JudikaturJustiz10ObS154/03z

10ObS154/03z – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. November 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gustav Liebhart (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Thomas Albrecht (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hans R*****, vertreten durch Dr. Hugo Haslwanter, Rechtsanwalt in Telfs, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA), Josefstädter Straße 80, 1081 Wien, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. Jänner 2003, GZ 23 Rs 66/02f 20, womit infolge Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 4. September 2002, GZ 44 Cgs 79/02z 14, der Antrag des Berufungswerbers nach § 74 Abs 1 und 2 ASGG abgewiesen und das Klagebegehren zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem als "Revisionsrekurs/Revision" bezeichneten Rekurs wird nicht Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichtes wird mit der Maßgabe bestätigt, dass er insgesamt zu lauten hat:

"Aus Anlass der Berufung wird das Urteil des Erstgerichtes sowie das vorangegangene Verfahren erster Instanz als nichtig aufgehoben und die Klage sowie der Antrag gemäß § 74 Abs 1 und 2 ASGG zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Verfahrenskosten selbst zu tragen."

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Der Kostenersatzantrag der beklagten Partei wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Mit den angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht den Antrag des Klägers, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Berufung des Klägers gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Tirol vom 31. 7. 2002, Zl. Vd SV 1011 3 1/43, zu unterbrechen und gleichzeitig der beklagten Partei eine vorläufige Leistung (Versehrtenrente) bis zur rechtskräftigen Beendigung des gegenständlichen Verfahrens aufzutragen, ab (Punkt 1.), gab der Berufung nicht Folge und "bestätigte" das (klagsabweisende) Ersturteil mit der Maßgabe, dass das Klagebegehren beschlussmäßig zurückgewiesen werde (Punkt 2.). Es sprach aus, dass der ordentliche "Revisionsrekurs" nach § 528 Abs 1 ZPO zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Fragen, "ob die rechtskräftige [bescheidmäßige] Anerkennung ein und derselben Gesundheitsstörung als Berufskrankheit, deren Feststellung [auch] als Versicherungsfall eines Dienstunfalles ausschließt, und ob die Säumnisklage nach § 67 Abs 1 Z 2 ASGG zurückzuweisen ist, wenn schon der dieser Klage zugrundeliegende Antrag des Versicherten vom Sozialversicherungsträger wegen res iudicata bescheidmäßig zurückzuweisen gewesen wäre", fehle.

Dagegen richtet sich der als "Revisionsrekurs/Revision" bezeichnete Rekurs des Klägers mit dem Antrag, Punkt 1. des angefochtenen Beschlusses im antragsstattgebenden Sinn abzuändern, in eventu "die bekämpften Beschlüsse" aufzuheben und dem Gericht zweiter Instanz, allenfalls dem Erstgericht, die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom Zurückweisungsgrund aufzutragen; hilfsweise wird beantragt, in der Sache selbst zu entscheiden und festzustellen, dass die Schwerhörigkeit des Klägers Folge von Dienstunfällen, hervorgerufen durch laufende Schießübungen sei, und die beklagte Partei schuldig zu erkennen, dem Kläger die Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß, Heilbehandlungskosten sowie die Beistellung von Hilfsmitteln zu gewähren. Für den Fall, dass vom Gericht zweiter Instanz "richtigerweise" über die Berufung mit Urteil und nicht mit Beschluss zu entscheiden war, erhebt der Rekurswerber Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, wobei er seine Ausführungen zum "Revisionsrekurs" auch im Revisionsverfahren vorbringt.

