JudikaturJustiz9Ob43/21w

9Ob43/21w – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juli 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Hon. Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei ***** M*****, vertreten durch Koch Jilek Rechtsanwälte Partnerschaft in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei W***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gottfried Reif, Mag. Thomas Wuritsch, Rechtsanwälte in Judenburg, wegen Einverleibung einer Dienstbarkeit, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 11. Mai 2021, GZ 1 R 45/21s 13, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Solange Eigentümeridentität besteht, kommt die Begründung einer Dienstbarkeit (eine sogenannte „Eigentümerdienstbarkeit“) nicht in Betracht. Dem ABGB ist die Möglichkeit der Begründung einer Grunddienstbarkeit im Verhältnis zweier im Eigentum derselben Person stehenden Liegenschaften fremd (RS0122304 [T2]).

[2] Bei Übereignung einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers (Aufhebung der Eigentümeridentität), von denen eine offenkundig der anderen dient und weiterhin dienen soll, entsteht nach ständiger Rechtsprechung auch ohne spezifische Vereinbarung und Verbücherung unmittelbar durch den Übertragungsakt eine Dienstbarkeit (RS0011618; RS0131628; RS0011547 [T12]).

[3] „Offenkundigkeit“ ist anzunehmen, wenn im maßgebenden Zeitpunkt der Eigentumsübertragung das tatsächliche Bestehen eines Gebrauchszwecks durch offenkundige Vorgänge oder ersichtliche Anlagen oder Einrichtungen erkennbar war (s RS0034803; RS0011633). Allenfalls vorhandene Anlagen müssen den aktuellen Zweck des Dienens offenkundig machen. Dies kann nur für Anlagen gelten, aus denen sich für den Erwerber ganz offenkundig ergibt, dass sie auch weiterhin bestehen bleiben sollen, weil sie für die Benützung des herrschenden Grundstücks notwendig sind (vgl RS0011554; 3 Ob 214/14p; 8 Ob 65/17t). Als eine Anlage in diesem Sinn gilt auch ein Zugangstor, das bei einer von einem Wegerecht freien Dienstbarkeit keinen Sinn hätte (3 Ob 214/14p [ErwGr 5.1.]; 4 Ob 232/13s mwN).

[4] Bei einem Erwerbsvorgang, mit dem die Eigentümeridentität aufgehoben wird, ist im Zweifel anzunehmen, dass ein bestehender Zustand aufrecht bleiben und eine „Eigentümerbefugnis“ zur konkreten weiteren Nutzung eines bestimmten Grundstreifens als Grunddienstbarkeit fortbestehen soll (8 Ob 65/17t).

[5] 2. Hier haben die Streitteile im Kaufvertrag vom 14./25. März 2003 ein Wegerecht an der östlichen Seite des vom Kläger erworbenen Grundstücks 630/23 vereinbart, darin aber nicht auf eine Wegnutzung durch das Gartentor an der westlichen Grundstückseite Bedacht genommen, die durch den Kläger (und vor ihm seine Eltern) – damals als Mieter – nachweislich und erkennbar seit den Siebzigerjahren nahezu täglich zu dem Zweck ausgeübt wurde, um über die angrenzenden Asphaltflächen (Parkplätze) der Beklagten zum öffentlichen Gut zu gelangen. Er nutzte diesen Weg durch das Gartentor über die Asphaltflächen auch nach dem Grundstückskauf unbeanstandet über viele Jahre. Die Vorinstanzen bejahten den Bestand einer entsprechenden Dienstbarkeit des Gehens. Im Zweifel sei anzunehmen, dass der (im Zeitpunkt des Kaufvertrags) bestehende Zustand aufrecht bleiben sollte.

[6] 3. Die Beklagte bringt dagegen im Wesentlichen vor, dass die Dienstbarkeit nach Abschluss des Kaufvertrags nicht mehr erforderlich gewesen und ausdrücklich eine andere Gehwegaufschließung vereinbart worden wäre.

[7] 4. Zum Kriterium der Erforderlichkeit hat das Berufungsgericht zutreffend dargelegt, dass eine Servitut schon dann besteht, wenn sie für das herrschende Grundstück nützlich und bequem ist. Jeder auch nur einigermaßen ins Gewicht fallende Vorteil genügt für die Aufrechterhaltung des erworbenen Rechts (s RS0011582; RS0116757; RS0011701). Sie erlischt, wenn sie völlig zwecklos wird oder infolge Veränderung der Umstände dem herrschenden Gut keinen Vorteil mehr bringt; doch ist dies bei einer Wegeservitut nur dann anzunehmen, wenn die nun zur Verfügung gestellte Straße nach Lage und Beschaffenheit einen vollen Ersatz für den dem Berechtigten zur Ausübung seines Geh- und Fahrrechts benützten Servitutsweg bietet. Eine Wegedienstbarkeit erlischt nicht allein deshalb, weil der Berechtigte seinen Grund über einen anderen Weg erreichen kann (RS0011574; RS0011688 [T3]; RS0011582 [T3]). Eine zweite Zugangsmöglichkeit entspricht noch dem Utilitätserfordernis bei Grunddienstbarkeiten (vgl 3 Ob 238/19z mwN).

