JudikaturJustiz4Ob70/23g

4Ob70/23g – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. November 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Dr. Schwarzenbacher, Dr. Tarmann Prentner, MMag. Matzka und Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. G*, vertreten durch die Probst Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17–19, 1011 Wien, und die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. A*AG, *, vertreten durch Dr. Hans Jörg Luhamer, Rechtsanwalt in Wien, 2. I*GmbH, *, vertreten durch die DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, 3. S* AG, *, vertreten durch Dr. Herbert Laimböck, Rechtsanwalt in Wien, wegen 31.909,58 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei und über den Rekurs der 1. Nebenintervenientin jeweils gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. Jänner 2023, GZ 16 R 110/22x, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 22. März 2022, GZ 22 Cg 33/20i 31 aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Beide Rekurse werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.923,64 EUR (darin 653,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger ist Eigentümer von landwirtschaftlich genutzten Grundstücken und verpflichtete sich in einem Übereinkommen im Jahr 2011 mit der Beklagten, dieser für den Bau der Autobahn einen Teil der Fläche zu übertragen. Die Übertragung wurde zumindest bis 2018 noch nicht durchgeführt und der Kläger nutzte die Flächen weiterhin landwirtschaftlich.

[2] Der Kläger begehrte von der Beklagten 31.909,58 EUR mit der Begründung, die Beklagte habe sich mittels Zusatzvereinbarung zum Übereinkommen verpflichtet, im Zuge des Autobahnbaus wasserbauliche Maßnahmen zu setzen, um dadurch die ordentliche Nutzung seiner angrenzenden Grundstücke zu gewährleisten. Im Fall des Unterlassens oder der verspäteten Umsetzung des Vereinbarten habe sie sich zur Abgeltung seiner vermögensrechtlichen Nachteile verpflichtet. Übereinkommen und Zusatzvereinbarung seien von der Erstnebenintervenientin in Vertretung und mit Wirksamkeit für die Beklagte geschlossen worden. Durch die im Jahr 2018 durchgeführten Bauarbeiten seien die Abfluss und Versickerungsverhältnisse der Oberflächenwässer gestört worden. Da die Beklagte die wasserbaulichen Maßnahmen zur Verhinderung von Überschwemmungen, zu denen sie sich in der Zusatzvereinbarung verpflichtet habe, nicht gesetzt habe, sei es anlässlich eines üblichen Regenereignisses am 9. 5. 2018 durch einfließendes Wasser aufgrund fehlerhafter Drainagen und/oder falsch dimensionierter Wassergräben zu großflächigen Überschwemmungen auf dem Feldstück gekommen, was Ernteausfälle und Mindererträge zur Folge gehabt habe. Das Verschulden der Nebenintervenientinnen daran sei gemäß § 1313a ABGB der Beklagten zuzurechnen. Entgegen der vertraglichen Zusage der Beklagten habe die Erstnebenintervenientin den Schaden nicht ersetzt. Neben Vertragshaftung stützte sich der Kläger in eventu auch auf das Nachbarrecht nach §§ 364 ff ABGB.

[3] Die Beklagte und die Nebenintervenienten wendeten unter anderem die mangelnde Passivlegitimation der Beklagten ein.

[4] Das Erstgericht wies die Klage mangels Passivlegitimation der Beklagten ab, das Berufungsgericht hob das Urteil auf, verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück und sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil die Beklagte behaupte, dass ihre passive Klagslegitimation schon nach § 8 ASFINAG ErmächtigungsG zu verneinen sei und zur Reichweite des damit angesprochenen Vertragseintritts ex lege keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

[5] Dagegen richten sich die Rekurse der Beklagten und der ersten Nebenintervenientin (in der Folge: „Nebenintervenientin“), jeweils mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen. Die Klägerin beantragt in ihren Rekursbeantwortungen jeweils, den Rekurs zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[6] Beide Rekurse sind mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinn von § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig und folglich zurückzuweisen:

[7] 1.1. Die Klägerin stützt ihren Anspruch in der Hauptsache auf Vertrag (Übereinkommen samt Zusatzvereinbarung zwischen den Streitteilen). Dieser wurde vom Berufungsgericht dahin ausgelegt, dass die Beklagte der Klägerin für Ansprüche daraus hafte.

