JudikaturJustiz7Ob4/19t

7Ob4/19t – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Juni 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon. Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. D***** K***** S***** und 2. H***** K*****, beide *****, beide vertreten durch Mag. Julian Korisek MBA, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei T***** G. S*****, wegen 5.942,16 EUR sA hinsichtlich der erstklagenden Partei und 3.559,30 EUR sA hinsichtlich der zweitklagenden Partei, über den Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 21. November 2018, GZ 22 R 338/18m 5, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Thalgau vom 4. Oktober 2018, GZ 2 C 839/18i 2, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

A. Dem Revisionsrekurs der erstklagenden Partei wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden hinsichtlich der erstklagenden Partei aufgehoben und dem Erstgericht wird insoweit die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens durch Zustellung der Klage aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens betreffend die erstklagende Partei sind weitere Verfahrenskosten.

B. Der Revisionsrekurs der zweitklagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die zweitklagende Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Kläger begehren vom Beklagten die Zahlung von 5.942,16 EUR sA (Erstklägerin) und 3.559,30 EUR sA (Zweitkläger). Sie machen einen deliktischen Schadenersatzanspruch gegen den Beklagten geltend und stützen die internationale sowie die örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts auf Art 5 Z 3 LGVÜ 2007. Der Beklagte habe die Vorgesellschaft der G***** AG (Sitz in der Schweiz; fortan: AG) errichtet und deren Gesellschaftsanteile treuhändig gehalten. Vertragswidrig habe die AG Gelder von Anlegern nicht bzw nicht in ausreichendem Maß für den Ankauf von Edelmetallen verwendet und den Anlegern kein Eigentum an angeschafften Edelmetallen eingeräumt. Einzahlungen von Anlegern für den Ankauf von Edelmetallen seien nicht erfasst, sondern unrichtig in der Buchhaltung einer Tochtergesellschaft als Erlöse verbucht worden. Außerdem seien Edelmetalle in der Bilanz nicht als Sondervermögen der Anleger ausgewiesen und es seien keine Rückstellungen oder Verbindlichkeiten gegenüber Kunden verbucht worden. Der Beklagte habe dennoch alljährlich notariell beglaubigte Prüfberichte ausgestellt und in deren Rahmen bestätigt, dass sich der Istbestand an Edelmetallen mit dem Sollbestand decke. Aufgrund dieser Prüfberichte seien die Kläger von der Richtigkeit der Werbebehauptungen der AG ausgegangen, die letztlich in Insolvenz verfallen sei. Die Tätigkeit des Beklagten sei Voraussetzung für den von den Klägern erlittenen Schaden gewesen. Dieser Schaden sei am Ort der girokontoführenden Banken als „Vermögenszentrale der klagenden Parteien“ im Sprengel des Erstgerichts eingetreten.

Das Erstgericht wies die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit a limine zurück. Es führte rechtlich aus, dass eine Anknüpfung der Zuständigkeit an den Ort der Vermögenszentrale der Kläger deshalb nicht in Frage komme, weil ein deliktischer Anspruch gegen den Beklagten mangels Kausalität des ihm unterstellten Verhaltens ausscheide. Die von den Klägern abgeschlossenen Verträge seien nämlich nach dem Klagevorbringen bereits 2011 abgeschlossen worden, während der erste Prüfbericht des Beklagten zum Stichtag 31. 12. 2012 erstellt worden sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Erstklägerin nicht Folge, bestätigte den Zurückweisungsbeschluss des Erstgerichts mit der Maßgabe, dass es die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurückwies und behielt sich die Entscheidung über den Rekurs des Zweitklägers bis zur Rechtskraft seines Beschlusses vor. Es vertrat die Rechtsansicht, dass nach Art 5 Z 3 LGVÜ 2007 jener Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei, nach Wahl des Klägers sowohl den Erfolgsort (Ort, an dem der Schaden eingetreten ist) als auch den Handlungsort (Ort des dem Schaden zugrunde liegenden ursächlichen Geschehens) umfasse. Fielen beide Orte auseinander (Distanzdelikt), könne der Kläger zwischen dem Handlungsort und dem Erfolgsort als Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit wählen. Der Handlungsort liege nach dem Klagevorbringen nicht in Österreich bzw nicht im Sprengel des angerufenen Gerichts. Aber auch in Bezug auf den behaupteten Erfolgsort habe das Erstgericht seine örtliche Unzuständigkeit zutreffend ausgesprochen, sei doch dafür nicht jener Ort maßgeblich, an dem sich ein bloßer finanzieller Verlust auf einem Bankkonto verwirklicht habe. Einen besonderer Ort der Veruntreuung der Gelder durch die AG hätten die Kläger nicht behauptet. Das Erstgericht habe die Klage daher (hinsichtlich der Erstklägerin) zutreffend zurückgewiesen, wobei im Rahmen einer Maßgabebestätigung die internationale Unzuständigkeit auszusprechen gewesen sei. Im Hinblick auf die unterschiedliche Rechtsmittelzulässigkeit sei die Entscheidung über den Rekurs des Zweitklägers bis zur Rechtskraft des Beschlusses vorzubehalten gewesen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil wegen der großen Anzahl geschädigter Anleger weitere gleichartige Verfahren zu erwarten seien und noch keine einhellige höchstgerichtliche Judikatur zur erheblichen Rechtsfrage existiere, wo bei Anlegerschäden der Erfolgsort im Sinn des Art 5 Z 3 LGVÜ 2007 (bzw Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012) liege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Kläger mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Rechtssache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverweisen.

Der Revisionsrekurs der Erstklägerin ist zulässig und berechtigt, weil die Vorinstanzen die Zuständigkeitsprüfung verfrüht vorgenommen haben; jener des Zweitklägers ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

A. Zum Revisionsrekurs der Erstklägerin:

1. Konformatsbeschlüsse sind gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO grundsätzlich unanfechtbar, es sei denn, dass die Klage – wie im vorliegenden Fall – ohne Sachentscheidungen aus formellen Gründen zurückgewiesen wurde und damit im Ergebnis eine endgültige Verweigerung der Sachentscheidung über das Rechtsschutzbegehren vorliegt (RS0044536 [T8]; RS0044487 [T15]). Das (Revisions )Rekursverfahren gegen eine a limine Zurückweisung der Klage ist einseitig (vgl RS0039200).

2. Im Hinblick auf den Wohnsitz des Beklagten in der Schweiz richtet sich die internationale Zuständigkeit nach dem am 30. 10. 2007 in Lugano abgeschlossenen Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Art 64 Abs 2 lit a LGVÜ 2007). Im Verhältnis zur Schweiz ist das LGVÜ 2007 gemäß seinem Art 63 seit 1. 1. 2011 anzuwenden. Es ersetzt in seinem Anwendungsbereich die Zuständigkeitsbestimmungen der JN (8 Ob 30/19y; RS0106679; RS0109738).

3. Sofern das Gericht eines durch das LGVÜ 2007 gebundenen Staates nicht bereits nach anderen Vorschriften dieses Übereinkommens zuständig ist, wird es nach Art 24 LGVÜ 2007 zuständig, wenn sich der Beklagte vor ihm auf das Verfahren einlässt. Dies gilt nicht, wenn der Beklagte sich einlässt, um den Mangel der Zuständigkeit geltend zu machen oder wenn – hier nicht einschlägig – ein anderes Gericht aufgrund des Art 22 LGVÜ 2007 ausschließlich zuständig ist. Lässt sich der Beklagte, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines durch das LGVÜ 2007 gebundenen Staates hat und der vor den Gerichten eines anderen durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates verklagt wird, auf das Verfahren nicht ein, so hat sich das Gericht nach Art 26 Abs 2 LGVÜ 2007 von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn seine Zuständigkeit nicht nach diesem Übereinkommen begründet ist.

4. Nach der zuvor dargestellten Rechtslage hat das angerufene Gericht die Klage auch dann zuzustellen, wenn es bei Klageeinbringung der Auffassung ist, unzuständig zu sein. Im Anwendungsbereich des LGVÜ 2007 darf eine internationale Unzuständigkeit nicht von Amts wegen wahrgenommen und die Klage a limine zurückgewiesen werden. Das Gericht hat vielmehr dem Beklagten die Möglichkeit zu geben, sich einzulassen (3 Ob 60/12p; vgl RS0111247). Daraus folgt:

5.1. Die internationale Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ist im vorliegenden Verfahrensstadium noch nicht abschließend zu beurteilen. Vielmehr sind die Entscheidungen der Vorinstanzen hinsichtlich der Erstklägerin aufzuheben und es ist dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens durch Zustellung der Klage aufzutragen.

5.2. Der Kostenvorbehalt betreffend den von der Erstklägerin erhobenen Revisionsrekurs beruht auf § 52 ZPO.

B. Zum Revisionsrekurs des Zweitklägers:

1. Das Rekursgericht hat sich die Entscheidung, soweit der Rekurs vom Zweitkläger erhoben wurde, bis zur Rechtskraft seines Beschlusses betreffend den von der Erstklägerin erhobenen Rekurs vorbehalten. Ein solcher Entscheidungsvorbehalt ist mangels einer Beschwer der betreffenden Partei unanfechtbar (1 Ob 2401/96m; vgl auch RS0006111). Der Revisionsrekurs des Zweitklägers war daher zurückzuweisen.

2. Die Kostenentscheidung betreffend den vom Zweitkläger erhobenen Revisionsrekurs beruht auf §§ 50, 40 ZPO.

Rechtssätze
7
  • RS0111247OGH Rechtssatz

    26. Juni 2019·3 Entscheidungen

    Das angerufene Gericht darf im Anwendungsbereich des Übereinkommens eine internationale Unzuständigkeit nicht von Amts wegen a limine wahrnehmen, sondern hat dem Beklagten die Möglichkeit zu geben, sich einzulassen.