17Ob9/24h – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Präsidenten Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Stefula und MMag. Sloboda, die Hofrätin Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei MMag. D* R*, als Insolvenzverwalterin im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Verlassenschaft nach F* E*, vertreten durch Dr. Stephan Riel und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. Dr. R*, vertreten durch Dr. Manfred Wiener und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen 239.850 EUR sA, über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Mai 2024, GZ 3 R 25/24d 21.1, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 19. Dezember 2023, GZ 33 Cg 27/23d 16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.188,94 EUR (darin 531,49 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Mit Schenkungsvertrag vom 19. 2. 2019 übertrug die am 4. 3. 2019 verstorbene F* E* ihren Miteigentumsanteil an der Liegenschaft EZ 1* KG 0*, mit dem Wohnungseigentum an der Wohnung 1* untrennbar verbunden ist, an B* R*.
[2] Mit verlassenschaftsgerichtlichem Beschluss vom 10. 8. 2020 wurde der Beklagte zum Verlassenschaftskurator mit einem auf die Vertretung der Verlassenschaft bei bestimmten Rechtshandlungen und Maßnahmen beschränkten Wirkungskreis bestellt. Nach der Bestellung erhielt er vom Gerichtskommissär eine Abschrift des Verlassenschaftsaktes. Zu welchem Zeitpunkt der Schenkungsvertrag vom 19. 2. 2019 in diesen gelangte, konnte nicht festgestellt werden.
[3] Mit Beschluss des Verlassenschaftsgerichts vom 11. 11. 2020 wurde der Wirkungskreis des Beklagten als Verlassenschaftskurator um bestimmte Angelegenheiten erweitert.
[4] Im Jänner 2021 forderte der Beklagte vom Gerichtskommissär mehrfach die Übermittlung einer Vermögensaufstellung, die er am 28. 9. 2021 erstmals erhielt. Davor hatte er keine vollständige Kenntnis von den konkreten Werten der Aktiva und Passiva der Verlassenschaft.
[5] Die Verlassenschaft ist überschuldet. Mit insolvenzgerichtlichem Beschluss vom 13. 6. 2022 wurde über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet und die Klägerin zur Insolvenzverwalterin bestellt.
[6] Die Klägerinbegehrt vom Beklagten 239.850 EUR sA. Sie brachte zusammengefasst vor, die Verlassenschaft sei zum Zeitpunkt der Bestellung des Beklagten zum Verlassenschaftskurator überschuldet und zahlungsunfähig gewesen, was ihm bekannt gewesen sei oder jedenfalls hätte bekannt sein müssen. Er hätte daher einen Insolvenzantrag zu stellen gehabt. Wäre er dieser Pflicht nachgekommen, hätte der Schenkungsvertrag vom 19. 2. 2019 durch die Insolvenzverwalterin vor Ablauf der zweijährigen Anfechtungsfrist gemäß § 29 IO angefochten werden können, wodurch der Insolvenzmasse Vermögen in Höhe von zumindest 239.850 EUR zugeflossen wäre. Vom Schutzzweck des § 69 IO sei auch eine so rechtzeitige Insolvenzantragstellung erfasst, dass Anfechtungsansprüche fristgerecht geltend gemacht werden können. Der Beklagte wäre jedenfalls im Rahmen der ordentlichen Verwaltung verpflichtet gewesen, eine Überschuldungsprüfung durchzuführen. Dann hätte er auch erkannt, dass mit einem Vorgehen nach § 154 AußStrG 2003 nicht das Auslangen gefunden werden könne. Seine Haftung ergebe sich auch aus § 815 ABGB (analog), weil er keine Gläubigerkonvokation veranlasst habe.
[7] Der Beklagtebeantragte die Abweisung der Klage. Er bestritt, zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet gewesen zu sein. Er habe auch keine Überschuldungsprüfung durchführen müssen, weil sein Wirkungsbereich stark eingeschränkt gewesen sei. Selbst wenn ihn solch eine Pflicht getroffen hätte, habe er kein schadenskausales Fehlverhalten gesetzt. Selbst bei Annahme einer Insolvenzantragspflicht eines Verlassenschaftskurators wäre zweifelhaft, ob der Schutzzweck des § 69 IO so weit reiche, dass davon auch die Anfechtungsmöglichkeiten gemäß §§ 27 ff IO umfasst seien. Im Übrigen habe die Schenkung vereinbarungsgemäß die Arbeitsleistungen der Geschenknehmerin in der Vergangenheit abgegolten.
[8] Das Erstgerichtwies das Klagebegehren ab. Es stellte den in seinen entscheidungswesentlichen Teilen eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest. Rechtlich vertrat es die Ansicht, aus einer Gesamtschau von Bestimmungen der IO, die stets zwischen juristischen Personen und Verlassenschaften differenziere, ergebe sich, dass der Verlassenschaftskurator nicht nach § 69 IO verpflichtet sei, im Falle der Überschuldung der Verlassenschaft einen Insolvenzantrag zu stellen. Anderenfalls wäre auch das alternative Vorgehen nach § 154 AußStrG 2003, die Aktiva einer überschuldeten Verlassenschaft den Gläubigern an Zahlungs statt zu überlassen, in seinem Anwendungsbereich beschnitten.
