Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des G M, vertreten durch Rechtsanwälte Gruber Partnerschaft KG in 1010 Wien, Wipplingerstraße 20, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Dezember 2024, W602 14378383/15E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung mit Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 17. Oktober 2023 wurde ein Antrag des Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen der Demokratischen Republik Kongo, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK nach § 55 AsylG 2005 abgewiesen, eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen, die Zulässigkeit seiner Abschiebung „in den Kongo“ festgestellt und eine Frist für seine freiwillige Ausreise eingeräumt.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe, dass die Zulässigkeit seiner Abschiebung „in die Demokratische Republik Kongo“ festgestellt werde, als unbegründet ab und erklärte die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
3Dagegen richtet sich die vorliegende Revision, die unter der Überschrift „3. Revisionspunkte“ als verletzte subjektive Rechte das „Recht auf Gewährung von Asyl und internationalen Schutz“ sowie das „Recht auf Privat- und Familienleben gemäß Art 8 EMRK“ geltend macht.
4Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt bei der Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses bzw. Beschlusses dem Revisionspunkt entscheidende Bedeutung zu, weil der Verwaltungsgerichtshof nach § 41 Abs. 1 VwGG nicht zu prüfen hat, ob irgendein subjektives Recht des Revisionswerbers, sondern nur, ob jenes verletzt wurde, dessen Verletzung er behauptet. Durch den Revisionspunkt wird der Prozessgegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof festgelegt und der Rahmen abgesteckt, an den der Verwaltungsgerichtshof bei der Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses bzw. Beschlusses gebunden ist. Wird der Revisionspunkt unmissverständlich ausgeführt, so ist er einer Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang der Revision nicht zugänglich (vgl. VwGH 24.6.2024, Ra 2022/17/0004, mwN).
5Gegenstand des angefochtenen Erkenntnisses war die Nichtzuerkennung des durch den Revisionswerber begehrten Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 sowie die Verhängung einer Rückkehrentscheidung mit Nebenaussprüchen, sodass über das durch den Revisionswerber als verletzt erachtete „Recht auf Gewährung von Asyl und internationalen Schutz“ nicht abgesprochen wurde.
6Bei dem durch den Revisionswerber weiters als Revisionspunkt bezeichneten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK handelt es sich um ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht, dessen behauptete Verletzung gemäß Art. 144 Abs. 1 B VG die Prozessvoraussetzung für ein Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof bildet und dessen Verletzung zu prüfen der Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 5 BVG nicht berufen ist (vgl. VwGH 20.9.2021, Ra 2021/14/0268, mwN). Mit diesem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht wird somit kein subjektives Recht im Sinn des § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG bezeichnet (vgl. VwGH 16.7.2020, Ra 2020/02/0130, mwN).
Selbst wenn die vom Revisionswerber vorgenommene Bezeichnung des Revisionspunktes als Umschreibung des subjektiven Rechts auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 verstanden werden könnte, zumal § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 auf die „Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK“ abstellt (vgl. VwGH 6.3.2023, Ro 2023/01/0001, Rn. 9, mwN), wäre für den Revisionswerber nichts gewonnen.
Die im Rahmen einer Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurdenicht revisibel (vgl. etwa VwGH 20.9.2021, Ra 2021/14/0268, Rn. 11, mwN).
Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist zwar nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen auch nach einem so langen Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. VwGH 27.10.2023, Ra 2023/17/0109, jeweils mwN).
Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale auch gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden können. Dazu zählen etwa das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung, Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften, eine zweifache Asylantragstellung, unrichtige Identitätsangaben, sofern diese für die lange Aufenthaltsdauer kausal waren, oder die Missachtung melderechtlicher Vorschriften (vgl. erneut VwGH 27.10.2023, Ra 2023/17/0109, mwN).
Dem Umstand, dass der Aufenthaltsstatus des Fremden ein unsicherer war, kommt zwar Bedeutung zu, er hat aber nicht zur Konsequenz, dass der während seines unsicheren Aufenthaltes erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist. Allerdings ist der Umstand zu berücksichtigen, dass der Inlandsaufenthalt überwiegend unrechtmäßig war (vgl. erneut VwGH 27.10.2023, Ra 2023/17/0109, mwN).
Im Ergebnis bedeutet das, dass auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte nicht zwingend von einem Überwiegen der persönlichen Interessen auszugehen ist, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. Es ist daher auch in Fällen eines mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalts eine Gesamtabwägung unter Einbeziehung aller fallbezogen maßgeblichen Aspekte vorzunehmen, wenn auch unter besonderer Gewichtung der langen Aufenthaltsdauer (vgl. erneut VwGH 27.10.2023, Ra 2023/17/0109, mwN).
Fallbezogen durfte das Bundesverwaltungsgericht daher trotz der langen Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers von über elf Jahren im Rahmen der angestellten Interessenabwägung auch in Anschlag bringen, dass sich der Revisionswerber an wechselnden Orten ohne korrekte Wohnsitzmeldung aufhielt, um sich einer Festnahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wegen seines unrechtmäßigen Verbleibens im Bundesgebiet trotz Vorliegens einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung aus einem vorangegangenen Asylverfahrenzu entziehen. Da der Revisionswerber zudem noch nie erwerbstätig war, seinen Unterhalt aus der Grundversorgung bestreitet und nur rudimentäre Deutschkenntnisse aufweist, ging das Bundesverwaltungsgericht daher nicht unvertretbar davon aus, dass ihm trotz seiner langen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet kein Aufenthaltsrecht aufgrund von Art. 8 EMRK zukommt.
7Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 21. März 2025