Die beklagte Partei beantragt, die Anträge des Rechtsmittelwerbers "abzuweisen", die Entscheidung des Berufungsgerichtes zu bestätigen und den Kläger zum Ersatz der Kosten der Rechtsmittelbeantwortung zu verpflichten.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig aber nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass das Klagebegehren der vorliegenden Säumnisklage (womit der Kläger neben der Feststellung, dass seine Schwerhörigkeit Folge von "Dienstunfällen" - hervorgerufen durch laufende Schießübungen - sei, weiterhin begehrt, ihm eine Versehrtenrente, sowie die Beistellung von Hilfsmitteln und Unfallbehandlungskosten im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren [AS 49 bzw Punkt 3. des Rechtsmittelantrages]), zurückzuweisen ist, weil die Anerkennung der Schädigung als Berufskrankheit (auch) die weitere Prüfung, ob es sich bei den schädigenden Vorfällen um Dienstunfälle handelt, ausschließt (Punkt 2. des angefochtenen Beschlusses). Die vom Kläger nach § 74 Abs 1 und 2 ASGG beantragte Verfahrensunterbrechung samt Auferlegung einer vorläufigen Leistung (im Hinblick auf das anhängige Verwaltungsverfahren zur Frage, ob er im fraglichen Zeitraum nach dem ASVG als Pflichtversicherter vollversichert war), die das Berufungsgericht mit Punkt 1. des angefochtenen Beschlusses abgewiesen hat, kommt schon mangels eines über die vorliegende Klage durchzuführenden Verfahrens nicht in Betracht.

Nach der hier kraft Größenschlusses anwendbaren Bestimmung des § 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO reicht es daher aus, auf die Richtigkeit der Begründung zu Punkt 2. der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (stRsp; RIS Justiz RS0043691).

Den Ausführungen des Klägers ist noch Folgendes entgegenzuhalten:

§ 65 Abs 2 Satz 2 ASGG erklärt Klagen auf Feststellung, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeits (Dienst )Unfalls oder einer Berufskrankheit ist, ausdrücklich für zulässig. Bei diesen Klagen handelt es sich um Feststellungsklagen nach § 228 ZPO. Aus der Bestimmung des § 65 Abs 2 Satz 2 ASGG ergibt sich allerdings im Vergleich zu den allgemeinen Feststellungsklagen nach § 228 ZPO die Besonderheit, dass für die von ihr erfassten Feststellungen ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung im Sinn des § 228 ZPO jedenfalls (also ohne weiteren Nachweis) zu bejahen ist, obwohl im Zeitpunkt der Feststellung dieser Tatsache nicht gesagt werden kann, ob aus ihr jemals ein Recht bzw ein Rechtsverhältnis (des Versicherten gegenüber dem Versicherungsträger) wird abgeleitet werden können (10 ObS 327/02i mwN; Kuderna , ASGG2 Anm 14 zu § 65; Fink , Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen 375 mwN; Feitzinger/Tades , ASGG2 Anm 11 und 13 zu § 65 ua).

In Zusammenhang mit § 65 Abs 2 Satz 2 ASGG steht auch § 82 Abs 5 ASGG. Nach dieser Bestimmung schließt ein auf einen Arbeits (Dienst )Unfall oder eine Berufskrankheit gestütztes Leistungsbegehren ein Eventualbegehren auf Feststellung ein, dass die geltend gemachte Gesundheitsstörung Folge eines Arbeits (Dienst )Unfalls oder einer Berufskrankheit ist. Damit soll aus Gründen der Prozessökonomie sichergestellt werden, dass der auf Grund eines Leistungsbegehrens vorgenommene Verfahrensaufwand zumindest in der bezeichneten Feststellung Niederschlag findet ( Fink aaO 376 f). Die (durch Bescheid oder Gerichtsurteil) ausgesprochene Feststellung darüber, ob eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ist, erwächst in Rechtskraft (SSV NF 6/122 ua). Damit ist dieser Kausalzusammenhang im Hinblick auf ein späteres Verfahren (auf Zuerkennung von Leistungen aus der Unfallversicherung) bindend festgestellt ( Fink aaO 378 mwN ua RIS Justiz RS0114852 [T4]).

