JudikaturJustiz14Os59/15f

14Os59/15f – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. November 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wüstner als Schriftführer in der Strafsache gegen Ismail C***** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18. März 2015, GZ 163 Hv 11/15f 15, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ismail C***** abweichend von der insoweit einen Schuldspruch wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB anstrebenden Anklage des Vergehens der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 286 Abs 1 StGB (A) sowie des Verbrechens der Hehlerei nach § 164 (richtig:) Abs 2 und Abs 4 dritter Fall StGB (B) schuldig erkannt.

Danach hat er am 3. November 2014 in W*****

(A) es mit dem Vorsatz, dass vorsätzlich eine mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte strafbare Handlung begangen werde, unterlassen, die unmittelbar bevorstehende Ausführung eines (in der Folge vollendeten) Raubes nach § 142 Abs 1 StGB zum Nachteil der Ruth S***** zu verhindern, indem er sich vom Tatort entfernte, als sich der unmittelbare Täter der Genannten zuwandte, um ihr mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz ihre Handtasche samt Inhalt mit Gewalt wegzunehmen, ohne ihn von dieser ihm vorher angekündigten Tat abzuhalten;

(B) einen Teil der aus dem unter (A) beschriebenen Raub, sohin einer aus einem anderen Grund als wegen gewerbsmäßiger Begehung mit einer fünf Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung, erlangten Beute (nämlich das Mobiltelefon „und die Bankomatkarte“ des Opfers) vom unmittelbaren Täter als Geschenk übernommen, wobei er die Umstände kannte, die die angeführte Strafdrohung begründen.

Von der weiters gegen ihn erhobenen Anklage, er habe am 10. November 2014 Mikdathan T***** dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung wegen einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung ausgesetzt, dass er vor Beamten der PI K***** behauptete, der Genannte habe den unter Punkt (A) des Schuldspruchs beschriebenen Raub begangen, wurde der Angeklagte unter einem gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 8 und 11 StPO (in Ansehung des erstgenannten Nichtigkeitsgrundes betreffend den Schuldspruch B und den Freispruch zum Nachteil, im Übrigen [hinsichtlich des Schuldspruchs A und des Strafausspruchs] zum Vorteil des Angeklagten) ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist nicht im Recht.

Die Aussprüche des Erstgerichts, wonach weder festgestellt werden konnte, dass der Angeklagte den verfahrensgegenständlichen Raub zum Nachteil der Ruth S***** selbst begangen oder dazu beigetragen hätte, noch dass er Mikdathan T***** anlässlich seiner Befragung durch Beamte der PI K***** am 10. November 2014 fälschlich der Gefahr einer behördlichen Verfolgung wegen dieser Tat ausgesetzt hätte, er vielmehr subjektiv der Ansicht gewesen wäre, dass die dort geäußerte diesbezügliche Verdächtigung nicht falsch wäre (US 6 f), sind dem Vorwurf der Mängelrüge zuwider weder undeutlich (Z 5 erster Fall) noch in sich widersprüchlich oder mit dazu angestellten beweiswürdigenden Erwägungen (US 7 ff) nach Denkgesetzen oder allgemeiner Lebenserfahrung (RIS Justiz RS0117402) unvereinbar (Z 5 dritter Fall).

Ob tatsächlich Mikdathan T***** oder ein unbekannter Dritter den Raub verübte, ist für diese Negativfeststellungen nicht von Bedeutung. Mit der Sache nach bloß darauf bezogenen im Übrigen auch inhaltlich unrichtigen Einwänden von Undeutlichkeit und Widersprüchlichkeit spricht die Beschwerde demnach keine entscheidenden Tatsachen an.

Indem sie in diesem Zusammenhang die Ansicht vertritt, die den Entscheidungsgründen auch nach ihrem Verständnis entnehmbare Überzeugung der Tatrichter, dass Mikdathan T***** der Täter war, würde in Bezug auf den Vorwurf der Verleumdung „eher“ für eine Konstatierung, dass Ismail C***** den Genannten nicht verleumdete (und nicht bloß für die getroffene Negativfeststellung), sprechen, wird ein Begründungsmangel nicht geltend gemacht.

Divergenzen innerhalb der Aussagen des Angeklagten anlässlich seiner polizeilichen Vernehmungen haben die Tatrichter wie die Beschwerde einräumt ohnehin erörtert, womit der Einwand von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) insoweit ins Leere geht. Mit dem Vorwurf, das Erstgericht habe sich mit diesen Widersprüchen nicht „eingehender“ und im Detail auseinandergesetzt (vgl aber § 270 Abs 2 Z 5 StPO) und zudem unberücksichtigt gelassen, dass sich Ismail C***** auch in der Hauptverhandlung insofern widersprüchlich verantwortete, als er die letztlich zur Verurteilung gelangten Straftaten nach anfänglichem Leugnen erst über „eingehende Befragung“ zugestand, wird der Sache nach bloß die erstgerichtliche Überzeugung von dessen Glaubwürdigkeit ohne Bezugnahme auf (für die angestrebte Subsumtion des Täterverhaltens nach § 142 Abs 1 StGB und § 297 StGB) entscheidende Tatsachen (vgl dazu RIS Justiz RS0117593) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung bekämpft (RIS Justiz RS0106588; Ratz , WK StPO § 281 Rz 432).

Dies gilt gleichermaßen für die Kritik an den (ausführlichen, US 8 f) Erwägungen der Tatrichter zur Unglaubwürdigkeit der Aussage des Zeugen Mikdathan T*****, insbesonders im Zusammenhang mit dessen irrelevantem - Motiv, dem Angeklagten ein Mobiltelefon zu schenken.

