JudikaturVfGH

KI3/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
Kindschaftsrecht
18. September 2025
Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags auf Entscheidung eines Kompetenzkonfliktes zwischen dem Bezirksgericht Steyr und dem Bürgermeister der Stadt Steyr mangels Vorliegens eines verneinenden Kompetenzkonfliktes; keine Bedenken gegen Bestimmungen des Oö Kinder- und JugendhilfeG 2014 betreffend den – im Ermessen des Kinder- und Jugendhilfeträgers liegenden – Ausschluss der Akteneinsicht in die Dokumentation; eigenständige Entscheidung des zuständigen Gerichtes über die Obsorge iSd Kindeswohls erfolgt in einem den rechtsstaatlichen und den Anforderungen des Art6 EMRK entsprechenden Verfahren; kein Vorliegen eines negativen Kompetenzkonfliktes durch die Versagung der Akteneinsicht durch beide angerufenen Behörden angesichts der von ihnen jeweils anzuwendenden Rechtsvorschriften

Spruch

Der Antrag auf Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Antrag, Sachverhalt und Vorverfahren

1. Mit ihrem vorliegenden Antrag begehrt die Einschreiterin die Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes zwischen dem Bezirksgericht Steyr und dem Bürgermeister der Stadt Steyr.

2. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

2.1. Die Antragstellerin ist die Mutter dreier minderjähriger Kinder, die bereits seit längerem vom oberösterreichischen Kinder- und Jugendhilfeträger betreut werden. Am 12. Jänner 2024 beantragte der Magistrat der Stadt Steyr als Organisationseinheit des oberösterreichischen Kinder- und Jugendhilfeträgers die Übertragung der Obsorge hinsichtlich eines dieser Kinder beim Bezirksgericht Steyr (die Obsorge über die weiteren Kinder sind Gegenstand gesonderter Verfahren).

2.2. Am 23. Jänner 2024 beantragte die Antragstellerin beim Bezirksgericht Steyr, dem Kinder- und Jugendhilfeträger in dieser "Pflegschaftssache" aufzutragen, der Antragstellerin Akteneinsicht in die ihre Kinder betreffenden Akten des Kinder- und Jugendhilfeträgers zu gewähren, in eventu, dem Kinder- und Jugendhilfeträger aufzutragen, dem Pflegschaftsgericht diese Akten zur Einsichtnahme durch das Gericht und die Antragstellerin vorzulegen; insbesondere könnten Aufträge nach §107 Abs3 AußStrG erteilt werden.

2.2.1. Mit Beschluss vom 14. Juni 2024, 15 Ps 87/20p, wies das Bezirksgericht Steyr diesen Antrag ab und begründete dies im Wesentlichen wie folgt: Die Akteneinsicht umfasse grundsätzlich sämtliche die Rechtssache der Parteien betreffenden, bei Gericht befindlichen Prozessakten. Neben den in §219 ZPO ausdrücklich angeführten Ausnahmen beziehe sich die Akteneinsicht daher nur auf Unterlagen, die zum Bestandteil der Prozessakten gemacht worden seien (Hinweis auf OGH 25.1.2023, 8 Ob 161/22t). Die "behördeninterne Dokumentation des Jugendhilfeträgers" sei nicht Gegenstand der Akteneinsicht, weil es sich dabei nicht um den tatsächlich vorhandenen Gerichtsakt handle (Hinweis auf OGH 25.1.2023, 8 Ob 161/22t und 23.1.2024, 2 Ob 214/23v). Interne Aufzeichnungen des Kinder- und Jugendhilfeträgers mit "Inhalten, die über den erstatteten Bericht hinausgehen," seien nicht Teil des Gerichtsaktes. Auch wenn die von der Antragstellerin gewünschte Einsichtnahme in die interne Dokumentation des Kinder- und Jugendhilfeträgers "auch im Verwaltungsweg auf rechtliche Hindernisse stößt, ändert dies nichts daran, dass das Akteneinsichtsrecht nach §219 ZPO (§22 AußStrG) kein geeignetes Mittel" sei, dem abzuhelfen (Hinweis auf OGH 25.1.2023, 8 Ob 161/22t). Selbst wenn die Antragstellerin meine, dass Aufträge im Sinne des §107 Abs3 AußStrG ein geeignetes Mittel wären, die von ihr geforderten Informationen zu erlangen, bleibe es dem Gericht überlassen, zu entscheiden, in welcher Weise die notwendigen Beweise zur Ermittlung des relevanten Sachverhaltes aufgenommen würden. Nehme das Gericht seine Verpflichtung zur umfassenden Klärung der maßgebenden Tatsachen etwa durch persönliche Einvernahme der vom Kinder- und Jugendhilfeträger in seinem Vorbringen genannten Auskunftspersonen, Gutachter etc. wahr, erübrige sich die Vorlage der zugrunde liegenden Dokumente ebenso wie bei der Beauftragung eines gerichtlich beeideten Sachverständigen zur Überprüfung der vom Kinder- und Jugendhilfeträger aufgestellten Behauptung der Kindeswohlgefährdung. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass im Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren nur jene Beweise aufzunehmen seien, die für die Aufklärung der maßgebenden Tatsachen genügen würden, weshalb auch nicht sämtliche Behauptungen nachgeprüft werden müssten, wenn die übrigen Beweisergebnisse bereits eine Kindeswohlgefährdung aufzeigen würden. Die "Akteneinsicht im Rahmen der §§14 ff OÖ KJHG 2014" falle nicht in den Entscheidungsbereich des Bezirksgerichtes Steyr, doch bleibe es der Antragstellerin unbenommen, diese "unmittelbar bei der betreffenden Behörde zu beantragen und den dort vorgesehenen Rechtsweg zu beschreiten".

2.2.2. Gegen diesen Beschluss erhob die Antragstellerin Rekurs an das Landesgericht Steyr und stellte aus Anlass dieses Rechtsmittels unter einem den zu G93/2024, G98/2024 protokollierten Gesetzesprüfungsantrag auf Aufhebung von §181 ABGB und der §§13 und 14 Oö KJHG 2014: §181 ABGB ermächtige das Pflegschaftsgericht nicht, den Kinder- und Jugendhilfeträger zur Gewährung von Akteneinsicht zu verpflichten. §13 Oö KJHG 2014 verbiete die Akteneinsicht und auch das Auskunftsrecht nach §14 Oö KJHG 2014 gewähre kein Recht auf Akteneinsicht. Diese Rechtslage verstoße gegen das bundesverfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip, gegen das BVG über die Rechte von Kindern sowie gegen Art6 und 13 EMRK.

