JudikaturJustiz1Ob2383/96i

1Ob2383/96i – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. März 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Theresa G*****, geboren am 19.September 1981, und Verena G*****, geboren am 13.Februar 1984, beide vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck als Unterhaltssachwalterin, über den Revisionsrekurs des Vaters Peter G*****, gegen den Beschluß des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 25.September 1996, GZ 21 R 436/96h 120, womit der Beschluß des Bezirksgerichts Frankenmarkt vom 31.Juli 1996, GZ 8 P 1537/95x 117, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Vater, den sonst keine weiteren Sorgepflichten treffen und der im Zeitraum vom 1.Jänner bis 30.Juni 1996 als Kraftfahrer inklusive Zulagen und Sonderzahlungen im Durchschnitt monatlich 20.637 S netto verdiente, ist zufolge des Unterhaltserhöhungsbeschlusses vom 23.Dezember 1994 zur Leistung monatlicher Unterhaltsbeiträge von je 2.580 S für seine beiden 1981 und 1984 geborenen, in der Obsorge deren Mutter befindlichen Töchter verpflichtet. Er bewohnt sein noch nicht fertiggestelltes Einfamilienhaus. Aus dessen Errichtung sowie der Ausgleichszahlung an seine geschiedene Gattin hat er Schulden von etwa 370.000 S.

Die ältere Tochter besuchte im Schuljahr 1995/96 die 4.Klasse einer oberösterreichischen Hauptschule und nahm an der „Wienwoche“ und einem zweitägigen Wandertag teil. Die Kosten der „Wienwoche“ betrugen insgesamt 1.736,50 S, die des Wandertags 570 S. Die jüngere Tochter besuchte im Zeitpunkt der Antragstellung die 2.Klasse eines oberösterreichischen Gymnasiums. Die Umstellung von der Volksschule auf das Gymnasium bereitete ihr in Mathematik große Schwierigkeiten, weshalb sie von Mai 1995 bis Juni 1996 zweimal wöchentlich eineinhalb Stunden Nachhilfeunterricht bei der Schülerhilfe nahm, wofür 11.910 S zu bezahlen waren. Aufgrund eines Oberschenkelbruchs befand sich die Minderjährige vom 5. bis 12.September 1995 in stationärer Pflege eines Landeskrankenhauses; der Selbstbehalt der Aufenthaltskosten betrug 1.141,60 S.

Die durch die Unterhaltssachwalterin vertretenen Kinder beantragten, den Vater zur Zahlung von Sonderunterhalt zu verpflichten: die ältere Tochter zu einem solchen von 1.153 S (50 % der Kosten der „Wienwoche“ und des Wandertags), die jüngere Tochter zu einem Betrag von 6.526 S (je 50 % der Kosten des Nachhilfeunterrichts und des Selbstbehalts aus dem Krankenhausaufenthalt).

Der Vater sprach sich wegen mangelnder Leistungsfähigkeit gegen einen Zuspruch der begehrten Beträge als Sonderbedarf aus.

Das Erstgericht entschied antragsgemäß.