[9] Das Berufungsgerichtbestätigte im Ergebnis dieses Urteil. Der Oberste Gerichtshof habe in 4 Ob 501/95 vor dem Hintergrund der damaligen Vorschrift des § 73 AußStrG 1854 über die Überlassung an Zahlungs statt ausgesprochen, dass ein Verlassenschaftskurator verpflichtet sei, gemäß § 69 KO einen Konkursantrag zu stellen, wenn kein unbedeutender Nachlass vorliege. Die Bestimmungen der KO/IO hätten sich in den hier wesentlichen Teilen seither nicht geändert. Die Argumentation des Erstgerichts, es wäre deshalb keine Antragspflicht anzunehmen, weil die Verlassenschaft in § 69 Abs 3 IO nicht genannt sei, überzeuge nicht, weil der Oberste Gerichtshof diesem Umstand bereits in 4 Ob 501/95 keine Beachtung geschenkt habe. Es sei aber keine Pflicht des Verlassenschaftskurators zur Stellung eines Insolvenzantrags anzunehmen, wenn ein Vorgehen nach § 154 AußStrG 2003 möglich sei. Eine Antragspflicht könne dann bestehen, wenn mit § 154 AußStrG 2003 nicht das Auslangen zu finden sei, etwa weil die Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen notwendig erscheine. Ein solcher Fall liege hier theoretisch vor. Nach den Feststellungen des Erstgerichts stehe jedoch nicht fest, zu welchem Zeitpunkt der Schenkungsvertrag in den Verlassenschaftsakt gelangt sei, womit auch nicht feststehe, wann der Beklagte Kenntnis von diesem erlangt habe. Dieser habe damit nicht von der Notwendigkeit der Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen gewusst. Er habe davon ausgehen dürfen, dass im konkreten Fall mit einem Vorgehen nach § 154 AußStrG 2003 das Auslangen gefunden werden könnte. Mangels Kenntnis konkreter Anfechtungsansprüche sei ihm die Unterlassung der Insolvenzantragstellung damit nicht subjektiv vorwerfbar, weshalb seine Haftung ausscheide. Weil es nur darauf ankomme, ob der Beklagte Kenntnis davon hatte, dass Anfechtungsansprüche geltend zu machen seien, sei nicht von Relevanz, ob er eine Gläubigerkonvokation veranlassen hätte müssen und ob er eine Überschuldungsprüfung durchgeführt habe.
[10] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mangels zur jetzt geltenden Rechtslage ergangenen Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu der Frage zu, ob ein Verlassenschaftskurator bei Überschuldung des Nachlasses zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet sei.
[11]Gegen das Berufungsurteil richtet sich die aus den Revisionsgründen nach § 503 Z 2 und 4 ZPO erhobene Revision der Klägerin mit einem auf Klagestattgebung gerichteten Abänderungsantrag.
[12] Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortungdie Zurückweisung des Rechtsmittels mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, hilfsweise diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
[13] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig , im Ergebnis aber nicht berechtigt .
Zur Verfahrensrüge:
[14] Als Mangelhaftigkeit rügt die Klägerin, das Berufungsgericht habe die Frage der Pflicht des beklagten Verlassenschaftskurators zur Überschuldungsprüfung nicht behandelt.
[15]Dass das Berufungsurteil gar keine Begründung enthalte (und damit nichtig sei), behauptet die Klägerin zu Recht nicht. Ob dem Beklagten eine Pflicht zur Überschuldungsprüfung traf, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung. Die behauptete Mangelhaftigkeit des berufungsgerichtlichen Verfahrens nach § 503 Z 2 ZPO liegt daher nicht vor (vgl 8 Ob 131/17y [Pkt 2]; G. Kodek in Kodek/Oberhammer, ZPOON [2023] § 503 ZPO Rz 35 ).
Zur Rechtsrüge:
[16] Die Klägerin hält in der Revision ihren Rechtsstandpunkt aufrecht, dass der Beklagte jedenfalls hier zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet gewesen sei und er diese Pflicht schuldhaft verletzt habe. Demgegenüber vertritt der Beklagte in der Revisionsbeantwortung weiterhin die Ansicht, es habe ihn als Verlassenschaftskurator schon im Ansatz keine Insolvenzantragspflicht getroffen.
[17] Letztes erweist sich als zutreffend:
[18]Der Oberste Gerichtshof hat sich soweit ersichtlich nur in seiner noch zum AußStrG 1854 ergangenen Entscheidung 4 Ob 501/95 (= SZ 68/8 = ecolex 1995, 404 = EFSlg 79.713 = ZIK 1995, 197 = RS0035116) mit der Frage der Insolvenzantragspflicht eines Verlassenschaftskurators auseinandergesetzt. Er führte nach Darstellung der Rechtslage zur – damals – auf unbedeutende Nachlässe beschränkten Überlassung an Zahlungs statt nach § 73 AußStrG 1854 aus, dass nach § 67 Abs 1 KO die Eröffnung des Konkurses über Verlassenschaften, soweit besondere Gesetze nichts anderes bestimmten, auch bei Überschuldung stattfinde und § 73 AußStrG 1854 ein solches „besonderes Gesetz“ sei. Die Vorschrift ermögliche nicht, überschuldete Nachlässe schlechthin kridamäßig im Verlassenschaftsverfahren zu verteilen, sondern sei dem Wortlaut nach auf unbedeutende Nachlässe beschränkt. Ein überschuldeter und unbedeutender Nachlass sei im Verlassenschaftsverfahren abzuwickeln; bei einem anderen Nachlass bestehe keine gesetzliche Ausnahme von der Konkurspflicht überschuldeter Nachlässe. Unter Verweis auf S. Kropiunig (siehe sogleich unter Pkt h) vertrat der Oberste Gerichtshof die Ansicht, dass gemäß § 69 Abs 3 KO die Pflicht zur Stellung des Konkursantrags iSd § 69 Abs 2 KO unbeschadet einer fehlenden strafrechtlichen Verantwortung dafür unter anderem den gesetzlichen Vertreter der Verlassenschaft, „somit auch den Verlassenschaftskurator“, treffe. Ein vom Wert des Nachlasses unabhängiges Wahlrecht zwischen kridamäßiger Aufteilung des Nachlasses im Nachlassverfahren und Verlassenschaftskonkurs bestehe nicht. Bereits über der Grenze des § 169 Abs 1 KO von 500.000 ATS für geringfügige Konkurse liegende Nachlassaktiva seien jedenfalls nicht unbedeutend.
Weitaus zahlreicher sind die Äußerungen in der Literatur zur gegenständlichen Rechtsfrage:
[19] a) Nach Kirchstetter hat bei entsprechendem Ergebnis der Gläubigerkonvokation „der Erbe oder Verlassenschaftskurator […] sofort die Eröffnung des Konkurses über die Verlassenschaft zu verlangen“. Eine kridamäßige Verteilung des Vermögens ohne formellen Konkurs sei abzulehnen. Unter Bezugnahme auf §§ 135 und 136 AußStrG 1854 führte Kirchstetter aus, dass das erbschaftliche Liquidationsverfahren dafür nicht genügend geregelt sei. Es sei nicht abzusehen, wie der Richter in die Lage kommen solle, die Rangordnung festzusetzen, wenn kein Gläubiger zur förmlichen Geltendmachung seiner Forderung vor der Abhandlungsinstanz verpflichtet sei ( Kirchstetter , Commentar zum Österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche 4 [1882] 426).