2.3. Am 21. Juni 2024 wandte sich die Antragstellerin daraufhin mit einem Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht und bescheidmäßige Erledigung an die "Kinder- und Jugendhilfe OÖ, p.A. Magistrat Steyr". Mit Bescheid vom 8. Juli 2024 wies der Bürgermeister der Stadt Steyr "als Organ der Landesverwaltung" diesen Antrag zurück und begründete dies auf das Wesentliche zusammengefasst wie folgt: §17 AVG begründe ein Recht der Verfahrensparteien auf Akteneinsicht. Diese Bestimmung komme gemäß Art1 Abs1 EGVG nur zur Anwendung, soweit Verwaltungsorgane "behördliche Aufgaben" besorgten, also im Rahmen der Hoheitsverwaltung (Hinweis auf VwSlg 4156 A/1956). Die Antragstellerin sei nicht Partei eines vom Magistrat Steyr durch Bescheid zu erledigenden Verwaltungsverfahrens. Vorliegendenfalls würde der Magistrat der Stadt Steyr als zuständige Organisationseinheit des Kinder- und Jugendhilfeträgers gemäß §40 Oö KJHG 2014 im Rahmen der Gefährdungsabklärung tätig, als dessen Ergebnis der Magistrat der Stadt Steyr beim Bezirksgericht Steyr einen Obsorgeantrag gestellt habe. §40 Oö KJHG 2014 sehe hinsichtlich der Gefährdungsabklärung kein durch Bescheid zu erledigendes Verwaltungsverfahren vor. Es bestünden in diesem Zusammenhang auch keine sonstigen Befugnisse des Kinder- und Jugendhilfeträgers zum Einschreiten mit "imperium". Der Kinder- und Jugendhilfeträger handle bei der Gefährdungsabklärung vielmehr in "Privatwirtschaftsverwaltung", der Magistrat der Stadt Steyr habe also keine "behördliche Aufgabe" besorgt, weshalb die Verwaltungsverfahrensgesetze und §17 AVG betreffend die Akteneinsicht keine Anwendung fänden. Die hoheitliche Befugnis des Magistrats der Stadt Steyr würde sich daher darin erschöpfen, den Antrag auf Akteneinsicht als unzulässig zurückzuweisen. Davon bleibe das Auskunftsrecht nach §14 Abs4 Oö KJHG 2014 unberührt, welches aber kein Recht auf Akteneinsicht vermittle.

3. Das Bezirksgericht Steyr legte den Gerichtsakt vor und sah von der Erstattung einer Äußerung ab. Der Bürgermeister der Stadt Steyr legte den Verwaltungsakt vor und erstattete eine Äußerung, in der er das Vorliegen eines Kompetenzkonfliktes bestritt.

II. Rechtslage

1. Die §§13, 14, 40 und 47 des Landesgesetzes über die Hilfen für Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche (Oö Kinder- und Jugendhilfegesetz 2014 – Oö KJHG 2014), LGBl 30/2014, lauteten bis zum Ablauf des 23. Dezember 2024 wie folgt:

" Verschwiegenheitspflicht

§13. (1) Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kinder- und Jugendhilfeträgers und seiner Organisationseinheiten (§6) sowie von privaten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen sind, ebenso wie die von diesen Beauftragten, zur Verschwiegenheit über alle ausschließlich aus dieser Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen des Privat- und Familienlebens verpflichtet, die werdende Eltern, Eltern oder andere mit der Pflege und Erziehung betraute Personen, Familien, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene unmittelbar oder mittelbar betreffen, sofern nicht die Offenlegung im überwiegenden berechtigten Interesse der betroffenen Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen liegt.

(2) Die Verpflichtung zur Verschwiegenheit besteht auch nach Beendigung der Tätigkeit für den Kinder- und Jugendhilfeträger und seine Organisationseinheiten oder die private Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung weiter.

(3) Die Verpflichtung zur Verschwiegenheit besteht nicht gegenüber dem Kinder- und Jugendhilfeträger (§6) sowie gegenüber Kontrollorganen des Betreibers einer privaten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung.

(4) Die Verschwiegenheitspflicht besteht im Strafverfahren nicht gegenüber Auskunftsersuchen der Staatsanwaltschaften und Gerichte, die sich auf den konkreten Verdacht beziehen, dass Kinder und Jugendliche misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht worden sind. Die Bestimmungen des §51 Abs2 erster Satz und des §112 StPO sind sinngemäß anzuwenden.

Auskunftsrechte

§14. (1) Kinder und Jugendliche haben das Recht auf Auskünfte über alle dem Kinder- und Jugendhilfeträger und seinen Organisationseinheiten (§6) sowie privaten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen bekannten Tatsachen ihres Privat- und Familienlebens, deren Kenntnis ihnen auf Grund ihres Alters und ihres Entwicklungsstands zumutbar ist, soweit nicht überwiegende berücksichtigungswürdige persönliche Interessen der Eltern, sonstiger mit der Pflege und Erziehung betrauten Personen oder anderer Personen oder überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen.

(2) Die Ausübung des Rechts nach Abs1 steht Kindern und Jugendlichen zu, sobald sie über die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügen. Das Vorliegen der Einsichts- und Urteilsfähigkeit wird ab Vollendung des 14. Lebensjahres vermutet.

(3) Nach Erreichung der Volljährigkeit ist ihnen auf Verlangen Auskunft über alle dem Kinder- und Jugendhilfeträger und seinen Organisationseinheiten sowie privaten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen bekannten Tatsachen ihres Privat- und Familienlebens zu erteilen, soweit nicht überwiegende berücksichtigungswürdige persönliche Interessen der Eltern, sonstiger mit der Pflege und Erziehung betrauter Personen oder anderer Personen oder überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen.

(4) Eltern oder andere mit der Pflege und Erziehung betraute Personen haben das Recht auf Auskünfte über alle dem Kinder- und Jugendhilfeträger, seinen Organisationseinheiten sowie privaten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen bekannten Tatsachen ihres Privat- und Familienlebens, soweit nicht Interessen der betreuten Kinder und Jugendlichen oder überwiegende berücksichtigungswürdige persönliche Interessen der Eltern, sonstiger mit der Pflege und Erziehung betrauter Personen oder anderer Personen oder überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen. Dieses Recht steht auch Personen zu, denen die Pflege und Erziehung ganz oder teilweise nicht oder nicht mehr zukommt.

