Spruch
W167 2190608-1/57E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Daria MACA-DAASE als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , zu Recht:
A)
1. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. BF reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann und einem Verwandten illegal in Österreich ein und stellte am XXXX in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit den angefochtenen Bescheiden wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten bzw. subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I bzw. II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde der BF nicht erteilt (Spruchpunkt III). Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen die BF erlassen (Spruchpunkt IV), festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V), und eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt VI).
3. Die vertretene BF erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.
4. Mit Erkenntnis vom XXXX wurden der BF und ihrem Ehemann subsidiärer Schutz zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
5. Gegen die Nicht-Zuerkennung von Asyl erhob die BF Revision an den VwGH, welcher der Verwaltungsgerichtshof stattgab und das angefochtene Erkenntnis behob.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu der BF
Die BF führt den im Spruch genannten Namen und das dort angegebene Geburtsdatum. Bei BF1 handelt es sich um eine Frau.
Sie ist volljährige Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan und stammt aus der Provinz XXXX . Sie gehört der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensgemeinschaft des Islam an. Dari ist ihre Muttersprache. Sie hat ihr gesamtes Leben bis zur Ausreise Richtung Europa in Afghanistan verbracht.
Die BF ist in Österreich zum Zeitpunkt dieser Entscheidung strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zur aktuellen Situation in Afghanistan
Afghanistan steht derzeit unter der Kontrolle des Taliban-Regimes.
Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan (Version 11, 10.04.2024, Schreibfehler teilweise korrigiert) zur aktuellen Lage von weiblichen Personen in Afghanistan:
20 Relevante Bevölkerungsgruppen
20.1 Frauen
Letzte Änderung 2024-03-28 13:47
Bereits vor Machtübernahme der Taliban war die afghanische Regierung nicht willens oder in der Lage, die Frauenrechte in Afghanistan vollumfänglich umzusetzen, allerdings konnten Mädchen grundsätzlich Bildungseinrichtungen besuchen, Frauen studieren und weitgehend am Berufsleben teilnehmen, wenn auch nicht in allen Landesteilen gleichermaßen (AA 26.06.2023).
Es gab eine Reihe von Gesetzen, Institutionen und Systemen, die sich mit den Rechten von Frauen und Mädchen in Afghanistan befassten. So hatte beispielsweise das Ministerium für Frauenangelegenheiten mit seinen Büros in der Hauptstadt und in jeder der 34 Provinzen des Landes die Aufgabe, „die gesetzlichen Rechte der Frauen zu sichern und zu erweitern und die Rechtsstaatlichkeit in ihrem Leben zu gewährleisten“ (AI 7.2022).
In den letzten drei Jahren haben die Taliban Beschränkungen für Frauen eingeführt, die sie an der aktiven Teilnahme an der Gesellschaft hindern (HRW 11.01.2024; vgl. UNGA 01.12.2023, IOM 22.02.2024). Rechte von Frauen und Mädchen auf Bildung, Arbeit und Bewegungsfreiheit wurden eingeschränkt (HRW 11.01.2024; vgl. IOM 22.02.2024, UNAMA 22.01.2024) sowie das System zum Schutz und zur Unterstützung von Frauen und Mädchen, die vor häuslicher Gewalt fliehen, zerstört (HRW 26.07.2023). Insbesondere das Taliban-Ministerium für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung von Lastern und die entsprechenden Abteilungen auf Provinzebene übernehmen diese Durchsetzungsfunktion in Bezug auf Hidschab, Mahram und andere Anforderungen an Frauen, indem sie öffentliche Orte, Büros und Bildungseinrichtungen aufsuchen, Kontrollpunkte einrichten und die Einhaltung überwachen (UNAMA 22.01.2024). Darüber hinaus haben die Taliban Mechanismen zur Überwachung der Menschenrechte, wie die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission, aufgelöst (AIHRC 26.05.2022; vgl. OHCHR 10.10.2022) und spezialisierte Gerichte für geschlechtsspezifische Gewalt und Unterstützungsdienste für die Opfer abgeschafft (OHCHR 10.10.2022).
Die Taliban gehen auch 2023 immer härter gegen die Rechte von Frauen und Mädchen vor, wie jüngste Anordnungen zeigen, darunter die Entlassung von Frauen aus Beschäftigungsverhältnissen in Kindergärten und die Schließung aller Schönheitssalons, die eine wichtige Quelle für die verbleibende Beschäftigung von Frauen und ein seltener Ort waren, an dem Frauen und Mädchen Gemeinschaft und Unterstützung außerhalb ihrer Häuser finden konnten (HRW 26.07.2023).
