JudikaturJustiz7Ob296/01g

7Ob296/01g – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Dezember 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Eberhard B*****, 2. Johanna K*****, und 3. Dr. Petra I*****, alle vertreten durch Dr. Hannes Paulweber, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach der am 23. Februar 1996 verstorbenen Cäcilia P***** (für die bisher die Tochter der Verstorbenen Renate K*****, vertreten durch Dr. Klaus Herke, Rechtsanwalt in Innsbruck, eingeschritten ist), wegen Aufkündigung, über den Rekurs der Kläger gegen den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 7. August 2001, GZ 1 R 281/01g-18, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 20. Februar 2001, GZ 11 C 200/00t-14, und das ihm vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird dahin Folge gegeben, dass der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Berufungsgericht aufgetragen wird, nach Ergänzung des Verfahrens (Versuch der Behebung des Mangels der gesetzlichen Vertretung der beklagten Partei gemäß § 6 Abs 2 ZPO) neuerlich zu entscheiden.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Am 22. 3. 2000 waren die drei Kläger (zu je 1/4 bzw zur Hälfte) Eigentümer des Wohnhauses ***** in I*****, dessen (nunmehr im alleinigen Wohnungseigentum der Drittklägerin stehende) Mansardenwohnung top 17 seit 1957 an Cäcilia P***** vermietet war. Nachdem die Kläger im Herbst 1999 davon Kenntnis erlangt hatten, dass die Mieterin bereits am 23. 2. 1996 verstorben war und sich deren Tochter und gesetzliche Alleinerbin Renate K***** geweigert hatte, die Wohnung zu räumen, kündigten die Kläger mit am 22. 3. 2000 beim Erstgericht eingebrachten Schriftsatz der Verlassenschaft nach Cäcilia P***** "vertreten durch die Universalerbin Renate K***** pA Dr. Klaus Herke, *****" das Mietverhältnis zum 30. 4. 2000 unter Berufung (ua) auf § 30 Abs 2 Z 5 MRG gerichtlich auf. Die beklagte Partei "vertreten durch die Universalerbin Renate K*****" erhob dagegen Einwendungen.

Das Erstgericht erachtete den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG als gegeben, erkannte die Aufkündigung daher für rechtswirksam und verpflichtete die beklagte Partei zur Räumung der Wohnung. Das Gericht zweiter Instanz hob die Entscheidung des Erstgerichts und das dieser vorangegangene Verfahren, einschließlich der Zustellung der Aufkündigung, aus Anlass der Berufung der Beklagten als nichtig auf und sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof (jedenfalls) zulässig sei. Renate K***** habe im Verlassenschaftsverfahren ihrer Mutter keine Erbserklärung abgegeben; die Nachlassaktiva, bestehend aus zwei Kontoguthaben von zusammen S 47.316,87, seien ihr auf teilweisen Abschlag der Verlassenschaftsschulden an Zahlungs Statt überlassen worden. Durch die Überlassung des Nachlassvermögens an Zahlungs Statt gemäß § 73 AußStrG komme es in Ansehung der im Überlassungsbeschluss bezeichneten Vermögensobjekte zur Singularsukzession. Es würden also nur die im Beschluss individualisierten Vermögenswerte übertragen. Im Übrigen dauere der Zustand des ruhenden Nachlasses fort. Der Nachlass bleibe Subjekt der nicht untergegangenen Rechte und Pflichten des Verstorbenen. Der Vermieter habe daher die Aufkündigung gegen die Verlassenschaft zu richten, welche durch den hiefür bestellten Verlassenschaftskurator zu vertreten sei. Renate K***** sei, da sie keine Erbserklärung abgegeben habe, nicht befähigt gewesen, die Verlassenschaft zu vertreten. Der erstinstanzlichen Entscheidung und dem vorangegangenen Verfahren ab und einschließlich der Zustellung der Aufkündigung hafte der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 5 ZPO an. Bei einem Mangel der gesetzlichen Vertretung sei allerdings grundsätzlich nicht sogleich die Nichtigkeit auszusprechen, sondern zunächst nach § 6 ZPO vorzugehen. Soweit aber die Durchführung eines solchen Verfahrens aussichtslos sei, habe das Berufungsgericht sofort die Nichtigkeit auszusprechen. Ein zu bestellender Kurator könnte zwar die bisherige Prozessführung genehmigen; ihm müsste jedoch die - eigenhändig zuzustellende - Aufkündigung zugestellt werden und wäre er, damit die Aufkündigung nicht rechtswirksam werde, zur Erhebung von Einwendungen innerhalb der ihm offenstehenden Einwendungsfrist gehalten. Wegen des unlösbaren Widerspruchs zwischen der Genehmigung der bisherigen Prozessführung und der Notwendigkeit der Erhebung von Einwendungen sei eine Sanierung des dem Urteil und dem Verfahren anhaftenden Mangels unmöglich. Deshalb sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs der Kläger mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufzuheben und die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen; in eventu möge dem Berufungsgericht aufgetragen werden, den angefochtenen Beschluss zu beheben und das erstinstanzliche Urteil zu bestätigen.