[8] Wenngleich es hier nicht um das Erlöschen einer Servitut geht, ist nicht ersichtlich, warum diese Grundsätze nicht auch gelten sollten, wenn die Dienstbarkeit für die Benützung der herrschenden Liegenschaft nach Maßgabe einer seit vielen Jahren regelmäßig ausgeübten Nutzung im Sinn dieser Rechtsprechung weiter nützlich ist. Die von der Beklagten ins Treffen geführte Aussage der Entscheidung 8 Ob 65/17t, dass das notwendige Bestehen Bleiben des Nutzungsrechts offenkundig sein muss, stand im Zusammenhang damit, dass im dort maßgebenden Zeitpunkt kein aktueller Bedarf mehr gegeben war (seit mehreren Jahren ungenutzter Weg; vgl auch 3 Ob 214/14p: allfällige Offenkundigkeit des [ weiteren ] Dienens des fraglichen Weges). Derartiges ist hier nicht der Fall.

[9] 5. Allerdings können die Vertragsparteien ausdrücklich oder schlüssig etwas anderes vereinbaren. So ist es denkbar, dass das Entstehen einer Dienstbarkeit ungeachtet des Bestehens von Anlagen, die das zurückbehaltene Grundstück als ein dem Veräußerten dienendes oder umgekehrt erkennen lassen, durch Vereinbarung ausgeschlossen wird. Das ist aber nicht die Regel (stRspr, zB 1 Ob 292/98t mwN, 2 Ob 74/16w mwN). Im Zweifel ist daher die Beibehaltung des bisherigen Zustands und demnach das Entstehen einer Servitut anzunehmen (1 Ob 220/20i mwN). Es handelt sich somit um eine Auslegungsregel, die erst und nur dann zur Anwendung kommt, wenn nichts anderes ausdrücklich oder konkludent vereinbart wurde (vgl 1 Ob 292/98t). Ob dies zutrifft, ist eine nach den Umständen des Einzelfalls zu beantwortende Auslegungsfrage, deren Bedeutung in der Regel nicht über den Anlassfall hinausgeht. Schon die Kasuistik des Einzelfalls schließt grundsätzlich die Zulässigkeit der Revision aus, sofern nicht ein geradezu unvertretbares Auslegungsergebnis vorliegt (zB 6 Ob 212/05b).

[10] Ein solches ist hier nicht gegeben, weil der vertraglichen Vereinbarung zunächst nur die Bedeutung beizumessen ist, dass dem Kläger die Nutzung des neuen Weges eingeräumt werden sollte. Dass infolge des Vertragsabschlusses zugleich die nicht erwähnte bestehende Nutzung preisgegeben und der Kläger ausschließlich auf die Nutzung des östlichen Weges verwiesen werden sollte, haben die Vorinstanzen nach den strengen Maßstäben der Konkludenz (§ 863 ABGB) vertretbar verneint, indiziert die Vertragsgestaltung hier doch primär nur, dass die Streitteile die Nutzung des dienenden Grundstücks durch das Gartentor bei Vertragsabschluss nicht im Blick hatten. Aus dem Sachverhalt geht auch nicht hervor, dass der neue Weg nach seiner Lage und Beschaffenheit (entlang einer Häuserzeile über die angrenzenden Gartengrundstücke) dem Kläger einen gleichwertigen Ersatz bietet. Die Vorinstanzen sind daher vertretbar davon ausgegangen, dass die Zweifelsregel zur Beibehaltung des bisherigen Zustands und der Entstehung der Servitut hier nicht von einem davon abweichenden Parteiwillen überholt wurde.

[11] 6. Die Beklagte meint auch, dass die Grundsätze zur Unschlüssigkeit einer Klage im Hinblick auf § 12 GBG (Bestimmtheit des Inhalts und Umfangs des einzutragenden Rechts) unrichtig angewandt worden seien.

[12] Ein Klagebegehren ist schlüssig, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RS0037516). Die Schlüssigkeit einer Klage kann nur anhand der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden und begründet keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO (s RS0037780). Das gilt im Besonderen auch für die Frage, welche Anforderungen an die Konkretisierung des Klagebegehrens zu stellen sind (RS0037848 [T39]). Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Klagebegehrens („Gehen durch das Gartentor […] über die Asphaltflächen der Grundstücke […], um von dort auf öffentliches Gut zu gelangen“) liegt hier nicht vor.

[13] 7. Die außerordentliche Revision der Beklagten ist daher zurückzuweisen.

Rechtssätze
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