[20] b) Feldner maß dem Verlassenschaftskurator nicht nur die Funktion zu, die Verlassenschaft wirtschaftlich zu verwalten, dieser sei „ebenso der von Rechtswegen als Organ der Rechtsordnung bestellte Hüter und Wahrer der rechtlichen Zwecke des Nachlasses, insbesondere Hüter und Wahrer des Vermögenszweckes im Falle der Überschuldung“ . Seine erste Pflicht sei, zunächst die Vermögenslage der Verlassenschaft zu untersuchen. Im Falle ihrer Überschuldung könne „die rechtliche Ordnung zur Verwendung des Nachlasses nur durch den ordentlichen Konkurs rücksichtlich durch den bezüglichen Antrag des Kurators eingeleitet werden“ ( Feldner , Die Einberufung der Gläubiger, GZ 1891, 137 [138]).
[21] c) Rintelen lehrte, bei Vorliegen eines Konkursgrundes „ist die Eröffnung des Konkurses über den Nachlass zu beantragen“ . Zur Antragstellung seien berufen: „der bedingt erbserklärte Erbe, der Verlassenschaftskurator, aber auch die Nachlassgläubiger“ ( Rintelen , Grundriß des Verfahrens außer Streitsachen [1914] 56).
[22] d) Nach Weißkann der Erbe oder der Verlassenschaftskurator, wenn sich nach Durchführung des Einberufungsverfahrens (§§ 813 ff ABGB) herausstellt, dass der Nachlass überschuldet ist, die Eröffnung des Nachlasskonkurses beantragen; fernerhin könne abgewartet werden, ob die Nachlassgläubiger ihre Ansprüche im Rechtsweg geltend machen. Dann müsse der Kurator oder Erbe die Haftungsbeschränkung im Prozess einwenden, also nicht bloß die Tatsache der bedingten Erbserklärung, sondern auch die Unzulänglichkeit des Nachlasses ( Weiß in Klang 2 III [1952] 1031).
[23] e) Nowalski meinte, gehe man davon aus, dass der Verlassenschaftskurator alles tun müsse, um die Rechte und Pflichten des Erben zu wahren, und dass er an dessen Stelle alle Obliegenheiten zu besorgen habe, die der noch nicht erbserklärte Erbe zu erfüllen hätte, „dann ist wohl die Verpflichtung zur rechtzeitigen Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Ausgleichsverfahrens nur die zwangsweise Folge der Verpflichtung zur Interessenwahrung“ ( Nowalski , Die Eröffnung des Ausgleichsverfahrens über einen Nachlass, NZ 1955, 134 [135]).
[24] f) Nach Ehrenzweig/Kralik muss im Fall, dass das Nachlassvermögen nicht ausreicht, um alle Verbindlichkeiten zu decken, „der Vertreter der ruhenden Verlassenschaft (Verlassenschaftskurator oder Erbe, dem die Besorgung und Verwaltung überlassen wurde) dafür sorgen, daß die Befriedigung der Gläubiger nach der gesetzlichen Ordnung vor sich gehe und kein Gläubiger unrechtmäßig begünstigt werde“ . Die „gesetzliche Ordnung“ richte sich nach den entsprechend anzuwendenden Regeln der KO und des Erbrechts. Den Antrag auf Eröffnung des Verlassenschaftskonkurses könne jeder Gläubiger, der eine Konkursforderung hat, der Verlassenschaftskurator oder auch ein Miterbe, dem allein oder mit anderen die Besorgung und Verwaltung überlassen wurde, stellen. Der Nachlassvertreter werde allerdings nur dann dazu verpflichtet sein, wenn unter Berücksichtigung der nach der Einantwortung eintretenden persönlichen Haftung der bereits erbserklärten Erben die Befriedigung der Gläubiger nach der gesetzlichen Ordnung gefährdet erscheine ( Ehrenzweig/Kralik , Erbrecht 3 [1983] 348).
[25] g) Ferrarivertritt die Ansicht, die Erben treffe keine Konkursantragspflicht, lasse sie doch § 69 Abs 3 KO (IO) bei der Nennung der zum Konkursantrag Verpflichteten unerwähnt. Der Verdacht, die Redaktoren des IRÄG (BGBl 1982/370) könnten auf sie vergessen haben, werde durch die Fassung des § 69 Abs 4 KO (IO), der die Konkurseröffnung bei Erbenmehrheit regle, entkräftet. Der Erbe könne bei Vorliegen der Voraussetzungen natürlich einen Konkursantrag stellen und auch die Nachlassgläubiger seien gemäß § 70 KO (IO) zur Antragstellung berechtigt ( Ferrari Hofmann Wellenhof , Die Erbschaftsklage [1991] 13 f; vgl auch – zum geltenden Recht – dies in Ferrari/Likar Peer , Erbrecht-Handbuch 2 [2020] Rz 12.126 [in FN 4765]).