Gefährdungsabklärung

§40. (1) Ergibt sich insbesondere auf Grund von Mitteilungen über den Verdacht der Gefährdung des Kindeswohls gemäß §37 Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013, §48 Schulunterrichtsgesetz, §14 Abs2 Oö Kinderbetreuungsgesetz, §29 Abs5 Oö Chancengleichheitsgesetz oder sonstigen berufsrechtlichen Verpflichtungen oder Ermächtigungen sowie auf Grund glaubhafter Mitteilungen Dritter der konkrete Verdacht der Gefährdung von Kindern und Jugendlichen, hat die Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Sprengel die betroffenen Kinder und Jugendlichen ihren Hauptwohnsitz, mangels eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt, mangels eines solchen ihren (tatsächlichen) Aufenthalt haben, die Gefährdungsabklärung unter Berücksichtigung der Dringlichkeit umgehend einzuleiten, um das Gefährdungsrisiko einzuschätzen.

(2) Die Gefährdungsabklärung besteht aus

1. der Erhebung jener Sachverhalte, die zur Beurteilung des Gefährdungsverdachts bedeutsam sind, und

2. der Einschätzung, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt.

Dabei ist strukturiert und unter Beachtung fachlicher Standards sowie unter Berücksichtigung der Art der Gefährdung vorzugehen.

(3) Als Erkenntnisquellen kommen insbesondere in Betracht:

1. Gespräche mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen, deren Eltern, anderen mit der Pflege und Erziehung Betrauten oder Personen, in deren Betreuung sich die Kinder und Jugendlichen regelmäßig befinden;

2. Besuche des Wohn- oder Aufenthaltsorts der Kinder und Jugendlichen;

3. Stellungnahmen auf Grundlage der Diagnostik und Beratung der klinischen Psychologinnen und Psychologen und Gesundheitspsychologinnen und -psychologen des Kinder- und Jugendhilfeträgers, sowie von Fachärztinnen und -ärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie;

4. Stellungnahmen, Berichte und Gutachten von sonstigen internen oder externen Fachkräften;

5. schriftliche Gefährdungsmitteilungen im Sinn des §37 Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013.

(4) Die Eltern, andere mit der Pflege und Erziehung Betraute oder sonstige Personen, in deren regelmäßigen Betreuung sich die Kinder und Jugendlichen befinden, haben die Gefährdungsabklärung zu ermöglichen. Sie sind verpflichtet, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen, notwendige Dokumente und Daten vorzulegen sowie die Kontaktaufnahme mit den Kindern und Jugendlichen und die Besichtigung von Räumlichkeiten zuzulassen, damit sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bezirksverwaltungsbehörde vom Wohl der betroffenen Kinder und Jugendlichen überzeugen können.

(5) Personen oder Einrichtungen, denen im Sinn des Abs1 eine Mitteilungspflicht an den Kinder- und Jugendhilfeträger über den Verdacht einer Kindeswohlgefährdung obliegt, sind im Rahmen der Gefährdungsabklärung verpflichtet, die erforderlichen Auskünfte über die betroffenen Kinder und Jugendlichen zu erteilen sowie die notwendigen Dokumente vorzulegen.

(6) Die Gefährdungseinschätzung ist erforderlichenfalls im Zusammenwirken von zumindest zwei Fachkräften zu treffen.

Erziehungshilfen auf Grund einer gerichtlichen Verfügung

§47.(1) Sind die Eltern oder sonstige mit der Pflege und Erziehung betraute Personen mit einer notwendigen Erziehungshilfe nicht einverstanden oder lösen sie die Vereinbarung einseitig und ist die Fortführung der Erziehungshilfe notwendig, hat die Bezirksverwaltungsbehörde die zur Wahrung des Kindeswohls erforderliche gerichtliche Verfügung zu beantragen (§211 ABGB).

(2) Bei Gefahr im Verzug (§211 Abs1 zweiter Satz ABGB) ist unverzüglich die notwendige Erziehungshilfe zu gewähren und die erforderliche gerichtliche Verfügung zu beantragen."

2. §181 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB), JGS 946/1811, idF BGBl I 59/2017 lautet wie folgt:

"Entziehung oder Einschränkung der Obsorge

§181. (1) Gefährden die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes, so hat das Gericht, von wem immer es angerufen wird, die zur Sicherung des Wohles des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen. Besonders darf das Gericht die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise, auch gesetzlich vorgesehene Einwilligungs- und Zustimmungsrechte, entziehen. Im Einzelfall kann das Gericht auch eine gesetzlich erforderliche Einwilligung oder Zustimmung ersetzen, wenn keine gerechtfertigten Gründe für die Weigerung vorliegen.

(2) Solche Verfügungen können von einem Elternteil, etwa wenn die Eltern in einer wichtigen Angelegenheit des Kindes kein Einvernehmen erzielen, den sonstigen Verwandten in gerader aufsteigender Linie, den Pflegeeltern (einem Pflegeelternteil), dem Kinder- und Jugendhilfeträger und dem mündigen Minderjährigen, von diesem jedoch nur in Angelegenheiten seiner Pflege und Erziehung, beantragt werden. Andere Personen können solche Verfügungen anregen.

(3) Die gänzliche oder teilweise Entziehung der Pflege und Erziehung oder der Verwaltung des Vermögens des Kindes schließt die Entziehung der gesetzlichen Vertretung in dem jeweiligen Bereich mit ein; die gesetzliche Vertretung in diesen Bereichen kann für sich allein entzogen werden, wenn die Eltern oder der betreffende Elternteil ihre übrigen Pflichten erfüllen.

(4) Fordert das Gesetz die Einwilligung oder Zustimmung der mit Pflege und Erziehung betrauten Personen (Erziehungsberechtigten), so ist die Erklärung der mit der gesetzlichen Vertretung in diesem Bereich betrauten Person notwendig, aber auch hinreichend, sofern nicht Abweichendes bestimmt ist."

3. Die §§1, 22, 31 und 104 bis 111 des Bundesgesetzes über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen (Außerstreitgesetz – AußStrG), BGBl I 111/2003, idF BGBl I 15/2013 (§§104, 104a, 106b, 106c, 108, 109 und 111), BGBl I 59/2017 (§§105, 106, 106a, 107a und110) und BGBl I 77/2023 (§§31 und107) lauten wie folgt:

"Anwendungsbereich und Parteien

Anwendungsbereich

§1. (1) Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren außer Streitsachen (Außerstreitverfahren).

(2) Das Außerstreitverfahren ist in denjenigen bürgerlichen Rechtssachen anzuwenden, für die dies im Gesetz angeordnet ist.

(3) Soweit nichts anderes angeordnet ist, sind die Allgemeinen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes auch auf Außerstreitverfahren anzuwenden, die in anderen gesetzlichen Vorschriften geregelt sind.