Renate K***** hat "als Universalerbin" für die beklagte Partei eine Rekursbeantwortung erstattet und darin beantragt, den angefochtenen Beschluss zu bestätigen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Kläger (die Sachlegitimation auch der Erst- und Zweitkläger ist ungeachtet des Umstands, dass sie nicht mehr Vermieter der gegenständlichen Wohnung sind, gemäß § 234 ZPO weiter gegeben) ist, wie schon das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, zulässig: Im Bestandverfahren kommt es einer - iSd § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen erfolgten - Zurückweisung der Klage gleich, wenn durch berufungsgerichtlichen Beschluss das Verfahren in einen Stand vor wirksamer Erhebung von

Einwendungen zurückversetzt wird (vgl SZ 52/125 = MietSlg XXXI/32;

EvBl 1989, 215/60 = SZ 61/197; RIS-Justiz RS0043824, zuletzt

eingehend 7 Ob 2332/96h). Wegen Rechtsähnlichkeit ist daher auch die Voraussetzung nach § 521a Abs 1 Z 3 ZPO zu bejahen, sodass das Rechtsmittelverfahren zweiseitig ist und die Rekursfrist gemäß § 521 Abs 1 ZPO vier Wochen beträgt (7 Ob 2332/96h).

Das demnach also jedenfalls zulässige Rechtsmittel der Kläger ist - im Ergebnis - im Sinne einer ersatzlosen Aufhebung des zweitinstanzlichen Beschlusses samt Auftrag zur Verfahrensergänzung in Form eines Sanierungsversuches iSd § 6 Abs 2 ZPO auch berechtigt. Keine Berechtigung kommt zwar den im Rekurs erhobenen rechtlichen Einwänden zu. Die Ansicht der Rekurswerber, die beklagte Verlassenschaft werde durch die gesetzliche Alleinerbin, da sich diese mit der Zustellung der Kündigung an sie einverstanden gezeigt habe und für die Verlassenschaft eingeschritten sei, ohnehin ordnungsgemäß vertreten, auch wenn die Genannte keine Erbserklärung abgegeben hat und ihr der Nachlass gemäß § 73 AußStrG an Zahlungs Statt überlassen wurde (sog. iure-crediti- Einantwortung), ist rechtsirrig: Wie schon das Berufungsgericht ebenfalls richtig ausgeführt hat, kommt es durch die Überlassung des Nachlassvermögens an Zahlungs Statt gemäß § 73 AußStrG in Ansehung der im Überlassungsbeschluss bezeichneten Vermögensobjekte zur Singularsukzession (RIS-Justiz RS0007692). Es werden also nur die im Beschluss individualisierten Vermögenswerte, wie sie dem Nachlass zustanden, übertragen. Im Übrigen dauert der Zustand des ruhenden Nachlasses fort. Der Nachlass bleibt Subjekt der nicht übergegangenen Rechte und Pflichten des Verstorbenen (vgl SZ 59/13; SZ 65/129; NZ 1999, 58; RIS-Justiz RS0007687 mit zahlreichen weiteren Entscheidungsnachweisen). Der Vermieter hat daher die Aufkündigung gegen die Verlassenschaft zu richten (9 Ob 186/99i, MietSlg 51.158), die sofern die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses nicht einem erbserklärten Erben übertragen wurde, von einem hiefür bestellten Verlassenschaftskurator (§ 78 AußStrG) vertreten wird. Zutreffend ist das Berufungsgericht daher von einem, gemäß § 6 Abs 1 ZPO in jeder Lage des Rechtsstreits von Amts wegen zu berücksichtigenden Mangel der Vertretung der beklagten Verlassenschaft ausgegangen. Der Einwand der Rekurswerber, das Berufungsgericht habe in diesem Zusammenhang § 1016 ABGB nicht beachtet, übersieht, dass diese Bestimmung nicht einschlägig ist, da kein Fall der Vollmachtsüberschreitung, sondern des Vollmachtsmangels der - von ihnen zu Unrecht als Vertreterin der Verlassenschaft bezeichneten - Einschreiterin gegeben ist.

Richtig hat aber schon das Berufungsgericht auch noch auf § 6 Abs 2 ZPO hingewiesen. Danach führt ein Vertretungsmangel (eine Verlassenschaft bedarf ja jedenfalls eines Vertreters) nicht zwingend und sofort zur Nichtigerklärung des Verfahrens. Das Gericht hat vielmehr alles Erforderliche vorzukehren, damit der Mangel beseitigt werden kann. Nur dann, wenn ein Sanierungsversuch von vornherein offenbar aussichtslos bzw unmöglich ist, ist das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären.

