JudikaturJustiz1Ob513/96

1Ob513/96 – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Januar 1996

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Elisabeth G*****, geboren am *****, vertreten durch Dr.Ingrid Huber, Rechtsanwältin in Graz, wegen Ablehnung eines Richters, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Betroffenen gegen den Beschluß des Landesgerichtes Leoben als Rekursgerichtes vom 31.Oktober 1995, GZ 2 R 501/95 35, mit dem der Beschluß des Bezirksgerichtes Liezen vom 18.August 1995, GZ SW 7/95 30, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird aufgetragen, das gesetzmäßige Verfahren über den Ablehnungsantrag der Betroffenen einzuleiten.

Text

Begründung:

Mit Beschluß vom 26.Juni 1995 begründete das Erstgericht in Ansehung der Betroffenen „eine Sachwalterschaft“, legte diese gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB „für alle Angelegenheiten“ fest, bestellte einen Mitarbeiter eines Vereins für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft zum Sachwalter und sprach im übrigen aus, daß die Betroffene die Verfahrenskosten selbst zu tragen hat (ON 16). Dieser Entscheidung dienten ua Feststellungen als Grundlage, wonach die Betroffene an einem organischen Psychosyndrom vermutlich arteriosklerotischer Genese mit dem Bild einer fortgeschrittenen Demenz bei fallweisen Verwirrtheitszuständen leidet und daher nicht in der Lage ist, ihre Angelegenheiten selbst zu erledigen. Dieser Beschluß erwuchs in Rechtskraft.

Mit Schriftsatz vom 11.August 1995 lehnte die durch eine Rechtsanwältin vertretene Betroffene den die Sachwalterschaftssache führenden Richter als befangen ab und brachte im wesentlichen vor, dieser handle gemeinsam mit dem Sachwalter gegen ihren Willen, weil er eine „Hofübergabe“ betreibe. Überdies beantragte die Betroffene, dem Sachwalter aufzutragen, die „mit erheblichen Kosten verbundene Errichtung eines Übergabsvertrages zu unterlassen bzw. einen solchen pflegschaftsgerichtlich nicht zu genehmigen“. Die Betroffene hatte der sie vertretenden Rechtsanwältin am 2.August 1995 eine „Vollmacht“ mit folgendem Wortlaut erteilt:

„Ich weiss nicht, warum man mir mein Eigentum wegnehmen will. Ich will meinen Hof nicht uebergeben. Erst nach meinem Tode soll geerbt werden.

Ich moechte daher, dass Frau Rechtsanwalt Dr.Ingrid Huber meinen oben ausgesprochenen Wunsch vor Gericht vertritt und erteile Ihr hiermit meine Vollmacht.“

Das Erstgericht wies die Anträge der Betroffenen mit Beschluß vom 18.August 1995 zurück und begründete diese Entscheidung im wesentlichen damit, daß für die Betroffene „eine Sachwalterschaft gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB bestimmt“ sei und diese daher einen Rechtsanwalt „ohne Beitritt des Sachwalters „ nicht bevollmächtigen könne. Die Betroffene sei sich der Tragweite einer Vollmachtserteilung keinesfalls bewußt.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Es erwog im wesentlichen, daß behinderte Personen innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters gleich einem Minderjährigen über sieben Jahre beschränkt geschäftsfähig seien. Der Oberste Gerichtshof habe in der Entscheidung RZ 1990/37 bloß mündigen Minderjährigen, also Personen zwischen dem 14. und 19. Lebensjahr und diesen gleichgestellten beschränkt Geschäftsfähigen das Recht zugestanden, im Außerstreitverfahren selbständig Anträge zu stellen, Rekurse zu erheben und soweit auch Rechtsanwälte zu bevollmächtigen. Diesem Personenkreis könne aber die Betroffene nicht zugerechnet werden, weil ihr ein Sachwalter gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB „zur Besorgung aller Angelegenheiten beigegeben worden sei“. Die behinderte Person habe gemäß § 273 a Abs 3 ABGB das Recht, von beabsichtigten wichtigen Maßnahmen in ihre Person oder ihr Vermögen betreffenden Angelegenheiten vom Sachwalter rechtzeitig verständigt zu werden und sich hierzu, wie auch zu anderen Maßnahmen, in angemessener Frist zu äußern; diese Äußerung sei zu berücksichtigen, wenn der darin ausgedrückte Wunsch dem Wohl der behinderten Person nicht weniger entspreche. Dieses Anhörungsrecht stehe nur der behinderten Person selbst zu. Der Grad der psychischen Erkrankung oder geistigen Behinderung der Betroffenen habe auf dieses Anhörungsrecht keinen Einfluß. Der behinderten Person sei daher auch dann Gelegenheit zur Äußerung zu geben, wenn sie scheinbar zu keiner verständlichen oder sinnvollen Mitteilung fähig sei. Zur Ausübung dieses „Mitspracherechtes“ könne sich die Betroffene jedoch nicht eines Vertreters bedienen und dazu wirksam Vollmacht erteilen. Es spreche nichts für die Annahme, daß es einem frei gewählten Vertreter eher als dem bestellten Sachwalter und dem erfahrenen Sachwalterschaftsrichter gelingen werde, „den wahren Wunsch und Willen der Betroffenen zu erkennen“.

