JudikaturJustiz3Ob612/83

3Ob612/83 – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Juni 1984

Kopf

SZ 57/108

Spruch

Hat ein Notar als Vertragsverfasser gegen seine Sorgfaltspflicht verstoßen und dadurch die spätere Vertragsaufhebung verschuldet, muß er dem Vertragsteil einen Schaden schon dann ersetzen, wenn der Rückabwicklungsanspruch gegen den anderen Teil wegen dessen Mittellosigkeit schwer durchzusetzen ist

OGH 13. 6. 1984, 3 Ob 612/83 (OLG Innsbruck 6 R 31/83; LG Feldkirch 2a Cg 514/82)

Text

Mit einem vom beklagten Notar verfaßten Kaufvertrag vom 10. 7. 1980 kauften die Kläger von Kurt F die Liegenschaft EZ 1524 KG M samt Inventar um 287 000 DM. Einen Teilbetrag von 8 600 DM hatte der Verkäufer bereits erhalten, der restliche Kaufpreis sollte durch Übernahme der damals nach Annahme der Vertragspartner und des Beklagten mit rund 200 000 DM aushaftenden Hypothekarschuld des Verkäufers bei der B-Bank und durch Barzahlung berichtigt werden, wobei die Käufer jedoch berechtigt waren, zunächst die übrigen Hypothekarschulden des Verkäufers zu tilgen, sodaß die Liegenschaft lastenfrei auf sie übergehen solle. Da sich in der Folge herausstellte, daß die hypothekarischen Belastungen der verkauften Liegenschaft den Kaufpreis weit überschritten, wurde der Kaufvertrag einverständlich aufgehoben. Die Kläger hatten jedoch auf den Kaufpreis insgesamt schon 30 522.24 DM gezahlt. Weiters hatten sie in das Kaufobjekt insgesamt 3 283.55 DM investiert, wobei diese Investitionen nicht mehr abgesondert werden konnten, und im Zuge eines Zwangsversteigerungsverfahrens hinsichtlich der gekauften Liegenschaft weitere 3 000 DM aufgewendet.

Die Kläger forderten daher vom Beklagten nach Ausdehnung insgesamt 36 805.79 DM zum Warenkurs der österreichischen Börse am 1. 9. 1980 samt 13 vH Zinsen aus 30 522 DM seit 1. 9. 1980 und aus 6 283.79 DM seit 19. 11. 1982. Hätte der Beklagte den genauen Schuldenstand auftragsgemäß vor der Vertragsunterfertigung erhoben, wäre es gar nicht zum Vertragsabschluß und damit auch nicht zur Zahlung des eingeklagten Teiles des Kaufpreises (und zu den eingeklagten Aufwendungen) gekommen, welche Leistungen ihnen der Beklagte zu ersetzen habe.

Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Er bestritt, den von den Klägern behaupteten Schaden verschuldet zu haben und wendete ua. auch ein, daß die Kläger nicht einmal versucht hätten, vom Verkäufer, der nach der Aufhebung des Kaufvertrages dazu verpflichtet wäre, die Rückzahlung der eingeklagten Leistungen zu erreichen.

Die Kläger replizierten ua. den Verkäufer zu 5 Cg 2776/82 des Landesgerichtes Feldkirch unter Vorbehalt weiterer Rückforderungsansprüche vorerst auf 30 000 S und Feststellung geklagt zu haben, daß er ihnen alle Beträge zu ersetzen habe, die durch sie im Zusammenhang mit dem Liegenschaftskauf ausgelegt worden seien, ohne daß sie dafür einen Gegenwert erhalten hätten. Auf Grund des Versäumungsurteils sei gegen den Verkäufer erfolglos Fahrnis- und Forderungsexekution geführt worden. Exekutionen gegen den faktisch konkursreifen Verkäufer seien völlig aussichtslos.

Der Beklagte brachte dazu vor, sein Vertreter habe in den letzten Jahren für verschiedene Klienten mindestens sechs Betreibungen gegen den Verkäufer durchgeführt, die alle durch Zahlung erledigt worden seien. Derzeit führe kein Klient des Beklagtenvertreters gegen Kurt F Exekution. Die Kläger könnten daher ihre Forderung ohneweiters gegen den Verkäufer im Exekutionswege hereinbringen.