[26] h) S. Kropiunigführt die Bestimmung des § 129 AußStrG 1854 ins Treffen, nach der der Verlassenschaftskurator „[…] sobald es mit Sicherheit geschehen kann, die Erbschaftsgläubiger [...] zu befriedigen [hat]“. Die Bestimmung schränke den Handlungsspielraum des Verlassenschaftskurators ein. Er könne bei Überschuldung des Nachlasses nur dann die Befriedigung der Gläubiger selbst durchführen, wenn er über den Schuldenstand und den Wert der Verlassenschaft genau informiert sei und überdies Einigkeit unter den Gläubigern bezüglich der Höhe der Forderungen und des Inventarwertes bestehe. Nur dann könne die Befriedigung der Gläubiger „mit Sicherheit“ iSd § 129 AußStrG 1854 erfolgen. Anerkenne man ein Recht des Verlassenschaftskurators, eine Inventarserrichtung zu verlangen, nicht und sei auch kein Grund zur Inventarserrichtung nach § 92 AußStrG 1854 gegeben, so könne der Verlassenschaftskurator in Fällen offenbarer Überschuldung des Nachlasses die Befriedigung der Nachlassgläubiger überhaupt nicht selbst vornehmen. Dann aber müsse wohl eine Verpflichtung des Kurators, die Eröffnung des Konkurses über den Nachlass zu beantragen, angenommen werden. Das Fehlen einer strafrechtlichen Sanktion wegen fahrlässiger Krida für den Verlassenschaftskurator bliebe mit einer zivilrechtlichen Verpflichtung zur unverzüglichen Beantragung eines Nachlasskonkurses vereinbar, zumal der Kurator wegen einer aus der Unterlassung des rechtzeitigen Konkurseröffnungsantrags resultierenden Schädigung von Nachlassgläubigern nach allgemeinen Grundsätzen schadenersatzpflichtig werden könne ( S. Kropiunig, Das Verhältnis der §§ 813 ff ABGB zur Konkurseröffnungspflicht bei Überschuldung des Nachlasses, NZ 1993, 97 [102]).
[27] i) Dellinger hält sowohl Erben als auch Nachlassvertreter zur Insolvenzantragstellung zwar für berechtigt, aber grundsätzlich nicht verpflichtet. Die die Konkursantragspflicht konkretisierende Bestimmung des § 69 Abs 3 KO nenne im Gegensatz zu § 69 Abs 4 KO diese Personen nämlich nicht eigens und sie seien angesichts des deutlich unterscheidenden § 69 Abs 4 KO auch nicht etwa unter die „organschaftlichen Vertreter juristischer Personen“ zu subsumieren, weil die KO den Nachlass in § 67 Abs 1 nicht als juristische Person sehe ( Dellinger in Konecny/Schubert , Insolvenzgesetze [1999] § 67 KO Rz 117).
[28] j) Bucheggerzählt zu den organschaftlichen Vertretern einer juristischen Person im Sinne der die Insolvenzantragspflicht statuierenden Vorschrift des § 69 Abs 3 KO auch den präsumtiven Erben, dem die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses nach § 145 AußStrG 1854 übertragen wurde, und – unter Verweis auf 4 Ob 501/95 – den Verlassenschaftskurator ( Buchegger , Zur Dogmatik der Insolvenzauslösetatbestände, in Feldbauer-Durstmüller/Schlager , Krisenmanagement – Sanierung – Insolvenz 2 [2002] 953 [969 f]).
[29] k) Schumacher übernimmt – ohne weitere Ausführung – die eine Insolvenzantragspflicht des Verlassenschaftskurators bejahende Auffassung. Dass der Kurator im Fall einer Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne seiner Insolvenzantragspflicht durch einen Antrag auf Überlassung an Zahlungs statt nachkomme, verneint er. Eine Überlassung an Zahlungs statt könne dessen ungeachtet der Konkurseröffnung zuvorkommen ( Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger , Österreichisches Insolvenzrecht 4 II/2 [2004] § 69 Rz 64; ders , Die Überlassung überschuldeter Verlassenschaften an Zahlungs statt, in FS Rechberger [2005] 551 [559 ff]).
[30] l) Reckenzaunführt aus, bei der Überlassung an Zahlungs statt nach §§ 154 f AußStrG 2003 fehlten Regelungen für eine Verwertung der Nachlassaktiva, ohne die aber eine sinnvolle Verteilung zuweilen nicht möglich sei. Auch wenn es das weitere Anwachsen von Verbindlichkeiten zu verhindern gelte und die materiellen Vorschriften der KO dazu nötig seien, sei eine Konkursantragstellung dringend geboten. An der „aus der Rechtsprechung entwickelten Konkursantragspflicht von Verlassenschaftskuratoren“ habe sich durch das AußStrG 2003 nichts geändert. Dies bedeute, dass innerhalb von 60 Tagen nach Eintritt bzw Objektivierung der Insolvenzvoraussetzungen ein Insolvenzantrag zu stellen sei, es sei denn, eine Überlassung an Zahlungs statt komme zuvor. Die Frage, ob der Verlassenschaftskurator seine Konkursantragspflicht dadurch erfüllen könne, dass er einen Antrag auf Überlassung an Zahlungs statt stelle, verneint der Autor. Hätte der Gesetzgeber dies beabsichtigt, wäre eine klare Regelung erfolgt ( Reckenzaun , Wann ist der überschuldete Nachlass ein Fall für den Masseverwalter? NZ 2007, 97 [99 f]).
[31] m) G. Kodekstuft unter Hinweis auf § 69 Abs 4 IO die Erben als nur berechtigt, nicht aber verpflichtet ein, einen Antrag auf Eröffnung eines Verlassenschaftsinsolvenzverfahrens zu stellen. Stattdessen könne der Erbe auch selbst liquidieren und die Begleichung der Schulden vornehmen. Demgegenüber treffe den Verlassenschaftskurator gegebenenfalls eine Antragspflicht. In Anschluss an Reckenzaun (siehe zuvor) vertritt G. Kodekdie Ansicht, den Kurator treffe insbesondere bei Vorliegen divergierender Gläubigerinteressen, bei bestrittenen Forderungen, bei behaupteten Sonderrechten und bei der Erforderlichkeit von Verwertungsmaßnahmen eine Konkursantragspflicht. Außerdem sei ein Insolvenzverfahren erforderlich, wenn man die materiellen Folgen des § 21 IO benötige, um ein Anwachsen von Verbindlichkeiten zu verhindern. Auch sei zu beachten, dass im Verfahren auf Überlassung an Zahlungs statt kein Äquivalent zur Ausscheidung nach § 119 IO bestehe ( G. Kodek , Verlassenschaft und Insolvenzrecht – ein Überblick, in Konecny , Insolvenz-Forum 2010 [2011] 89 [93]).