Das Rekursgericht bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung und erachtete den ordentlichen Revisionsrekurs als zulässig. In rechtlicher Hinsicht vertrat es im wesentlichen die Auffassung, die (halben) Kosten des Krankenhausaufenthalts und des Nachhilfeunterrichts der jüngeren Tochter seien vom unterhaltspflichtigen Vater zu deckender Sonderbedarf. Nachhilfestunden seien zwar nach der Rechtsprechung nicht grundsätzlich als Sonderbedarf anzusehen; im vorliegenden Fall sei aber die Lernschwäche des Kindes auf das Fach Mathematik beschränkt und nur durch den Übertritt von der Volksschule in das Gymnasium bedingt gewesen, dürfte somit nur vorübergehend aufgetreten sein. Die geltend gemachten Kosten könnten daher als besondere, von den „Momenten der Außergewöhnlichkeit und der Individualität“ geprägte Ausbildungskosten qualifiziert werden, die ähnlich wie die Kosten von für die Erreichung des Schulziels notwendigen Sprachferien als deckungspflichtiger Sonderbedarf anzuerkennen seien. In der Entscheidung 2 Ob 2022/96 habe der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, Kosten der Schullandwoche gingen über den gewöhnlichen Schulaufwand hinaus. Sie seien daher vom Unterhaltspflichtigen unter Berücksichtigung der unter dem Regelbedarf liegenden laufenden Unterhaltszahlungen grundsätzlich zu tragen (so auch die Entscheidung 5 Ob 524/95 zu den Kosten einer Klassenfahrt in den Lungau). Das Rekursgericht schließe sich dieser Rechtsansicht an, zumal auch der vom Vater geleistete laufende Unterhalt für die ältere Tochter (aber auch für die jüngere Tochter) um 980 S unter dem seit 1.Juli 1995 geltenden Regelbedarf von 3.560 S liege. Unter Zugrundelegung der festgestellten Einkünfte des Vaters nach der sogenannten Prozentmethode errechne sich derzeit ein laufender Unterhaltsanspruch beider Kinder von je 3.715 S, somit um 1.135 S mehr als die derzeit vom Vater geleisteten Unterhaltsbeiträge von je 2.580 S. Im Hinblick darauf und auf das durchschnittliche Monatseinkommen des Vaters von mehr als 20.000 S verbleibe dem Vater ungeachtet der von ihm zu tragenden Kosten von insgesamt 7.679 S ein zur Deckung der seinen Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse entsprechender Betrag. Die Schulden aus dem Hausbau und der Finanzierung der Ausgleichszahlung an die geschiedene Gattin könnten nicht zur Begründung seiner mangelnden Leistungsfähigkeit ins Treffen geführt werden, weil diese die Unterhaltsbemessungsgrundlage für die Unterhaltsansprüche der Kinder nicht schmälern könnten. Ob die Kosten des Wandertags einen Individualbedarf darstellten oder ob es sich dabei um einen üblichen Aufwand handle, der für die Mehrzahl der unterhaltsberechtigten Kinder anfalle und daher aus dem laufenden Unterhalt zu bestreiten sei, könne hier dahingestellt bleiben, weil die Leistungsfähigkeit des Vaters ohnehin nicht ausgeschöpft sei, sodaß auch dieses Begehren im Ergebnis berechtigt sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters mit dem erkennbaren Antrag, die Anträge der Kinder auf Zuspruch von Sonderunterhalt abzuweisen, ist nicht zulässig.

Gemäß § 140 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes anteilig beizutragen. Bei der Unterhaltsbemessung kommt es vor allem auf die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten an; es ist aber auch die konkrete Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen. Einen Anhaltspunkt dafür, nach welchen Kriterien der Beitrag der Eltern zu ermitteln ist, gibt das Gesetz durch Verknüpfung der Bedürfnisse des Kindes mit den Lebensverhältnissen der Eltern (EvBl 1995/129 = ÖA 1995, 67; EFSlg 73.864 f uva). Ein konkretes Berechnungssystem kann dem Gesetz, das die Bemessungskriterien nur durch unbestimmte Rechtsbegriffe umschreibt, nicht entnommen werden. Es kann daher auch der Oberste Gerichtshof nur jene Umstände aufzeigen, auf die es im Einzelfall ankommt (EvBl 1995/129; EFSlg 70.660 uva). Auch in Unterhaltsachen ist die Anrufung des Obersten Gerichtshofs vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage abhängig (EFSlg 73.538 ua, zuletzt 1 Ob 2349/96i; Purtscheller/Salzmann , Unterhaltsbemessung, Rz 3 mwN). Dies gilt auch für die Frage, ob die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners überschritten wird oder ob ein konkreter Sonderbedarf des Kindes zu decken ist.

