Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin sowie die Hofräte Dr. Weber, Mag. Fitz, Mag. Jelinek und MMag. Dr. Dobler als weitere Richter in der Erlagssache der Antragstellerin Verlassenschaft nach T* A*, vertreten durch Mag. Joachim Matt, Rechtsanwalt in Lochau, gegen die Antragsgegner 1. M* L*, vertreten durch die FischerWalla Rechtsanwälte OG in Dornbirn, und 2. I* P*, vertreten durch Dr. Thomas Willeit, Rechtsanwalt in Götzis, wegen gerichtlicher Verwahrung einer Liegenschaft gemäß § 1425 ABGB, über den Revisionsrekurs der Zweitantragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 4. Februar 2025, GZ 2 R 4/25s 6, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 6. Dezember 2024, GZ 10 Nc 43/24v 2, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die Antragstellerin ist schuldig, der Zweitantragsgegnerin die mit 663,86 EUR (darin enthalten 261 EUR Barauslagen und 67,14 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] A* H* (in der Folge Erblasserin) verstarb am 6. September 2023. Das Verlassenschaftsverfahren ist anhängig. Die Verstorbene hat unter anderem die Liegenschaft in EZ * (in der Folge Liegenschaft) samt darauf errichtetem Gebäude hinterlassen. Die Erblasserin hat diese Liegenschaft in unterschiedlichen letztwilligen Verfügungen sowohl der Erstantragsgegnerin als auch der Zweitantragsgegnerin vermacht. Die Antragsgegnerinnen bestreiten jeweils den Vermächtnisanspruch der Gegenseite. Die Zweitantragsgegnerin hat eine Klageführung gegen die Antragstellerin angekündigt, sofern ihr Herausgabeanspruch nicht anerkannt werde. Die Antragstellerin ist zur Herausgabe der Liegenschaft bereit.
[2] Die Antragstellerin beantragt, die Verwahrung der Liegenschaft einzuleiten und einen Verwahrer zu bestellen sowie das Erlagsgut einer der beiden Antragsgegnerinnen mit Zustimmung der jeweils anderen Antragsgegnerin auszufolgen.
[3] Das Erstgericht wies den Antrag ab. Unbewegliche Sachen seien keine für den Erlag tauglichen Gegenstände.
[4] Das Rekursgerichtgab aufgrund des Rekurses der Antragstellerin dem Antrag statt und ließ den Revisionsrekurs zu. Im Prätendentenstreit zwischen der Erst- und der Zweitantragsgegnerin liege ein Hinterlegungsgrund nach § 1425 ABGB vor, weil die Erlegerin bereit sei, den Vermächtnisanspruch zu erfüllen, aufgrund der verschiedenen, einander ausschließenden Ansprüche der Antragsgegnerinnen jedoch die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme bestehe. Die Hinterlegung der Liegenschaft sei zulässig, weil die Antragstellerin ein konkretes Rechtsschutzbedürfnis habe, die Liegenschaft zu übergeben.
[5] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Zweitantragsgegnerin mit dem Antrag, diese dahin abzuändern, dass der Erlagsantrag abgewiesen werde. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
[6] Die Antragstellerin beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung , das Rechtsmittel der Zweitantragsgegnerin mangels Beschwer zurückzuweisen, hilfsweise ihm keine Folge zu geben.
[7] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist auch berechtigt.
1. Rechtsmittellegitimation
[8]Die Rechtsmittellegitimation und Beschwer eines Erlagsgegners ist nach herrschender Rechtsprechung zu § 1425 ABGB dann zu bejahen, wenn seine materielle Rechtsstellung beeinträchtigt wird. Davon geht die Rechtsprechung dann aus, wenn der Erlag – wie hier – zugunsten mehrerer Erlagsgegner angenommen wurde (RS0110882; RS0110881 [T3]; RS0033727 [T3, T4]).
2. Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs
[9]2.1. Die Erlagsgegner sind im Hinterlegungsverfahren in erster Instanz nicht zu einer gesonderten Äußerung aufzufordern (vgl § 3 VerwEinzG). Die Entscheidung ergeht allein aufgrund des Antragsvorbringens des Erlegers (8 Ob 113/17a = RS0033469 [T6]; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB 4 § 1425 Rz 286; aM Frauenberger in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 3 VerwEinzG Rz 32). Aus ihrer Nichtanhörung in erster Instanz kann die Zweitantragsgegnerin somit keine Gehörverletzung ableiten.
[10]2.2. Der Anfechtungsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 58 Abs 1 Z 1 AußStrG) ist dadurch gekennzeichnet, dass er nicht absolut – wie die Nichtigkeitsgründe der ZPO – wirkt. Er kann nur dann zur Aufhebung führen, wenn er zum Nachteil des Rechtsmittelwerbers ausschlagen könnte (RS0120213).
[11]Die Verfahrensrüge des Revisionsrekurses ist nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil die Zweitantragsgegnerin die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht aufzeigt. Der Revisionsrekurs legt nämlich nicht dar, inwieweit die unterlassene Zustellung des Rekurses an die Zweitantragsgegnerin Einfluss auf die Richtigkeit der Entscheidung des Rekursgerichts haben konnte (RS0120213 [T13, T14]; 1 Ob 255/15d).
3. Kein e unklare Sach oder Rechtslage
[12]3.1. Nach § 1425 ABGB kann der Schuldner eine Sache bei Gericht hinterlegen, wenn er seine Schuld aus dem Grunde, weil der Gläubiger unbekannt, abwesend oder mit dem Angebotenen unzufrieden ist oder aus anderen wichtigen Gründen nicht erfüllen kann.
[13]3.2. Das Auftreten von mehreren Forderungsprätendenten bildet einen rechtlichen Grund zum Gerichtserlag im Sinne des § 1425 ABGB (RS0033610). Prätendent kann nur derjenige sein, der die „gleiche“ Forderung für sich geltend macht. Von mehreren Forderungsprätendenten darf nur dann gesprochen werden, wenn fraglich ist, wem von mehreren Personen, die die Gläubigerstellung beanspruchen, eine bestimmte existierende Forderung zusteht (RS0118340; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB 4 § 1425 Rz 83; Heidinger in Schwimann/Kodek, ABGB 4§ 1425 ABGB Rz 13; Koziol/Spitzer in KBB 7§ 1425 ABGB Rz 8). Forderungsprätendent ist derjenige, der Anspruch auf die Leistung, die der Schuldner zu erbringen hat, erhebt (RS0118340 [T5]).
[14]3.3. Sind mehrere Forderungsprätendenten vorhanden, so darf bei unklarer Sach- und/oder Rechtslage hinterlegt werden. Beim Auftreten mehrerer Forderungsprätendenten ist der Gerichtserlag durch den Schuldner dann berechtigt, wenn dem Schuldner objektiv nach verständigem Ermessen nicht zugemutet werden kann, den in Ansehung seiner Leistung Berechtigten auch bei sorgfältiger Prüfung zu erkennen (RS0033597; 6 Ob 35/20w; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB 4 § 1425 Rz 171; Stabentheiner/ Kolbitsch Franz in Kletečka/Schauer, ABGB ON 1.06§ 1425 Rz 15). Dabei sind zumutbare Erkundigungen vorzunehmen (vgl etwa 9 Ob 42/09f); ein zeitaufwendiges Studium von Judikatur und Literatur wird hingegen als nicht zumutbar erachtet (RS0033597 [T1, T3, T6]). Ebenso kann die Erhebung strittiger Tatumstände (auch) einem rechtskundigen Schuldner nicht zugemutet werden (RS0033644 [T2]).
[15]3.4. Nach ständiger Rechtsprechung ist im Erlagsgesuch der Erlagsgrund anzugeben. Das Erlagsgericht hat zu prüfen, ob ein Grund wie der angegebene zur Hinterlegung im Sinne des § 1425 ABGB an sich taugt. Nicht ist hingegen zu prüfen, ob der angeführte Hinterlegungsgrund tatsächlich gegeben ist (RS0112198 [T20]; Stabentheiner/Kolbitsch-Franz in Kletečka/Schauer, ABGB ON 1.06§ 1425 Rz 26). Dem Erlagsgericht obliegt also nur eine Schlüssigkeitsprüfung (RS0112198 [T3]). Die Schlüssigkeit ist grundsätzlich aufgrund der Behauptungen des Erlegers zu prüfen. Die Schlüssigkeitsprüfung bezieht sich vor allem auf die Prüfung der rechtlichen Plausibilität der Anspruchsgrundlagen der Prätendenten. Der Erleger muss plausibel machen, welcher Anspruch den Erlagsgegnern auf den Erlagsbetrag zusteht und warum die Sachoder Rechtslage für ihn unklar ist (RS0118340 [T9]). Nur in diesem Rahmen ist der Annahmebeschluss im Rechtsmittelverfahren überprüfbar (RS0112198 [T4, T12]).
3.5. Für den konkreten Fall bedeutet dies Folgendes:
[16] 3.5.1. Es sind ohne Zweifel mehrere Forderungsprätendenten vorhanden, weil beide Antragsgegnerinnen gegenüber der Antragstellerin aus dem Titel des Vermächtnisses Anspruch auf Übertragung derselben Liegenschaft erheben, also die „gleiche“ Forderung beanspruchen.
[17] 3.5.2. Die Antragstellerin begründet ihren Erlagsantrag zusammengefasst damit, dass sie zur Herausgabe der Liegenschaft bereit sei, aber trotz eingehender Prüfung, insbesondere mittels Einsicht in Gesundheitsunterlagen zur näheren Beurteilung der Testierfähigkeit der Erblasserin am 15. November 2017, nicht mit Sicherheit beurteilen könne, welche der Antragsgegnerinnen tatsächlich einen Rechtsanspruch auf die Liegenschaft habe.
[18] Damit beruft sich die Antragstellerin in der Sache auf eine unklare Sachund Rechtslage. Deren Vorliegen setzt nach der dargestellten Rechtsprechung voraus, dass der Antragstellerin objektiv nach verständigem Ermessen nicht zugemutet werden kann, den in Ansehung der Leistung Berechtigten auch bei sorgfältiger Prüfung zu erkennen. Diese Voraussetzung liegt hier aber nicht vor, weil die Unklarheit der Sach- und Rechtslage ihren Grund allein in der Person der Antragstellerin hat: Testierfähigkeit ist die zur Errichtung oder Aufhebung letztwilliger Verfügungen erforderliche Geschäftsfähigkeit. Testierfähig ist, wer die Bedeutung und die Folgen einer letztwilligen Verfügung verstehen und sich entsprechend verhalten kann (§ 566 ABGB; Mondel/Knechtel in Kletečka/Schauer, ABGB ON 1.05§ 566 Rz 2). Die Frage der Testierfähigkeit betrifft daher die kognitiven und volitiven Fähigkeiten der Erblasserin bzw Verstorbenen (vgl RS0012427 [T7]). Bei der Antragstellerin handelt es sich um die juristische Person, die bis zur Einantwortung die Rechtsposition der Verstorbenen einnimmt (§ 546 ABGB; 2 Ob 171/20s). Damit beruht die Unklarheit der Sach und Rechtslage, also die Frage, ob die Erblasserin am 15. November 2017 testierfähig war, letztlich allein auf einem in der Person der Antragstellerin (als in die Rechtspositionen der Erblasserin eingetretenen [juristischen] Person) gelegenen Umstand, den letztlich nur sie mit uneingeschränkten Zugang zu Beweismitteln und damit umfassend klären kann.
[19]3.5.3. Der von der Antragstellerin im Erlagsantrag angeführte Grund taugt daher an sich nicht zur Hinterlegung gemäß § 1425 ABGB.
4. Ergebnis und Kosten
[20] 4.1. Der Revisionsrekurs ist somit berechtigt, weshalb die abweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen ist.
[21]4.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs 2 AußStrG (6 Ob 35/20w; Frauenberger in Gitschthaler/HöllwerthAußStrG II § 3 VerwEinzG Rz 49; Obermaier , Kostenhandbuch 4Rz 4.116). Der Wert des Streitgegenstands ist nach § 3 RATG im außerstreitigen Verfahren nach dem Wert des Verfahrensgegenstands zu berechnen. Soweit in den §§ 5 ff RATG nicht anderes bestimmt wird, richtet sich gemäß § 4 RATG die Bemessungsgrundlage (§ 3 RATG) nach den §§ 54 bis 59 JN, im außerstreitigen Verfahren, wenn der Gegenstand nichts aus einem Geldbetrag besteht, jedoch nach dem Wert, den die Partei in ihrem Antrag als Wert des Verfahrensgegenstands bezeichnet hat. Da im Erlagsantrag kein Wert angeführt wurde, ist gemäß § 14 lit c RATG der Betrag von 1.000 EUR als Bemessungsgrundlage für die Kosten heranzuziehen; eine allfällige „Nachbewertung“ ist wirkungslos (7 Ob 143/12y; Obermaier , Kostenhandbuch 4 Rz 4.4).
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