Das Erstgericht verurteilte den Beklagten, den Klägern 33 805.79 DM samt 4 vH Zinsen aus 30 522 DM vom 26. 8. 1981 bis 18. 11. 1982 im Schillinggegenwert zum Kurs der Wr. Börse Devise/Ware am 26. 8. 1981 sowie 4 vH Zinsen aus 3 283.79 DM seit 19. 11. 1982 zum Kurs der Wr. Börse Devise/Ware am 19. 11. 1982 zu zahlen. Das Mehrbegehren von 3 000 DM samt 13 vH Zinsen seit 19. 11. 1982 und 13 vH Zinsen aus 30 522 DM vom 1. 9. 1980 bis 25. 8. 1981 und 9 vH Zinsen aus 30 522 DM vom 26. 8. 1981 bis 18. 11. 1982 wies es ab. Es stellte ua. fest, daß die Kläger nach der Unterfertigung des Kaufvertrages dem Verkäufer eine Teilzahlung von 6 000 DM und nach Übernahme der Hypothekenschuld gegenüber der B-Bank dieser insgesamt 24 522.24 DM leisteten und in die gekaufte Liegenschaft insgesamt 3 283.55 DM investierten. Die Kläger forderten Kurt F auf, die Anzahlungen und die der B-Bank geleisteten Zahlungen zu ersetzen. Kurt F gab am 22. 1. 1982 an, zur Rückzahlung der "gesamten 8 600 DM" (Summe der nicht klagsgegenständlichen vor Abschluß des schriftlichen Kaufvertrages geleisteten Anzahlung) nicht imstande zu sein. Er verdiene monatlich zirka 1 600 DM netto, habe für seine nicht erwerbstätige Ehegattin und drei Kinder im Alter von 3 bis 9 Jahren zu sorgen und einen monatlichen Mietzins von 650 DM zu zahlen. Am 19. 5. 1982 brachte der Erstkläger gegen Kurt F beim Landesgericht Feldkirch die schon erwähnte Klage auf vorläufig 30 000 S und Feststellung ein, über die am 17. 6. 1982 ein stattgebendes Versäumungsurteil erging. Auf Grund dieses Versäumungsurteils wurde dem Erstkläger Fahrnisexekution bewilligt und wurden eine Wohnzimmereinrichtung sowie ein Opel Caravan gepfändet. Anläßlich der Versteigerungstagsatzung am 16. 11. 1982 zahlte der Verpflichtete 4 970 DM, wodurch die betriebene Forderung samt Zinsen und Kosten getilgt wurde. Die Exekution wurde daraufhin nach § 40 Abs. 1 EO eingestellt. Eine vom Bezirksgericht B am 18. 8. 1981 zu E 2087/81 bewilligte Exekution des Bischöflichen Ordinariats gegen Kurt F wegen 123 DM wurde am 3. 3. 1982 wegen teilweiser Befriedigung nach § 282 EO eingestellt.

Das Erstgericht vertrat den Standpunkt, daß der Beklagte den Klägern nach § 1299 ABGB für den eingetretenen Schaden hafte, weil er es schuldhaft unterlassen habe, rechtzeitig Erhebungen über die auf der Liegenschaft sichergestellten Forderungen durchzuführen und die Kläger vor Unterfertigung des Kaufvertrages darauf hinzuweisen, daß ihm der (genaue) Schuldenstand noch unbekannt sei. Dadurch hätten die Kläger einen Schaden von 33 805.79 DM, nicht aber im Zusammenhang mit einem Zwangsversteigerungsverfahren einen weiteren von 3 000 DM erlitten. Wegen der Aufhebung des Kaufvertrages hätten die Kläger auch gegen Kurt F einen Anspruch von mindestens 33 805.79 DM. Der Schadenersatzanspruch gegen den Beklagten sei jedoch von diesem Rückforderungsanspruch unabhängig. Den Klägern könne keine Verletzung der Schadensminderungspflicht angelastet werden, weil sie schon seit 1980 großteils vergeblich bemüht gewesen seien, ihren Anspruch gegen Kurt F geltend zu machen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung Folge, änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß es das Klagebegehren gänzlich abwies, und sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zulässig sei. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte auch dessen Rechtsansicht, den Beklagten treffe das Alleinverschulden daran, daß der Kaufvertrag wegen der den Kaufpreis weit übersteigenden Schulden, für die der Verkäufer damals keine Haftung habe übernehmen können, aufgelöst habe werden müssen und daß der Beklagte den Klägern den dadurch verursachten Schaden grundsätzlich zu ersetzen habe. Es konnte sich jedoch der Rechtsmeinung des Erstgerichtes nicht anschließen, daß dieser Schadenersatzanspruch unabhängig vom vertraglichen Rückforderungsanspruch der Kläger gegen den Verkäufer bestehe. Voraussetzung für einen Schadenersatzanspruch gegen einen vertragsverfassenden Notar wegen Verletzung der Sorgfaltspflichten sei, daß der Vertragspartner des Geschädigten die übernommene Verpflichtung nicht erfüllen könne. Einen solchen Nachweis hätten die Kläger nicht erbringen können. Da Kurt F im Zuge des Exekutionsverfahrens am 16. 11. 1982 4 970 DM gezahlt habe, sei nicht auszuschließen, daß von ihm auch der weitere eingeklagte Schadensbetrag zumindest im Klage- und Exekutionsweg eingebracht werden könne. Es stehe daher noch nicht fest, ob und in welcher Höhe die Kläger durch Verletzung der Sorgfaltspflicht des Beklagten einen Schaden erlitten haben. Daß Kurt F eine freiwillige Zahlung unter Berufung auf seine angebliche Zahlungsunfähigkeit abgelehnt habe, sei kein Beweis für die Uneinbringlichkeit. Die Unterlassung der gerichtlichen Geltendmachung der Forderung gegen Kurt F würde übrigens auch eine Verletzung der sich aus § 1304 ABGB ergebenden Rettungspflicht und damit ein Mitverschulden der Kläger darstellen, da ohne gerichtliche Eintreibung der Forderung gegen den Verkäufer nicht feststellbar wäre, ob und in welchem Umfang ohne Verletzung der Rettungspflicht überhaupt ein Schaden gegeben sei. Das Klagebegehren wäre daher auch aus diesem Grund abzuweisen. Zumindest wäre das Verfahren aber noch nicht im klagestattgebenden Sinn spruchreif, weil auf Grund der bisherigen Feststellungen die Uneinbringlichkeit der Forderung bei Kurt F weder mit Sicherheit bejaht noch verneint werden könne. Die Frage, ob und inwieweit ein Schadenersatzanspruch gegen einen Notar wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht davon abhängig ist, daß die benachteiligten Personen in anderer Weise keine Schadloshaltung erlangen können, stelle eine erhebliche Rechtsfrage iS des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO dar.

Der Oberste Gerichtshof stellte über Revision der Kläger das Urteil des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Beiden Parteien des Kaufvertrages unterlief insofern ein Geschäftsirrtum, als sie annahmen, die hypothekarischen Belastungen der Liegenschaft würden unter dem vereinbarten Kaufpreis liegen. Dieser gemeinsame Irrtum war wesentlich, weil die Parteien ohne ihn den Vertrag nicht geschlossen hätten. Beide Vertragspartner hätten daher nach herrschender Lehre (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 133 f.; Ehrenzweig, System[2] I/1, 238 f.) und Rechtsprechung (JBl. 1976, 646; SZ 44/59; SZ 36/22) das Recht, den Kaufvertrag anzufechten. Diese Anfechtung erübrigte sich im vorliegenden Fall, weil die Vertragspartner den Kaufvertrag einverständlich aufgehoben haben (Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts[6] I 105).

Wegen der Aufhebung des Kaufvertrages müssen die früheren Vertragspartner nach § 877 ABGB alles zurückstellen, was sie aus diesem Vertrag zu ihrem Vorteil erhalten haben. Dabei handelt es sich um eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung (condictio sine causa), nicht jedoch um einen Schadenersatzanspruch (Rummel in Rummel, ABGB, Rdz. 1 zu § 877). Kurt F ist daher verpflichtet, den Klägern die von ihnen geleisteten Anzahlungen auf den Kaufpreis, aber auch die Aufwendungen für das Kaufobjekt zurückzustellen.