[32] n) Schilchegger/Kieberführen aus, dass Erben wegen der Nichtnennung in § 69 Abs 3 IO im Unterschied zu § 69 Abs 4 IO keine Insolvenzantragspflicht treffe. Da selbst für Erben keine Antragspflicht bestehe, könne dies umso weniger bei anderen zur Vertretung der Verlassenschaft Berufenen wie dem Verlassenschaftskurator der Fall sein ( Schilchegger/Kieber , Österreichisches Verlassenschaftsverfahren 2 [2015] 99 f).
[33] o) Krennführt zum Verhältnis zwischen einer Überlassung an Zahlungs statt nach § 154 AußStrG 2003 und einem Insolvenzverfahren aus, Letzteres solle ob der damit verbundenen Kosten nach der Intention des Gesetzgebers vermieden werden; einem mit der vereinfachten Abwicklung im Verlassverfahren nicht zufriedenen Gläubiger stehe es frei, die Eröffnung eines Verlassenschaftsinsolvenzverfahrens in die Wege zu leiten. Eine Antragspflicht für den Vertreter der Verlassenschaft bzw im Hintergrund für das weisungsbefugte Verlassenschaftsgericht bestehe nicht, solange eine Überlassung an Zahlungs statt möglich sei und auch betrieben werde, bevorzuge doch der Gesetzgeber jene gegenüber dem teureren Insolvenzverfahren ( Krenn , Die überschuldete oder wertlose Liegenschaft im Nachlass, RZ 2017, 36 [42]).
[34] p) Bittner/Hawelbetrachten die mit der Verwaltung betrauten Erben und den Verlassenschaftskurator als zur Stellung eines Insolvenzantrags berechtigt, aber nicht verpflichtet. § 69 Abs 3 IO, der die Insolvenzantragspflicht nach §§ 66 f und § 69 Abs 2 IO konkretisiere, erwähne die Erben nicht, während § 69 Abs 4 IO sie eigens anspreche. Warum für andere Vertreter der Verlassenschaft anderes gelten solle, sei nicht ersichtlich. Für diese Lösung spreche auch, dass für Vertreter von Verlassenschaften keine strafrechtliche Verantwortung bei Unterlassung eines rechtzeitigen Insolvenzantrags normiert sei ( Bittner/Hawel in Gruber/Kalss/Müller/Schauer , Erbrecht und Vermögensnachfolge 2 [2018] § 11 Rz 65).
[35] q) Auch Linderfolgt der Ansicht, dass den Verlassenschaftskurator mangels Nennung in § 69 Abs 3 IO keine Antragspflicht treffe ( Linder in Gruber/Kalss/Müller/Schauer , Erbrecht und Vermögensnachfolge 2 [2018] § 13 Rz 55).
[36] r) Desgleichen meint Nemeth, mangels Nennung in § 69 Abs 3 IO treffe weder den Erben noch den Verlassenschaftskurator eine Antragspflicht. Für die Nichtantragspflicht der Erben spreche auch der Wortlaut des § 69 Abs 4 IO, der einen gemeinsamen Antrag aller Erben, aber auch einen von nur einigen Erben für ausreichend halte. Ein weiteres Argument gegen eine Antragspflicht von Erbe und Verlassenschaftskurator ergebe sich aus dem sich überschneidenden Anwendungsbereich von IO und der Vorschrift des § 798 ABGB über die Überlassung der überschuldeten Verlassenschaft an Zahlungs statt, die nicht mehr wie nach alter Rechtslage nur im Falle unbedeutender Nachlässe offenstehe und eben auch bei überschuldeten Verlassenschaften fruchtbar gemacht werden könne ( Nemeth in Schwimann/Kodek 5IV [2019] § 798 ABGB Rz 11).
[37] s) Sailerführt aus, die nach § 69 Abs 2 IO den Schuldner treffende Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, könne nur den „organschaftlichen“ Vertreter der Verlassenschaft treffen. Unter Berufung auf die Entscheidung 4 Ob 501/95 und Reckenzaun (siehe oben) vertritt er die Ansicht, die Pflicht gelte jedenfalls uneingeschränkt für den bestellten Verlassenschaftskurator. Keinesfalls werde sie aber gegeben sein, solange eine Überlassung an Zahlungs statt oder eine einvernehmliche Verteilung der Verlassenschaft möglich sei und auch betrieben werde, bevorzuge doch der Gesetzgeber jene gegenüber dem teureren Insolvenzverfahren ( Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I 2 [2019] § 154 Rz 18).
[38] t) Welser vertrat ohne weitere Ausführung die Ansicht, der Verlassenschaftskurator sei zur Stellung des Insolvenzantrags verpflichtet. Unter Berufung auf Sailer (siehe zuvor) meinte er, eine Antragspflicht werde keinesfalls zu bejahen sein, solange eine Überlassung an Zahlungs statt möglich sei ( Welser, Erbrechtskommentar [2018] § 798 ABGB Rz 20).
[39] u) Winklerverneint eine Verpflichtung des Verlassenschaftskurators zur Insolvenzantragstellung gemäß § 69 Abs 3 IO aus der Erwägung, der Gesetzgeber habe mit der Überlassung an Zahlungs statt für den Fall des Vorliegens der materiellen Insolvenz der Verlassenschaft eine Alternative zum Verlassenschaftskonkurs zur Verfügung gestellt. Ob im Einzelfall die Insolvenzantragstellung geboten sei, liege im pflichtgemäßen Ermessen des Kurators. Für eine Insolvenzeröffnung sprächen die Notwendigkeit umfangreicher Verwertungsmaßnahmen, eine unübersichtliche Gläubigerstruktur und divergierende Gläubigerinteressen sowie strittige Gläubigerforderungen, Verbindlichkeiten mit laufenden Zinsen, die angestrebte Sanierung eines nachlasszugehörigen Unternehmens mit Hilfe eines Sanierungsplans, das Vorhandensein von Verträgen, die mit Hilfe der insolvenzrechtlichen Normen begünstigt aufgelöst werden können, anhängige Leistungsprozesse und Exekutionsverfahren und unmittelbar vor dem Tod erfolgte exekutive Pfandrechtsbegründungen sowie das Bestehen von Anfechtungstatbeständen ( Winkler in Schneider/Verweijen, AußStrG [2019] § 154 Rz 35 iVm 40).
[40] v) Nach Schweda„scheint“ nach § 69 Abs 3 IO jedenfalls der Verlassenschaftskurator als organschaftlicher Vertreter der Verlassenschaft verpflichtet zu sein, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen und Unmöglichkeit oder Untunlichkeit einer Erledigung nach §§ 154 f AußStrG 2003 einen Antrag auf Eröffnung eines Verlassenschaftsinsolvenzverfahrens zu stellen, wenngleich primär eine Erledigung nach §§ 154 f AußStrG 2003 anzustreben sei. Der überwiegenden Ansicht, erbantrittserklärte und somit vertretungsberechtigte Erben seien von der Pflicht zur Antragstellung entbunden, sei nicht zu folgen. Wenngleich erbantrittserklärte Erben per definitionem nicht als organschaftliche Vertreter im engeren Sinne aufzufassen seien, gehe der telos der Bestimmung doch dahin, dass bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ein Verlassenschaftsinsolvenzverfahren eröffnet werden solle. Eine andere Auslegung konterkarierte die Zielsetzung der IO. So sei ein erbantrittserklärter Erbe bei Überschuldung der Verlassenschaft verpflichtet, einen entsprechenden Antrag zu stellen, wenn ein Gläubiger in voller Höhe seines Anspruchs, und nicht nur gemäß seiner Quote, die oftmals noch gar nicht feststehen werde, Exekution gegen die Verlassenschaft führe und dadurch mangels Prozess- und Exekutionssperre weitere Gläubiger der Verlassenschaft zu Schaden kämen. Es sei auch nicht ersichtlich, weshalb in diesem Zusammenhang in der Bestellung eines Verlassenschaftskurators mit uneingeschränktem Wirkungskreis diesbezüglich eine andere Qualität der Vertretung der Verlassenschaft liegen sollte als bei Vertretung durch einen erbantrittserklärten Erben. Somit treffe jeden Vertreter der Verlassenschaft, sei es nun ein Verlassenschaftskurator oder ein erbantrittserklärter Erbe mit hinreichend ausgewiesenem Erbrecht, die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen ( Schweda in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang 3[2021] § 798 ABGB Rz 54).
[41] w) Verweijen gibt gegen die zur alten Rechtslage vom Obersten Gerichtshof judizierte Pflicht des Verlassenschaftskurators zur Insolvenzantragstellung zu bedenken, es habe damals keine freie Wahl zwischen dem Verlassenschaftskonkurs und der kridamäßigen Verteilung gegeben. Nach neuer Rechtslage gebe es im Gesetz hingegen keine Präferenz hinsichtlich der Überlassung an Zahlungs statt oder der Verlassenschaftsinsolvenz. Erstere sei bei Vorliegen einer Überschuldung unabhängig von der Höhe des Verlassenschaftsvermögens möglich. Die Entscheidung, wie vorzugehen sei, bleibe daher dem pflichtgemäßen Ermessen des Verlassenschaftskurators überlassen. Im Sinne einer bestmöglichen Vermögensverwaltung bzw Realisierung des Vermögens werde dieser oft besser daran tun, eine Überlassung an Zahlungs statt zu verfolgen, da diese wesentlich kostengünstiger abgewickelt werden könne als eine Verlassenschaftsinsolvenz. Insofern könne man nicht mehr davon ausgehen, dass es a priori eine Pflicht des Verlassenschaftskurators gebe, bei Überschuldung der Verlassenschaft die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen. Eine Verlassenschaftsinsolvenz werde insbesondere dann in Betracht kommen, wenn nicht einzelne Gegenstände an die Gläubiger überlassen werden können, sondern diese erst versilbert werden müssen, damit nachher der Verwertungserlös verteilt werden kann. Ein Verlassenschaftsinsolvenzverfahren erscheine ebenso zielführender, wenn divergierende Gläubigerinteressen vorliegen, einzelne Forderungen bestritten oder Sonderrechte an Verlassenschaftsgegenständen behauptet werden. Auch Anfechtungsansprüche könnten vom Insolvenzverwalter leichter geltend gemacht werden als vom Verlassenschaftskurator. Es bleibe dem pflichtgemäßen Ermessen des Verlassenschaftskurators im Einzelfall überlassen, welches Verfahren er für zielführender, kostenschonender und effizienter halte ( Verweijen , Handbuch Verlassenschaftsverfahren 3 [2021] 193 ff).
[42] x) Nach Mondel„scheint“ den Verlassenschaftskurator aufgrund des Wortlauts des § 69 Abs 3 IO eine Verpflichtung zur Beantragung des Verlassenschaftsinsolvenzverfahrens zu treffen. Eine bloße Wortinterpretation reiche aber nicht aus, sondern es sei der einschlägige Kontext des Insolvenzverfahrens zum Verlassenschaftsverfahren als Maßstab heranzuziehen. Der Gesetzgeber des AußStrG 2003 habe der Überlassung an Zahlungs statt bewusst den Vorzug gegenüber dem Verlassenschaftsinsolvenzverfahren gegeben; dies ergebe sich zum einen durch die sinngemäße Anwendung der §§ 46 f IO und zum anderen aus dem Umstand, dass die Eröffnung einer Verlassenschaftsinsolvenz aus Kostengründen in der Regel zu einer höheren Wertvernichtung führe. Die Überlassung an Zahlungs statt verfolge damit den Zweck, bei Überschuldung der Verlassenschaft auf kostengünstige Weise ein der Abwicklung einer Insolvenz vergleichbares Ergebnis zu erzielen. Da zum einen gemäß § 154 Abs 1 AußStrG 2003 bei einer überschuldeten Verlassenschaft eine Überlassung an Zahlungs statt ausdrücklich dann stattfinden könne, wenn kein Verlassenschaftsinsolvenzverfahren eröffnet wurde, und zum anderen in diesen Fällen jedenfalls die Möglichkeit bestehe, einen Verlassenschaftskurator zu bestellen, erübrige sich häufig die Stellung eines Insolvenzantrags. Den Verlassenschaftskurator treffe daher in aller Regel keine Verpflichtung, einen Antrag auf Eröffnung eines Verlassenschaftsinsolvenzverfahrens zu stellen, da mit dem Verfahren der Überlassung an Zahlungs statt nach §§ 154 f AußStrG 2003 das Auslangen gefunden werden könne. Es bedürfe spezieller Gründe, um die Verpflichtung zum Stellen eines Insolvenzantrags zu begründen, beispielsweise die Erwartung umfangreicher Anfechtungsprozesse oder das Bestehen komplexer Vorfragen zu Absonderungsansprüchen ( Mondel , Das Recht der Kuratoren 3 [2021] Rz 11.87).
