss nach § 33 MRG zwar bereits als zweiseitig beurteilt, sich mit der Dauer der Rechtsmittelfrist in einem solchen Fall aber noch nicht auseinandergesetzt hat. Das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt. Das Rechtsmittel bekämpft einen Beschluss des Rekursgerichts, mit dem der gegen die erstgerichtliche Entscheidung erhobene Rekurs aus formellen Gründen zurückgewiesen wurde; es ist daher einseitig (10 Ob 99/05i; 8 Ob 132/03z; RIS-Justiz RS0118695). Eine Rechtsmittelbeantwortung war nicht einzuholen.

Der Beklagte macht geltend, der Oberste Gerichtshof habe unter Bedachtnahme auf die Rechtsprechung des EGMR bereits mehrfach die Auffassung vertreten, das Rechtsmittelverfahren über Rechtsschutzansprüche nach der ZPO sei in Analogie zu § 521a ZPO auch dann zweiseitig, wenn das Gesetz ihre Zweiseitigkeit nicht ausdrücklich anordne. Die Entscheidung 9 Ob 34/04x habe die Analogie zu § 521a ZPO auch auf Beschlüsse nach § 33 MRG ausgedehnt, zur Dauer der Rechtsmittelfrist aber nicht Stellung genommen. Diese Bestimmung sei auch in Bezug auf die Rechtsmittelfrist analog anzuwenden, weil es nicht darauf ankommen dürfe, ob eine prozesserledigende Entscheidung in Urteils- oder Beschlussform ergehe.

Der Senat hat erwogen:

1. Die Rekursfrist beträgt im Zivilprozess gewöhnlich 14 Tage. Nur in zweiseitigen Rekursverfahren nach § 521a Abs 1 Z 1 bis 3 ZPO - nicht aber auch im Fall der Zweiseitigkeit nach Z 4 dieser Bestimmung - beträgt sie vier Wochen (§ 521 ZPO).

Die Rechtsprechung beschränkte den Anwendungsbereich des § 521a ZPO zunächst auf die im Gesetz angeführten Anlassfälle (RIS-Justiz RS0002338; siehe Zechner in Fasching/Konecny² § 521a Rz 1 mwN). Das Erkenntnis des EGMR in der Rechtssache Beer gegen Österreich vom 6. 2. 2001 (ÖJZ 2001, 516), wonach der aus Art 6 Abs 1 EMRK herleitbare Grundsatz der Waffengleichheit in einem Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen eine angemessene Gelegenheit für jede Partei erfordert, ihren Fall unter Bedingungen zu präsentieren, die keinen wesentlichen Nachteil gegenüber dem Verfahrensgegner realisierten, führte zu einer Erweiterung des Kreises zweiseitiger Rechtsmittelverfahren um die Z 4 des § 521a Abs 1 ZPO und zugleich zu einer Änderung der Rechtsprechung. Sie erweiterte den Anwendungsbereich des § 521a Abs 1 ZPO in Bezug auf die Zweiseitigkeit von Rechtsmitteln. Nach nunmehr herrschender Auffassung sind Rechtsmittelverfahren über Rechtsschutzansprüche auch dann zweiseitig, wenn das Gesetz dies nicht anordnet (1 Ob 189/02d = EvBl 2003/103; 9 Ob 34/04x mwN).

Auch in Bezug auf einen Beschluss nach § 33 Abs 2 MRG hat der Oberste Gerichtshof bereits die Auffassung vertreten, der nach dieser Bestimmung gefasste Beschluss über die Höhe des behaupteten Mietzinsrückstandes betreffe einen materiellen Rechtsschutzanspruch im Sinn der Entscheidung des EGMR, das darüber abgeführte Rechtsmittelverfahren sei zweiseitig (9 Ob 34/04x). Zur Dauer der Rechtsmittelfrist hat er dabei nicht Stellung genommen.

2. Die zur Dauer der Rechtsmittelfrist für zweiseitige Rekurse bisher ergangenen Entscheidungen betrafen Aufhebungsbeschlüsse der Rekursgerichte aus Anlass eines Zwischenverfahrens über die Auferlegung einer aktorischen Kaution (1 Ob 189/02d = EvBl 2003/103), aus Anlass von Exekutionsverfahren (3 Ob 96/03z = EvBl 2003/154, 3 Ob 52/04z und 3 Ob 261/04k) und einer ehelichen Aufteilung (1 Ob 113/03d). In all diesen Fällen hat der Oberste Gerichtshof die Zweiseitigkeit unter Hinweis auf die angeführte Entscheidung des EGMR bejaht, die Rekursfrist jedoch mit 14 Tagen bemessen. Nach 1 Ob 189/02d sollte damit der „Gleichklang" zwischen der Frist zur Bekämpfung des Aufhebungsbeschlusses und jener gegen die Entscheidung in der Sache (sie betraf die Auferlegung einer aktorischen Kaution) nicht gestört werden. Auf diesen „Gleichklang" - bezogen auf das Exekutionsverfahren - verwiesen auch die Entscheidungen 3 Ob 96/03z und 3 Ob 52/04z.