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Das Rekursgericht erkannte richtig, daß eine Person, für die wie im vorliegenden Fall - ein Sachwalter gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB bestellt wurde, in ihrer Geschäftsfähigkeit einem unmündigen Minderjährigen, also einem Kind zwischen sieben und vierzehn Jahren, gleichsteht (4 Ob 525/94; EvBl 1992/93; Koziol/Welser 10 I 55; Pichler in Rummel , ABGB 2 Rz 1 zu § 273 a; Aicher in Rummel aaO Rz 4 zu § 21; Gamerith , NZ 1988, 65). Das gilt aber nur soweit, als der Behinderte des Gebrauchs der Vernunft nicht gänzlich beraubt und daher geschäftsunfähig ist, was wegen dieser weitergehenden Rechtsfolge trotz einer gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB bestehenden Sachwalterschaft zu beachten ist (4 Ob 525/94; Koziol/Welser aaO; Aicher in Rummel aaO; Pichler in Rummel aaO Rz 7 zu § 273; Gamerith aaO je mwN). Wiederholt wurde vom Obersten Gerichtshof aber auch schon ausgesprochen, daß der Betroffene, soweit er im Sachwalterschaftsverfahren selbständig auftreten kann, auch einen Rechtsanwalt zur Wahrung seiner Interessen bevollmächtigen darf (1 Ob 537/90; NRsp 1990/5; ebenso Gamerith NZ 1988, 68 f). Damit kam es zur Übernahme einer Praxis, die bereits die Rechtsprechung zur Entmündigungsordnung prägte (8 Ob 581/83; SZ 28/259; SZ 21/69; SZ 19/57).

Der Oberste Gerichtshof vertrat aber zum Inhalt der Handlungsfähigkeit des Betroffenen auch schon die gegenüber der einleitend referierten Rechtsprechung wegen der Allgemeinheit ihrer Formulierung weitergehende Ansicht, „daß dann, wenn nach der rechtskräftigen Bestellung eines Sachwalters im Pflegschaftsverfahren zwischen dem Sachwalter und dem Betroffenen Uneinigkeit über die Berechtigung oder Zweckmäßigkeit einer vom Sachwalter beabsichtigten, der Genehmigung des Pflegschaftsgerichts bedürfenden Maßnahme besteht, dem Betroffenen .... ein Rekursrecht gegen die diesbezügliche gerichtliche Entscheidung zusteht, weil nur dadurch eine erhebliche Verletzung der Interessen des Betroffenen durch Handlungen seines gesetzlichen Vertreters und die diese Handlungen genehmigende Entscheidung des Pflegschaftsgerichts hintangehalten werden kann“ und sich „die Bestellung des Sachwalters zur Vertretung des Betroffenen im gerichtlichen Verfahren“ soweit „nicht auf das Pflegschaftsverfahren, in dem zwischen widerstreitenden Begehren des Sachwalters und des Betroffenen zu entscheiden ist“, bezieht. Fehlte es dem Betroffenen an der „geistigen Reife zur Formulierung seines Standpunktes“, müsse „gegebenenfalls sogar ein Kollisionskurator bestellt werden“ (5 Ob 559/94).

Unabhängig davon, ob man die Grenzen der Handlungsfähigkeit des Betroffenen im Sachwalterschaftsverfahren im allgemeinen enger oder weiter zieht, kann der Betroffene jedenfalls im Rahmen der ihm gemäß § 273 a Abs 3 ABGB gebotenen Möglichkeiten selbständig agieren. Das wurde auch vom Gericht zweiter Instanz im Grundsätzlichen nicht verkannt. Dem Rekursgericht ist jedoch nicht darin zu folgen, daß der Betroffene in Ausübung seines Anhörungsrechts nicht befugt sei, einen Bevollmächtigten zu bestellen. Das Gegenteil dessen ergibt sich nämlich aus der einleitend dargestellten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, von der das Gericht zweiter Instanz abwich. An dieser Praxis ist festzuhalten.