In der Unfallversicherung stehen für die beiden alternativ gefassten Versicherungsfälle (Arbeitsunfall nach den §§ 175, 176 ASVG und Berufskrankheit iS des § 177 ASVG) jeweils die gleichen Leistungen zur Verfügung. Das soziale Risiko der beiden Versicherungsfälle besteht in unfalls- oder krankheitsbedingten Gesundheitsstörungen, sofern die Ursache aus einem von der Unfallversicherung zu vertretenden Bereich stammt. Die beiden Versicherungsfälle (Arbeits- bzw Dienstunfall und Berufskrankheit) unterscheiden sich nach der Dauer der Einwirkung aus dem geschützten Bereich ( Schrammel in Tomandl SV System 7. Erg Lfg 141 Kapitel 2.1.2.2.1. letzter Abs). Beruht die Gesundheitsschädigung nicht auf einem Unfall – weil sie etwa nicht durch ein plötzliches Ereignis herbeigeführt wird, sondern auf länger dauernde Einflüsse zurückzuführen ist -, sondern stellt sie sich als Krankheit dar, so wird sie von der Unfallversicherung nur erfasst, wenn es sich um eine Berufskrankheit handelt. Zur Frage der Abgrenzung zwischen Arbeits (Dienst )unfall und Berufskrankheit besteht eine ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SZ 71/107 mwN = SSV NF 12/89 = ZAS 2000/20 = ARD 4961/16/98 = DRdA 1998, 446 ua; zuletzt: 10 ObS 10/03y; RIS Justiz RS0110320; RS0084348).

Dass eine (durch Bescheid oder Gerichtsurteil ausgesprochene) Feststellung darüber, ob eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeits (Dienst )unfalls oder einer Berufskrankheit ist, in Rechtskraft erwächst (SSV NF 6/122 ua; RIS Justiz RS0084077), wurde bereits ausgeführt. Damit ist aber nicht nur der notwendige Kausalzusammenhang zwischen Gesundheitsstörung und Arbeits (Dienst )unfall oder Berufskrankheit im Hinblick auf ein späteres Verfahren (auf Zuerkennung von Leistungen aus der Unfallversicherung) als Vorfrage bindend festgestellt (SSV NF 6/122 ua), sondern es ist damit auch eine der Rechtskraft fähige Zurechnung der festgestellten Gesundheitsstörungen zu einem der beiden in Betracht kommenden Versicherungsfälle (Arbeits- bzw Dienstunfall oder Berufskrankheit) erfolgt. Im vorliegenden Fall ist diese Zurechnung aber bereits mit dem als - rechtskräftigen - Bescheid zu betrachtenden Schreiben der beklagten Partei vom 20. 5. 1994 über die Anerkennung der Schwerhörigkeit des Klägers als Berufskrankheit erfolgt. Die vom Kläger nunmehr begehrte Zurechnung dieser gesundheitlichen Beeinträchtigung zum Versicherungsfall des Arbeits (Dienst )unfalls stellt daher einen unzulässigen Eingriff in die Rechtskraftwirkung des erwähnten Bescheides vom 20. 5. 1994 dar.

Nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen hat die beklagte Partei mit diesem Bescheid über den mit der vorliegenden Säumnisklage erneut vorgebrachten Sachverhalt bereits im Sinn einer Anerkennung dieser Gesundheitsstörung als Berufskrankheit (gemäß § 92 B KUVG iVm § 177 ASVG Anlage 1 Lfd Nr 33) mit einer kausalen MdE von 15 vH entschieden. Dabei ist sie den Ausführungen des erkennenden Senates zu 10 ObS 158/93 = SSV NF 7/111 gefolgt und hat damit den bestehenden Leidenszustand des Klägers und die dazugehörende Vorgeschichte abschließend beurteilt, womit auch über die mangelnde Berechtigung des auf dieses Tatsachensubstrat gestützten Anspruchs des Klägers auf Versehrtenrente endgültig abgesprochen wurde; insoweit ist auch auf die zahlreichen rechtskräftigen Entscheidungen in den vom Kläger in diesem Zusammenhang seit dem Jahr 1991 angestrengten durchwegs erfolglosen sozialgerichtlichen Verfahren (die im angefochtenen Beschluss im Einzelnen angeführt sind) zu verweisen.