[8] 1.2. Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042936) bzw wenn dem Berufungsgericht eine erhebliche Fehlbeurteilung vorzuwerfen wäre, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit aufgegriffen werden müsste (RS0042936 [T28]). Auch die Auslegung eines Vertrags dahingehend, wer als Partner dieses Vertragsverhältnisses anzusehen ist, kann nur für den Einzelfall erfolgen (RS0042936 [T43]). Steht die Vertragsauslegung durch die Vorinstanz mit den Grundsätzen von Lehre und Rechtsprechung im Einklang, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor, kommt doch der Beurteilung, ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, keine darüber hinausgehende Bedeutung zu (RS0042776). Eine erhebliche Rechtsfrage liegt aber vor, wenn eine auffallende Fehlbeurteilung, also eine krasse Verkennung der Auslegungsgrundsätze unterlaufen ist; ein solcher Fehler ist nämlich im Interesse der Rechtssicherheit wahrzunehmen (RS0042776 [T1]). Im vorliegenden Fall liegt keine auffallende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vor:

[9] 1.3. So hat bereits das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass im Vertrag festgehalten wurde, dass die Nebenintervenientin diesen „in Vertretung und mit Wirksamkeit“ für die Beklagte begründet hat, und dass auch die vertragliche Bestimmung, wonach die Nebenintervenientin alleinige Ansprechpartnerin in allen Angelegenheiten der Bauabwicklung sei, wobei dies „jedenfalls auch alle Fragen der Haftung für daraus entstehende Schäden“ mit einschließe, nichts an der Passivlegitimation der Beklagten ändere, weil der Ausdruck „Ansprechpartner“ üblicherweise dort verwendet werde, wo es dahinter noch einen Geschäftsherrn gebe. Im Zusammenhang mit dem Text des Vertrags, der von der Nebenintervenientin ausdrücklich in Vertretung und mit Wirksamkeit für die Beklagte abgeschlossen wurde, konnte das Berufungsgericht bei objektiver, redlicher und verständlicher Beurteilung (vgl RS0113932) jedenfalls die Passivlegitimation der Beklagten vertretbar bejahen.

[10] 2.1. Gemäß § 8 ASFINAG ErmächtigungsG tritt die Nebenintervenientin mit dem Zeitpunkt der Kundmachung dieses Gesetzes – oder danach mit dem künftigen Erwerb des Rechts der Fruchtnießung oder des Eigentums oder der dinglichen Nutzungsrechte an bundeseigenen Liegenschaften – von Gesetzes wegen in alle die Liegenschaften betreffenden Rechtsverhältnisse des Bundes mit Dritten ein, ohne dass es hiezu deren Zustimmung bedürfte. Der Bund haftet für die bis zu diesem Zeitpunkt von ihm eingegangenen Verpflichtungen gemäß § 1357 ABGB.

[11] 2.2. Das Berufungsgericht verneinte einen ex lege Vertragseintritt der Nebenintervenientin, weil die Beklagte im Zeitpunkt des Schadensereignisses (und auch im Zeitpunkt der Streitanhängigkeit erster Instanz) noch nicht Eigentümerin der von ihr vom Kläger erworbenen Grundstücke gewesen sei und die Nebenintervenientin daher noch keine dinglichen Rechte an den gekauften Grundstücken erworben haben könne. Dem haben die Rekurswerberinnen nichts Stichhältiges entgegengehalten:

[12] 2.3. Die von den Rekurswerberinnen zitierte Entscheidung 2 Ob 1/14g ist nicht einschlägig, ergibt sich doch daraus nur die Durchbrechung des Eintragungsgrundsatzes beim Erwerb eines Fruchtgenussrechts durch die Nebenintervenientin, kann aber nichts daran ändern, dass sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des § 8 ASFINAG ErmächtigungsG der fehlende Übergang der hier in Rede stehenden Verpflichtungen an die Nebenintervenientin ergibt. In der genannten Norm ist nämlich ausdrücklich von bundeseigenen Liegenschaften die Rede. Die Beklagte war aber zum relevanten Zeitpunkt (noch) nicht Eigentümerin der vom Kläger erworbenen Grundstücke. Dementsprechend konnte die Nebenintervenientin auch noch kein Fruchtgenussrecht von der Beklagten abgeleitet haben und somit auch nicht gemäß § 8 ASFINAG ErmächtigungsG in die hier in Rede stehenden Verpflichtungen eingetreten sein.

[13] 2.4. Das Argument der Beklagten, dass sie im Fall einer Enteignung originär und unabhängig von der grundbücherlichen Eintragung Eigentum und die Nebenintervenientin in derselben logischen Sekunde den Fruchtgenuss erlangt habe, ist schon deswegen unbeachtlich, weil hier keine Enteignung vorliegt, wird doch in der Zusatzvereinbarung in Pkt 21 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass zur Vermeidung einer Enteignung ein zivilrechtlicher Vertrag geschlossen werde.