Entgegen der Ansicht des Revisionsrekurses läßt sich aber allein aufgrund dieser Rechtslage noch nicht die Frage klären, ob die für die Betroffene einschreitende Bevollmächtigte in deren Namen wirksam Anträge stellen und Rechtsmittel ausführen konnte. Das Sachwaltergesetz hat nämlich nichts daran geändert, daß der Betroffene einen selbst gewählten Vertreter nur dann wirksam bevollmächtigen kann, wenn er nicht offenkundig unfähig ist, den Vollmachtszweck zu erfassen (NRsp 1990/5; 8 Ob 550/87; Gamerith , NZ 1988, 69). Eine offenkundige Unfähigkeit der Betroffenen im aufgezeigten Sinn läßt der Akteninhalt allerdings nicht erkennen. Wenn auch das Erstgericht in seinem Zurückweisungsbeschluß vom 18.August 1995 ausführte, daß die seiner Überzeugung nach bestehende Unfähigkeit der Betroffenen, eine Vollmacht im Bewußtsein deren Tragweite zu erteilen, eine Stütze in den Ergebnissen der Anhörungen und des eingeholten Sachverständigengutachtens finde, läßt der Akteninhalt keine Schlußfolgerung dieser Art zu. Im Beschluß vom 26.Juni 1995, mit dem das Erstgericht für die Betroffene einen Sachwalter gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB bestellte, wurden nämlich auch folgende Feststellungen getroffen:

„Persönlich ist die Betroffene ausreichend informiert, jedoch zeitlich und örtlich mangelhaft orientiert. Einfach strukturierten Gesprächen ist sie in der Lage zu folgen, sie ist jedoch nicht in der Lage, diesen durch längere Zeit über volle Aufmerksamkeit zu geben. Die intellektuellen Möglichkeiten der Betroffenen sind mit deutlichen Abbauerscheinungen belastet. Wenn auch ihre Kritikfähigkeit teilweise gegeben ist, ist sie jedoch insgesamt deutlich beeinträchtigt. Speziell die Unterscheidungskraft, Urteilskraft und Reflexionsfähigkeit sind nur mehr in Resten vorhanden. Zugleich liegt aber eine auffällige Eigenwilligkeit und Willenskraft der Persönlichkeit vor, die aber durch suggestive Einwirkungen teilweise umgangen werden kann, jedoch insgesamt zu eindeutigen Positionen führt. Produktive Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen im engeren Sinn sind nicht zu registrieren, wenn man von illusionärem Wunschdenken und zeitweisen situativen Verkennungen absieht.“

Aber auch das über den Gesundheitszustand der Betroffenen festgestellte und schon eingangs dieser Entscheidung wiedergegebene zusammenfassende Kalkül legt nicht nahe, daß die Betroffene offenkundig unfähig war, die Tragweite der von ihr erteilten Vollmacht zu erkennen, ging es doch bei deren Willensbildung um den verhältnismäßig einfach zu verstehenden Sachverhalt, Eigentümer ihres landwirtschaftlichen Gutes bleiben zu wollen und sich zur Verwirklichung dieses Ziels der fachkundigen Vertretung durch eine Rechtsanwältin zu bedienen. Jedenfalls soweit die Betroffene im Sachwalterschaftsverfahren befugt ist, auch durch einen Bevollmächtigten Anträge zu stellen und Rechtsmittel auszuführen, steht ihr auch die Ausübung des Ablehnungsrechts zu. Dabei stellt § 24 Abs 2 JN eine Sonderregelung der Anfechtbarkeit von Entscheidungen über die Ablehnung von Richtern dar und verdrängt auch im Verfahren außer Streitsachen die allgemeinen Regelungen über die Anfechtbarkeit von Beschlüssen (EvBl 1991/36 mzwN). Falls eine inhaltliche Prüfung der geltend gemachten Ablehnungsgründe erfolgte, bedeutet dieser Grundsatz, daß gegen die Zurückweisung der Ablehnung der Rekurs nur an das zunächst übergeordnete Gericht stattfindet und gegen dessen Entscheidung kein weiteres Rechtsmittel mehr zulässig ist (EvBl 1991/36; SZ 54/96 uva). Wird allerdings ein Ablehnungsantrag wie hier - keiner Sachentscheidung unterzogen, weil das Gericht zweiter Instanz eine Antragszurückweisung aus formellen Gründen im Rekursverfahren bestätigte, ist auch der Revisionsrekurs zulässig (EvBl 1991/36; JBl 1980, 487; SZ 42/74 uva).

Das Erstgericht hat daher das gesetzmäßige Verfahren über den Ablehnungsantrag der Betroffenen einzuleiten, um diesen einer meritorischen Erledigung zuzuführen.

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