Bekleidungsvorschriften
Im Mai 2022 erließen die Taliban einen neuen Erlass, der eine strenge Kleiderordnung für Frauen festschreibt. Sie dürfen das Haus nicht „ohne Not“ verlassen und müssen, wenn sie es dennoch tun, den sogenannten „Scharia-Hijab“ tragen, bei dem das Gesicht ganz oder bis auf die Augen bedeckt ist. Die Anordnung macht den Mahram (den „Vormund“) einer Frau - ihren Vater, Ehemann oder Bruder - rechtlich verantwortlich für die Überwachung ihrer Kleidung, mit der Androhung, ihn zu bestrafen, wenn sie ohne Gesichtsverschleierung aus dem Haus geht (AAN 15.06.2022; vgl. USIP 23.12.2022, HRW 12.01.2023). In Herat wurde im Juli 2023 die vermehrte Festnahme von Frauen gemeldet, die Kopftuch und Mantel anstatt Ganzkörperschleier trugen (BAMF 31.12.2023; vgl. KaN 22.07.2023, BNN 25.09.2023). Auch im Jahr 2024 wird berichtet, dass die Taliban weiterhin strenge Bekleidungsvorschriften für Frauen und Mädchen durchsetzen (RFE/RL 16.01.2024; vgl. UNAMA 22.01.2024). So gab es Anfang Januar 2024 Medienberichte über die Verhaftung mehrerer Frauen in Kabul (FR24 10.01.2024; vgl. AP 04.01.2024), weil sie den Hidschab nicht ordnungsgemäß trugen (TN 06.01.2024). Auch aus den Provinzen Daikundi (UNAMA 11.01.2024; vgl. Rukhshana 21.01.2024), Mazar-e Sharif (Balkh) (RFE/RL 16.01.2024; vgl. Rukhshana 21.01.2024), Herat, Kunduz, Takhar (RFE/RL 16.01.2024), Bamyan und Ghazni wird von Verhaftungen von Frauen, in Zusammenhang mit Bekleidungsvorschriften, berichtet (Rukhshana 21.01.2024).
Bewegungsfreiheit
Die Taliban schränkten auch die Bewegungsfreiheit von Frauen und Mädchen zunehmend repressiv ein. Zunächst ordneten sie an, dass Frauen und Mädchen auf Langstreckenreisen von einem Mahram begleitet werden müssen (Rukhshana 28.11.2022; vgl. AA 26.06.2023, HRW 11.01.2024). Während des Jahres 2022 untersagten die Taliban Frauen auch den Zutritt zu öffentlichen Bädern und Parks (RFE/RL 16.12.2022). Frauen und Mädchen erklärten gegenüber Amnesty International, dass angesichts der zahlreichen und sich ständig weiterentwickelnden Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit jedes Auftreten in der Öffentlichkeit ohne einen Mahram ein ernsthaftes Risiko darstelle. Sie sagten auch, dass die Mahram-Anforderungen ihr tägliches Leben fast unmöglich machten (AI 7.2022; vgl. Rukhshana 28.11.2022). Die zunehmende Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Frauen hat ihre Möglichkeiten, Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung zu erhalten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, Schutz zu suchen und Gewaltsituationen zu entkommen, erheblich beeinträchtigt (OHCHR 10.10.2022; vgl. IOM 22.02.2024). So besuchten beispielsweise am 26.12.2023 in Kandahar Beamte des Taliban-Ministeriums für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung von Lastern einen Busbahnhof, um sicherzustellen, dass Frauen keine langen Strecken ohne Mahram zurücklegen, und wiesen die Busfahrer an, dass sie Frauen ohne Mahram nicht an Bord lassen sollten (UNAMA 22.01.2024).
Anm.: Mahram kommt von dem Wort „Haram“ und bedeutet „etwas, das heilig oder verboten ist“. Im islamischen Recht ist ein Mahram eine Person, die man nicht heiraten darf, und es ist erlaubt, sie ohne Kopftuch zu sehen, ihre Hände zu schütteln und sie zu umarmen, wenn man möchte. Nicht-Mahram bedeutet also, dass es nicht Haram ist, sie zu heiraten, von einigen Ausnahmen abgesehen. Das bedeutet auch, dass vor einem Nicht-Mahram ein Hijab getragen werden muss (Al-Islam TV 30.10.2021; vgl. GIWPS 8.2022). [...]
20.1.1 Politische Partizipation und Berufstätigkeit von Frauen
Letzte Änderung 2024-03-28 13:52
Nach der Machtübernahme der Taliban äußerten viele Experten ihre besondere Besorgnis über Menschenrechtsverteidigerinnen, Aktivistinnen und führende Vertreterinnen der Zivilgesellschaft, Richterinnen und Staatsanwältinnen, Frauen in den Sicherheitskräften, ehemalige Regierungsangestellte und Journalistinnen, die alle in erheblichem Maße Schikanen, Gewaltandrohungen und manchmal auch Gewalt ausgesetzt waren und für die der zivile Raum stark eingeschränkt wurde. Viele waren deshalb gezwungen, das Land zu verlassen (UNOCHA 17.01.2022; vgl. HRW 24.01.2022). Frauen wurde jeder Posten im Kabinett der Taliban verweigert, das Ministerium für Frauenangelegenheiten ist nicht mehr tätig, und der frühere Sitz des Ministeriums in Kabul wurde in das Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters umgewandelt, das in den 1990er-Jahren als „Sittenpolizei“ berüchtigt war, die strenge Vorschriften für das soziale Verhalten durchsetzte (USIP 17.08.2022) und für seine diskriminierende Behandlung von Frauen und Mädchen berüchtigt ist (AI 7.2022).
Die Beschäftigung von Frauen ist seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 stark zurückgegangen (ILO 07.03.2023; vgl. IOM 22.02.2024). Die International Labour Organization (ILO) schätzte, dass im vierten Quartal 2022 25 % weniger Frauen einer Beschäftigung nachgingen als im zweiten Quartal 2021 (ILO 07.03.2023). Die Taliban erließen Dekrete, die es afghanischen Frauen untersagten, für NGOs (IOM 22.02.2024; vgl. HRW 26.07.2023) und die Vereinten Nationen (UNGA 01.12.2023; vgl. IOM 22.02.2024) zu arbeiten, wobei einige NGOs Ausnahmeregelungen für ihre Mitarbeiterinnen erwirken konnten und weibliche Beschäftigte des Gesundheits-, Bildungs- und Innenministeriums bisher weiterarbeiten durften (NH 08.06.2023).
Viele der Frauen, die weiterhin arbeiten, empfinden dies aufgrund der von den Taliban vorgeschriebenen Einschränkungen in Bezug auf ihre Kleidung und ihr Verhalten als schwierig und belastend (AI 7.2022; vgl. IOM 22.02.2024). So müssen seit Mai 2022 Nachrichtensprecherinnen vor der Kamera ihr Gesicht verhüllen, sodass nur noch ihre Augen zu sehen sind (AI 7.2022; vgl. Guardian 19.05.2022). Mehrere Frauen, die im öffentlichen und privaten Sektor arbeiten, gaben an, dass sie stichprobenartig von Mitgliedern der Taliban in Hinblick auf ihre Kleidung und ihr Verhalten kontrolliert wurden (AI 7.2022). Auch die Vorgabe der Taliban, nach welcher sich Frauen in der Öffentlichkeit nur in Begleitung eines Mahram bewegen dürfen, hat Auswirkungen auf ihr Berufsleben (FH 1.2023; vgl. IOM 22.02.2024). So verzeichnete UNAMA im Oktober und im Dezember 2023 Fälle, in denen Beamte des Taliban-Ministeriums für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung von Lastern Frauen an der Arbeit oder am Zugang zu Dienstleistungen hinderten, weil sie unverheiratet waren oder keinen Mahram hatten (UNAMA 22.01.2024).
Die von den Taliban verhängten Arbeitsbeschränkungen haben zu einer verzweifelten Situation für viele Frauen geführt, welche die einzigen Lohnempfängerinnen ihrer Familien waren, was durch die humanitäre und wirtschaftliche Krise in Afghanistan noch verschärft wird (AI 7.2022). Experten erwarten, dass die strengen Beschränkungen der Taliban für Frauen, die außerhalb ihres Hauses arbeiten, auch die verheerende wirtschaftliche und humanitäre Krise in Afghanistan verschärfen wird (RFE/RL 03.01.2023).
Viele Frauen arbeiten in der Heimarbeit, was einen weiteren Rückgang der Beschäftigung von Frauen verhindert hat (ILO 07.03.2023; vgl. IOM 22.02.2024). Frauen, die von zu Hause aus arbeiten, z. B. in handwerklichen Berufen, werden von den Taliban oder anderen traditionellen religiösen und lokalen Führern in Afghanistan nicht eingeschränkt (NH 08.06.2023).
Seit Mitte Jänner 2022 werden sukzessive Vertreterinnen der ab August 2021 vor allem in Kabul aktiven Protestbewegung durch die Sicherheitskräfte der Taliban festgenommen (AA 26.06.2023; vgl. HRW 12.01.2023). Berichte über Haftbedingungen, Misshandlungen und sexuellen Übergriffen sind aufgrund der gezielten Einschüchterung der Betroffenen schwer zu verifizieren (AA 26.06.2023). Kabul gilt als wichtiger Ort des zivilen Widerstands gegen die Taliban. Seit der Machtübernahme durch die Taliban verzeichnet ACLED in Kabul mehr Demonstrationen mit Beteiligung von Frauen als irgendwo sonst im Land (ACLED 11.08.2023). Die Taliban-Behörden reagierten auch vermehrt mit Gewalt auf Demonstranten und setzten scharfe Munition ein, um diese aufzulösen (HRW 12.10.2022; vgl. Guardian 02.10.2022, ACLED 11.08.2023). Berichte über Verhaftungen von Menschenrechtsaktivistinnen setzten sich über das Jahr 2022 hindurch fort (AI 16.11.2022; vgl. HRW 20.10.2022, Rukhshana 04.08.2022). So wurden beispielsweise Ende 2022 mehrere Frauen aufgrund der Teilnahme an Protesten gegen das Universitätsverbot verhaftet (BBC 22.12.2022; vgl. RFE/RL 22.12.2022) und Proteste gegen die Schließung von Schönheitssalons im Juli 2023 gewaltsam aufgelöst (RFE/RL 19.07.2023).
Auch im Jahr 2023 wurden Frauenrechtsaktivistinnen durch die Taliban verhaftet (HRW 30.11.2023; vgl. AMU 23.01.2024, KP 25.12.2023). [...]
20.1.2 Bildung für Frauen und Mädchen
Letzte Änderung 2024-03-28 13:52
Nachdem die Taliban im August 2021 die Macht in Afghanistan übernommen hatten, verhängten sie ein Verbot der Sekundarschulbildung für Mädchen (USIP 13.04.2023; vgl. AA 26.06.2023). Am 23.03.2022, als die Schülerinnen der weiterführenden Schulen zum ersten Mal nach sieben Monaten wieder in die Klassenzimmer zurückkehrten, gab die Taliban-Führung bekannt, dass die Mädchenschulen geschlossen bleiben würden (HRW 12.01.2023; vgl. HRW 20.12.2022). Aktuell sind weiterführende Schulen für Mädchen in sechs von 34 Provinzen teilweise geöffnet, die Mehrheit der Mädchen ist damit vom Zugang zu weiterführenden Schulen ausgeschlossen (AA 26.06.2023), wobei Berichte darauf hindeuten, dass Mädchen in einigen Teilen des Landes den Unterricht in Mädchen-Madrasas besuchen, die vom Taliban-Bildungsministerium beaufsichtigt werden (UNGA 01.12.2023).
Ende Dezember 2022 verkündeten die Taliban schließlich ein Verbot für Frauen, Universitäten zu besuchen (IOM 22.02.2024; vgl. USIP 13.04.2023, FH 1.2023). Der Bildungsminister der Taliban verteidigte die Entscheidung und gab an, dass das Verbot notwendig sei, um eine Vermischung der Geschlechter an den Universitäten zu verhindern, und weil er glaube, dass einige der unterrichteten Fächer gegen die Grundsätze des Islam verstießen. Auch sagte er, dass die Studentinnen die islamischen Vorschriften ignoriert hätten, u. a. über die vorgeschriebene Kleidung, und auf Reisen nicht von einem männlichen Verwandten begleitet worden seien (RFE/RL 22.12.2022: vgl. FR24 22.12.2022). Proteste gegen die Entscheidung der Taliban, den Frauen den Zugang zu Universitäten zu verwehren, wurden mit Gewalt beendet und mehrere Personen wurden festgenommen (RFE/RL 22.12.2022; vgl. BBC 22.12.2022).
Im August 2023 hielten die Taliban afghanische Studentinnen davon ab, das Land zu verlassen, um in Dubai zu studieren. Die Taliban begründeten dies damit, dass die Studentinnen keinen Mahram dabei hatten (BBC 28.08.2023; vgl. VOA 23.08.2023), wobei berichtet wurde, dass auch jene Studentinnen, die einen Mahram dabei hatten, nicht fliegen durften (VOA 23.08.2023). [Anm.: s. Überkapitel für eine Begriffserklärung von „Mahram“].
Damit kann ein afghanisches Mädchen höchstens die 6. Klasse, das letzte Jahr der Grundschule, absolvieren (UNGA 01.12.2023, vgl. UN Women 15.08.2023), abgesehen von den oben genannten Ausnahmen (AA 26.06.2023; vgl. HRW 27.04.2022). Bedenken wachsen, dass die Taliban die Bildung von Mädchen komplett verbieten könnten, da folgend auf das Verbot für Frauen, Universitäten zu besuchen, nun auch über Entlassungen von Lehrerinnen berichtet wird, die Mädchen in den ersten sechs Schuljahren unterrichten (NPR 22.12.2022). Die Taliban teilten in einem Brief des Taliban-Bildungsministers am 08.01.2023 jedoch mit, dass staatliche Mädchenschulen bis einschließlich der 6. Klasse und private Lernzentren für denselben Altersbereich weiterarbeiten sollen, ebenso alle Koranschulen (Madrassas) für Mädchen ohne Altersbeschränkung. Auch wies der Minister die Behörden in Provinzen an, wo solche Einrichtungen geschlossen wurden, diese wieder zu öffnen. Es wird jedoch auch darauf verwiesen, dass Mädchenschulen ab der 6. Klasse „bis auf weiteres“ nicht zugelassen sind (Ruttig T. 10.01.2023).
Anders als während der ersten Taliban-Herrschaft gibt es nicht mehr sehr viele geheime Mädchenschulen, da die Angst, entdeckt zu werden, zu groß ist. Manche Schulmädchen versuchten, mithilfe von Radio Azadi, dem afghanischen Ableger des US-Senders Radio Liberty, weiter zu lernen. Zu festen Uhrzeiten gebe es dort zum Beispiel Chemie- und Mathe-Unterricht, nach Klassenstufen unterteilt. Dies ist nach Meinung einer afghanischen Menschenrechtsaktivistin zwar eine Hilfe, jedoch keine Lösung (AI 07.08.2023). [...]
20.1.3 Frauenhäuser, sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt, Zwangsehe
Letzte Änderung 2024-03-28 13:53
Geschlechtsspezifische Gewalt ist ein allgegenwärtiges Problem in Afghanistan. Sie ist das Ergebnis komplexer Ungleichheiten und kultureller Praktiken, die in Verbindung mit Armut und mangelndem Bewusstsein dazu führen, dass Frauen den Männern untergeordnet werden und keine Unterstützung erhalten oder selbst aktiv werden können (UNPF 27.12.2021). Seit dem Sommer 2021 werden in Afghanistan, einem Land mit einer der höchsten Raten von Gewalt gegen Frauen weltweit, viele der grundlegendsten Rechte von Frauen eingeschränkt oder außer Kraft gesetzt. Afghanische Frauen haben auch eine deutliche Verschlechterung des Zugangs zu koordinierten, umfassenden und hochwertigen Dienstleistungen für Überlebende geschlechtsspezifischer Gewalt zu verzeichnen. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach diesen Diensten höher als je zuvor (AI 7.2022; vgl. UNAMA 29.12.2022). Zuvor hatten viele Frauen und Mädchen zumindest Zugang zu einem Netz von Unterkünften und Diensten, einschließlich kostenloser Rechtsberatung, medizinischer Behandlung und psychosozialer Unterstützung. Das System hatte zwar seine Grenzen, aber es half jedes Jahr Tausenden von Frauen und Mädchen. Diejenigen, die in die Schutzräume kamen, blieben je nach ihren besonderen Bedürfnissen oft monatelang oder jahrelang dort und erhielten eine Ausbildung in beruflichen Fähigkeiten oder andere Möglichkeiten, ein langfristiges Einkommen zu erzielen. In einigen Fällen wurden die Überlebenden auch dabei unterstützt, eine neue Unterkunft zu finden (AI 7.2022).
Als die Taliban die Macht in Afghanistan übernahmen, brach das Netz zur Unterstützung von Überlebenden geschlechtsspezifischer Gewalt - einschließlich rechtlicher Vertretung, medizinischer Behandlung und psychosozialer Unterstützung - zusammen (AI 7.2022). Schutzräume für Frauen wurden geschlossen (AA 26.06.2023; vgl. FH 1.2023), und viele wurden von Taliban Mitgliedern geplündert und in Beschlag genommen (AI 7.2022; vgl. RFE/RL 26.09.2021). Eine andere Quelle weist jedoch darauf hin, dass die Taliban keine Schutzräume geschlossen hätten, sondern dass vielmehr das Personal das Land verlassen hätte und es niemanden mehr gibt, der diese Einrichtungen betreuen würde (MaA 29.06.2023). In einigen Fällen belästigten oder bedrohten Taliban-Mitglieder Mitarbeiter. Als die Unterkünfte geschlossen wurden, waren die Mitarbeiter gezwungen, viele überlebende Frauen und Mädchen zu ihren Familien zurückzuschicken. Andere waren gezwungen, bei Mitarbeitern der Unterkünfte, auf der Straße oder in anderen schwierigen Situationen zu leben (AI 7.2022; vgl. RFE/RL 26.09.2021). Eine afghanische Menschenrechtsaktivistin gab an, dass nach der Machtübernahme der Taliban die Betreiber der Frauenhäuser das Land verließen und die Taliban die Frauen in diesen Unterkünften vor die Wahl stellten, entweder zurück zu ihren Familien oder ins Gefängnis zu gehen (MaA 29.06.2023).
Nach Angaben einer Menschenrechtsaktivistin aus Afghanistan gibt es in Afghanistan (mit Stand Juli 2023) nur ein Frauenhaus, das von den Taliban sehr genau beobachtet wird und das von einer NGO betrieben wird (MaA 29.06.2023).
Anfang Dezember 2021 verkündeten die Taliban ein Verbot der Zwangsverheiratung von Frauen in Afghanistan (AP 03.12.2021; vgl. AI 7.2022). In dem Erlass wurde kein Mindestalter für die Eheschließung genannt, das bisher auf 16 Jahre festgelegt war. Die Taliban-Führung hat nach eigenen Angaben afghanische Gerichte angewiesen, Frauen gerecht zu behandeln, insbesondere Witwen, die als nächste Angehörige ein Erbe antreten wollen. Die Gruppe sagt auch, sie habe die Minister ihrer Regierung aufgefordert, die Bevölkerung über die Rechte der Frauen aufzuklären (AP 03.12.2021; vgl. AJ 03.12.2021). Berichten zufolge sind Frauen und Mädchen allerdings einem erhöhten Risiko von Kinder- und Zwangsheirat sowie der sexuellen Ausbeutung ausgesetzt (AA 26.06.2023; vgl. AI 07.08.2023). NGOs führen dies auf Faktoren zurück, von denen viele direkt auf Einschränkungen durch bzw. das Verhalten der Taliban zurückzuführen sind. Zu den häufigsten Ursachen für Kinder-, Früh- und Zwangsverheiratung seit August 2021 gehören die wirtschaftliche und humanitäre Krise, fehlende Bildungs- und Berufsperspektiven für Frauen (AI 7.2022), das Bedürfnis der Familien, ihre Töchter vor der Heirat mit einem Taliban-Mitglied zu schützen (AI 7.2022; vgl. RFE/RL 14.12.2022), Familien, die Frauen und Mädchen zwingen, Taliban-Mitglieder zu heiraten, und Taliban-Mitglieder, die Frauen und Mädchen zwingen, sie zu heiraten (AI 7.2022).
Eine afghanische Menschenrechtsaktivistin schilderte, dass sexualisierte Gewalt an Mädchen und Frauen oft auf die Frage der „Ehre“ zurückgeführt wird. Während es vor der Machtübernahme möglich war, sich an die Justiz zu wenden, ist dies nun nicht mehr möglich. So würde ein 14-jähriges Mädchen, das von einem männlichen Verwandten missbraucht wurde, durch das Rechtssystem entweder gezwungen werden, den Verwandten zu heiraten, oder beide würden öffentlich bestraft werden (MaA 29.06.2023). [...]
Auszug aus den UNHCR-Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen – Update I, Februar 2023:
„Internationaler Schutzbedarf von Frauen und Mädchen
9. Im Lichte des breiten Spektrums an zunehmend restriktiven Maßnahmen, welche die De-facto-Behörden afghanischen Frauen und Mädchen unter Verletzung ihrer Menschenrechte auferlegt haben, ist UNHCR der Ansicht, dass afghanische Frauen und Mädchen wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention benötigen. Im Dezember 2022 bemerkte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, dass Frauenrechte in Afghanistan weiterhin schwerwiegend beschnitten würden. Im September 2022 äußerte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zur Menschenrechtslage in Afghanistan große Besorgnis über die erschütternden Rückschritte beim Genuss bürgerlicher, politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte durch Frauen und Mädchen seit der Machtübernahme durch die Taliban. In keinem anderen Land seien Frauen und Mädchen so schnell aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens verschwunden, noch seien sie in in allen Lebensbereichen so benachteiligt.
10. Beschränkungen der Rechte von Frauen und Mädchen in Afghanistan beinhalten Beschränkungen ihres Rechtes auf Bewegungsfreiheit, insbesondere durch das Erfordernis der Begleitung durch einen Mahram bei Reisen über 78 km und die Verpflichtung zum Tragen eines Hijabs außerhalb des eigenen Hauses. Beschränkungen des Rechtes von Frauen auf Bewegungsfreiheit haben direkte Auswirkungen auf andere Menschenrechte, einschließlich des Zugangs zu Gesundheitsversorgung. Es wird berichtet, dass sich Frauen selbst für eine Notfallversorgung nicht in Kliniken begeben können, wenn sie keine Begleitung durch einen Mahram arrangieren können, oder dass sie ohne eine solche Begleitung von Gesundheitszentren abgewiesen oder ihnen eine Behandlung verwehrt wird. Das Recht von Frauen auf Zugang zu einer Gesundheitsversorgung wird weiter dadurch beeinträchtigt, dass nur Ärztinnen die Erlaubnis haben, Patientinnen zu behandeln.
11. Trotz einer Ankündigung der De-facto-Behörden, dass Sekundarschulen für Mädchen am 23. März 2022 öffnen würden, wurde eine Schließung der Schulen nur wenige Stunden nach deren Öffnung landesweit angeordnet. Es gibt Berichte über wenige private Sekundarschulen in einigen Provinzen, die für Mädchen geöffnet seien; öffentliche Schulen waren jedoch mit Stand Dezember 2022 weiterhin geschlossen und die überwältigende Mehrheit der Mädchen ist nicht in der Lage, eine Sekundarschule zu besuchen. Im Dezember 2022 gaben die De-facto-Behörden zudem bekannt, dass es Frauen nicht länger erlaubt sei, Universitäten zu besuchen.
12. UNAMA äußerte im Juli 2022, dass die bisherigen Schritte der De-facto-Behörden die Teilnahme von Frauen am Arbeitsleben schwerwiegend beschränkt hätten. UN News berichtete im August 2022, dass Frauen weitestgehend daran gehindert wurden, außerhalb des Hauses zu arbeiten. Am 24. Dezember 2022 gaben die De-facto-Behörden bekannt, dass Frauen nicht länger für Nichtregierungsorganisationen arbeiten könnten.
13. Die De-facto-Behörden haben die Meinungsfreiheit von Frauen Beschränkungen unterworfen, wobei die Defacto-Behörden Frauen, die an friedlichen Demonstrationen teilnahmen, belästigt und körperlich angegriffen haben. Zudem merkte der Sonderberichterstatter zur Menschenrechtslage in Afghanistan im September 2022 an, dass die Auswirkungen der durch die De-facto-Behörden auferlegten Beschränkungen der Medien für Frauen weitaus schwerwiegender seien. Nach Angaben von Reportern ohne Grenzen haben 84% der Journalistinnen seit der Machtübernahme der Taliban am 15. August 2021 ihre Arbeitsplätze verloren. Es wird berichtet, dass Menschenrechtsverteidigerinnen einem besonderen Risiko von Gewaltanwendung und Einschüchterung ausgesetzt sind.
14. Frauen und Mädchen in Afghanistan sind zudem Beschneidungen ihres Rechtes auf Zugang zur Justiz ausgesetzt, einschließlich in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt. Im Oktober 2021 schätzte der Global Protection Cluster, dass ca. 90% aller Frauen in Afghanistan geschlechtsspezifische Gewalt erlebt hätten, mehrheitlich in der Form von Gewalt durch Intimpartner.
15. Obwohl die De-facto-Behörden im Dezember 2021 ein Dekret zum Verbot von Zwangsverheiratungen erlassen haben, ist die Zahl an Zwangs-und Kinderehen in Afghanistan stark gestiegen, bedingt durch Armut und eine sich verschlimmernde humanitäre und wirtschaftliche Lage, gepaart mit dem Fehlen anderweitiger Chancen für Mädchen aufgrund der Beschneidungen von Frauenrechten.“
Auszug aus Länderreport 73 Afghanistan - Die Situation von Frauen, 1996 - 2024, Stand: 09/2024, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge / Informationszentrum Asyl und Migration, S. 14:
„Laut Artikel 13 des am 31.07.2024 von den Taliban veröffentlichten „Tugendgesetzes“ gelten für Frauen folgende Regeln:
1) Frauen müssen ihren Körper bedecken.
2) Frauen müssen ihr Gesicht bedecken.
3) Die Stimmen von Frauen sollen „verborgen“ bleiben (d.h. insb. nicht singen, rezitieren oder in der Öffentlichkeit laut sprechen).
4) Die Kleidung von Frauen darf nicht „dünn, kurz oder eng“ sein.
5) Es liegt in der Verantwortung von Frauen „ihren Körper und ihr Gesicht vor Männern, die nicht ihr mahram sind, zu verbergen“.
6) Frauen müssen sich auch vor Nicht-Musliminnen und „perversen Frauen“ bedecken.
7) Nicht verwandte Frauen und Männer dürfen einander nicht anschauen.
8) „Wenn eine erwachsene Frau ihr Haus aus einem dringenden Grund verlässt, ist sie verpflichtet, ihre Stimme, ihr Gesicht und ihren Körper zu verstecken.“
2. Beweiswürdigung:
Soweit Feststellungen zur Identität der BF getroffen wurden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Person im Asylverfahren, da keine geeigneten Dokumente betreffend die Identität vorgelegt wurden. Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus den Angaben der BF bzw. aufgrund der aktuellen Strafregisterabfrage.
In der ursprünglichen Entscheidung vom XXXX wurde noch davon ausgegangen, dass keine asylrelevante persönliche Verfolgung glaubhaft gemacht wurde. Bei der BF handelte es sich zum Zeitpunkt der vom VwGH behobenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nach dessen Ansicht um keine Frau, die in Österreich in einer Art und Weise leben würde, welche in gravierendem Widerspruch zu den afghanischen Werten stehe; in der Entscheidung wurde angenommen, dass sie auch in ihrer Zeit in Österreich keine Lebensweise verinnerlicht hat, welche im massiven Widerspruch zu den afghanischen Werten stehen würde. Die Nutzung der sich in Österreich bietenden Möglichkeiten der Bildung, von gemeinnütziger Arbeit und Arbeit auf Basis von Dienstleistungsschecks sowie die Bemühung um Integration wurde berücksichtigt, ein im Widerspruch zu den afghanischen Werten stehender Lebensstil, als erkennbarer Teil ihrer Identität, wurde in der Entscheidung allerdings nicht angenommen.
Die Machtverhältnisse in Afghanistan sind notorisch und auch in der Länderinformation der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan Version 11, 10.04.2024, dokumentiert. Die übrigen Feststellungen zu Afghanistan ergeben sich aus den aktuellen Länderinformationen der Staatendokumentation. Es handelt sich dabei um Berichte diverser anerkannter staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen bzw. Organisationen und bieten diese ein in inhaltlicher Hinsicht grundsätzlich übereinstimmendes und ausgewogenes Bild zur Situation in Afghanistan. Ergänzend wurden auch weitere unbedenkliche im Internet zugänglichen Länderinformationen herangezogen (vergleiche https://www.ecoi.net/en/file/local/2087505/opendocpdf.pdf [UNHCR], https://www.ecoi.net/en/file/local/2109450/2024_CG_AFG_Final.pdf [EUAA], https://www.ecoi.net/en/document/2115883.html [BAMF], alle abgerufen am XXXX ). Die in den Länderinformationen angeführten Maßnahmen, welche Frauen diskriminieren, führen in ihrer Kumulation nach Ansicht des EuGH dazu, dass Frauen bei einer Rückkehr nach Afghanistan asylrelevante Verfolgung aufgrund ihres Geschlechts zu befürchten haben.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgabe der Beschwerde
3.1. Rechtsgrundlagen
Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits wegen Drittstaatssicherheit, Schutz im EWR-Staat oder in der Schweiz oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005).
Als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist anzusehen, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
3.2. Maßgebliche Judikatur
Der Verwaltungsgerichtshof verwies in seinem, das Erkenntnis vom XXXX aufhebenden, Erkenntnis vom XXXX auf die Entscheidungsgründe in den bereits ergangenen Erkenntnissen vom 23.10.2024, Ra 2022/20/0028 und Ra 2021/20/0425, worin im Wesentlichen ausgeführt wurde:
„36 Es ist nun entsprechend der Ausführungen des EuGH im Urteil vom 4. Oktober 2024, C-608/22 und C-609/22, im Fall einer Situation, wie sie in der oben wiedergegebenen Vorlagefrage 1. (sowie im Spruchpunkt 1. des Urteilstenors) geschildert wird, bereits deshalb von Verfolgungshandlungen gegen afghanische Frauen auszugehen, weil diese Maßnahmen aufgrund ihrer kumulativen Wirkung und ihrer bewussten und systematischen Anwendung dazu führen, dass afghanischen Frauen in flagranter Weise hartnäckig aus Gründen ihres Geschlechts die mit der Menschenwürde verbundenen Grundrechte vorenthalten werden, und diese Maßnahmen von der Etablierung einer gesellschaftlichen Organisation zeugen, die auf einem System der Ausgrenzung und Unterdrückung beruht, in dem Frauen aus der Zivilgesellschaft ausgeschlossen werden und ihnen das Recht auf ein menschenwürdiges Alltagsleben in Afghanistan verwehrt wird.
37 Es ist mithin nicht erforderlich zu prüfen, ob die Asylwerberin eine „verinnerlichte westliche Orientierung“ aufweist, weil es angesichts dessen, dass im Herkunftsstaat eine Situation gegeben ist, die in ihrer Gesamtheit Frauen zwingt, dort ein Leben führen zu müssen, das mit der Menschenwürde unvereinbar ist, darauf nicht ankommt. Es ist vielmehr zur Bejahung einer Verfolgungshandlung im Einzelfall grundsätzlich bereits ausreichend, dass es eine Frau ablehnt, in einer Gesellschaft leben und sich Einschränkungen beugen zu müssen, in der die die Staatsgewalt ausübenden Akteure solche sanktionsbewehrten Regelungen aufstellen und Maßnahmen ergreifen (wie die in der oben wiedergegebenen Vorlagefrage 1. sowie des Spruchpunktes 1. des genannten Urteils des EuGH geschilderten), die in ihrer Gesamtheit die Menschenwürde durch die Etablierung einer gesellschaftlichen Organisation, die auf einem System der Ausgrenzung und Unterdrückung beruht, in dem Frauen aus der Zivilgesellschaft ausgeschlossen werden und ihnen das Recht auf ein menschenwürdiges Alltagsleben in Afghanistan verwehrt wird, massiv beeinträchtigen. Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht darauf an, ob eine Asylwerberin diesen Regelungen im Fall eines Aufenthaltes im Herkunftsstaat tatsächlich zuwiderhandeln oder sie sich angesichts der ihr im Fall des Zuwiderhandelns drohenden Konsequenzen diesen Regelungen fügen würde.
38 Es ist grundsätzlich für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ausreichend, im Rahmen der individuellen Prüfung der Situation einer Antragstellerin, die es ablehnt, sich einer solchen wie der hier in Rede stehenden Situation auszusetzen, und die daher um die Gewährung von Flüchtlingsschutz ansucht, festzustellen, dass sie bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland, in dem solche Verhältnisse herrschen, tatsächlich und spezifisch Verfolgungshandlungen zu erleiden droht, wenn die Umstände hinsichtlich ihrer individuellen Lage, die ihre Staatsangehörigkeit und ihr Geschlecht betreffen, erwiesen sind.
39 Jedoch ist, wenngleich es im Regelfall weitergehender Feststellungen nicht bedürfen wird, diese Prüfung im Einzelfall - in den Worten des EuGH - „mit Wachsamkeit und Vorsicht“ vorzunehmen.
40 Ergibt sich anhand der sich der Behörde sonst darbietenden Umstände des Einzelfalles, dass Gründe zur Annahme vorhanden sind, dass fallbezogen ein Bedürfnis nach Flüchtlingsschutz nicht besteht und die Antragstellung lediglich aus anderen (asylfremden) Motiven erfolgt ist, wird es bei der Prüfung, ob der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen ist, nicht sein Bewenden haben können, sich bloß auf die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat sowie der Staatsangehörigkeit und des Geschlechts der Asylwerberin zu beschränken (etwa wenn Hinweise dafür bestehen, dass eine Asylwerberin Teil einer Organisation ist, von der die die Menschenwürde massiv beeinträchtigenden einschränkenden Maßnahmen ausgehen).
41Die Prüfung, ob ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz besteht, hat nämlich - wie bereits erwähnt - grundsätzlich immer nach den individuellen Umständen des Einzelfalls zu erfolgen (vgl. etwa VwGH 23.2.2022, Ra 2022/01/0025, mwN). Auch der EuGH verweist im Urteil vom 4. Oktober 2024, C-608/22 und C-609/22, Rn. 48 f, darauf, dass nach Art. 4 Statusrichtlinie jeder Antrag auf internationalen Schutz grundsätzlich individuell zu prüfen ist, wobei ausschließlich eine konkrete Prüfung der Tatsachen und Umstände zugrunde zu legen ist, um zu ermitteln, ob die festgestellten Tatsachen und Umstände eine solche Bedrohung darstellen, dass die betroffene Person in Anbetracht ihrer individuellen Lage begründete Furcht haben kann, tatsächlich Verfolgungshandlungen zu erleiden, sollte sie in ihr Herkunftsland zurückkehren müssen.“
(VwGH 23.10.2024, Ra 2022/20/0028)
3.3. Für den Beschwerdefall bedeutet das:
Unter Beachtung des Erkenntnisses XXXX ist in Zusammenschau mit den Länderfeststellungen der Beschwerde stattzugeben:
Die Ausführungen des EuGH zum Schutzbedarf von Frauen in Afghanistan (EuGH 04.10.2024, C‑608/22 und C‑609/22) sind aktuell durch die länderspezifischen Feststellungen auch unter Berücksichtigung von UNHCR und EUAA gedeckt.
Die vertretene weibliche BF mit afghanischer Staatsangehörigkeit beruft sich auf die Situation von Frauen in Afghanistan. Asylausschluss- oder -endigungsgründe betreffend die BF sind nicht hervorgekommen, ebenso wenig, dass die Antragstellung lediglich aus anderen (asylfremden) Motiven erfolgt ist
Daher war der Beschwerde stattzugeben und der BF der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen und festzustellen, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 („Asyl auf Zeit“) kommt Fremden, denen der Status von Asylberechtigten zuerkannt wird, eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu. Diese Aufenthaltsberechtigung verlängert sich kraft Gesetzes nach Ablauf dieser Zeit auf eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Aberkennungsverfahrens nicht vorliegen oder ein Aberkennungsverfahren eingestellt wird.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
3.4. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Entscheidung stützt sich auf die oben angeführte Judikatur.