Nicht beigepflichtet werden kann nun der Ansicht der zweiten Instanz, eine in diesem Sinn anzustrebende Sanierung des dem Ersturteil und dem vorangegangenen Verfahren anhaftenden Mangels sei unmöglich. Wiederholt hat der Oberste Gerichtshof bei Vertretungsmängeln hinsichtlich einer beklagten Verlassenschaft auf die Sanierbarkeit des Mangels hingewiesen: So wurde in der in SZ 18/236 veröffentlichten Entscheidung ausgesprochen, dass der Mangel der Vertretungsbefugnis im Zeitpunkt der Kündigung bis zum Schluss der Verhandlung behoben werden könne. In EvBl 1950, 478/495 wurde unter Hinweis auf Pollak, System des österreichischen Zivilprozesses, 104, ausgeführt, dass die Nichtigkeit der Zustellung, insbesondere auch der Zustellung der Aufkündigung, nicht zur Nichtigkeit der Entscheidung mangels Vertretung führe, wenn dieser Mangel dadurch saniert wurde, dass der Vertreter in das Verfahren eintrat. In der Entscheidung SZ 24/80 wurde ausgesprochen, dass die Klage gegen eine nicht eingeantwortete Verlassenschaft nicht zurückzuweisen sei, wenn darin nur die Zustellung an einen der (erbserklärten) Miterben beantragt wurde. Es sei nicht Sache des Klägers, für die gesetzliche Vertretung der beklagten Partei Sorge zu tragen. Der Kläger habe seinen, ihm in § 6 ZPO auferlegten Verpflichtungen Genüge geleistet, wenn er ein parteifähiges Gebilde geklagt habe. Durch die Einbringung der Klage werde die Gerichtshängigkeit begründet und die Verjährung auch dann unterbrochen, wenn in der Klage der gesetzliche Vertreter des geklagten Gebildes überhaupt nicht oder falsch bezeichnet worden sei. Habe das Gericht in Unkenntnis der Tatsache, dass der namhaft gemachte Vertreter, zu dessen Handen die Klage gerichtet gewesen sei, nicht der richtige Vertreter sei, die Klagszustellung an die in der Klage angeführte Person verfügt, so könne das Verfahren von der Klagszustellung an, wenn nicht eine Sanierung nach § 6 ZPO erfolge, nach § 7 ZPO für nichtig erklärt werden. Wenn dagegen die Klage an einen von mehreren Vertretern zugestellt worden sei, so sei die Zustellung an einen von ihnen nicht nichtig, sondern nur wirkungslos; in diesem Fall müsse daher die Nichtigerklärung sich auf diejenigen Prozesshandlungen beschränken, die nach der Zustellung an nur einen der Kollektivvertreter vorgenommen worden seien. In der in EvBl 1967, 214/182 veröffentlichten Entscheidung wurde ausgesprochen, dass Lehre und Rechtsprechung darin übereinstimmten, dass die Eventualmaxime im Bestandverfahren an der zwingenden Vorschrift des § 6 ZPO nichts ändere. Das heiße, dass der Mangel der gesetzlichen Vertretung auch nach Ablauf der Einwendungsfrist von Amts wegen wahrzunehmen sei und die gerichtlichen Aufträge zu seiner Behebung erteilt werden müssten. In allen diesen Fällen geht der Oberste Gerichtshof also davon aus, dass ein solcher Vertretungsmangel behebbar sei. Die Argumentation des Berufungsgerichts, warum dies im vorliegenden Fall nicht zutreffen solle, ist nicht recht verständlich. Der vom Berufungsgericht behauptete Widerspruch ist nicht nur im Falle, dass Renate K*****, die bisher ohne Vertretungsmacht eingeschritten ist, zur Verlassenschaftskuratorin bestellt würde (was im Hinblick darauf, dass sie der einzige Nachkomme der verstorbenen Mieterin ist, wohl durchaus naheläge), sondern auch bei Bestellung einer anderen Person zum Verlassenschaftskurator, nicht zu erkennen.

Da das Berufungsgericht demnach einen Sanierungsversuch des Vertretungsmangels, der nach stRsp auch noch im Rechtsmittelverfahren - durch das Gericht zweiter Instanz (vgl 2 Ob 556/84, RIS-Justiz RS0035456) - möglich bzw erforderlich ist (vgl Stohanzl, ZPO14 E 13 mwN), zu Unrecht abgelehnt hat, war der angefochtene Beschluss spruchgemäß ersatzlos aufzuheben und dem Berufungsgericht ein entsprechender Sanierungsversuch aufzutragen. Das Berufungsgericht wird iSd § 6 Abs 2 ZPO hiezu die erforderlichen Aufträge zu erteilen und zu ihrer Erfüllung von Amts wegen eine angemessene Frist zu bestimmen haben, bis zu deren fruchtlosem Ablaufe der Ausspruch über die Rechtsfolgen des Vertretungsmangels aufgeschoben bleibt. Für den Fall, dass der Verlassenschaftskurator, dessen Bestellung zu veranlassen sein wird, die bisherige Prozessführung nicht genehmigen und die dafür zu setzende Frist fruchtlos ablaufen sollte, wäre (neuerlich) die Nichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung und des vorangegangenen Verfahrens einschließlich der Aufkündigung auszusprechen; anderenfalls wird das Gericht zweiter Instanz die Berufung der beklagten Partei zu behandeln haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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