JudikaturJustiz14Os111/03

14Os111/03 – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Oktober 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Oktober 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Philipp, Dr. Danek und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bauer als Schriftführer, in der Auslieferungssache gegen Corryna G***** wegen Auslieferung zur Strafvollstreckung an die Bundesrepublik Deutschland, AZ 9 Ns 40/03 des Oberlandesgerichtes Linz, über die Beschwerde der Corryna G***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz vom 3. Juli 2003, nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss wurde die Auslieferung der am 25. September 1968 geborenen deutschen Staatsangehörigen Corryna G***** zur Vollstreckung einer mit Beschluss des Amtsgerichtes Artern/BRD vom 5. August 1998, AZ 850 Js 51907/92 6 Ds, nachträglich hinsichtlich näher detaillierter, durchwegs Vermögensdelikte betreffender Entscheidungen erkannten Gesamtstrafe in der Höhe von einem Jahr und fünf Monaten (mit einer Einschränkung betreffend eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20 DM) nicht für unzulässig erklärt (vgl EvBl 2002/154 = JBl 2002, 670 mit Anm von Burgstaller, 13 Os 51/03, 13 Os 69/03).

Rechtliche Beurteilung

Wie der Oberste Gerichtshof in seiner Grundsatzentscheidung, AZ 13 Os 51/03, mit eingehender Begründung dargelegt hat, ist gegen einen Beschluss des Gerichtshofs zweiter Instanz, mit dem die Auslieferung nicht für unzulässig erklärt wird, in analoger Anwendung des GRBG eine Grundrechtsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof zulässig, welche vorliegend auch rechtzeitig eingebracht wurde. In einer solchen ist anzugeben und zu begründen, worin der Beschwerdeführer die Verletzung eines bestimmt zu bezeichnenden, als Auslieferungshindernis in Betracht kommenden Grundrechts des Betroffenen - vgl § 19 Z 1 ARHG (Art 3 und Art 6 EMRK), § 20 ARHG (Art 1 6. ZPEMRK) und § 22 ARHG (Art 8 EMRK) - erblickt. Soweit die Beschwerdeführerin allerdings einen Verstoß gegen Art 3 des 2. ZPzEUAusliefÜb, BGBl 1983/297, geltend macht, weil in der bekämpften Entscheidung des Oberlandesgerichts Linz nicht angeführt sei, wie ihr der Beschluss des Amtsgerichts Haan.Münden/BRD vom 24. Jänner 2002, AZ 4 AR 11/00, auf Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zugestellt worden sei, beruft sie sich auf kein Grundrecht und verkennt, dass die erwähnte Bestimmung nur bei Auslieferung einer Person zur Vollstreckung einer Strafe oder vorbeugenden Maßnahme, die gegen sie in einem Abwesenheitsurteil verhängt wurde, anzuwenden ist, nicht aber bei Widerruf einer bedingten Strafnachsicht. Dies steht auch mit dem - der erwähnten Regelung zugrundeliegenden - Art 6 Abs 1 EMRK im Einklang, der nach der Rechtsprechung der Konventionsorgane nur auf jene Phasen des Strafverfahrens Anwendung findet, in denen "über die Stichhaltigkeit der erhobenen strafrechtlichen Anklage entschieden wird" (Linke, Grundriss des Auslieferungsrechtes, 59). Die dem Urteil nachfolgenden Entscheidungen einschließlich des Widerrufs einer bedingten Strafnachsicht fallen nicht (mehr) in den Schutzbereich der zitierten Norm (Hrsg Golsong, Internationaler Kommentar zum Art 6 MRK RN 182, 183, 218; Guradze, Die europäische Menschenrechtskonvention, 95; RZ 1993/75).

Ebensowenig grundrechtsrelevant ist das Beschwerdevorbringen, wonach der vom deutschen Gericht erfolgte Widerruf der Strafaussetzung wegen einer in Österreich gerichtlich nicht strafbaren Handlung, nämlich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, erfolgt sei. Die Auszuliefernde übersieht dabei, dass er auch deshalb stattfand, weil sie nach Österreich verzogen war, ohne dies - entgegen der ihr erteilten Weisung (S 173 iVm S 117) - dem Gericht mitzuteilen (S 181, 339). Im Übrigen bezieht sich der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit nur auf die Straftaten, die Gegenstand der Strafverfolgung oder des zu vollstreckenden Urteils sind, nicht aber auf die ausschließlich nach dem Recht des ersuchenden Staates zu beurteilenden Widerrufsgründe (RZ 1993/75).