Die Sicherstellung einer Sturmhaube bei Ismail C***** indiziert

ein dem § 142 Abs 1 StGB subsumierbares Geschehen nicht, womit es der fehlende Erörterung damit im Zusammenhang stehender Beweisergebnisse monierenden - weiteren Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall)

an der erforderlichen Beschwer mangelt (vgl erneut RIS Justiz RS0106588; Ratz , WK StPO § 281 Rz 424).

Soweit die Rechtsmittelwerberin im Folgenden auf Verfahrensergebnisse verweist, die nach ihrer Auffassung Feststellungen im Sinn des Anklagevorwurfs (in Richtung § 142 Abs 1 StGB) indizieren würden und damit im Ergebnis diesbezügliche Feststellungsmängel geltend macht (der Sache nach Z 10), geht sie in Betreff des objektiven Tatgeschehens nicht von den mit Mängelrüge erfolglos bekämpften gegenteiligen Urteilsfestellungen aus, womit sie den im festgestellten Sachverhalt gelegenen

Bezugspunkt materieller Nichtigkeit verfehlt (vgl RIS Justiz RS0099810). In An sehung der vermissten Konstatierungen zur subjektiven Tatseite spricht sie mit Blick auf eben diese (schon den objektiven Tatbestand verneinenden) Konstatierungen keine entscheidenden Tatsachen an.

Entgegen der Behauptung der zugunsten des Angeklagten aus Z 8 erhobenen Beschwerde hat das Erstgericht nicht gegen § 267 StPO verstoßen, indem es den Angeklagten unter Einhaltung der Vorschrift des § 262 StPO (ON 13 S 6; vgl dazu RIS Justiz RS0113755) abweichend von der

Anklage wegen § 142 Abs 1 StGB des Vergehens der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung (nämlich eben dieses Raubüberfalls) nach § 286 Abs 1 StGB (A) schuldig erkannte.

Ob das Urteil die Anklage überschreitet, ist anhand des prozessualen Tatbegriffs (vgl dazu ausführlich Ratz , WK StPO § 281 Rz 502 ff) zu beurteilen; meinen Anklage und Urteil denselben Lebenssachverhalt (dieselbe Tat), liegt eine Anklageüberschreitung nicht vor (14 Os 3/00, EvBl 2000/134, 572; RIS Justiz RS0113142). Gegenstand der Anklage, an den das erkennende Gericht gebunden ist, ist die konkret bestimmte Tat, also das gesamte Verhalten des Angeklagten, wie es sich aus der Anklagebegründung ergibt, nicht aber ihre vom Ankläger vorgenommene rechtliche Beurteilung (RIS Justiz RS0102147). Es kommt darauf an, welchen Sachverhalt der Ankläger dem Gericht zur Klärung und rechtlichen Beurteilung überlassen hat („Anklagewille“; Ratz , WK StPO § 281 Rz 509).

Vorliegend beschreibt das Urteil ein und denselben Lebenssachverhalt wie die Anklage, die das im Zusammenhang mit dem verfahrensgegenständlichen Raub gesetzte Gesamtverhalten des Angeklagten umfasst (RIS Justiz

RS0125611, RS0099582 [T21]) ; dem darin erhobenen Vorwurf, der Angeklagte habe Ruth S***** ihre Handtasche samt Inhalt mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz mit Gewalt weggenommen, lässt sich der (erst im Rechtsmittel bestrittene) Wille des Anklägers, auch dessen Mitwirkung an der Herbeiführung des verpönten Erfolgs in Form vorsätzlicher Unterlassung der Verhinderung des in seinem Nahebereich von Mikdathan T***** verübten Raubes als strafrechtlich relevantes Tun verfolgen zu wollen, ohne weiteres entnehmen (vgl erneut Ratz , WK StPO § 281 Rz 504 ) .

Soweit die Beschwerde auch damit argumentiert, dass § 142 Abs 1 StGB und § 286 Abs 1 StGB „gänzlich andere Voraussetzungen und Schutzzwecke“ hätten, genügt der Hinweis, dass unterschiedliche Tatbestands-voraussetzungen wie oben dargelegt für die Frage der Tatidentität unbeachtlich sind und dass § 286 StGB in erster Linie jenes Rechtsgut schützen soll, das durch die Straftat, deren Verhinderung unterlassen wurde (hier eben § 142 Abs 1 StGB), bedroht ist ( Plöchl in WK² StGB § 286 Rz 2).

Die nominell (zu Gunsten des Angeklagten) erhobene Sanktionsrüge (Z 11) blieb unausgeführt und entzieht sich demgemäß einer meritorischen Erledigung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Bleibt anzumerken, dass das Objekt der Hehlerei nur eine (durch einen Vortäter unmittelbar deliktisch erlangte) körperliche Sache sein kann, wobei für bewegliche Sachen vom Sachbegriff des Diebstahls auszugehen ist ( Kirchbacher in WK² StGB § 164 Rz 2). Unbare Zahlungsmittel (§ 74 Abs 1 Z 10 StGB), wie die vom Schuldspruch B umfasste Bankomatkarte, können daher nur dann Tatobjekt der Hehlerei sein, wenn sie über eine aktivierte Quick Chip Funktion verfügen und ihnen damit Wertträgereigenschaft zukommt ( Bertel in WK² StGB § 127 Rz 9b; Eder Rieder in WK² StGB § 142 Rz 16 mwN; RIS Justiz RS0093750 [T4 und T5]), wozu im Urteil keine Feststellungen getroffen wurden. Mit Blick auf das gleichzeitig verhehlte (jedenfalls diebstahlsfähige) Mobiltelefon hat sich der Rechtsfehler jedoch nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 516, 522; § 282 Rz 15 ff; RIS Justiz RS0120128, RS0118720, RS0117261), weshalb für ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO keine Veranlassung bestand.

Rechtssätze
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