JudikaturJustiz14Os106/14s

14Os106/14s – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Oktober 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Oktober 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Einberger als Schriftführer in der Strafsache gegen Dr. Rakhat S***** und weitere Beschuldigte wegen der Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 351 HR 209/14h des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Vadim K***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 27. August 2014, AZ 22 Bs 227/14i, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Vadim K***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Wien der Beschwerde des Vadim K***** gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. Juli 2014 (ON 2363), mit dem die über ihn am 6. Juni 2014 verhängte (ON 2215) Untersuchungshaft aus dem Haftgrund des § 173 Abs 6 StPO (§ 173 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit a StPO) fortgesetzt worden war, nicht Folge und ordnete seinerseits die Fortsetzung der Haft aus dem Haftgrund des § 173 Abs 6 StPO (§ 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a StPO) an (ON 2467).

Dabei erachtete es den Beschuldigten als dringend verdächtig, in A*****/Kasachstan

1./ vermutlich im Februar 2007 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Dr. Rakhat S***** und Alnur M***** (§ 12 StGB) Zholdas T***** und Aybar Kh***** durch Verabreichung von Beruhigungsmitteln und (vermutlich) Strangulation (vorsätzlich) getötet zu haben;

2./ von 31. Jänner bis 1. Februar 2007 zur Ausführung der mutmaßlich von Dr. Rakhat S***** begangenen strafbaren Handlung, der Zholdas T***** mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zu einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt haben soll, indem er Askan B***** aufforderte, T***** „auf alle vier zu stellen“, dem Genannten die Hose herunterzog, mit einer Stange auf dessen Gesäß schlug und diese in dessen After einführte, durch seine Anwesenheit und Bereitschaft, erforderlichenfalls einzuschreiten, beigetragen zu haben;

3./ Nachgenannte widerrechtlich gefangenge-halten oder ihnen auf andere Weise die persönliche Freiheit entzogen zu haben, und zwar

a./ am 18. und 19. Jänner 2007 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Dr. Rakhat S***** und Aidarkhan Be***** (§ 12 StGB) Abilmazhen G***** und Zholdas T*****, indem sie beide in den Sauna- und Sportkomplex in A***** brachten und dort in getrennten Räumen gegen ihren Willen festhielten;

b./ am 31. Jänner und 1. Februar 2007 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Dr. Rakhat S***** und weiteren Mittätern (§ 12 StGB) Zholdas T***** und Aybar Kh*****, indem sie beide im Gebäude „K*****“ in A***** festhielten und „an verschiedene Orte verbrachten“, wobei sie ihnen durch ständige Bedrohungen, das Aufsetzen von Hauben, Fixieren ihrer Hände und Hervorrufen ständiger Angst über ihr weiteres Schicksal sowie von Todesangst besondere Qualen bereiteten;

4./ am 18. oder 19. Jänner 2007 Abilmazhen G***** durch Gewalt zur Unterzeichnung eines Antrags von Zholdas T***** auf unbezahlten Urlaub zu nötigen versucht zu haben, indem er sich ihm aggressiv näherte und ihn stieß, wobei ein weiterer tätlicher Angriff durch das Einschreiten von Aidarkhan Be***** unterblieb;

5./ am 18. oder 19. Jänner 2007 dadurch, dass er Abilmazhen G***** und Zholdas T***** bewachte und mit Handschellen fesselte, G***** durchsuchte und ihm diverse Gegenstände abnahm, und durch seine Bereitschaft, im Bedarfsfall jederzeit einzugreifen, zur Ausführung der mutmaßlich von Dr. Rakhat S***** begangenen strafbaren Handlungen beigetragen zu haben, der

a./ mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz G***** und T***** dazu bestimmt haben soll, Bolat Ab***** durch gefährliche Drohung mit einer Entführung und dem Tod zu einer Handlung zu nötigen, die diesen in einem noch festzustellenden Betrag am Vermögen schädigen sollte, indem er sie anwies, Ab***** aufzufordern, das im Eigentum der A***** stehende Gebäude „K*****“ in A*****, an die (in seinem Einflussbereich stehende) AO ***** zu einem nicht dem Marktwert entsprechenden Preis zu übertragen, widrigenfalls Ab***** „dasselbe wie ihnen passieren würde“, er somit wie G***** und T***** entführt werden oder ihm und seinen Verwandten etwas zustoßen würde;

b./ G***** durch gefährliche Drohung mit dem Tod zur Überschreibung der auf diesen registrierten Aktien an der N***** (durch Unterzeichnung eines Kaufvertrags über diese zu Gunsten von Dariga Na*****) genötigt haben soll, indem er ihm seinen Pass abnahm und ankündigte, er würde dafür sorgen, dass ein Ausreisestempel in diesen komme und er „sie“ (gemeint: ihn) umbringen und eingraben werde;