Mit bloßen Spekulationen über Zustellmängel wird Unfairness dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegender Verfahren nicht geltend gemacht, schon gar nicht mit dem - die ordnungsgemäße Zustellung in Deutschland nicht in Abrede stellenden - Hinweis, dass deutsches Zustellrecht zur Anwendung gelangt sei. Warum durch eine nach deutschem Recht ordnungsgemäße Zustellung Art 6 EMRK verletzt worden sein soll, zeigt die Beschwerde nämlich nicht auf.

Ein aus Art 8 EMRK erfließendes Auslieferungshindernis ist den im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland in Geltung stehenden Auslieferungsverträgen nicht bekannt. Deswegen hatte das Oberlandesgericht auch keine Veranlassung, auf dieses Grundrecht bezogene Sachverhaltsannahmen auszuführen. Dies umso weniger, als die Vorschriften des ARHG (hier § 22) zwischenstaatlichen Vereinbarungen gegenüber bloß subsidiär sind (§ 1 ARHG).

Mit Blick auf das Vorbringen der Corryna G***** und die im angefochtenen Beschluss dargelegten Umstände sieht der Oberste Gerichtshof keinen Anlass, gegen die Anwendung dieser Staatsverträge, insbesondere des EUAusliefÜb, aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit Bedenken zu hegen (Art 89 Abs 2 und 4 B-VG). Die Auslieferung ist nicht nur gesetzlich vorgesehen, sondern fällt als Einschränkung familiärer Kontakte angesichts moderner Verkehrsverbindungen zum Häftlingsbesuch im Nachbarstaat unter Berücksichtigung der Schwere der dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegenden Straftaten gegenüber einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung der "Verteidigung der Ordnung und der Verhinderung von Straftaten" kaum ins Gewicht (Art 8 Abs 2 EMRK). Selbst bei Anwendung des § 22 ARHG wäre mangels der dort verlangten Unverhältnismäßigkeit für die Beschwerdeführerin nichts gewonnen. Wurde doch ihr achtjähriger Sohn problemlos bei der Schwester ihres Lebensgefährten untergebracht (S 31).

Im Übrigen steht das Instrumentarium einer Vollzugsortsänderung zur Verfügung.

Rechtssätze
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  • RS0117728OGH Rechtssatz

    23. November 2010·3 Entscheidungen

    1.) Ein - sogleich mit Verkündung rechtskräftiger - Beschluss des Oberlandesgerichtes, mit dem die Auslieferung nicht für unzulässig erklärt wurde, kann in analoger Anwendung des Grundrechtsbeschwerdegesetzes mit dem außerordentlichen Rechtsmittel einer an den Obersten Gerichtshof gerichteten Grundrechtsbeschwerde angefochten werden. 2.) In der Beschwerde ist daher anzugeben und zu begründen, worin der Beschwerdeführer die Verletzung eines bestimmt zu bezeichnenden, als Auslieferungshindernis in Betracht kommenden Grundrechtes des Betroffenen - vgl § 19 Z 1 (Art 3 und Art 6 MRK), § 20 ARHG (Art 1 6.ZPMRK) und § 22 ARHG (Art 8 MRK) - erblickt. Die angefochtene Entscheidung ist genau zu bezeichnen. Die Beschwerde muss von einem Verteidiger unterschrieben sein (vgl § 3 GRBG). 3.) Die Beschwerde ist binnen vierzehn Tagen ab Zustellung der (im Fall mündlicher Verkündung der Entscheidung als Grundlage des weiteren Auslieferungsverfahrens gebotenen, vgl § 33 Abs 6 ARHG) schriftlichen Beschlussausfertigung an den Betroffenen (falls er durch einen Verteidiger vertreten ist, an diesen - § 79 Abs 2 StPO) beim Gerichtshof zweiter Instanz einzubringen, der die zur Entscheidung über die Beschwerde erforderlichen Akten unverzüglich dem Obersten Gerichtshof vorzulegen hat. Die Frist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde rechtzeitig beim Obersten Gerichtshof eingebracht wird (vgl § 4 GRBG). Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (vgl § 5 GRBG). 4.) Über die Beschwerde entscheidet der Oberste Gerichtshof nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung durch Erkenntnis. Insoweit lässt sich auch § 6 GRBG analog anwenden. Zur Entscheidung ist jedoch gemäß § 6 OGHG ein Senat aus fünf Mitgliedern berufen, weil kein von § 7 Abs 1 Z 8 OGHG angesprochenes "Erkenntnis nach dem Grundrechtsbeschwerdegesetz, BGBl Nr 35/1993" vorliegt. 5.) Im Grundrechtsbeschwerdeverfahren sind subsidiär die für den Obersten Gerichtshof und die für das gerichtliche Strafverfahren geltenden Vorschriften sinngemäß anzuwenden (vgl § 10 GRBG).