Die Entscheidung 1 Ob 113/03d verneinte eine unplanmäßige Lücke, weil auch in anderen Bereichen - so etwa beim Kostenrekurs und in den Provisorialverfahren nach der EO - zweiseitige Rekursverfahren der 14-tägigen Frist unterliegen. Diese Auffassung wird auch von Zechner (aaO § 521 Rz 10) und G. Kodek (Zur Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens, ÖJZ 2004, 534 ff [549]) geteilt.

3. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Für den hier zu beurteilenden Fall folgt daraus:

Die Beschlussfassung nach § 33 Abs 2 MRG fällt unter keinen der Tatbestände des § 521a Abs 1 Z 1 bis 3 ZPO.

Aus der Erweiterung des Kreises zweiseitiger Rechtsmittel im Anschluss an die Entscheidung des EGMR Beer gegen Österreich lässt sich nicht ableiten, dass die Rekursfrist im zweiseitigen Verfahren immer vier Wochen beträgt, zumal der Gesetzgeber selbst für Kostenrekurse und Rekurse in zweiseitigen Sicherungsverfahren eine 14-tägige Frist vorgesehen hat.

Die konventionskonforme Erweiterung des Anwendungsbereichs für zweiseitige Rechtsmittel legt eine Verlängerung der Rechtsmittelfrist gegen Entscheidungen, die Rechtsschutzansprüche betreffen, auch nicht ohne weiteres nahe. Der Grund für die Erweiterung des Kreises zweiseitiger Rechtsmittel lag darin, jeder Partei - dem Grundsatz der Waffengleichheit entsprechend - in Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen eine angemessene Gelegenheit zu geben, ihren Fall „unter Bedingungen zu präsentieren, die keinen wesentlichen Nachteil gegenüber dem Verfahrensgegner realisieren". Die Einhaltung der im Zivilprozess ganz generell und für beide Streitteile vorgesehenen 14-tägigen Rechtsmittelfrist verletzt diesen Grundsatz nicht. Eine Verlängerung der Rekursfrist über die in § 521a Abs 1 Z 1 bis 3 ZPO geregelten Fälle hinaus brächte eine nicht unerhebliche Verzögerung des Verfahrens zu Lasten der klagenden Partei mit sich und könnte daher nur schwer als „angemessen" beurteilt werden. Der Gesetzgeber hat eine derartige Verfahrensverzögerung nur in den ausdrücklich geregelten Fällen bewusst in Kauf genommen. Für eine Ausdehnung im Wege der Analogie besteht im vorliegenden Fall kein Anlass.

Der Rekurs des Beklagten richtet sich gegen einen Beschluss nach § 33 Abs 2 MRG. Ein (rechtskräftiger) Beschluss nach dieser Bestimmung spricht über die Vorfrage des Mietzinsrückstands für das Räumungs(Kündigungs-)begehren ab (1 Ob 158/02w; RIS-Justiz RS0041543 und RS0070369). Der Beschluss entfaltet keine über das Räumungsbegehren hinausgehende Bindungswirkung und unterscheidet sich insofern grundlegend von einem Teilurteil, das über einen zugleich eingeklagten Mietzinsrückstand ergeht. Er ist auch nicht wie ein Urteil anfechtbar, wobei die eingeschränkte Anfechtungsmöglichkeit mit dem Bestreben des Gesetzgebers erklärbar ist, Verzögerungen zu vermeiden (3 Ob 583/90 = WoBl 1991, 125). Beschlüsse nach § 33 Abs 2 MRG sind auch nicht urteilsähnlich, weil sie weder mit der Endentscheidung im Räumungs(Kündigungs)prozess noch mit einem allfälligen Teilurteil über die Höhe des Mietzinsrückstands vergleichbar sind. Ihre Bedeutung besteht lediglich in der (rechtskräftigen) Erledigung einer für die Endentscheidung maßgeblichen Vorfrage. Für derartige Beschlüsse sieht die ZPO aber gewöhnlich die 14-tägige Rechtsmittelfrist vor.

Das Rekursgericht hat den demnach verspäteten Rekurs des Beklagten mit zutreffender Begründung zurückgewiesen. Der unberechtigte Revisionsrekurs musste erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.

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