Im Zivilprozeß wird die Auffassung vertreten, selbst wenn das Berufungsgericht - zu Recht - ausgesprochen habe, daß die ordentliche Revision oder der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, das Rechtsmittel aber doch nur solche Gründe geltend mache, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhänge, sei die Revision oder der Rekurs trotz der Zulässigerklärung durch das Gericht zweiter Instanz zurückzuweisen (8 Ob 2/95 = ÖJZ LSK 1996/5; 1 Ob 610/95 ua; RIS Justiz RS0102059; Kodek in Rechberger , vor § 502 ZPO Rz 3). Nach der Neuordnung des Revisionsrekursrechtes im Verfahren außer Streitsachen und dessen Anpassung an das Revisionsrecht der Zivilprozeßordnung ist dieser Grundsatz mit Einschränkungen auch im Verfahren außer Streitsachen anzuwenden. Da § 16 Abs 3 AußStrG nur auf die Bestimmungen des § 508a und des § 510 Abs 1 letzter Satz und Abs 2 ZPO verweist, nicht jedoch auf § 506 ZPO, werden im außerstreitigen Verfahren vom Revisionsrekurswerber keine besonderen Rechtsausführungen zur Zulässigkeit seines Rechtsmittels verlangt (EFSlg 67.460). Es genügt, wenn in den Anfechtungsgründen die iSd § 14 Abs 1 AußStrG erhebliche Rechtsfrage (zumindest) angesprochen wird (1 Ob 2349/96i; 6 Ob 527, 528/92 ua).

Eine solche erhebliche Rechtsfrage wird im Rechtsmittel indes nicht aufgeworfen.

Unter dem Regel- oder Allgemeinbedarf versteht man im allgemeinen jenen Bedarf, den jedes Kind einer bestimmten Altersstufe in Österreich ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse seiner Eltern an Nahrung, Kleidung, Wohnung und zur Bestreitung seiner weiteren Bedürfnisse hat. Der Sonder- oder Individualbedarf ist dagegen der Bedarf, der dem unterhaltsberechtigten Kind infolge Berücksichtigung der bei der Ermittlung des Regelbedarfs bewußt außer acht gelassenen Umstände erwächst (RZ 1995/30; SZ 63/81 mwN; 2 Ob 2022/96h uva). Ob ein solcher Sonderbedarf vom Unterhaltspflichtigen zu decken ist, hängt davon ab, wovon dieser Sonderbedarf verursacht wurde (RZ 1991/25 = EFSlg 61.849 mwN ua) und ob er dem Unterhaltspflichtigen angesichts der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern des Kindes zumutbar ist. Generell kann gesagt werden, daß er durch Momente der Außergewöhnlichkeit, Dringlichkeit und Individualität bestimmt wird (RIS Justiz RS0047539), also nicht mit weitgehender Regelmäßigkeit für die Mehrzahl der unterhaltsberechtigten Kinder anfällt (EFSlg 67.839; 5 Ob 524/95 = Jus extra OGH Z 1912; Schwimann , Unterhaltsrecht 28 f mwN in FN 137). Jedenfalls hat die gesonderte Abgeltung von Sonderbedarf Ausnahmecharakter ( Schwimann aaO 29). Eine generelle Aufzählung all dessen, was als Sonderbedarf - der inhaltlich hauptsächlich die Erhaltung der (gefährdeten) Gesundheit, die Heilung einer Krankheit und die Persönlichkeitsentwicklung (insbesondere Ausbildung, Talentförderung und Erziehung) des Kindes betrifft - anzuerkennen ist, ist kaum möglich (vgl etwa die Beispiele bei Schlemmer/ Schwimann in Schwimann , § 140 ABGB Rz 25 ff). Die von der zweiten Instanz mit der Begründung, die höchstgerichtliche Rechtsprechung sei zur Frage, ob die Kosten einer „Wienwoche“ (einer vergleichbaren Schullandwoche oder eines Schikurses) als Sonderbedarf anzusehen seien, uneinheitlich (bejahend 2 Ob 2022/96h und verneinend 7 Ob 2123/96y), weiters fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob Nachhilfestundenkosten als Sonderbedarf anzuerkennen seien, kann hier auch deshalb unerörtert bleiben, weil der Vater in seinem Rechtsmittel gegen die Berücksichtigung dieser Ausgaben - ohnehin nur zur Hälfte - als Sonderbedarf nichts vorträgt und sich ausschließlich auf seine mangelnde Leistungsfähigkeit beruft.

Auch der Anspruch auf Sonderbedarf ist grundsätzlich nur im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen deckungspflichtig (EFSlg 67.838 mwN; SZ 63/121; 2 Ob 2022/96y ua; RIS Justiz RS0047544; Schwimann aaO 29). Je existentieller ein Sonderbedarf ist, desto eher ist der Unterhaltspflichtige damit zu belasten ( Schlemmer/Schwimann aaO Rz 23). Auch bei Berücksichtigung eines Sonderbedarfs hat sich jedoch die Unterhaltsbemessung im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu halten, weil dem Unterhaltspflichtigen ein zur Deckung der seinen Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse entsprechender Betrag zu verbleiben hat (SZ 68/38 = JBl 1995, 784, 808 [ Gitschthaler ]; SZ 63/121 ua; Purtscheller/Salzmann aaO Rz 12). Dabei ist auch die fortlaufende Unterhaltsverpflichtung zu beachten (SZ 68/38; EFSlg 70.763). Nach der Entscheidung SZ 68/38 ist bei der Bestimmung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners zur Deckung des Sonderbedarfs vom Freibetrag nach § 292b EO als absoluter Belastbarkeitsgrenze auszugehen. Diese Grenze wurde hier bei weitem nicht überschritten. Eine Grundsatzentscheidung durch den Obersten Gerichtshof ist im vorliegenden Fall nicht geboten: Ob nämlich der Vater nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in der Lage ist, einen bestimmten Unterhaltsonderbedarf des Kindes mitzufinanzieren, läßt sich nur durch eine in ihrer Bedeutung über den vorliegenden Einzelfall nicht hinausreichende Ermessensentscheidung klären (1 Ob 2015/96x; RIS Justiz RS0102367). Im Einzelfall kommt es darauf an, ob auch in einer intakten Familie und unter Berücksichtigung der konkreten Einkommens- und Vermögenssituation der gesamten Familie eine Deckung dieses konkreten Sonderbedarfs unter objektiven Gesichtspunkten in Betracht gezogen werden würde. Daß dem Gericht zweiter Instanz bei Anwendung des richterlichen Ermessens ein gravierender, an die Grenzen des Mißbrauchs gehender Fehler unterlaufen wäre oder jenes einen gegebenen Ermessensspielraum eklatant überschritten hätte, ist dem Akteninhalt in keiner Weise zu entnehmen; nur ein solcher Fehler wäre aufgrund eines sonst zulässigen Rechtsmittels wahrzunehmen. In den Rahmen des Ermessensspielraums fällt auch das von der zweiten Instanz zutreffend verwendete Argument, das Begehren auf Deckung eines solchen Bedarfs werde auch dann berechtigt sein, wenn ihm zwar kein von den „Momenten der Außergewöhnlichkeit und der Individualität“ geprägter Sonderbedarf im eigentlichen Sinn zugrunde liege, die Leistungsfähigkeit des Vaters durch die laufenden Unterhaltszahlungen aber nicht ausgeschöpft sei und überdies - wie hier - die laufenden Unterhaltszahlungen unterhalb des Regelbedarfs liegen.

Das von der zweiten Instanz zugelassene Rechtsmittel ist demnach mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG gemäß § 16 Abs 3 AußStrG iVm § 508a Abs 2 ZPO zurückzuweisen. Auf die Frage der Verspätung des Rechtsmittels ist nicht mehr einzugehen.

Rechtssätze
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