Protokolle, Akten, Sitzungspolizei und Strafen

§22. Die Bestimmungen der Zivilprozessordnung über Protokolle, Akten sowie die Sitzungspolizei, Beleidigungen in Schriftsätzen und über Strafen sind sinngemäß anzuwenden.

Beweisverfahren

§31. (1) Zur Feststellung des Sachverhalts kann jedes dafür geeignete Beweismittel verwendet werden.

(2) Das Gericht kann auch dann Beweise aufnehmen und Erkundigungen einholen, wenn sich alle Parteien dagegen aussprechen oder wenn das Gericht begründete Bedenken gegen Tatsachen hegt, die gesetzlich vermutet werden oder für die ein Beweismittel vorhanden ist, das vollen Beweis macht.

(3) Das Gericht kann Sachverständige bestellen, auch ohne vorher die Parteien über deren Person zu vernehmen. Wenn der Richter über die nötige Fachkunde verfügt, kann er vom Sachverständigenbeweis absehen.

(4) Selbst in Verfahren, für die eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, hat das Gericht auch außerhalb dieser Vorgebrachtes zu berücksichtigen. Es darf auch außerhalb der Verhandlung Beweise aufnehmen, den Parteien ergänzende Angaben auftragen und sonstige Verfahrenshandlungen setzen.

(5) Erachtet es das Gericht für unverzichtbar, dass eine Partei zu einer Vernehmung kommt, eine Urkunde vorlegt oder die Besichtigung eines in ihrer Gewahrsame befindlichen Augenscheinsgegenstands ermöglicht, so kann es gegen die Partei Zwangsmittel (§79 Abs2) anwenden, wenn sie der Ladung oder Aufforderung ohne berücksichtigungswürdigen Grund nicht Folge leistet.

(6) Das Gericht kann bei einer nach §18 Abs2 anberaumten Tagsatzung auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des §277 ZPO Gutachten von gerichtlich bestellten Sachverständigen mündlich erstatten lassen oder erörtern und in der ersten Tagsatzung auch Parteien vernehmen.

Siebenter Abschnitt

Regelung der Obsorge und der persönlichen Kontakte

Besondere Verfahrensfähigkeit Minderjähriger

§104. (1) Minderjährige, die das vierzehnte Lebensjahr vollendet haben, können in Verfahren über Pflege und Erziehung oder über die persönlichen Kontakte selbständig vor Gericht handeln. Soweit die Verständnisfähigkeit des Minderjährigen dies erfordert, hat das Gericht - spätestens anlässlich der Befragung - dafür zu sorgen, dass dieser seine Verfahrensrechte wirksam wahrnehmen kann; auf bestehende Beratungsmöglichkeiten ist er hinzuweisen.

(2) Die Befugnis des gesetzlichen Vertreters des Minderjährigen, auch in dessen Namen Verfahrenshandlungen zu setzen, bleibt unberührt. Stimmen Anträge, die der Minderjährige und der gesetzliche Vertreter gestellt haben, nicht überein, so sind bei der Entscheidung alle Anträge inhaltlich zu berücksichtigen.

(3) Entbehrt ein Minderjähriger, der das vierzehnte Lebensjahr vollendet hat, im Revisionsrekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof einer Vertretung nach §6, so ist ihm auf Antrag die Verfahrenshilfe durch Beigebung eines Rechtsanwalts ohne vorherige Prüfung der vermögensrechtlichen Voraussetzungen zu bewilligen. Nach Abschluss des Revisionsrekursverfahrens sind die Voraussetzungen für die Verfahrenshilfe zu prüfen und über eine allfällige Nachzahlung endgültig zu entscheiden.

Kinderbeistand

§104a . (1) In Verfahren über die Obsorge oder über die persönlichen Kontakte ist Minderjährigen unter 14 Jahren, bei besonderem Bedarf mit deren Zustimmung auch Minderjährigen unter 16 Jahren, ein Kinderbeistand zu bestellen, wenn es im Hinblick auf die Intensität der Auseinandersetzung zwischen den übrigen Parteien zur Unterstützung des Minderjährigen geboten ist und dem Gericht geeignete Personen zur Verfügung stehen. Das Gericht kann zum Kinderbeistand nur vom Bundesministerium für Justiz oder in dessen Auftrag von der Justizbetreuungsagentur namhaft gemachte Personen bestellen. Namhaft gemacht werden können nur Personen, die insbesondere nach ihrem Beruf, ihrer beruflichen Erfahrung im Umgang mit Kindern und Jugendlichen und ihrer Ausbildung für diese Tätigkeit geeignet sind.

(2) Der Kinderbeistand hat mit dem Minderjährigen den erforderlichen Kontakt zu pflegen und ihn über den Gang des Verfahrens zu informieren. Er ist zur Verschwiegenheit über die ihm in Ausübung seiner Funktion anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen verpflichtet. Im Einvernehmen mit dem Minderjährigen hat er dessen Meinung dem Gericht gegenüber zu äußern.

(3) Der Kinderbeistand hat das Recht auf Akteneinsicht. Er ist von allen Terminen zu verständigen. Er darf an allen mündlichen Verhandlungen teilnehmen und den Minderjährigen zu Beweisaufnahmen außerhalb der mündlichen Verhandlung auf dessen Wunsch begleiten. Alle Anträge der Parteien sind ihm zu übersenden; von weiteren Personensorgeverfahren ist er durch Übersendung des verfahrenseinleitenden Antrags zu informieren.

(4) Für die Ablehnung des Kinderbeistands gelten die Bestimmungen über die Ablehnung eines Sachverständigen sinngemäß.

(5) Die Bestellung endet mit der rechtskräftigen Erledigung der Sache. Das Gericht kann den Kinderbeistand vorher entheben, wenn dies das Wohl des Minderjährigen erfordert. Im zeitlichen Zusammenhang mit der rechtskräftigen Erledigung der Sache hat der Kinderbeistand mit dem Minderjährigen das Verfahren und dessen Ergebnisse abschließend zu besprechen. Wird während der Bestellung eines Kinderbeistands ein weiteres in Abs1 erster Satz genanntes Verfahren dieselben Minderjährigen betreffend anhängig, so verlängert sich die Bestellung des Kinderbeistands längstens bis zum Abschluss dieses weiteren Verfahrens.

(6) Das Bundesministerium für Justiz und die Stelle, die den Kinderbeistand namhaft gemacht hat, können die Namhaftmachung eines Kinderbeistands aus wichtigen Gründen widerrufen. Liegt ein solcher Grund vor, hat ihn das Gericht zu entheben und unter den Voraussetzungen des Abs1 einen anderen zu bestellen.

