JudikaturOGH

7Ob162/24k – OGH Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
22. April 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Malesich, Dr. Weber, Mag. Fitz und Mag. Jelinek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Mag. J* F*, und 2. Mag. E* F*, vertreten durch Mag. Maximilian Donner Reichstädter, LL.M., LL.M. (SCU), Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. K* G*, vertreten durch DDr. Gernot Satovitsch und Mag. Claus Steiner, Rechtsanwälte in Baden, und 2. U* AG, *, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 477.298,18 EUR sA und Feststellung, über die (außerordentliche) Revision der erstbeklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. Juli 2024, GZ 4 R 39/24w 50, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 28. Dezember 2023, GZ 48 Cg 19/22m 41, großteils bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

II. Die nachträglich zugelassene Revision hinsichtlich der 30.000 EUR nicht übersteigenden Forderungen wird zurückgewiesen.

Die erstbeklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen die mit 3.018,66 EUR (darin enthalten 503,11 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahren zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Der Erstbeklagte, ein Versicherungsmakler, vermittelte de m Erstkläger und der Zweitklägerin in den Jahren 2006 bis 2012 jeweils drei Pensionsversicherungsverträge bei der Zweitbeklagten sowie einen Kreditvertrag.

[2] Da die Kläger im Jahr 2013 die Gesamtprämien nicht mehr aufbringen konnten, unterfertigten sie auf Anraten des Erstbeklagten, der ihnen versicherte, dass sie daraus keine Nachteile erleiden würden, sondern nur Vorteile davon hätten, Veränderungsanzeigen an die Zweitbeklagte zur Vertragsübernahme von vier Verträgen durch den Erstbeklagte n.

[3] Als die Kläger im Jahr 2019 zwei der Verträge auflösen wollten, was der Erstbeklagte ablehnte, wurde ihnen zum ersten Mal bewusst, dass die Beratung des Erstbeklagten, wonach eine solche Auflösung gewinnbringend nach zehn Jahren möglich sei, unrichtig war und sie keine Rechte mehr an den übertragenen Verträgen hatten.

[4] Im Jahr 2022 kauften die Kläger ihren jeweils dritten Pensionsversicherungsvertrag zurück, um den vom Erstbeklagten vermittelten Kredit (teilweise) zu tilgen.

[5] Die Kläger begehren mit ihrer am 30. März 2022 eingebrachten Klage gegenüber beiden Beklagten die Feststellung, dass die jeweilige Übertragung der Versicherungsverträge nicht wirksam erfolgte, und vom Erstbeklagten die Rückabwicklung dieser Versicherungsverträge durch Leistung der von ihnen erbrachten Prämienzahlungen Zug um Zug gegen die Übertragung der Verträge an ihn, sowie den Ersatz des aus dem Rückkauf des jeweils dritten Versicherungsvertrags resultierenden Differenzschadens und letztlich den aus der Kreditaufnahme entstandenen Schaden.

[6] Die Vorinstanzen gaben diesen Begehren im Wesentlichen statt.

[7] Dagegen erhebt nur der Erstbeklagte Rechtsmittel.

[8]Die Forderungen aus den einzelnen Versicherungsverträgen sind nicht nach § 55 JN zusammenzurechnen (vgl dazu den Rückstellungsbeschluss vom 23. Oktober 2024). Das Berufungsgericht ließ nachträglich die ordentliche Revision hinsichtlich der 30.000 EUR nicht übersteigenden Klagsforderungen zu.

Rechtliche Beurteilung

[9]Der Erstbeklagte zeigt mit seiner Revision keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Da er das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die – gleichermaßen für die Zurückweisung des als außerordentliches Rechtsmittel zu behandelnden Teils der Revision geltende – Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[10]1. Der als Nichtigkeit des Berufungsverfahrens nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO gerügte unauflösliche Widerspruch zwischen den stattgegebenen Feststellungsbegehren und der Verpflichtung zur Übertragung der Verträge liegt nicht vor. Die Zug um Zug Verpflichtung betrifft entgegen den Revisionsausführungen nicht den Erstbeklagten, sondern die beiden Kläger. Ein Widerspruch zu den Feststellungsbegehren, wonach die Verträge – bislang – nicht auf den Erstbeklagten übertragen wurden, besteht somit gerade nicht.