6./ Anfang Februar 2007 zur Ausführung der mutmaßlich von Dr. Rakhat S***** begangenen strafbaren Handlung, der Zholdas T***** und Aybar Kh***** unter dem Eindruck der bereits erfolgten Freiheitsentziehung und unter Androhung ihrer Aufrechterhaltung für den Fall des Zuwiderhandelns zu einem Anruf ihrer Ehegatten und G***** genötigt haben soll, bei dem die beiden (über Aufforderung von Dr. S*****) behaupteten, sie würden sich vor der Finanzpolizei verstecken, durch seine Anwesenheit am Tatort und Bereitschaft, erforderlichenfalls einzuschreiten, beigetragen zu haben.

In rechtlicher Hinsicht subsumierte das Oberlandesgericht dieses Verhalten den Verbrechen des (zweifachen) Mordes nach § 75 StGB (1./), der Vergewaltigung als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 201 Abs 1 StGB (richtig: BGBl I 2004/15) (2./), der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und Abs 2 StGB (3./b./), der schweren Erpressung als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 StGB (5./a./ und b./) und der schweren Nötigung als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (6./), sowie der Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (3./a./) und der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (4./).

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien gerichteten Grundrechtsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Voranzustellen ist, dass der Oberste Gerichtshof im Verfahren über eine Grundrechtsbeschwerde nicht dazu aufgerufen ist, als weitere Haftbeschwerdeinstanz eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der angefochtenen Entscheidung zu setzen, sondern (nur) Rechtsfehler (vgl § 2 Abs 1 GRBG) wahrzunehmen hat (RIS-Justiz RS0121605).

Da - anders als bei einer Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht - nicht die Haft, sondern die Entscheidung über diese den Gegenstand des Erkenntnisses über eine Grundrechtsbeschwerde bildet und § 3 Abs 1 GRBG hinsichtlich der dort angeordneten Begründungspflicht des Beschwerdeführers nichts anderes vorsieht, kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren die Begründung des dringenden Tatverdachts (nur) in sinngemäßer Anwendung des § 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a StPO bekämpft werden (RIS-Justiz RS0110146). Somit können - unter Beachtung sämtlicher Erwägungen des Beschwerdegerichts (RIS-Justiz RS0119370) formale Mängel der Begründung der Konstatierungen entscheidender Tatsachen releviert werden (Z 5) oder es kann nach Maßgabe deutlich und bestimmt bezeichneter Aktenteile und der in Z 5a genannten Erheblichkeitsschwelle der Versuch unternommen werden, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen zu wecken.

Indem die Beschwerde übrigens weitgehend das gegen den erstinstanzlichen Beschluss erstattete Vorbringen wiederholend (vgl RIS Justiz RS0106464) den Erwägungen des Oberlandesgerichts zum (konstatierten) dringenden Tatverdacht lediglich ihre eigene Einschätzung des Beweiswerts der zur Begründung herangezogenen Zeugenaussagen entgegenstellt, Verfahrensergebnisse isoliert betrachtet und eigenständig würdigt, über die Aktivitäten des kasachischen Geheimdienstes spekuliert, die Beeinflussung von Zeugen und die professionelle Beseitigung der Leichen behauptet und die Beeinflussung der österreichischen Justiz durch die Opfervertreter unterstellt, ohne sich mit der - auf zahlreiche Verdachtsmomente Bezug nehmenden - Begründung des angefochtenen Beschlusses in seiner Gesamtheit auseinanderzusetzen, verfehlt sie eine am Gesetz orientierte Beschwerdekritik (RIS-Justiz RS0110146 [T4, T6, T20], RS0112012).

