JudikaturJustiz11Os6/21y

11Os6/21y – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. März 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. März 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Nehrudin B***** und Nermin B***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der genannten Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 29. Oktober 2020, GZ 31 Hv 3/20d 123, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in Ansehung der rechtlichen Unterstellung des vom Schuldspruch I./1./ des Angeklagten Nehrudin B***** erfassten Sachverhalts (auch) unter § 147 Abs 3 StGB – damit in der zu diesem Schuldspruch gebildeten Subsumtionseinheit sowie im Schuldspruch des Angeklagten Nermin B***** (ⅠⅠ./) zur Gänze, demzufolge auch in den Strafaussprüchen sowie in den Verfallsentscheidungen auf gehoben und die Strafsache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit ihren darauf Bezug nehmenden Nichtigkeitsbeschwerden und den Berufungen w erden die Angeklagten auf die se Entscheidung verwiesen.

Im Übrigen w ird die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Nehrudin B***** zurückgewiesen.

Dem Angeklagten Nehrudin B***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden der Erstangeklagte Nehrudin B***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen [schweren] Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 [erster und fünfter Fall], Abs 3, 148 zweiter Fall StGB (I./1./) sowie des Vergehens der organisierten Schwarzarbeit nach § 153e Abs 1 Z 1 StGB (I./2./) und der (in der Folge:) Zweitangeklagte Nermin B***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen [schweren] Betruges nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1 [erster und fünfter Fall] und Abs 3, 148 zweiter Fall StGB (II./ betreffend I./1./) sowie des Vergehens der organisierten Schwarzarbeit nach §§ 12 dritter Fall, 153e Abs 1 Z 1 StGB (II./ betreffend I./2./) schuldig erkannt.

[2] Danach haben in G***** und andernorts

I./ Nehrudin B***** als faktischer Machthaber der C***** GmbH und der S***** GmbH im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Almir Ce***** als Geschäftsführer ab einem nicht näher bekannten Zeitpunkt nach dem 17. März 2017 bis zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor dem 14. Jänner 2020 (s allerdings die Bedachtnahme – § 31 StGB – auf ein Urteil vom 24. September 2019 – US 3) gewerbsmäßig (§ 70 StGB)

1./ mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Mitarbeiter der Steirischen Gebietskrankenkasse (in der Folge: GKK) sowie der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (in der Folge: BUAK) durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch die Vortäuschung einer Anmeldung von Dienstnehmern zur Sozialversicherung in Italien bzw dass die in Italien angemeldeten Dienstnehmer bei den in den A1-Bestätigungen und ZKO-Meldungen genannten italienischen Unternehmen (V***** s.r.l., I***** s.r.l. und H***** s.r.l.) beschäftigt seien und von diesen Unternehmen nach Österreich zur Arbeitsleistung entsandt würden, wobei es sich in Wahrheit um Scheinunternehmen handelte und die Dienstnehmer tatsächlich für andere Personen oder österreichische Unternehmen tätig wurden, zu Unterlassungen, nämlich zur Abstandnahme von der Einhebung der Sozialversicherungsbeiträge und Zuschläge nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz beim wirklichen Dienstgeber verleitet, die die zuständige GKK und die BUAK mit einem 300.000 Euro jedenfalls übersteigenden Betrag von insgesamt 1.987.584,60 Euro am Vermögen schädigten, indem er Anmeldungen der Dienstnehmer bei den Scheinunternehmen in Italien zur Sozialversicherung durch gefälschte A1 Bestätigungen vortäuschte, wahrheitswidrige Entsendemeldungen an die Zentrale Koordinationsstelle für die Kontrolle der illegalen Beschäftigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz und dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz des Bundesministeriums für Finanzen (in der Folge: Zentrale Koordinationsstelle) übersandte und die oben genannten gefälschten Dokumente den Dienstnehmern und ihren Auftraggebern für allfällige Baustellenkontrollen zur Verfügung stellte, und zwar zumindest hinsichtlich 63 Dienstnehmer bei der C***** GmbH und etwa 43 Dienstnehmer bei der S***** GmbH;

2./ Personen zur unselbstständigen Erwerbstätigkeit ohne die erforderliche Anmeldung zur Sozialversicherung angeworben und anderen überlassen, indem er die oben (zu 1./) genannten, somit weder in Österreich noch in Italien zur Sozialversicherung angemeldeten (vgl US 7) Arbeiter für Tätigkeiten in der Baubranche anwarb oder anderen Unternehmen zur Arbeitsleistung zur Verfügung stellte;

II./ Nermin B***** zu den strafbaren Handlungen laut Punkt I./1./ und 2./ im Wissen um die fehlende Anmeldung der Dienstnehmer zur Sozialversicherung, die fingierte Entsendung aus Italien und die nicht ordnungsgemäß entrichteten Sozialversicherungsbeiträge und Zuschläge nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz beigetragen, „indem er verschiedene Baustellen überwachte und Stundenaufzeichnungen für die Arbeiter von den Polieren der jeweiligen Baustellen übernahm“.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die gemeinsam ausgeführten und jeweils auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 [lit] a und 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten.

[4] 1./ A us deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – davon, dass das angefochtene Urteil mit mehreren, von den Nichtigkeitswerbern selbst nicht geltend gemachten materiell rechtlichen Nichtigkeiten (Z 9 lit a, 10 und 11) behaftet ist, die von Amts wegen wahrzunehmen waren (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[5] a./ Zum Erstangeklagten:

[6] Das Urteil erblickt den (zu I./1./) objektiv eingetretenen Vermögensschaden in den nicht eingehobenen Sozialversicherungsbeiträgen und Zuschlägen nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz (im Folgenden: BUAG) von insgesamt 1.987.584,60 Euro (US 2, 9, 29), lässt aber Feststellungen zur inneren Tatseite, nämlich zum Vorsatz dieses Angeklagten auf eben diese (bzw eine den Betrag von 300.000 Euro übersteigende) Schadenshöhe vermissen. Solcherart entbehrt die rechtliche Annahme der Wertqualifikation des § 147 Abs 3 StGB einer hinreichenden Tatsachenbasis (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO).

[7] Da dieses Konstatierungsdefizit die Aufhebung der rechtlichen Unterstellung des vom Schuldspruch I./1./ erfassten Sachverhalts (auch) unter § 147 Abs 3 StGB (samt der zu diesem Schuldspruch gebildeten Subsumtionseinheit nach § 29 StGB – vgl 11 Os 11/19f, 14 Os 85/17g uam) erfordert, erübrigt sich ein Eingehen auf darauf bezogene Beschwerdeeinwände.

[8] Auch der hinsichtlich dieses Angeklagten gemäß § 20 „Abs 1 und Abs 3“ (vgl aber RIS Justiz RS0130833: Abs 3) StGB ausgesprochene Verfall des Betrags von 1.987.584,60 Euro (US 3), den das Erstgericht auf die Schadensberechnungen der GKK und der BUAK gründete (US 29), ist mit Nichtigkeit behaftet:

[9] Zwar unterliegen dem Verfall nach § 20 StGB grundsätzlich auch (deliktspezifische) „ersparte Aufwendungen“ (RIS-Justiz RS0130833 [T2, T3]; ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 7 f; aA Fuchs/Tipold in WK² StGB § 20 Rz 50 ff), doch setzt dies voraus, dass der solcherart erlangte Vermögensvorteil dem vom Verfall Betroffenen für oder (wie hier) durch die Tatbegehung zugekommen ist.

[10] Den Feststellungen zufolge haben es die Mitarbeiter der GKK und der BUAK (täuschungsbedingt) unterlassen, anfallende Sozialversicherungsbeiträge und Zuschläge zur BUAK i m vorgenannten Gesamtmaß „den wahren Dienstgebern“ vorzuschreiben, wodurch – nach den Vorstellungen des Erstangeklagten (US 11) – der GKK und der BUAK ein Schaden in dieser Höhe entstand und er selbst „oder Dritte“ unrechtmäßig bereichert wurden (US 2, 10, 11, 29).

[11] Dem Verfall unterliegende Vermögens- und Ersatzwerte (§ 20 Abs 1, Abs 2 StGB) sowie der Wertersatz (§ 20 Abs 3 StGB) dürfen nur dem tatsächlichen Empfänger abgenommen werden (RIS-Justiz RS0129964). Das angefochtene Urteil, das den für verfallen erklärten Vermögenswert nicht als dem Erstangeklagten allein zugekommen einordnet, bietet somit keine hinreichende Tatsachenbasis für den getroffenen Ausspruch (Z 11 erster Fall). Da bereits dieses Defizit die Aufhebung des Verfallserkenntnisses erfordert, erübrigt sich ein Eingehen auf darauf bezogene (aus Z 11 erstattete) Beschwerdeeinwände.

[12] b./ Zum Zweitangeklagten:

[13] Die als Tatbeitrag zum strafbaren Verhalten (iS einer tatbestandlichen Handlungseinheit; vgl insofern RIS Justiz RS0122006) des Erstangeklagten (I./1./ und I./2./) bewerteten Verhaltensweisen des Nermin B***** (II./) erblickt das Erstgericht (undifferenziert) darin, dass er „Baustellen kontrollierte“ und „von den jeweiligen Polieren auf den Baustellen die Stundenaufzeichnungen der Arbeiter“ abholte (US 2 f, 10 und 27); überdies wurde konstatiert, dass der Genannte „Rechnungen an die österreichischen Auftraggeber“ übergab, (nicht näher beschriebene) „gefälschte Arbeitsdokumente“ an Auftraggeber und Arbeiter weitergab und „sein Fahrzeug der Marke Opel Zafira zur Verfügung“ stellte (US 10).

[14] Beitragstäterschaft iSd § 12 dritter Fall StGB setzt ein Verhalten voraus, das die Tatausführung eines anderen ermöglicht, erleichtert, absichert oder in anderer Weise fördert. Erfasst wird somit jede auch noch so geringe, aber konkret wirksam gewordene Förderung der Tatausführung durch einen anderen. Der Beitrag muss vor oder während der Ausführung der Tat geleistet werden und für den Tatablauf kausal sein; er kann auch in einer psychischen Unterstützung, etwa durch die – vor Tatbegehung erteilte – Zusicherung einer (wenn auch erst nach Tatausführung zu gewährenden) Hilfestellung bestehen (RIS-Justiz RS0090508, RS0090516, RS0090488 [T2], RS0090384; Fabrizy in WK² StGB § 12 Rz 81 ff).

[15] Inwiefern die hier angenommene Kontrolle von Baustellen, das Abholen von Stundenaufzeichnungen, das Übergeben von Rechnungen sowie ein Zurverfügungstellen eines Fahrzeugs für den Tatablauf der (zu I./1./ inkriminierten) auf ein Unterbleiben der Einhebung von Sozialversicherungsbeiträgen und Zuschlägen nach dem BUAG abzielenden Täuschungshandlungen des unmittelbaren Täters förderlich und somit (zumindest mit )kausal waren (RIS-Justiz RS0090228, RS0089562, RS0089832 [T7, T9]; Fabrizy in WK² StGB § 12 Rz 82, 90; Kienapfel/Höpfel/Kert AT 16 35.11; Leukauf/Steininger/Öner/Schütz StGB 4 § 12 Rz 47), lassen die Entscheidungsgründe nicht erkennen. Mangels jeglicher Beschreibung der überdies vom Angeklagten an „Auftraggeber“ und „Arbeiter“ weitergegebenen „gefälschte[n] Arbeitsdokumente“ (US 10) wird auch nicht deutlich, dass es sich dabei um für das Betrugsgeschehen maßgebliche Schriftstücke (konkret: die gefälschten A1 Bestätigungen und die ZKO-Meldungen „in veränderter Form“, die tatplangemäß bei Kontrollen durch die Finanzbehörden den Anschein einer rechtmäßigen Entsendung erwecken sollten – vgl US 2, 8 und 25) gehandelt hätte.

[16] Solcherart vermögen die zum Schuldspruch des Zweitangeklagten getroffenen Konstatierungen – mangels erkennbaren Kausalzusammenhangs zwischen Unterstützungsleistungen und dem Betrugsgeschehen – eine Beteiligung bereits am Grundtatbestand des Betruges (§§ 12 dritter Fall, 146 StGB) nicht ausreichend zu fundieren.

[17] Aber auch dem Schuldspruch wegen des Vergehens der organisierten Schwarzarbeit als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 153e Abs 1 Z 1 StGB (II./ betreffend I./2./) mangelt es an einer hinreichenden Tatsachenbasis:

[18] Beim Vergehen der organisierten Schwarzarbeit nach § 153e StGB ist (nur) gewerbsmäßige Begehung strafbarkeitsbegründend ( Kirchbacher/Sadoghi in WK 2 StGB § 153e Rz 2; Leukauf/Steininger/Zierl StGB 4 § 153e Rz 20). Solcherart ist auch beim Beitragstäter Voraussetzung (vgl RIS-Justiz RS0089884), dass er in der Absicht agiert, sich selbst durch eine wiederkehrende Begehung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen (und überdies eines der in § 70 Abs 1 Z 1 bis 3 StGB genannten objektiven Kriterien erfüllt ist).

[19] Im vorliegenden Fall konstatierten die Tatrichter, dass der Zweitangeklagte bei seinen (pauschal beschriebenen) Unterstützungshandlungen „wusste, dass die Arbeiter, welche die C***** GmbH und die S***** GmbH anderen Unternehmen zur Verfügung stellten, weder in Italien noch in Österreich zur Sozialversicherung angemeldet waren und ihre Entsendung aus Italien fingiert war“ (US 11), er „für seine Unterstützungsleistungen im Zusammenhang mit der C***** GmbH [...] zumindest 16.841,16 Euro brutto“ erhielt (US 10) und es ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass Personen vom Erstangeklagten „gewerbsmäßig zur unselbstständigen Erwerbstätigkeit ohne die erforderliche Anmeldung zur Sozialversicherung angeworben und anderen Unternehmen zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt wurden“ (US 11). Nicht festgestellt wurde, dass der Zweitangeklagte das subjektive Tatbestandsmerkmal gewerbsmäßigen Handelns in eigener Person erfüllt hätte ( Fabrizy in WK 2 StGB § 12 Rz 105; vgl Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 70 Rz 2, 14).

[20] Da diese Rechtsfehler mangels Feststellungen die Aufhebung des (gesamten) Schuldspruchs II./, demzufolge auch des den Angeklagten Nermin B***** betreffenden Strafausspruchs (sowie des ihn betreffenden Verfallserkenntnisses) erforderlich und die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung insofern unvermeidlich machen (§§ 285e, 288 Abs 2 Z 3 zweiter Satz StPO), erübrigt sich ein Eingehen auf seine Nichtigkeitsbeschwerde.

[21] 2./ Zur verbleibenden Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten:

[22] Die Mängelrüge (Z 5) macht nicht deutlich, inwieweit ein mit Stellungnahme vom 8. Juli 2019 vorgelegter italienischer Unternehmensregisterauszug über die I***** s.r.l. (ON 63; vgl dazu auch US 15) sowie das am 13. Mai 2019 verfasste, an dieses Unternehmen gerichtete Schreiben des Rechtsvertreters der Angeklagten (ON 63) in einem erörterungsbedürftigen Widerspruch (Z 5 zweiter Fall) zu einer konkreten (entscheidenden) Tatsache stehen sollte. Die Behauptung, es ergebe sich daraus, dass für den Erstangeklagten der Anschein der Rechtmäßigkeit des italienischen Unternehmens bestand, blendet sämtliche zum tatplangemäßen Einsatz (auch) dieses (nur „auf dem Papier“ bestehenden – US 17, 19) Unternehmens als Scheinfirma getroffenen Urteilserwägungen (US 15 ff) aus und bekämpft unter Darstellung des eigenen Prozessstandpunkts nur die – anderslautende (US 12 ff) – tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld .

[23] Die Überzeugung des Gerichts, dass dem Erstangeklagten die tatsächliche Geschäftsführung der C***** GmbH und in der Folge auch der S***** GmbH zukam (US 6 und 19), stellt weder eine „bloße Vermutung“ zu dessen „Lasten“ (Z 5 vierter Fall) dar noch blieb insofern die (in der Beschwerde relevierte) Einlassung des abgesondert verfolgten Almir Ce***** vor der Finanzpolizei (ON 76) unberücksichtigt (Z 5 zweiter Fall). Vielmehr leiteten die Tatrichter ihre Annahme der faktischen Geschäftsführung durch Nehrudin B***** logisch und empirisch einwandfrei aus dessen Gebaren, Vertragsverhandlungen für die Gesellschaften zu führen und Bargeldbehebungen vom Konto der S***** GmbH zu tätigen, sowie aus der Bekundung der als Buchhalterin der C***** GmbH tätigen Zeugin St***** ab, die den Angeklagten als ihren ständigen Ansprechpartner bezeichnete (US 19). Demgegenüber wurde bei dem im Firmenbuch als Geschäftsführer eingetragenen Ce***** – schon mit Blick auf die zu Tage getretene Rollenverteilung der involvierten Personen – keine Entscheidungskompetenz geortet (US 19). Die von Ce***** anlässlich seiner Vernehmung vor der Finanzpolizei gebotene Einlassung (ON 76 S 141 ff), selbst Entscheidungsträger gewesen zu sein, wurde durchaus berücksichtigt, aber als nicht überzeugend erachtet (US 19). Die Behauptung des Beschwerdeführers, dass sich erst aus einer „unmittelbaren gerichtlichen Einvernahme“ des Ce***** ein „konkretes, die erstgerichtlichen Feststellungen tragendes Beweisergebnis“ ergeben hätte, verlässt den aus der Z 5 eröffneten Anfechtungsrahmen.

[24] Die (erkennbar zu I./1./ ausgeführte) Rechtsrüge (Z 9 lit a) moniert fehlende Identität von Getäuschtem und Verfügendem, geht dabei aber nicht vom Urteilssachverhalt (US 2, 6 ff, 10, 25) aus: D em Tatplan entsprechend sollten die Weitergabe tatsachenwidriger Behauptungen an die zuständigen Mitarbeiter der GKK und der BUAK über verschiedene Stellen und Personen erfolgen und vorliegend die vom Erstangeklagten an die Zentrale Koordinationsstelle erstatteten wahrheitswidrigen (nämlich eine Beschäftigung von Arbeitern bei den vorgenannten italienischen Scheinfirmen dokumentierenden) Entsendemeldungen dem zuständigen Sozialversicherungsträger weitergeleitet und dadurch die Mitarbeiter der GKK und der BUAK zur Abstandnahme von einer Beitragseinhebung zur Sozialversicherung sowie von Zuschlägen nach dem BUAG beim wirklichen Dienstgeber verleitet werden (vgl insofern RIS Justiz RS0094550 [T2]; Kirchbacher/Sadoghi in WK 2 StGB § 146 Rz 8).

[25] Indem die Beschwerde reklamiert, es sei dem Urteil nicht zu entnehmen, wer „Dienstgeber“ der eingesetzten Arbeitnehmer gewesen ist und „ausschließlich die von der Arbeitskräfteüberlassung begünstigten Generalunternehmer“ „als bereichert“ anzusehen seien, erklärt sie nicht, weshalb es – trotz des Wortlauts des § 146 StGB (arg: „sich oder einen Dritten ...“) – für die rechtliche Beurteilung des Geschehens als Betrug (§§ 146 ff StGB) darauf ankommen sollte, dass zwischen dem Täuschendem und dem unrechtmäßig Bereicherten Personenidentität besteht (siehe dazu Kirchbacher/Sadoghi in WK 2 StGB § 146 Rz 7; Leukauf/Steininger/Flora StGB 4 § 146 Rz 57; Kert , SbgK § 146 Rz 330 f).

[26] Der als „sekundärer Verfahrens mangel“ vorgetragene Einwand, das Erstgericht habe keine Feststellungen zum Schädigungsvorsatz getroffen (Z 9 lit a), macht – mit Blick auf die Urteilsannahmen, wonach der Angeklagte bei den von ihm wider besseres Wissen erstatteten (wahrheitswidrigen) Entsendemeldungen mit auf Täuschung der für die Einhebung der Sozialversicherungsbeiträge und Zuschläge zur BUAK zuständigen Mitarbeiter der GKK und der BUAK über die Identität des wahren Dienstgebers, weiters mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht agierte, sich durch die wiederkehrende Begehung der Tathandlungen über Jahre hinweg ein fortlaufendes Einkommen von mehr als 400 Euro monatlich zu verschaffen (US 2, 10 f) – nicht klar, welche weiteren Feststellungen aus Beschwerdesicht erforderlich gewesen wären (RIS Justiz RS0099620; vgl insofern auch Kert , SbgK § 146 Rz 333; Leukauf/Steininger/Flora StGB 4 § 146 Rz 59).

[27] Weshalb (auch) die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts als Vergehen der organisierten Schwarzarbeit nach § 153e Abs 1 Z 1 StGB (I./2./) nicht ausreichend fundiert wäre, entbehrt einer inhaltlichen Argumentation (RIS-Justiz RS0116569, RS0119884 [T2]).

[28] Die weitere Beschwerde macht ebenso wenig klar (RIS Justiz RS0116565), inwiefern eine nähere (allenfalls namentliche) Bezeichnung der mit etwa 106 bezifferten Arbeitnehmer (63 bei der C***** GmbH und etwa 43 bei der S***** GmbH; US 2, 8, 9) für die rechtliche Beurteilung des Geschehens (nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, 148 zweiter Fall StGB oder nach § 153e Abs 1 Z 1 StGB) erforderlich wäre.

[29] Insgesamt war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden.

[30] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
14
  • RS0122006OGH Rechtssatz

    28. Juni 2023·3 Entscheidungen

    Soweit in früherer Rechtsprechung unter dem Begriff des „fortgesetzten Delikts" (nach Maßgabe zuweilen geforderter, indes uneinheitlich gehandhabter weiterer Erfordernisse) mehrere den gleichen Tatbestand (ob versucht oder vollendet) erfüllende, mit einem „Gesamtvorsatz" begangene Handlungen zu einer dem Gesetz nicht bekannten rechtlichen Handlungseinheit mit der Konsequenz zusammengefasst wurden, dass durch die je für sich selbständigen gleichartigen Straftaten doch nur eine einzige strafbare Handlung begründet würde, hat der Oberste Gerichtshof diese Rechtsfigur der Sache nach bereits mit der Bejahung ihrer prozessualen Teilbarkeit durch die Grundsatzentscheidung SSt 56/88 = EvBl 1986/123 aufgegeben. Seither reduziert er deren Bedeutung auf den unverzichtbaren Kernbereich der der Rechtsfigur zugrunde liegenden Vorstellung, den er als tatbestandliche Handlungseinheit bezeichnet. In der Anerkennung des Fortsetzungszusammenhangs bloß nach Maßgabe tatbestandlicher Handlungseinheiten liegt gezielte Ablehnung einer absoluten Sicht des fortgesetzten Delikts und ein Bekenntnis zur deliktsspezifischen Konzeption. Denn der Unterschied zwischen der Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts und der tatbestandlichen Handlungseinheit besteht darin, dass die Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts aus dem allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts abgeleitet wird, die der tatbestandlichen Handlungseinheit aber gleichartige Handlungen nach Maßgabe einzelner Tatbestände zusammenfasst. Die Kriterien einer Zusammenfassung können demnach durchaus deliktsspezifisch verschieden sein, ohne dass daraus das ganze Strafrechtssystem erfassende Widersprüche auftreten. Von einer tatbestandlichen Handlungseinheit spricht man im Anschluss an Jescheck/Weigend5 (711ff) bei einfacher Tatbestandsverwirklichung, also der Erfüllung der Mindestvoraussetzungen des gesetzlichen Tatbestands, insbesondere bei mehraktigen Delikten und Dauerdelikten (tatbestandliche Handlungseinheit im engeren Sinn) und dort, wo es nur um die Intensität der einheitlichen Tatausführung geht (SSt 56/88), demnach bei wiederholter Verwirklichung des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also bei nur quantitativer Steigerung (einheitliches Unrecht) und einheitlicher Motivationslage (einheitliche Schuld), auch wenn höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Träger verletzt werden, sowie bei fortlaufender Tatbestandsverwirklichung, also der Annäherung an den tatbestandsmäßigen Erfolg durch mehrere Einzelakte im Fall einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage, etwa beim Übergang vom Versuch zur Vollendung oder bei einem Einbruchsdiebstahl in zwei Etappen (tatbestandliche Handlungseinheit im weiteren Sinn).