Hinsichtlich dessen, was Kurt F nach Abschluß des Kaufvertrages vom 10. 7. 1980 auf Grund desselben von den Klägern erhalten hat, steht diesen gegen den Beklagten schon dann ein Schadenersatzanspruch zu, wenn sie Grund zur Befürchtung haben, daß Kurt F nicht in der Lage ist, seiner Verpflichtung nachzukommen und ihnen deshalb die Eintreibung gegen ihn nicht zumutbar ist. Unter diesen Voraussetzungen wäre der Schaden (die Vermögensverminderung) der Kläger nämlich nicht erst mit der endgültigen Uneinbringlichkeit ihrer Rückersatzforderung gegen Kurt F, sondern schon mit der Erbringung der durch das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten des Beklagten veranlaßten Leistungen an Kurt F eingetreten (SZ 42/16). Schon die wegen des zu befürchtenden Mangels an Mitteln zur Rückabwicklung anzunehmende Unzumutbarkeit weiteren gerichtlichen Vorgehens gegen Kurt F hätte das Vermögen der Kläger vermindert und ihnen einen vom Beklagten zu ersetzenden Schaden verursacht (EvBl. 1960/254; QuHGZ 1967, 55). Die in der Entscheidung GIU 15 751 vertretene Rechtsansicht, daß die Schadenersatzklage gegen einen Notar nicht dadurch beschränkt sei, daß sich der Benachteiligte auf andere Weise, insbesondere an seinem Vertragspartner, schadlos halten könne, bedarf daher der erwähnten Einschränkungen. Aber auch Fenzl (in ÖJZ 1951, 399), dem Wagner, NO[2], 87, und Feil-Langer,

Die Berufshaftung der Rechtsanwälte und Notare nach österreichischem Recht, 31, folgen, geht zu weit, wenn er meint, bei der Anwendung des Rechtssatzes der zitierten Entscheidung die weitergehende Einschränkung machen zu müssen, daß der Benachteiligte, dem eine Klage aus einem Vertragsverhältnis oder ein Bereicherungsanspruch gegen Dritte zusteht, diese Möglichkeit der Rechtsverfolgung jedenfalls ausschöpfen müsse, weil sonst noch kein von seinem früheren Rechtsfreund verschuldeter Schaden entstanden sei.Der Vertragspartner wird vielmehr nur dann vorher geklagt werden müssen, wenn der Rückabwicklungsanspruch gegen ihn wahrscheinlich ohne Schwierigkeiten durchsetzbar ist Bei Anwendung dieser Grundsätze ist hier davon auszugehen, daß Kurt F höchstwahrscheinlich nicht in der Lage ist, seinen relativ hohen Rückzahlungspflichten gegenüber den Klägern vollständig oder auch nur zu einem größeren Teil nachzukommen; dies ergibt sich nicht nur aus seinen festgestellten Verhältnissen (auch aus seiner Aussage vom 22. 1. 1982, nicht einmal zur vollständigen Rückzahlung eines wesentlich geringeren Teilbetrages von 8 600 DM imstande zu sein), sondern auch aus dem Umstand, daß er, obwohl sich die Kläger schon seit 1980 um Rückzahlungen bemühten - abgesehen von drei relativ geringen Teilzahlungen von insgesamt 1 200 DM -, erst beim Versteigerungstermin am 16. 11. 1982, bei dem der Verkauf seiner Wohnzimmereinrichtung und eines angeblichen unter Eigentumsvorbehalt stehenden gebrauchten PKW drohte, 30 000 S samt Nebengebühren zahlte, und besonders deutlich aus den Feststellungen über die Gründe, die Kurt F zum Verkauf seiner Liegenschaft zwangen bzw. schließlich zu deren Zwangsversteigerung führten.

Daß die Kläger zwecks Behebung des vom Beklagten verschuldeten Schadens auf ihre Kosten gegen Kurt F noch den neben dem bereits zu 5 Cg 2776/82 des Landesgerichtes Feldkirch geltend gemachten Teilbetrag von 30 000 S samt Feststellung offenen Rückabwicklungsanspruch einklagen, obwohl der Genannte nach seinen festgestellten Verhältnissen höchstwahrscheinlich nicht in der Lage ist, diesen Anspruch in absehbarer Zeit zu erfüllen, kann von ihnen nicht verlangt werden. Eine solche Klage würde einen weiteren Rechtsstreit gegen den Beklagten nicht hintanhalten und nur weitere Kosten verursachen. Da ein weiterer Versuch der gerichtlichen Geltendmachung ihres bereicherungsrechtlichen Rückabwicklungsanspruches gegen Kurt F den Klägern unter diesen Umständen nicht zugemutet werden kann, ist in ihrem Vorgehen gegen den Beklagten kein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht zu erblicken. Schließlich wurde von beiden Vorinstanzen richtig erkannt und vom Berufungsgericht ausführlich und zutreffend begrundet, daß den Beklagten das alleinige Verschulden daran trifft, daß der Kaufvertrag wieder aufgehoben werden mußte, und er daher verpflichtet ist, den Klägern den dadurch verursachten Schaden zu ersetzen, sodaß diesbezüglich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen werden kann.

Rechtssätze
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