JudikaturJustiz10Ob33/23k

10Ob33/23k – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. März 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer, Mag. Schober, Dr. Annerl und Dr. Vollmaier als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. J*, und 2. R*, beide vertreten durch die Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. F* S.p.A., *, Italien, vertreten durch die bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2. F* S.p.A., *, Italien, vertreten durch die Thurnher Wittwer Pefferkorn Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen 28.500 EUR sA und Feststellung, über den Rekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 17. Mai 2023, GZ 2 R 58/22w 37, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 7. Februar 2022, GZ 36 Cg 29/21y 28, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die erstbeklagte Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1] Die Kläger erwarben am 18. April 2018 ein Wohnmobil der Marke C* mit einem Kilometerstand von 40 km und dem Erstzulassungsdatum 3. April 2017 um 95.000 EUR. Herstellerin des (Basis-)Fahrzeugs (der Marke Fiat Ducato) ist die Erstbeklagte. Im Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs F1AE3481E verbaut, der unter die Schadstoffklasse Euro 5b fällt. Herstellerin der Antriebsmaschine ist die Zweitbeklagte. Das Fahrzeug unterliegt unstrittig dem Anwendungsbereich der VO 715/2007/EG.

[2] Das Wohnmobil ist mit einer „Abgasstrategie“ ausgestattet, die die Abgasrückführung nach einer Fahr- und Betriebszeit des Motors von 22 Minuten erheblich reduziert oder überhaupt unterbindet. Zudem ist der Fiat Ducato mit einem sogenannten „Thermofenster“ ausgestattet, das die Abgasrückführung bei Außentemperaturen unter 20 Grad Celsius massiv reduziert. Für das Fahrzeug liegt eine aufrechte EG Typengenehmigung vor; es war bislang auch nicht von einer Rückrufaktion wegen eines Software Updates betroffen.

[3] Dem Vertragsabschluss gingen Verkaufsgespräche voraus, in dem vor allem Ausstattungskriterien eine Rolle spielten. Dass die Kläger das Wohnmobil bei Kenntnis der konkreten Abgasrückführung und des Schadstoffausstoßes nicht erworben hätten, konnte nicht festgestellt werden. Aufgrund der unzulässigen Abgasstrategie hätte es um etwa 15 % bis 20 % billiger angeboten werden müssen.

[4] Mit ihrer am 13. April 2021 eingebrachten Klage begehren die Kläger von den Beklagten 28.500 EUR sA (30 % des Kaufpreises) als Schadenersatz sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden. Die Beklagten hätten bewusst unzulässige zeit- und temperaturabhängige Abschalteinrichtungen im Basisfahrzeug verbaut, dies der Typengenehmigungsbehörde nicht offengelegt und damit vorsätzlich gesetzwidrige Fahrzeuge in Verkehr gebracht. Hätten sie (die Kläger) von den Malversationen gewusst, hätten sie das Wohnmobil nicht um den von ihnen bezahlten Kaufpreis erworben. Ihr Schaden liege im Erwerb eines überteuerten Wohnmobils, weil sie bei Kenntnis der Manipulationen 30 % weniger bezahlt hätten. Das entspreche dem objektiven Minderwert, der für das Wohnmobil zum Ankaufszeitpunkt bezahlt worden wäre. Die Beklagten hätten arglistig und sittenwidrig (§§ 874, 1295 Abs 2 ABGB) gehandelt und darüber hinaus gegen die Schutznorm des Art 5 VO 715/2007/EG verstoßen.

[5] Die Erstbeklagte hielt dem entgegen, dass im Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei; es würden sämtliche Grenzwerte eingehalten. Es sei überdies weder von einer Rückrufaktion betroffen, noch drohe der Entzug der aufrechten Typengenehmigung. D ie Kläger hätten auch keinen Schaden erlitten.

[6] Die Zweitbeklagte wandte ein, dass sie zwar mechanische Komponenten von Dieselmotoren herstelle und an die Erstbeklagte liefere, aber nicht für die zum Einsatz kommende Software verantwortlich sei. Abgesehen davon, dass das Fahrzeug über keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verfüge, habe sie solche auch nicht, schon gar nicht in Täuschungs- oder Schädigungsabsicht, entwickelt oder verbaut . Die Kläger hätten das Wohnmobil im Übrigen auch dann erworben, wenn ihnen die angeblich unzulässigen Abschalteinrichtungen bekannt gewesen wären.

[7] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück. Schon das verbaute Thermofenster stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, weil es die Abgasrückführung unterhalb von 20 Grad Celsius Außentemperatur reduziere und die volle Abgasrückführung daher in noch mehr Monaten einschränke als die von der Rechtsprechung bereits als unzulässig qualifizierten Thermofenster. Dennoch sei die Sache noch nicht entscheidungsreif. Zwar habe das Erstgericht nicht feststellen können, dass die Kläger das Wohnmobil bei Kenntnis der konkreten Abgasrückführung nicht erworben hätten. Diese Negativfeststellung reiche für die Beurteilung der Ansprüche gegenüber der Erstbeklagten aber nicht aus. Hinsichtlich der Zweitbeklagten sei wiederum nicht klar, welche relevanten Tätigkeiten sie im Zusammenhang mit den Abschalteinrichtungen entfaltet habe. Die Qualifikation des Thermofensters als unzulässige Abschalteinrichtung sowie die Höhe der objektiven Wertminderung im Ausmaß von 15 % des Kaufpreises seien abschließend erledigte Streitpunkte.

[9] Den Rekurs ließ das Berufungsgericht zu, weil sich der Oberste Gerichtshof zu einem auf Rückersatz eines überhöhten Kaufpreises gerichteten Schadenersatzanspruch eines Käufers gegen den Hersteller des Fahrzeugs noch nicht geäußert habe.

[10] Dagegen richtet sich der Rekurs der Kläger, mit dem sie gegenüber der Erstbeklagten eine klagestattgebende Entscheidung in der Sache anstreben. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Die Erstbeklagte beantragt, dem Rekurs keine Folge zu geben.

[12] Der Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[13] 1. Im Rekursverfahren ist nicht mehr strittig, dass der im Wohnmobil verbaute Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist (zu einer vergleichbaren Abgasstrategie vgl 4 Ob 119/23p Rz 16; 7 Ob 83/23s Rz 14; 2 Ob 130/23s Rz 3 ua).

[14] 2. Darauf aufbauend vertreten die Kläger im Rekurs die Ansicht, dass es für die Annahme des daraus abgeleiteten Schadenersatzes nicht auf subjektive Umstände ankomme (ob sie das Wohnmobil dennoch erworben hätten). Die Erstbeklagte habe Derartiges auch weder vorgebracht noch unter Beweis gestellt.

[15] 3. Nach der mittlerweile ständigen, im Anschluss an die Entscheidung des EuGH zu C 100/21, QB gegen Mercedes Benz Group AG ergangenen Rechtsprechung kann ein Verstoß gegen Art 5 VO 715/2007/EG den Hersteller zwar auch dann ersatzpflichtig machen, wenn er in keinem Vertragsverhältnis zum Käufer steht (10 Ob 2/23a vom 25. April 2023 Rz 18; 10 Ob 16/23k Rz 33 ff; 9 Ob 70/22t Rz 30; 8 Ob 21/23f Rz 44 ua). Der Oberste Gerichtshof hat dazu aber schon wiederholt klargestellt, dass eine unionsrechtliche Vorgabe dieses Schadenersatzanspruchs das Vorliegen eines Schadens ist: Der EuGH betont zu C 100/21, QB gegen Mercedes Benz Group AG (Rn 84 und 91), dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs dann ein Schadenersatzanspruch zusteht, wenn ihm (tatsächlich) ein Schaden entstanden ist, weil ein deliktischer Schadenersatzanspruch kein von einem Schadenseintritt losgelöster Akt der privaten Durchsetzung von Emissionsnormen ist. Es geht vielmehr um den Ausgleich der objektiven Unsicherheit hinsichtlich der Fahrzeugnutzung (10 Ob 2/23a vom 25. April 2023 Rz 20 und 21; 10 Ob 16/23k Rz 35 und 36; 9 Ob 65/22g Rz 42 und 43; 4 Ob 171/23k Rz 29 ua). Dieser Schaden tritt bereits durch den Kaufvertrag ein (10 Ob 46/23x Rz 16; 10 Ob 27/23b Rz 25 ua), es sei denn, es wäre im konkreten Fall ein Schadenseintritt deshalb zu verneinen, weil das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Klägers entsprochen hätte (6 Ob 197/23y Rz 16; 7 Ob 83/23s Rz 19; 2 Ob 130/23s Rz 4 ua).

[16] 4. Vor diesem Hintergrund sind die Argumente der Kläger nicht stichhältig.

[17] 4.1. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass den Hersteller die Behauptungs- und Beweislast dafür trifft, dass dem Käufer trotz der unzulässigen Abschalteinrichtung (ausnahmsweise) kein Schaden entstanden ist, weil das Fahrzeug dennoch konkret seinem Willen entsprochen hat (6 Ob 197/23y Rz 19; 6 Ob 133/23m Rz 7; in diesem Sinn auch 9 Ob 53/23v Rz 16). Die Erstbeklagte hat dazu auch ausreichendes Vorbringen erstattet (ON 17 Seite 10 aE).

[18] 4.2. Wie der Oberste Gerichtshof ebenfalls schon wiederholt betont hat, bedarf es für die abschließende Beurteilung dieser Frage sodann Feststellungen, aus denen sich ergibt, ob der Käufer das Fahrzeug auch dann gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass darin eine unzulässige Abschalteinrichtung eingesetzt wird, die der Typengenehmigungsbehörde nicht offen gelegt wurde, sodass nur deshalb die EG Typengenehmigung erteilt wurde, und ob der Käufer die daraus resultierende Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs in Kauf genommen und es dennoch erworben hätte (10 Ob 16/23k Rz 45; 5 Ob 159/23b Rz 12; 4 Ob 202/23v Rz 37 ua).

[19] Die Ansicht des Berufungsgerichts, die bislang getroffene Negativfeststellung genüge diesen Anforderungen nicht, entspricht dieser Rechtsprechung.

[20] 5. Die Kläger sprechen daher keine Fragen an, die in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs noch nicht beantwortet sind.

[21] 5.1. Die Abweisung des Feststellungsbegehrens thematisieren die Rechtsmittelschriften inhaltlich nicht, sodass darauf auch nicht einzugehen ist. Im weiteren Verfahren wird dazu aber die zwischenzeitig ergangene ständige Rechtsprechung zum Feststellungsinteresse zu berücksichtigen sein (4 Ob 202/23v Rz 46 f; 9 Ob 10/23w Rz 27; 10 Ob 31/23s Rz 71 f ua).

[22] 5.2. Dass sich der Ersatz des Minderwerts zwar primär nach unionsrechtlichen Vorgaben richtet (RS0134498), die Wertminderung aber auch exakt festgestellt und vom Käufer verlangt werden kann (4 Ob 165/23b Rz 24; 8 Ob 70/23m Rz 26 ua), stellt die Erstbeklagte zu Recht nicht in Abrede.

[23] Der Rekurs ist daher zurückzuweisen.

[24] 6. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss im Sinn des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RS0123222; RS0035976 [T2]). Die Erstbeklagte hat aber weder die Zurückweisung des Rekurses beantragt, noch auf dessen Unzulässigkeit hingewiesen. Ihre Rekursbeantwortung war daher nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig (RS0035962 [T15, T16]), sodass ihr dafür keine Kosten zustehen (RS0035962 [T18, T20]; RS0035979 [T15, T18]).

Rechtssätze
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