Soweit sich die Beschwerde gegen die Nichtausschließbarkeit (§ 173 Abs 6 StPO) der Flucht- und der Tatbegehungsgefahr richtet und (unsubstanziiert) die Unverhältnismäßigkeit der Haft einwendet, scheitert sie schon mangels (horizontaler) Erschöpfung des Instanzenzugs (§ 1 Abs 1 GRBG), weil weder das Vorliegen von Haftgründen noch die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft in der Haftbeschwerde vom 28. Juli 2014 (ON 2391) bestritten wurden (RIS-Justiz RS0114487).

Mit der Behauptung einer Verletzung von Art 47 GRC durch die Abweisung des Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht (zur Vernehmung der Zeugin Lydia E*****) und die Unterlassung der Einholung einer Auskunft bei Amnesty International zur Erhebung, welche Personen „aus dem Kreis A*****“ von Folter in kasachischer Haft betroffen waren, wird keine den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens bildende Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit (§ 1 Abs 1 GRBG) geltend gemacht (RIS-Justiz RS0122321).

Das weitere Vorbringen lässt offen, weshalb ein spekulativ behauptetes Unterbleiben der Einholung einer „Stellungnahme der Staatsanwaltschaft“ durch das Beschwerdegericht geeignet gewesen wäre die „Haft unzulässig zu verlängern“. Der Kritik, der Beschwerdeführer habe sich zu einer solchen (allenfalls doch eingeholten) Stellungnahme nicht äußern dürfen, ist zu erwidern: Verletzt die letzte Instanz eine (einfachgesetzliche) haftrelevante Vorschrift (oder stellt sie deren Missachtung durch eine Unterinstanz nicht fest), kann dies an sich mit Grundrechtsbeschwerde geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0061078 [T2]; Kier in WK² GRBG § 1 Rz 4). Bei § 24 erster Satz StPO handelt es sich um eine solcherart haftrelevante Vorschrift. Sie ist jedoch dahin zu verstehen, dass dem (im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft) gegnerischen Beteiligten (Beschuldigten) eine Stellungnahme nur dann zugestellt werden muss, wenn sie eine inhaltliche Gegenposition zu seinem Rechtsmittel oder Rechtsbehelf enthält ( Schroll , WK-StPO § 24 Rz 14; vgl RIS-Justiz RS0095298 [T1 und T2]). Vorliegend haben weder die Staatsanwaltschaft Wien (vgl zur im Sinn des § 89 Abs 1 StPO „zuständigen Staatsanwaltschaft“ Ratz , Änderung der Rechtslage durch § 89 Abs 1 StPO? ÖJZ 2009, 190 f; aA Nimmervoll , Beschluss und Beschwerde in der StPO, 163 ff) noch die Oberstaatsanwaltschaft inhaltlich zur Haftbeschwerde Stellung genommen. Während Erstere ausdrücklich (wenngleich im Gesamtzusammenhang sprachlich missglückt) „auf die Erstattung einer schriftlichen Stellungnahme verzichtet“ hat (ON 1 S 305), hat Letztere den Akt dem Beschwerdegericht (bloß) „nach Einsichtnahme rückgemittelt“. Eine Einschränkung von Verteidigungsrechten liegt daher der Grundrechtsbeschwerde zuwider nicht vor.

Der Beschwerde zuwider ist dem Oberlandesgericht im Hinblick auf den enormen Aktenumfang und die vielschichtigen Beweisergebnisse auch keine ins Gewicht fallende Säumnis (vgl §§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO) vorzuwerfen, wobei der Umstand, dass das Rechtsmittelgericht kurz zuvor mit der Haftbeschwerde eines Mitbeschuldigten befasst war, schon aufgrund der zahlreichen weiteren Tatvorwürfe gegen den Beschwerdeführer und der unterschiedlichen Beweislage nicht von Bedeutung ist.

Mit Blick auf den im Grundrechtsbeschwerdeverfahren geltenden Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels (§ 10 GRBG iVm § 285 Abs 1 erster Satz StPO) sind sowohl der vom Beschwerdeführer am 24. September 2014 „zur Kenntnis“ übermittelte Beschwerdeschriftsatz eines Mitbeschuldigten, als auch die in der Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur getätigten inhaltlichen Ergänzungen der Grundrechtsbeschwerde unbeachtlich (RIS-Justiz RS0097055 [T3], RS0097061).

Der Beschuldigte Vadim K***** wurde daher im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Beschwerde - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

Rechtssätze
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