2. Zu den Veränderungsanzeigen

[11]2.1 Wie eine Erklärung im Einzelfall aufzufassen ist, ist jeweils nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und stellt im Allgemeinen – abgesehen von krassen Fehlbeurteilungen – keine erhebliche Rechtsfrage dar (RS0042555 [T2; T7; T10; T11; T17; T28]).

[12]Auch bei „ungelesenem“ Unterfertigen einer Urkunde ist es für die Geltung als Willenserklärung notwendig, dass der die Erklärung Abgebende Rechtsfolgen herbeiführen will. Ist das erkennbar nicht der Fall, kann keine wirksame Willenserklärung angenommen werden (RS0014160 [T40]). Hat – wie hier – der Erklärungsempfänger beim Erklärenden ganz bewusst eine falsche Vorstellung vom Inhalt der Urkunde erweckt und war es für ihn erkennbar, dass der Erklärende die Urkunde ungelesen unterfertigt, kann der Erklärungsempfänger nicht annehmen, dass der dem Erklärenden unbekannte Inhalt der Urkunde Inhalt seiner Erklärung ist bzw dass der Erklärende den unbekannten Inhalt in Kauf genommen hat. Für ein schützenswertes Vertrauen des Erklärungsgegners ist daher in diesem Fall keinerlei Raum. Eine wirksame Willenserklärung mit dem Inhalt der ungelesen unterfertigten Urkunde liegt daher von vornherein nicht vor (RS0014160 [T41]).

[13] 2.2 Da dem Erstbeklagten bei Unterfertigung der Veränderungsanzeigen zu den Verträgen Nr 1 bis 4 durch die beiden Kläger bekannt war, dass diese davon ausgingen, dass sie trotzdem weiterhin Vertragspartner der Zweitbeklagten blieben und ihnen weiterhin alle Rechte aus dem Vertrag zukämen, liegt in der Ansicht des Berufungsgerichts, der Erstbeklagte habe die Unterfertigung der Veränderungsanzeigen nicht als Einverständnis zu einer Vertragsübernahme mit Übergang aller Rechte und Pflichten auf ihn verstehen dürfen und eine auf die Vertragsübernahme gerichtete Willenserklärung der Kläger sei gar nicht vorgelegen, keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung.

3. Zum Schaden bei nicht gewollten Eigenschaften von Pensionsversicherungsverträgen

[14]Dass die Grundsätze zur Haftung wegen fehlerhafter Anlageberatung auf den Fall der fehlerhaften Vermittlung von Lebensversicherungsverträgen mit nicht gewollten Eigenschaften wegen der gleichgelagerten Interessenlage zu übertragen sind, entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Solange noch Ansprüche des Versicherungsnehmers aus dem Vertrag dem Versicherer gegenüber bestehen können, ist die Lage mit dem Anleger vergleichbar, der das nicht gewollte Finanzprodukt behalten hat. Er hat Anspruch auf Rückzahlung der zum Erwerb aufgewendeten Beträge Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte aus dem Lebensversicherungsvertrag (vgl 7 Ob 196/17z [Pkt 4]). Die Übertragung dieser Rechtsprechung auf Pensionsversicherungsverträge durch das Berufungsgericht ist nicht zu beanstanden.

4. Zur Haftung aus dem Kreditvertrag

[15]4.1 Nach § 1300 erster Satz ABGB besteht eine Haftung dann, wenn „gegen Belohnung“ aus Versehen ein nachteiliger Rat erteilt wird. Die Worte „gegen Belohnung“ stellen klar, dass (nur) Gefälligkeitsäußerungen keine Haftung begründen können. Eine Haftung besteht daher immer dann, wenn der Rat oder die Auskunft im Rahmen eines Verpflichtungsverhältnisses erteilt wird; Entgeltlichkeit ist nicht erforderlich; entscheidend ist vielmehr, ob der Rat selbstlos erfolgte. Die Beratung erfolgt nicht „selbstlos“, wenn sie der Vorbereitung eines entgeltlichen Geschäfts dient (RS0044121 [T1]).

[16] 4.2 Selbst wenn der Erstbeklagte für den Abschluss des Kreditvertrags keine Provisionen erhalten bzw angenommen haben sollte, ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass kein selbstloser Rat vorliege, weil die Kläger den Kredit erst aufgrund der Empfehlung des Erstbeklagten aufgenommen hätten, um mit den hierdurch erlangten Mitteln weitere Versicherungen (die Verträge Nr 5 und 6 mit jährlichen Prämien von je 35.000 EUR) abzuschließen, die er ihnen vermittelte, nicht korrekturbedürftig.

5. Zum Mitverschulden der Kläger

[17] Einen (Mit)Verschuldenseinwand erhob der Erstbeklagte im bisherigen Verfahren nicht. Auf die erstmals in der Revision hiezu getätigten Ausführungen ist nicht einzugehen (RS0037612).

6. Zur Verjährung

[18]6.1 Die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 erster Satz ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in welchem dem Geschädigten sowohl der Schaden und die Person des Schädigers als auch die Schadensursache bekannt geworden ist (RS0034951; RS0034374). Das Kennenmüssen einschlägiger Tatsachen oder die bloße Möglichkeit der Kenntnis reichen grundsätzlich nicht aus (RS0034366 [T3, T6]; RS0034686 [T9]).

[19]In gewissem Umfang wird dann eine Erkundigungsobliegenheit des Geschädigten angenommen (RS0034686 [T12]), wenn er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann (RS0034524 [T21]; RS0034366 [T20]). Insoweit darf sich der Geschädigte nicht einfach passiv verhalten (RS0065360). Abzustellen ist auf die Umstände des konkreten Falls, wobei die Erkundigungspflicht des Geschädigten nicht überspannt werden darf (RS0034327 [T27]). Sie setzt regelmäßig deutliche Anhaltspunkte für einen Schadenseintritt voraus. Es braucht konkrete Verdachtsmomente, aus denen der Anspruchsberechtigte schließen kann, dass Verhaltenspflichten nicht eingehalten wurden (RS0034327 [T21]).

[20] 6.2 Den Klägern wurde nach den Feststellungen des Erstgerichts erstmals im September 2019 bewusst, dass sie keine Rechte mehr an den dem Erstbeklagten übertragenen Versicherungen hatten und sie die Versicherungen nach zehn Jahren nicht mit Gewinn auflösen können.

[21] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, eine Verletzung der Erkundigungspflicht in der Zeit davor liege nicht vor, weil wesentlich für die Abschlussentscheidung der Kläger die unrichtige Beratung des Erstbeklagten war, dass eine gewinnbringende Auflösung nach zehn Jahren möglich sei, und sich aus den den Klägern zur Verfügung gestandenen Unterlagen die Unrichtigkeit der Beratung des Erstbeklagten nicht zwingend und leicht erkennbar ergab, hält sich einzelfallbezogen ebenso im Rahmen der dargestellten Rechtsprechung, wie die Ansicht, dass die Kläger hinsichtlich der Übertragung der Verträge erst aufgrund der Weigerung des Erstbeklagten, diese aufzulösen, konkrete Anhaltspunkte gehabt hätten, dass sie nicht mehr selbst über die Verträge verfügen konnten.

[22] 7. Damit war die Revision zurückzuweisen.

[23]8. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Die Kläger haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Als Bemessungsgrundlage sind nur die Forderungen, hinsichtlich derer die Revision (nachträglich) zugelassenen wurde, heranzuziehen, weil die Beantwortung der außerordentlichen Revision den Klägern nicht freigestellt wurde, sodass in diesem Umfang keine Honorierung gebührt (RS0043690 [T6]). Da sich die Zweitbeklagte nicht am Revisionsverfahren beteiligt, gebührt der Streitgenossenzuschlag nur in Höhe von 10 % (RS0036223 [T1]).