Befragung Minderjähriger

§105. (1) Das Gericht hat Minderjährige in Verfahren über Pflege und Erziehung oder die persönlichen Kontakte persönlich zu hören. Der Minderjährige kann auch durch den Kinder- und Jugendhilfeträger, die Familiengerichtshilfe, durch Einrichtungen der Jugendgerichtshilfe oder in anderer geeigneter Weise, etwa durch Sachverständige, gehört werden, wenn er das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, wenn dies seine Entwicklung oder sein Gesundheitszustand erfordert oder wenn sonst eine Äußerung der ernsthaften und unbeeinflussten Meinung des Minderjährigen nicht zu erwarten ist.

(2) Die Befragung hat zu unterbleiben, soweit durch sie oder durch einen damit verbundenen Aufschub der Verfügung das Wohl des Minderjährigen gefährdet wäre oder im Hinblick auf die Verständnisfähigkeit des Minderjährigen offenbar eine überlegte Äußerung zum Verfahrensgegenstand nicht zu erwarten ist.

Befragung des Kinder- und Jugendhilfeträgers

§106. Der Kinder- und Jugendhilfeträger kann vor Verfügungen über Pflege und Erziehung oder über die persönlichen Kontakte gehört werden.

Familiengerichtshilfe

§106a. (1) Die Familiengerichtshilfe unterstützt das Gericht auf dessen Auftrag bei der Sammlung der Entscheidungsgrundlagen, der Anbahnung einer gütlichen Einigung und der Information der Parteien in Verfahren über die Obsorge oder die persönlichen Kontakte.

(2) Die Familiengerichtshilfe ist berechtigt, Personen, die über die Lebensumstände eines minderjährigen Kindes Auskünfte erteilen könnten, zu laden und zu befragen, sowie unmittelbaren Kontakt mit dem Kind herzustellen. Personen, in deren Obhut das Kind steht, sind verpflichtet, einen solchen Kontakt zu dulden. Gegen Personen, die ihre Pflicht zur Mitwirkung an Erhebungen der Familiengerichtshilfe verletzen, kann das Gericht angemessene Zwangsmittel nach §79 Abs2 anordnen. §20 Abs1 erster Satz ist bei Erhebungen der Familiengerichtshilfe nicht anzuwenden.

(3) Die Sicherheitsbehörden, Staatsanwaltschaften, Gerichte sowie Einrichtungen zur Unterrichtung, Betreuung und Behandlung minderjähriger Personen haben den bei der Familiengerichtshilfe tätigen Personen die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und Einsicht in die Akten und Aufzeichnungen zu gewähren; den Kinder- und Jugendhilfeträger trifft nur die Pflicht zur Auskunftserteilung. Die bei der Familiengerichtshilfe tätigen Personen sind, außer wenn sie eine amtliche Mitteilung zu machen haben, jedermann gegenüber zur Verschwiegenheit über die in Ausübung ihrer Tätigkeit gemachten, im Interesse eines Beteiligten geheim zu haltenden Wahrnehmungen verpflichtet.

(4) Die bei der Familiengerichtshilfe tätigen Personen erstatten dem Gericht schriftlich oder in der mündlichen Verhandlung Bericht. Für die Ablehnung einer bei der Familiengerichtshilfe tätigen Person gelten die Bestimmungen über die Ablehnung eines Sachverständigen sinngemäß.

§106b. In Verfahren zur Regelung oder zwangsweisen Durchsetzung des Rechts auf persönliche Kontakte kann das Gericht die Familiengerichtshilfe als Besuchsmittler einsetzen. Als solcher hat sie sich mit den Eltern über die konkrete Ausübung der persönlichen Kontakte zu verständigen und bei Konflikten zwischen diesen zu vermitteln. Sie hat das Recht, bei der Vorbereitung der persönlichen Kontakte zu dem Elternteil, der mit dem Kind nicht im gemeinsamen Haushalt lebt, bei der Übergabe des Kindes an diesen und bei der Rückgabe des Kindes durch diesen anwesend zu sein. Sie hat dem Gericht auf dessen Ersuchen über ihre Wahrnehmungen bei der Durchführung der persönlichen Kontakte schriftlich oder in der mündlichen Verhandlung zu berichten.

§106c. (1) Die Bundesministerin für Justiz wird ermächtigt, nach Maßgabe der budgetären, organisatorischen, technischen und personellen Möglichkeiten sowie unter Bedachtnahme auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit mit Verordnung anzuordnen, für welche Bezirksgerichte eine Familiengerichtshilfe eingerichtet wird. Soweit es möglich und erforderlich ist, sind der Familiengerichtshilfe im Gerichtsgebäude die nötigen Räumlichkeiten und Telekommunikationseinrichtungen unentgeltlich zur Verfügung zu stellen.

(2) Für jene Bezirksgerichte in Wien, für die keine Familiengerichtshilfe eingerichtet ist, fungiert die Wiener Jugendgerichtshilfe (§49 Abs1 Jugendgerichtsgesetz 1988) als Familiengerichtshilfe.

(3) Bei Wahrnehmung ihrer Aufgaben stehen die in der Familiengerichtshilfe tätigen Personen den Beamten im Sinne des §74 Abs1 Z4 StGB gleich. Sie sind mit einem Dienstausweis des Bundes auszustatten.

Besondere Verfahrensbestimmungen

§107. (1) Im Verfahren über die Obsorge oder die persönlichen Kontakte

1. können sich die Parteien nur durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen;

2. ist den Parteien auf Antrag eine Ausfertigung der Entscheidung ohne Begründung oder eine Urkunde, in der der Umfang der Betrauung mit der Obsorge umschrieben ist, auszustellen;

2a. ist §31 Abs6 auf die Anhörung des Kinder- und Jugendhilfeträgers und die Erstattung und Erörterung von Berichten der Familiengerichtshilfe sinngemäß anzuwenden.

3. können angefochtene Beschlüsse auch zu Ungunsten der anfechtenden Partei abgeändert werden, wenn dies das Wohl des betroffenen Minderjährigen verlangt;

4. findet ein Abänderungsverfahren nicht statt.

(2) Das Gericht hat die Obsorge und die Ausübung des Rechts auf persönliche Kontakte nach Maßgabe des Kindeswohls, insbesondere zur Aufrechterhaltung der verlässlichen Kontakte und zur Schaffung von Rechtsklarheit, auch vorläufig einzuräumen oder zu entziehen. Dies kann besonders nach Auflösung der Ehe oder der häuslichen Gemeinschaft der Eltern erforderlich sein (§180 Abs1 Z1 ABGB). Dieser Entscheidung kommt vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit zu, sofern das Gericht diese nicht ausschließt. Im Übrigen gilt §44 sinngemäß.