[43] y) Ähnlich formuliert Mondel gemeinsam mit Fucikin ihrem Lehrbuch zum Verlassenschaftsverfahren, der Verlassenschaftskurator habe abzuwägen, ob es (als Regelfall) beim Verfahren der Überlassung an Zahlungs statt nach §§ 154 f AußStrG 2003 bleibe oder aber (im Ausnahmefall) die Stellung eines Insolvenzantrags erforderlich sei. Eine grundsätzliche Verpflichtung des Verlassenschaftskurators, einen Insolvenzantrag zu stellen, bestehe jedenfalls nicht ( Fucik/Mondel , Verlassenschaftsverfahren 3 [2023] Rz 254).
[44] z) Spruzina/Jungwirth schließen sich ohne weitere Ausführung der Ansicht an, dass der Verlassenschaftskurator zur Insolvenzantragstellung verpflichtet sei (in Kletečka/Schauer, ABGB ON 1.03 [2024] § 797 Rz 32).
Der Senat hat erwogen:
[45]Auszugehen ist davon, dass nach § 67 Abs 1 IO bei Verlassenschaften (und bei eingetragenen Personengesellschaften, bei denen kein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, sowie juristischen Personen) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens „auch bei Überschuldung statt[findet]“. Hier stellt mit anderen Worten nicht nur die Zahlungsunfähigkeit (§ 66 IO), sondern auch die Überschuldung einen Insolvenzeröffnungsgrund dar (vgl Denkschrift 63; Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger , Österreichisches Insolvenzrecht 4 II/2 [2004] § 67 Rz 1).
[46]Nach § 69 Abs 2 Satz 1 IO ist bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach §§ 66 und 67 IO „diese ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber sechzig Tage nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu beantragen“. Gemäß § 69 Abs 3 Satz 1 IO trifft die Verpflichtung nach Abs 2 „natürliche Personen, die unbeschränkt haftenden Gesellschafter und Liquidatoren einer eingetragenen Personengesellschaft und die organschaftlichen Vertreter juristischer Personen“. Ungeachtet der Vorschrift des § 154 AußStrG 2003 über die Überlassung der Aktiven einer überschuldeten Verlassenschaft an die Gläubiger auf deren Antrag ist es auch bei der überschuldeten Verlassenschaft anerkanntermaßen nur die IO (und nicht etwa das das Verlassenschaftsverfahren regelnde AußStrG 2003), die die Insolvenzantragspflicht regelt (ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 100; Ferrari in Ferrari/Likar Peer , Erbrecht-Handbuch 2 [2020] Rz 12.126 [in FN 4763]).
[47]Die IO führt wiederholt die Verlassenschaft gesondert neben anderen insolvenzfähigen Rechtssubjekten an, und zwar in § 67 Abs 1 ( „Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über eingetragene Personengesellschaften, bei denen kein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, über das Vermögen juristischer Personen und über Verlassenschaften findet […] “ ), § 100 Abs 6 ( „Ist eine Verlassenschaft, eine eingetragene Personengesellschaft oder eine juristische Person Schuldner, so […] “ ), § 164 Abs 1 ( „Ist der Schuldner eine eingetragene Personengesellschaft oder eine Verlassenschaft, so kann […] “ ) und § 166 ( „Ist der Schuldner eine natürliche Person, die ein Unternehmen betreibt, eine juristische Person, eine Personengesellschaft oder eine Verlassenschaft, so gelten […] “). Die Anführung der Verlassenschaft neben der „juristischen Person“ in § 67 Abs 1, § 100 Abs 6 und § 166 IO steht ihrer Subsumtion unter diesen Begriff – jedenfalls im Bereich der IO – entgegen. Der Verlassenschaftskurator ist in systematischer Interpretation der Bestimmungen der IO daher auch kein organschaftlicher Vertreter einer juristischen Person iSd § 69 Abs 3 IO (zutr Dellinger in Konecny/Schubert , Insolvenzgesetze [1999] § 67 KO Rz 117).
[48]Die Nichtanführung der Verlassenschaft in der die Insolvenzantragspflichtigen aufzählenden Vorschrift des § 69 Abs 3 IO beruht auf keinem Versehen des Gesetzgebers. Dass die Verlassenschaft bei § 69 IO mitbedacht wurde, ergibt sich aus § 69 Abs 4 letzter Satz IO, welcher die Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über eine Verlassenschaft durch nicht alle Erben regelt. § 69 Abs 3 KO (nunmehr: IO) wurde gemeinsam mit § 69 Abs 4 KO Gesetz (Art II Z 26 IRÄG, BGBl 1982/370), dies auf Initiative des Justizausschusses (JAB 1147 BlgNR 15. GP 50 [Z 26]; anders noch die Regierungsvorlage: ErläutRV 3 BlgNR 15. GP 12 [Z 21]). Es ist damit von einer bewussten Nichtanführung der Verlassenschaft bzw der sie vertretenden Personen in § 69 Abs 3 IO auszugehen (so bereits Ferrari Hofmann Wellenhof , Die Erbschaftsklage [1991] 13 f). Dieser gesetzgeberische Wille ist zu respektieren und darf nicht durch Zweckmäßigkeitsüberlegungen unterlaufen werden.
[49]Gegen eine Insolvenzantragspflicht des Verlassenschaftskurators spricht auch die nunmehrige Regelung der Überlassung an Zahlungs statt im Verlassenschaftsverfahren. Nach § 154 AußStrG 2003 hat „das Gericht die Aktiven einer überschuldeten Verlassenschaft auf Antrag den Gläubigern zu überlassen, wenn nicht schon eine unbedingte Erbantrittserklärung oder ein Antrag auf Überlassung als erblos vorliegt und kein Verlassenschaftsinsolvenzverfahren eröffnet wurde“. Nach § 154 Abs 2 AußStrG 2003 ist das Vermögen zu verteilen:„1. zunächst in sinngemäßer Anwendung der §§ 46 und 47 IO; 2. sodann an den gesetzlichen Vertreter des Verstorbenen, soweit ihm beschlussmäßig Beträge zuerkannt wurden; 3. schließlich an alle übrigen Gläubiger, jeweils im Verhältnis der Höhe ihrer unbestrittenen oder durch unbedenkliche Urkunden bescheinigten Forderungen.“
[50]Im Unterschied zu § 73 AußStrG 1854 regelt nunmehr das Gesetz selbst die (kridamäßige) Verteilung des überschuldeten Nachlasses an Zahlungs statt. Zudem ist anders als nach dem AußStrG 1854 die Überlassung an Zahlungs statt nicht mehr auf unbedeutende (somit hinsichtlich ihrer Aktiva eine bestimmte Wertgrenze nicht übersteigende) Verlassenschaften beschränkt, sondern steht bei jedem überschuldeten Nachlass grundsätzlich offen. Wäre der Verlassenschaftskurator nach § 69 Abs 3 IO verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen, so wäre § 154 AußStrG 2003 bei erfolgter Bestellung eines Verlassenschaftskurators gänzlich seines Anwendungsbereichs beraubt.
[51]Dass der Gesetzgeber des AußStrG 2003 bei überschuldeten Verlassenschaften von keiner Insolvenzantragspflicht ausging, erhellt auch daraus, dass in den Gesetzesmaterialien auf die höheren – und damit zu einer „Wertvernichtung“ führenden – Kosten eines Verlassenschaftsinsolvenzverfahrens hingewiesen und hieraus abgeleitet wurde, es werde meist im wohlverstandenen Interesse der Gläubiger liegen, dass es zu einer Überlassung an Zahlungs statt (und keinem Insolvenzverfahren) komme, aber auch festgehalten wurde, ein Gläubiger, der dies nicht so sehe, habe immer noch die Möglichkeit, seinerseits Konkursantrag gegen die Verlassenschaft zu stellen (ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 100). Bei Annahme einer Rechtspflicht des Verlassenschaftskurators zur Beantragung des Verlassenschaftsinsolvenzverfahrens wären diese Ausführungen des historischen Gesetzgebers unverständlich.
[52] Das Berufungsgericht vertritt unter Berufung auf Mondel die Ansicht, dass es zwar grundsätzlich keine Insolvenzantragspflicht des Verlassenschaftskurators gebe, eine solche aber bei Vorliegen spezieller Gründe bestehen könne, etwa wenn Anfechtungsansprüche möglich erscheinen.
[53]Für diese Auffassung bietet das Gesetz jedoch keine Stütze; § 69 IO enthält gerade keine solche Differenzierung. Die Beantragung eines Insolvenzverfahrens durch den Verlassenschaftskurator zur Ermöglichung einer Anfechtung von zum Nachteil der nunmehrigen Verlassenschaft erfolgten Rechtshandlungen des Verstorbenen ist auch nicht erforderlich:
[54]Die Durchsetzung der Gläubigerforderungen fällt auch bei überschuldetem Nachlass allein in die Sphäre der Gläubiger (6 Ob 34/01w). Es steht jedem Gläubiger frei, einen Insolvenzantrag zu stellen und auf diese Weise Insolvenzanfechtungsklagen zu ermöglichen. Zudem besteht abseits eines Insolvenzverfahrens die Möglichkeit einer Einzelanfechtung, vormals nach der AnfO, nunmehr nach §§ 438 ff EO BGBl I 2021/86 (GREx). Es ist damit grundsätzlich nicht Aufgabe eines Verlassenschaftskurators, durch Beantragung eines Insolvenzverfahrens Anfechtungsklagen zu ermöglichen.
[55]Aufgabe des Verlassenschaftskurators ist zwar, die Nachlassverbindlichkeiten zu befriedigen (1 Ob 341/99z; 2 Ob 75/18w [Pkt 9]), und, wenn das Vermögen für eine gänzliche Befriedigung aller Gläubiger nicht ausreicht, für die gleichrangige Befriedigung gleichrangiger Gläubiger zu sorgen (4 Ob 589/83 = JBl 1984/553; 6 Ob 108/06k [Pkt 3]; RS0007631), so wie es nunmehr in § 154 Abs 2 AußStrG 2003 vom Gesetzgeber selbst in Ausgestaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Gläubiger (par conditio creditorum) vorgegeben ist. Ein Verstoß des Beklagten gegen diese Rechtspflicht macht die Klägerin aber gerade nicht geltend.
[56]Inwieweit – wie von der Klägerin vorgetragen – der Beklagte eine Überschuldungsprüfung durchzuführen gehabt hätte (bzw – wie vom Beklagten vorgetragen – er eine solche tatsächlich vornahm) und ob er zu einer Gläubigerkonvokation nicht nur berechtigt (§ 813 ABGB), sondern auch verpflichtet war, erweist sich nicht als entscheidungsrelevant. Auch wenn solches zur Feststellung einer Überschuldung geführt hätte, wäre der Beklagte – wie dargelegt – nicht verpflichtet gewesen, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Verlassenschaft zu beantragen. Allein aus der Verletzung dieserpräsumtiven Pflicht leitet die Klägerin aber den klageweise geltend gemachten Schadenersatzanspruch ab, indem sie behauptet, hätte der Insolvenzverwalter seine (vermeintliche) Insolvenzantragspflicht erfüllt, wäre die Insolvenz so rechtzeitig eröffnet worden, dass die zweijährige Frist nach § 29 IO zur Anfechtung der Verschenkung der Eigentumswohnung noch offengestanden wäre.
[57] Die Urteile der Vorinstanzen erweisen sich daher im Ergebnis als richtig; der Revision war der Erfolg zu versagen.
[58]Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO.