JudikaturJustiz13Os63/05x

13Os63/05x – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. August 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. August 2005 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Besenböck als Schriftführer in der Privatanklagesache des Ing. Karl P***** gegen unbekannte Täter wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB, AZ 285 Ur 48/05h des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse vom 18. März 2005 (ON 3) und vom 3. Mai 2005 (ON 6) nach öffentlicher Verhandlung in Gegenwart des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Fabrizy, sowie in Anwesenheit des Privatanklagevertreters Dr. Rami, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Strafverfahren zum AZ 285 Ur 48/05h des Landesgerichtes für Strafsachen Wien verletzt der Beschluss des Untersuchungsrichters vom 18. März 2005 (ON 3) das Gesetz in der Bestimmung des § 111 Abs 1 StGB.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem am 15. März 2005 beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 285 Ur 48/95h eingebrachten Schriftsatz beantragte Ing. Karl P***** die Durchführung von Vorerhebungen durch die Sicherheitsbehörde zur Klärung der Frage, wer der Verfasser der E-Mail an Stephan T***** ist, die in den Artikeln „NEWS deckt auf:

Neue Ermittlungen in Kärnten nach Parteienfinanzierung-Vorwurf" auf der Internet-Website http://www.networld.at/ und „Die Geheimakte Kärnten" in der Druckausgabe des „NEWS" Nr 10 vom 10. März 2005, Seiten 32 f, erwähnt wurde. Insbesondere beantragte er auch die Durchführung einer Hausdurchsuchung bei Stephan T***** samt Sicherung dieser E-Mail und aller dazugehörigen Daten, vor allem der IP-Adresse desjenigen Rechners, von dem aus diese E-Mail an Stephan T***** versandt wurde.

Zur Begründung brachte Ing. Karl P***** im Wesentlichen vor, nach dem Inhalt der beiden Veröffentlichungen sei dem jungen Kärntner ÖVP-Abgeordneten Stephan T***** Mitte Februar von einem Anonymus per E-Mail ein umfangreiches Dossier zugegangen, das unrichtige Korruptionsvorwürfe gegen ihn, den Privatankläger, als vormaligen Kärntner Finanzlandesrat beinhalte. Weil der Inhalt der in den beiden Artikel erwähnten E-Mail an Stephan T***** den Tatbestand des § 111 Abs 1 und 2 verwirkliche, beabsichtige er, gegen den unbekannten Verfasser der E-Mail eine Privatanklage (§ 46 StPO) einzubringen. Das Landesgericht für Strafsachen Wien sei gemäß § 40 Abs 1 erster Satz und Abs 2 erster Satz MedienG iVm § 41 Abs 2 erster Satz MedienG (idF vor BGBl I Nr 49/2005) örtlich zuständig, weil der Provider der Internet-Website seinen Sitz in Wien habe und auch der Verlagsort der Druckausgabe der „NEWS" Wien sei.

Mit Beschluss vom 18. März 2005 (ON 3) wies der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien den Antrag ab. Zur Begründung führte er ua aus, es könne aus dem Vorbringen des Privatanklägers nicht darauf geschlossen werden, dass der Tatbestand des „§ 111 StGB vom Vorsatz des E-Mail-Verfassers umfasst gewesen sei". Denn aus den vorgelegten Artikeln gehe hervor, dass der anonyme Verfasser ausschließlich Stephan T*****, nicht aber weiteren Personen oder der Öffentlichkeit Informationen zur Verfügung habe stellen wollen. Das ergebe sich schon zwingend aus dem Umstand, dass im NEWS-Artikel das E-Mail als „streng vertraulich" bezeichnet werde (NEWS S 32).

Der dagegen erhobenen Beschwerde des Privatanklägers gab die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 3. Mai 2005 keine Folge (ON 6). Sie befand, dass der Privatankläger seinen Angaben zufolge den Verfasser des in Rede stehenden „streng vertraulichen" E-Mails, nicht jedoch jenen des NEWS-Artikels zu verfolgen beabsichtige. Nach dem Vorbringen im Antrag sei sohin kein Medieninhaltsdelikt gegeben, weil die dem unbekannten Verfasser angelastete Tat nicht durch den Inhalt eines Mediums begangen worden sei. Das Landesgericht für Strafsachen Wien sei daher nicht zuständig.

Rechtliche Beurteilung

Wie der Generalprokurator in der von ihm gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht die im Beschluss des Untersuchungsrichters vertretene Rechtsansicht mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Üble Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB erfordert eine beleidigende Äußerung des Täters in einer für einen (einzigen) Dritten (also einer von Tätern und Beleidigten verschiedenen Person) wahrnehmbaren Weise (SSt 50/9). Dass die abfällige Äußerung dem Verletzten gegenüber oder wenigstens in seiner Gegenwart gemacht wird, ist für § 111 StGB weder erforderlich noch genügend. Abzustellen ist demnach bloß auf einen Dritten als Erklärungsempfänger, wobei aber nicht einmal seine tatsächliche Wahrnehmung oder Gegenwart vorausgesetzt wird, sodass schon die bloße Wahrnehmbarkeit des beleidigenden Vorwurfs für (zumindest) einen Dritten die Tat zur üblen Nachrede macht. Bei einer Beleidigung in Briefform fehlt die Wahrnehmbarkeit für einen Dritten im Allgemeinen nur dann, wenn sie in einem verschlossenen, an den Beleidigten selbst gerichteten Brief erfolgt (vgl Foregger in WK2 § 111 Rz 21; Mayerhofer aaO E Nr 26; 27 ff; Kienapfel/Schroll BT I5 § 111 Rz 26).

Nach dem Vorbringen im Antrag war Stephan T***** dieser Dritte, dem gegenüber der Anonymus die den Privatankläger belastenden Äußerungen gemacht haben soll. Der Verbreitungsvorsatz des Täters musste sich daher nur auf die Wahrnehmbarkeit durch Stephan T***** beziehen. Ob sich aber der Vorsatz des anonymen E-Mail-Verfassers auch auf die Weiterverbreitung seines Vorwurfes durch Stephan T***** erstreckte, ist - entgegen der im Beschluss des Untersuchungsrichters ON 3 ersichtlichen Meinung - für die Erfüllung des (Grund )Tatbestandes des § 111 Abs 1 StGB nicht von Bedeutung. Diese Gesetzesverletzung war aufzeigen.

Zum Beschluss der Ratskammer brachte die Wahrungsbeschwerde vor:

„§ 41 Abs 2 MedienG" (übrigens auch die in diesem Punkt damlas noch nicht anzuwendende Fassung BGBl I Nr 49/2005) normiert für Medieninhaltsdelikte die Eigenzuständigkeit des Gerichtshofes erster Instanz. Nach der Legaldefinition des § 1 Abs 1 Z 12 MedienG ist ein Medieninhaltsdelikt eine durch den Inhalt eines Mediums begangene, mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung, die in einer an einen größeren Personenkreis gerichteten Mitteilung oder Darbietung besteht."

Mit der solcherart bezeichneten Begehung „durch den Inhalt eines Mediums" wird nur der (abstrakte) mediale Multiplikationseffekt umschrieben, der das Delikt charakterisiert, nicht aber die Handlung des Täters. Wird daher eine als üble Nachrede zu qualifizierende Äußerung in einem Medium publiziert, so liegt ein Medieninhaltsdelikt auch dann vor, wenn die Veröffentlichung vom Vorsatz des Täters nicht umfasst war (JBl 2002, 605 = MR 2001, 225, 12 Os 1/05x; Hanusch, Mediengesetz § 1 Rz 27, Rami, Vorsatz und Medieninhaltsdelikt, MR 2003, 16; aA Swoboda, Das Recht der Presse2 63, Zöchbauer, Die „Zitatenjudikatur" - ein Zwischenbericht, MR 2001, 149 [151 und FN 27a], MR 2001, 227 f [Entscheidungsbesprechung]).

Da nach dem Vorbringen im Antrag dem unbekannten Täter somit ein Medieninhaltsdelikt vorgeworfen wird, hat die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien die Zuständigkeit des Gerichtshofes zu Unrecht abgelehnt.

Die Entscheidung der Ratskammer betreffend hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Nach § 1 Abs 1 Z 12 MedienG handelt es sich bei einem Medieninhaltsdelikt um „eine durch den Inhalt eines Mediums begangene, mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung, die in einer an einen größeren Personenkreis gerichteten Mitteilung oder Darbietung besteht."

Wie der Oberste Gerichtshof zu 15 Os 10/98 (= SSt 63/7 = JBl 2000, 401 [Tipold] = EvBl 1998/142 = MR 1998, 188 [Zöchbauer]; iglS bereits 15 Os 54/90) ausgeführt hat, verweist die Legaldefinition eines Medieninhaltsdeliktes (zum Begriff: Hager/Zöchbauer4 3) auf das materielle Strafrecht (vgl auch Weiß, MR 1990, 10, 35; s aber 11 Os

53/01 (= JBl 2002, 605 [Kert] = MR 2001, 225 [Zöchbauer und Weis], 12

Os 1/05x = MR 2005, 166; den Meinungsstand zusammenfassend Rami, MR

2003, 16 mwN). Auch nach § 28 MedienG bestimmt sich die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Medieninhaltsdelikte, soweit das MedienG im Folgenden nichts anderes bestimmt, nach den allgemeinen Strafgesetzen.

Bestimmt das Gesetz nichts anderes, ist der Vorsatz notwendige (subjektive) Bedingung der Strafdrohung (§ 7 Abs 1 StGB; Fuchs AT I6 8; Jescheck/Weigend5 238, 242 ff).

Danach liegt nur dann eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung vor, wenn sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand erfüllt sind (zuletzt in anderem Zusammenhang: 15 Os 144/03, 15 Os 148/03).

Soweit Rami (aaO) aus der Wortfolge „selbständiges Verfahren wegen eines Medieninhaltsdelikts" in § 36 Abs 2 MedienG (und in § 41 Abs 1 MedienG in der bis zur MedienGNov 2005, BGBl I Nr 49, geltenden Fassung) auf einen davon abweichenden Wortsinn schließt, weil das selbständige Verfahren der §§ 33 Abs 2, 34 Abs 3 MedienG auf die Erfüllung bloß des objektiven Tatbestandes einer strafbaren Handlung abstelle, womit auch der Begriff des Medieninhaltsdeliktes nur den objektiven Tatbestand einer strafbaren Handlung meine, vermag der Oberste Gerichtshof diesem Systemargument nicht beizupflichten. In beiden Vorschriften bezieht sich die Wortfolge „wegen eines Medieninhaltsdelikts" nämlich sowohl auf die Begriffe „Strafverfahren" als auch „selbständiges Verfahren". So gesehen sollten mit dem Hinweis auf das selbständige Verfahren in § 36 Abs 2 (und in § 41 Abs 1 aF) MedienG nur die von §§ 33 Abs 2, 34 Abs 3 MedienG angesprochenen Fälle der Verwirklichung (bloß) des objektiven Tatbestandes eines (demnach durch objektiven und subjektiven Tatbestand definierten) Medieninhaltsdeliktes angesprochen werden. Dies wird durch § 41 Abs 1 MedienG idF der MedienGNov 2005 nachdrücklich bestätigt. Schließlich verlangt § 37 Abs 1 erster Satz MedienG für die Anordnung der Veröffentlichung einer Mitteilung über das eingeleitete Verfahren die Annahme, dass „der objektive Tatbestand eines Medieninhaltsdelikts hergestellt worden ist." Will man dem Gesetz keinen Pleonasmus unterstellen, erhellt bereits daraus unmissverständlich, dass zum Begriff des Medieninhaltsdeliktes auch die Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes zählt (zum Versuch eines Medieninhaltsdeliktes Hager, MR 1995, 11 und Ratz, MR 1995, 49).

Der Generalprokurator hat nicht die Sachverhaltsannahmen der angefochtenen Entscheidungen zu der dem Antrag des Ing. P***** auf Durchführung von Vorerhebungen zugrunde liegenden Tat nach Art einer Nichterledigung der Anklage (14 Os 37/05f), vielmehr bloß die rechtliche Beurteilung der Konsequenzen als Gesetzesverletzung gerügt. Der Oberste Gerichtshof hat also auf dieser Tatsachenbasis zu entscheiden (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 6, 40).

Nach diesen Annahmen wurde das den Veröffentlichungen zugrunde liegende E-Mail „streng vertraulich" und nicht mit einem auf nachfolgende Veröffentlichung (§ 1 Abs 1 Z 12 MedienG) gerichteten Vorsatz begangen, womit der unbekannt gebliebene Versender zwar als unmittelbarer Täter das Vergehen der Üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB, nicht aber echt ideell konkurrierend auch noch das Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB als Bestimmungs- oder Beitragstäter (§ 12 zweiter oder dritter Fall StGB) verwirklicht hätte.

Nach Maßgabe der vorstehend angestellten Erwägungen betrafen die begehrten Vorerhebungen somit kein Medieninhaltsdelikt. Diese bezogen sich nämlich nicht auf die mediale Weiterverbreitung, vielmehr nur auf die zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossene Mitteilung selbst, mithin eine von der Weiterverbreitung verschiedene Tat (= einen anderen Prozessgegenstand), was die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ohne Rechtsirrtum erkannt hat. Würde übrigens jeder ehrenrührige Vorwurf (§ 111 StGB), der zu einer an einen größeren Personenkreis gerichteten Mitteilung oder Darbietung führt, solcherart zu einem Medieninhaltsdelikt (§ 1 Abs 1 Z 12 MedienG) und würden alle auf dieser Information basierenden (inhaltsgleichen) derartigen Publikationen, wovon die Beschwerde auszugehen scheint, zu ein- und demselben Prozessgegenstand verschmolzen, könnten der rechtskräftigen Aburteilung nachfolgende Publikationen mit Blick auf die Geltung des Grundsatzes ne bis in idem straf- und medienrechtlich nicht mehr erfasst werden. Für die Annahme, dass das MedienG mit dem Begriff des Medieninhaltsdeliktes just darauf abgezielt hätte, fehlt indes ein Hinweis (vgl auch Kienapfel/Schroll BT I5 Vorbem §§ 111 ff Rz 70, § 112 Rz 18, 27).

Rechtssätze
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