(3) Das Gericht hat die zur Sicherung des Kindeswohls erforderlichen Maßnahmen anzuordnen, soweit dadurch nicht Interessen einer Partei, deren Schutz das Verfahren dient, gefährdet oder Belange der übrigen Parteien unzumutbar beeinträchtigt werden. Als derartige Maßnahmen kommen insbesondere in Betracht

1. der verpflichtende Besuch einer Familien-, Eltern- oder Erziehungsberatung;

2. die Teilnahme an einem Erstgespräch über Mediation oder über ein Schlichtungsverfahren;

3. die Teilnahme an einer Beratung oder Schulung zum Umgang mit Gewalt und Aggression;

4. das Verbot der Ausreise mit dem Kind und

5. die Abnahme der Reisedokumente des Kindes.

(4) Das Gericht kann zur Durchführung von Maßnahmen nach Abs3, die auf den Fortgang des Verfahrens Einfluss haben können, mit dem Verfahren, erforderlichenfalls auch mehrfach, innehalten. Im Übrigen gilt §29 entsprechend.

(5) In Verfahren über die Obsorge und die persönlichen Kontakte findet ein Kostenersatz nicht statt.

Besondere Entscheidungen bei vom Kinder- und Jugendhilfeträger gesetzten

Maßnahmen

§107a.(1) In Verfahren über einen Antrag des Kinder- und Jugendhilfeträgers nach §211 Abs1 zweiter Satz ABGB hat das Gericht auf Antrag des Kindes oder der Person, in deren Obsorge eingegriffen wurde, unverzüglich, tunlichst binnen vier Wochen, auszusprechen, ob die Maßnahme des Kinder- und Jugendhilfeträgers unzulässig oder vorläufig zulässig ist. Ein solcher Antrag muss binnen vier Wochen nach Beginn der Maßnahme gestellt werden. Erklärt das Gericht die Maßnahme für unzulässig, so kommt dieser Entscheidung vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit zu, sofern das Gericht diese nicht ausschließt; im Übrigen gilt §44 sinngemäß. Die Frist für den Rekurs, mit dem die Unzulässigerklärung der Maßnahme angefochten wird, beträgt drei Tage. Gegen die vorläufige Zulässigerklärung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

(2) Hat der Kinder- und Jugendhilfeträger die Maßnahme beendet, so hat das Gericht auf Antrag des Kindes oder der Person, in deren Obsorge eingegriffen wurde, auszusprechen, ob die Maßnahme unzulässig war. Ein solcher Antrag muss binnen drei Monaten nach Beendigung der Maßnahme gestellt werden.

Besondere Entscheidungen im Verfahren über das Recht auf persönliche Kontakte

§108. Lehnt ein Minderjähriger, der das vierzehnte Lebensjahr bereits vollendet hat, ausdrücklich die Ausübung der persönlichen Kontakte ab und bleiben eine Belehrung über die Rechtslage und darüber, dass die Anbahnung oder Aufrechterhaltung des Kontakts mit beiden Elternteilen grundsätzlich seinem Wohl entspricht, sowie der Versuch einer gütlichen Einigung erfolglos, so ist der Antrag auf Regelung der persönlichen Kontakte ohne weitere inhaltliche Prüfung abzuweisen und von der Fortsetzung der Durchsetzung abzusehen.

Vereinbarungen über Obsorge und persönliche Kontakte

§109. (1) Das Gericht hat über Vereinbarungen über die Obsorge oder über die persönlichen Kontakte eine Niederschrift aufzunehmen. Soweit dadurch der Verfahrensgegenstand inhaltlich erledigt wurde, ist das Verfahren ohne weiteres beendet.

(2) Das Gericht, das die Niederschrift aufgenommen hat, hat eine Ausfertigung der Niederschrift einer Vereinbarung nach Abs1 dem für die Entscheidung über die Obsorge oder über die persönlichen Kontakte zuständigen Gericht zu übermitteln.

(3) Der Standesbeamte hat das für die Entscheidung über die Obsorge zuständige Gericht unter Anschluss der Erklärungen der Eltern schriftlich über eine Bestimmung der Obsorge (§177 Abs2 ABGB) zu informieren.

Durchsetzung von Regelungen der Obsorge oder des Rechts auf persönliche Kontakte

§110. (1) Die zwangsweise Durchsetzung einer Regelung der Obsorge oder des Rechts auf persönliche Kontakte hat nur dann zu erfolgen, wenn

1. eine gerichtliche Entscheidung vorliegt;

2. eine Vereinbarung vor Gericht geschlossen wurde oder

3. die Obsorge vor dem Standesbeamten bestimmt worden ist.

(2) Eine Vollstreckung nach der Exekutionsordnung ist ausgeschlossen. Das Gericht hat auf Antrag oder von Amts wegen angemessene Zwangsmittel nach §79 Abs2 anzuordnen. Regelungen, die die persönlichen Kontakte betreffen, sind auch gegen den Willen des Elternteils durchzusetzen, der mit dem Minderjährigen nicht im gemeinsamen Haushalt lebt. Regelungen, die die Obsorge betreffen, kann das Gericht auch durch Anwendung angemessenen unmittelbaren Zwanges vollziehen.

(3) Das Gericht kann von der Fortsetzung der Durchsetzung auch von Amts wegen nur absehen, wenn und solange sie das Wohl des Minderjährigen gefährdet.

(4) Wenn es das Wohl des betroffenen Minderjährigen verlangt, kann das Gericht bei der Durchsetzung der gerichtlichen oder gerichtlich genehmigten Regelung der Obsorge den Kinder- und Jugendhilfeträger oder die Jugendgerichtshilfe um Unterstützung, insbesondere um die vorübergehende Betreuung des Minderjährigen, ersuchen. Unmittelbarer Zwang zur Durchsetzung der gerichtlichen Regelung darf jedoch ausschließlich durch Gerichtsorgane ausgeübt werden; diese können die Organe des öffentlichen Sicherheitsdiensts beiziehen.

Besuchsbegleitung

§111. Wenn es das Wohl des Minderjährigen verlangt, kann das Gericht eine geeignete und dazu bereite Person zur Unterstützung bei der Ausübung des Rechts auf persönliche Kontakte heranziehen (Besuchsbegleitung). In einem Antrag auf Besuchsbegleitung ist eine geeignete Person oder Stelle (Besuchsbegleiter) namhaft zu machen. Die in Aussicht genommene Person oder Stelle ist am Verfahren zu beteiligen; ihre Aufgaben und Befugnisse hat das Gericht zumindest in den Grundzügen festzulegen. Zwangsmaßnahmen gegen den Besuchsbegleiter sind nicht zulässig."