Es lag somit - mangels Entscheidungspflicht der beklagten Partei kein Säumnisfall vor, weshalb die gegenständliche Säumnisklage gemäß § 73 ASGG unzulässig und in jeder Lage des Verfahrens wegen Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 6 ZPO zurückzuweisen war (vgl 10 ObS 15/03h = RIS Justiz RS0085092 [T11] kein Säumnisfall mangels Pensionsantrages; so auch: SSV NF 5/35). Das Berufungsgericht hätte daher neben der Zurückweisung der Klage auch das Urteil des Erstgerichts und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig aufzuheben gehabt (SSV NF 5/21 mwN; 10/28; 13/50; zuletzt: 10 ObS 15/03h). Schon aus diesem Grund kam auch die begehrte Beschlussfassung nach § 74 Abs 1 und 2 ASGG (Verfahrensunterbrechung samt Auferlegung einer vorläufigen Leistung) nicht in Betracht, weil mangels Rechtswegzulässigkeit - eine Klage der in § 74 Abs 1 ASGG bezeichneten Art nicht vorliegt (vgl SSV NF 12/69 [wonach die Auferlegung einer vorläufigen Leistung iSd § 74 Abs 1 ASGG bei Rechtswegunzulässigkeit selbst dann nicht zulässig ist, wenn das Verfahren rechtskräftig unterbrochen wurde]).

Der angefochtene Beschluss war daher mit der im Spruch angeführten Maßgabe zu bestätigen.

Die Entscheidung über die Kosten des Klägers beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Dem Antrag auf Zuspruch der Kosten der Rechtsmittelbeantwortung, der darauf gestützt wird, dass der Kläger die Kosten der "nunmehr" (Anm: im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof) notwendigen rechtsfreundlichen Vertretung durch missbräuchliche und mutwillige Verfahrensführung verursacht habe, fehlt hingegen die Grundlage; hat das Berufungsgericht den ordentlichen "Revisionsrekurs" doch ausdrücklich zugelassen , womit dem Kläger (im Hinblick auf Fehlende Rsp des Obersten Gerichtshofs zu den Fragen, "ob die rechtskräftige [bescheidmäßige] Anerkennung ein und derselben Gesundheitsstörung als Berufskrankheit, deren Feststellung [auch] als Versicherungsfall eines Dienstunfalles ausschließt, und ob die Säumnisklage nach § 67 Abs 1 Z 2 ASGG zurückzuweisen ist, wenn schon der dieser Klage zugrundeliegende Antrag des Versicherten vom Sozialversicherungsträger wegen res iudicata bescheidmäßig zurückzuweisen gewesen wäre" [Seite 25 der Berufungsentscheidung]) die Möglichkeit eingeräumt wurde, im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels seine Bedenken gegen die Beurteilung des Berufungsgerichtes geltend zu machen.

Ein Fall des § 77 Abs 3 ASGG, der voraussetzt, dass der Versicherte dem Träger durch Mutwillen, Verschleppung oder Irreführung Rechtsmittelkosten verursacht (wobei der Versicherte erkennbar schlechtgläubig in dem Sinn ist, dass er die Unzulässigkeit oder den völligen Mangel jeder ernst zu nehmenden Begründung erkannt und trotzdem das Rechtsmittel erhoben hat: RIS Justiz RS0085590), kann angesichts dieses Zulassungsausspruches des Gerichtes zweiter Instanz jedenfalls nicht vorliegen (vgl auch RIS Justiz RS0117656). Dem unberechtigten Kostenersatzantrag der beklagten Partei war daher ein Erfolg zu versagen.

Rechtssätze
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