[14] 3.1. Was die – von den Rechtsmittelwerberinnen bestrittene – Eigenschaft der Nebenintervenientin als Erfüllungsgehilfin der Beklagten und deren Abgrenzung zur Substitution anlangt, ist zunächst auszuführen, dass der Erfüllungsgehilfe ein Werkzeug des Machthabers ist, dessen sich dieser zur Erfüllung des ihm aufgetragenen Geschäfts bedient, der aber vom Machthaber abhängig ist und unter dessen Aufsicht steht. Den Substituten unterscheidet dagegen die Unabhängigkeit von der Aufsicht des Machthabers (RS0019389). Substitution liegt vor, wenn es dem Schuldner gestattet ist, die Ausführung selbst einem Dritten zu überlassen. Seine Leistung besteht dann nur in der Beistellung des Dritten. Bedient sich aber der Schuldner bei der von ihm geschuldeten Leistung eines, wenn auch selbstständigen, Dritten, so ist dieser Dritte sein Erfüllungsgehilfe (RS0019389 [T1]). § 1313a ABGB ist nicht nur dann anwendbar, wenn zur Erfüllung der Hauptleistungspflicht ein Gehilfe herangezogen wird, sondern auch dann, wenn die Erfüllung der mit einem Schuldverhältnis verknüpften Schutzpflichten und Sorgfaltspflichten einem Anderen übertragen wird (RS0028435).

[15] 3.2. Auch wenn die Nebenintervenientin in einem anderen Zusammenhang nicht als weisungsabhängige und beauftragte Erfüllungsgehilfin des Bundes qualifiziert wurde (1 Ob 239/14z), so schließt das ihre Qualifikation als solche im gegebenen Zusammenhang nicht aus, zumal die Frage, wozu der Schuldner tatsächlich verpflichtet ist, vom konkreten Vertrag und von der durch Vertragsauslegung zu bestimmenden konkreten Pflichtenlage abhängt (RS0121745 [T2]). Hier hat sich die Beklagte der Nebenintervenientin zur Ausübung der Schutz- und Sorgfaltspflichten bedient, zumal sie ihr gemäß Pkt 12 der Zusatzvereinbarung die Verpflichtung zur ordentlichen Erhaltung von Einrichtungen (insbesondere wasserbauliche Maßnahmen, Dämme, …) auferlegt, sodass die ordentliche Nutzung der an die Autobahn angrenzenden Grundstücke durch den Kläger gewährleistet bleibt. Weiters steht der Beklagten gegenüber der Nebenintervenientin ein Aufsichtsrecht zu, weil § 10 ASFINAG ErmächtigungsG Zielvorgaben der Beklagten an die Nebenintervenientin und eine begleitende Kontrolle durch die Beklagte vorsieht.

[16] Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Nebenintervenientin als Erfüllungsgehilfin der Beklagten zu qualifizieren sei, ist daher kein unvertretbares Auslegungsergebnis, sodass sich ein korrigierendes Eingreifen des Obersten Gerichtshofs als nicht erforderlich erweist.

[17] 3.3. Auch mit ihrem Einwand, der Schadenersatzanspruch des Klägers sei wegen verspäteten Vorbringens eines schuldhaften Verhaltens verjährt, zeigen die Rekurswerberinnen keine erhebliche Rechtsfrage auf, hat doch der Kläger bereits in der Klage ausdrücklich Schadenersatz gefordert. Ein allenfalls unvollständiges Vorbringen ist – auch nach Anleitung durch den Prozessrichter (RS0037076 [T8]) – einer Ergänzung zugänglich und deren Vornahme führt zu keiner Änderung des Klagegrundes.

[18] 4. Soweit die Nebenintervenientin rügt, das Berufungsgericht habe unzulässigerweise auch die – von der Klägerin nicht bekämpfte – Nichtzulassung der Klagsänderung „mit aufgehoben“, ist ihr entgegenzuhalten, dass sich der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts schon nach seinem Wortlaut zweifelsfrei nur auf den urteilsmäßigen Ausspruch des Erstgerichts, mithin dessen Sachentscheidung, bezieht, zumal das Berufungsgericht auch ausführte, dass es in Hinblick auf seine rechtliche Beurteilung, wonach das Übereinkommen samt Zusatzvereinbarung gar keinen Haftungsausschluss enthalte, auf die mit der Klagsänderung geltend gemachte (Teil-)Nichtigkeit eines Haftungsausschlusses gar nicht ankomme (S 23 des Berufungsurteils). Dies entspricht im Übrigen auch dem Verständnis des Klägers (S 12 der Rekursbeantwortung).

[19] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Im Zwischenstreit über die (mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte) Zulässigkeit des Rekurses gegen den Aufhebungsbeschluss im Sinn des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO gibt es keinen Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO (RS0123222 [T4]). Der Kläger hat in seinen Rekursbeantwortungen auf die Unzulässigkeit des jeweiligen Rekurses hingewiesen. Für die Kosten der Beantwortung eines erfolglosen Rechtsmittels des Nebenintervenienten haftet die von ihm unterstützte Hauptpartei (RS0036057). Die Beklagte hat dem Kläger daher die Kosten beider Rekursbeantwortungen zu ersetzen. Der jeweils verzeichnete Streitgenossenzuschlag gebührt jedoch nicht, weil dem Kläger bei Verfassung der Rekursbeantwortungen nur die jeweilige Rekurswerberin als Prozessgegnerin gegenüber stand (vgl 9 Ob 39/17a mwN).

Rechtssätze
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