4. §219 Zivilprozessordnung (ZPO), RGBl. 113/1895, idF BGBl I 61/2022 lautet wie folgt:

"§219. (1) Die Parteien können in sämtliche ihre Rechtssache betreffenden, bei Gericht befindlichen Akten (Prozessakten), mit Ausnahme der Entwürfe zu Urteilen und Beschlüssen, der Protokolle über Beratungen und Abstimmungen des Gerichtes und solcher Schriftstücke, welche Disziplinarverfügungen enthalten, sowie anderer kraft ausdrücklicher Anordnung der Akteneinsicht entzogener Aktenstücke, Einsicht nehmen und sich davon auf ihre Kosten Abschriften (Kopien) und Auszüge (Ausdrucke) erteilen lassen.

(2) Mit Zustimmung beider Parteien können auch dritte Personen in gleicher Weise Einsicht nehmen und auf ihre Kosten Abschriften (Kopien) und Auszüge (Ausdrucke) erhalten, soweit dem nicht überwiegende berechtigte Interessen eines anderen oder überwiegende öffentliche Interessen im Sinne des Art23 Abs1 DSGVO entgegenstehen. Fehlt eine solche Zustimmung, so steht einem Dritten die Einsicht und Abschriftnahme überdies nur insoweit zu, als er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht.

(4) Zum Zweck der nicht personenbezogenen Auswertung für die Statistik, für wissenschaftliche Arbeiten oder für vergleichbare, im öffentlichen Interesse liegende Untersuchungen können das Bundesministerium für Justiz und die Vorsteher der Gerichte auf Ersuchen des Leiters einer anerkannten wissenschaftlichen Einrichtung die Einsicht in Akten, die Herstellung von Abschriften (Ablichtungen) und die Übermittlung von Daten aus solchen bewilligen. Die so erlangten Daten dürfen nicht für andere Zwecke verwendet werden."

III. Zulässigkeit

1. Das Vorliegen eines Kompetenzkonfliktes ist gemäß Art138 Abs1 B VG Voraussetzung für die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes. Gemäß Art138 Abs1 Z1 BVG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden. Ein gemäß §46 Abs1 Z1 VfGG vom Verfassungsgerichtshof zu entscheidender verneinender Kompetenzkonflikt zwischen einem Gericht und einer Verwaltungsbehörde besteht dann, wenn ein Gericht und eine Verwaltungsbehörde ihre Zuständigkeit in derselben Sache verneint haben, obwohl eine der beiden Behörden zuständig gewesen wäre (vgl zuletzt etwa VfGH 22.9.2017, KI10/2016 ).

1.1. Ob "dieselbe Sache" vorliegt, ist insbesondere danach zu beurteilen, ob die vom Einschreiter an die beiden Organe gerichteten Begehren identisch sind (vgl VfSlg , , ). Ob die Sachidentität gegeben ist, hängt weder von den in den Erledigungen verwendeten Formulierungen noch von den darin zitierten Rechtsvorschriften ab (VfSlg ). Insbesondere ist bei der Beurteilung, ob die Verwaltungsbehörde oder das Gericht die Zuständigkeit verneint hat, nicht ausschließlich auf die Formulierung des Spruches abzustellen, sondern muss auch auf die Gründe der Entscheidung Bedacht genommen werden (vgl VfSlg , , , , , ).

1.2. Die Voraussetzungen eines negativen Kompetenzkonfliktes sind nicht gegeben, wenn eine Behörde ihre Zuständigkeit zur Entscheidung in der Sache nicht schlechthin verneint, sondern den Antrag etwa mangels Legitimation, mangels Parteieigenschaft, wegen entschiedener Sache oder wegen Fristversäumnis zurückweist (vgl zB VfSlg. 383/1925; 3490/1959; 14.175/1995; 14.343/1995; 14.497/1996; 18.575/2008; 18.699/2009; 19.499/2011; 20.164/2017). Ein verneinender Kompetenzkonflikt liegt auch nicht vor, wenn zwei Behörden zur Geltendmachung eines von der Rechtsordnung nicht eingeräumten Rechtes angerufen werden und beide Behörden dieses Recht ausdrücklich oder der Sache nach verneinen (vgl VfGH 12.6.2012, KI 4/11).

2. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

2.1. Das ABGB regelt im dritten Hauptstück seines ersten Teils (§§137 ff.) das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern. Die Obsorge (samt Pflege und Erziehung, §158 ABGB) kommt demnach in aller Regel den Eltern des Kindes zu (näher §177 ABGB). Im Interesse des Kindeswohls sieht das ABGB vor, dass das Gericht die Obsorge der Eltern über ihr Kind — insbesondere auf Antrag des Kinder- und Jugendhilfeträgers — einschränken oder entziehen (§181 und §211 Abs1 erster Satz ABGB) und anderen Personen übertragen kann (vgl ua §185 und §204 ABGB), etwa auch an den Kinder- und Jugendhilfeträger (§209 ABGB). Der Kinder- und Jugendhilfeträger tritt im Fall einer solchen, gerichtlich verfügten Übertragung zunächst in die (zivilrechtliche) Rechtsposition der Eltern ein; seine Anordnungen, die er an Stelle der Eltern trifft, sind damit grundsätzlich zivilrechtlicher (nicht-hoheitlicher) Natur (VfGH 4.3.2021, KI18/2019). Die gerichtliche Regelung der Obsorge erfolgt im Außerstreitverfahren (§§104 ff. AußStrG), in dem der Kinder- und Jugendhilfeträger, jedenfalls sofern er Antragsteller ist (§181 und §211 ABGB), Parteistellung hat (§2 Abs1 Z1 AußStrG) und im Übrigen vor Verfügungen über die Pflege und Erziehung vom Gericht gehört werden kann (§106 AußStrG).

2.2. Gemäß §6 Abs1 Oö KJHG 2014 ist das Land Oberösterreich "Träger der Kinder- und Jugendhilfe" (Kinder- und Jugendhilfeträger), wobei die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe von den Bezirksverwaltungsbehörden und der Landesregierung nach Maßgabe der Bestimmungen der Oö KJHG 2014 zu besorgen sind (§6 Abs2 leg. cit.). Zu den Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe zählt insbesondere die Gewährung von Erziehungshilfen bei Gefährdung des Kindeswohls (§3 Z5 iVm §§43 ff. Oö KJHG 2014). Wenn sich der konkrete Verdacht der Gefährdung von Kindern und Jugendlichen ergibt, hat die Bezirksverwaltungsbehörde eine "Gefährdungsabklärung" gemäß §40 Oö KJHG 2014 durchzuführen, also den Sachverhalt zu erheben und die Kindeswohlgefährdung einzuschätzen. Sind die Erziehungsberechtigten mit einer notwendigen Erziehungshilfe nicht einverstanden, hat die Bezirksverwaltungsbehörde die zur Wahrung des Kindeswohls erforderliche gerichtliche Verfügung zu beantragen (§47 Abs1 Oö KJHG 2014 unter Hinweis auf §211 ABGB); (nur) bei Gefahr im Verzug sind unverzüglich die notwendige Erziehungshilfe zu gewähren und die erforderliche gerichtliche Verfügung (nachträglich) zu beantragen (§47 Abs2 Oö KJHG 2014 unter Verweis auf §211 Abs1 zweiter Satz ABGB; vgl zur nicht-hoheitlichen Qualifikation der Ermächtigung nach §211 Abs1 zweiter Satz ABGB VfSlg , , ; VfGH 4.3.2021, KI18/2019; VwSlg A/1995; OGH 23.3.2021, 1 Ob 211/20s).

2.3. Der Kinder- und Jugendhilfeträger (seine "Organisationseinheiten") hat über die Erbringung von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere über die Gefährdungsabklärung und Hilfeplanung, eine schriftliche Dokumentation zu führen (§16 Oö KJHG 2014). Die Mitarbeiter der Organisationseinheiten des Kinder- und Jugendhilfeträgers sind grundsätzlich zur (Verschwiegenheit bzw nunmehr) Geheimhaltung verpflichtet (näher §13 Oö KJHG 2014). (Auch ehemalige) Pflege- und Erziehungsberechtigte haben allerdings das Recht auf "Auskünfte" über alle dem Kinder- und Jugendhilfeträger (seinen "Organisationseinheiten") bekannte Tatsachen "ihres" Privat- und Familienlebens, soweit nicht Interessen der betreuten Kinder und Jugendlichen, bestimmter anderer Personen oder überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen (§14 Abs4 Oö KJHG 2014). Auch wenn solche Auskünfte sowohl mündlich als auch durch Einsicht in die Dokumentation gewährt werden können (§16 Abs4 Oö KJHG 2014; Blg. 1082/2014 zu den Wortprotokollen des Oö LT, XXVII. GP, 22), räumt diese Bestimmung doch kein Recht auf generelle Akteneinsicht zugunsten von Elternteilen ein (ein solches Recht lässt sich auch nicht aus §181 ABGB ableiten).

2.4. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen diese Rechtslage — Recht auf Auskunft nach Maßgabe von §14 Oö KJHG 2014, aber kein Recht auf Akteneinsicht in die Dokumentation des Kinder- und Jugendhilfeträgers — vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles keine rechtsstaatlichen Bedenken: Entscheidungen über die Obsorge trifft das zuständige Gericht im Außerstreitverfahren nach Maßgabe des Kriteriums des Kindeswohls. Auch wenn einem solchen Verfahren ein (wenn auch nach Umständen erst nachträglicher [§211 Abs1 zweiter Satz ABGB]) Antrag des Kinder- und Jugendhilfeträgers zugrunde liegt, ist es Aufgabe des Außerstreitgerichtes, das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzung für Verfügungen über die Obsorge (bzw über die Rechtmäßigkeit vorläufiger Maßnahmen des Kinder- und Jugendhilfeträgers, §107 AußStrG) eigenständig in einem rechtsstaatlichen und den Anforderungen des Art6 EMRK entsprechenden Verfahren festzustellen, ohne an Vorbringen oder Berichte des Kinder- und Jugendhilfeträgers gebunden zu sein (vgl OGH 2.2.2022, 6 Ob 162/21y, zur Familiengerichtshilfe). Der Verfassungsgerichtshof sieht sich daher nicht veranlasst, von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich §13 und §14 Oö KJHG 2014 (oder §181 ABGB) einzuleiten.

3. Daraus ergibt sich für den vorliegenden Antrag auf Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes Folgendes:

3.1. Der Bürgermeister der Stadt Steyr hat mit Bescheid vom 8. Juli 2024 über einen explizit auf "Akteneinsicht" gerichteten Antrag formal zurückweisend, der Sache nach jedoch inhaltlich dahingehend entschieden, dass im vorliegenden Fall ein Recht auf Akteneinsicht weder aus §17 AVG noch aus §14 Oö KJHG 2014 abzuleiten sei.

3.2. Das Bezirksgericht Steyr hat in seinem Beschluss vom 14. Juni 2024 das Begehren, dem Kinder- und Jugendhilfeträger die Aktenvorlage an das Gericht bzw diesem die Gewährung der Akteneinsicht an die Antragstellerin aufzutragen, im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass die Dokumentation des Kinder- und Jugendhilfeträgers derzeit nicht Teil des Gerichtsaktes sei und es im Übrigen im Ermessen des Gerichtes liege, ob es zur Sachverhaltsfeststellung den Akt des Kinder- und Jugendhilfeträgers beischaffe oder die erforderlichen Feststellungen zur Frage der Kindeswohlgefährdung anderweitig vornehme (und dass das [vom Bezirksgericht missverständlich als "Akteneinsicht"] bezeichnete Auskunftsrecht nach §14 Oö KJHG 2014 nicht in seinen Entscheidungsbereich falle).

3.3. Angesichts der dargestellten Rechtslage, wonach ein Recht auf Akteneinsicht in die Dokumentation des Kinder- und Jugendhilfeträgers nicht eingeräumt ist, begründen diese Entscheidungen keinen verneinenden Kompetenzkonflikt, sondern legen die beiden angerufenen Behörden jeweils aus der Perspektive der von ihnen anzuwendenden Rechtsvorschriften und im Ergebnis zutreffend dar, dass diese kein Recht auf Akteneinsicht zu vermitteln vermögen (ob diese beiden Entscheidungen in allen Punkten zutreffend begründet sind, hat der Verfassungsgerichtshof im Rahmen eines Verfahrens zur Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes nicht zu beurteilen).

4. Mangels Vorliegens eines negativen Kompetenzkonfliktes ist daher der Antrag auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes wegen Unzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes als unzulässig zurückzuweisen.

IV. Ergebnis

1. Der Antrag auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes ist als unzulässig zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden.