Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des I A, vertreten durch Mag. Michael Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juli 2022, L507 12366864/28E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines Einreiseverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 7. Juli 2022 wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde des Revisionswerbers, eines türkischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 29. November 2019mit welchem ihm von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFAVG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit seiner Abschiebung in die Türkei festgestellt, gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen ihn ein Einreiseverbot in der Dauer von drei Jahren erlassen, gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt und gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA VG einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt worden war mit der Maßgabe, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage betrage, als unbegründet ab. Ferner sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
2. Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 4. Oktober 2022, E 2233/2022 5, ablehnte und sie unter einem dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
In der Folge erhob der Revisionswerber die hier gegenständliche Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende außerordentliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in den nachfolgend näher erörterten Punkten behauptet wird.
3. Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts die Revision (nur) dann zulässig, wenn diese von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.
An den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
4.1. Insoweit macht der Revisionswerber zunächst geltend, das Verwaltungsgericht habe den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision lediglich mit der sinngemäßen Wiedergabe des Art. 133 Abs. 4 BVG begründet. Eine solche Begründung werde den Anforderungen des § 25a Abs. 1 VwGG nicht gerecht, dürfe sie doch nicht so kurz und inhaltsleer sein, dass die Parteien die Erfolgsaussichten einer Revision nicht beurteilen bzw. einschätzen könnten.
4.2. Mit diesem Vorbringen übersieht der Revisionswerber, dass selbst das Fehlen einer näheren Begründung des Ausspruchs gemäß § 25a Abs. 1 VwGG für sich betrachtet nicht dazu führen kann, dass die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 BVG allein deshalb gegeben wären. Der Verwaltungsgerichtshof ist nämlich gemäß § 34 Abs. 1a VwGG an den gemäß § 25a Abs. 1 VwGG getätigten Ausspruch des Verwaltungsgerichts nicht gebunden, sondern überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision anhand der gemäß § 28 Abs. 3 VwGG dazu gesondert vorgebrachten Gründe (vgl. etwa VwGH 14.4.2021, Ra 2020/22/0257, Pkt. 3.2., mwN).
5.1. Der Revisionswerber releviert weiters, die belangte Behörde (gemeint: das Verwaltungsgericht) habe in Verkennung der maßgeblichen Bestimmungen der §§ 37 ff AVG das Ermittlungsverfahren mangelhaft geführt.
5.2. Soweit der Revisionswerber das Unterlassen einer entsprechenden Ermittlungstätigkeit als wesentlichen Verfahrensmangel moniert, ist darauf hinzuweisen, dass bereits in der Zulässigkeitsbegründung der Revision (auch) die Relevanz eines behaupteten Mangels für den Verfahrensausgang darzulegen ist (vgl. etwa VwGH 13.7.2022, Ra 2022/17/0072, Rn. 10, mwN).
Der Revisionswerber hätte konkret dartun müssen, welche weiteren tatsächlichen Ermittlungen das Verwaltungsgericht im Fall eines mängelfreien Verfahrens hätte durchführen müssen und inwiefern sich daraus eine für ihn günstigere Sachverhaltsgrundlage hätte ergeben können. Eine wie hierim Rahmen der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe nicht weiter konkretisierte und substanziierte Behauptung eines Verfahrensmangels reicht nicht aus, um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen (vgl. etwa VwGH 23.10.2024, Ra 2023/17/0174 bis 0176, Pkt. 7.2., mwN).
5.3. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Stands der Ermittlungen ein ausreichend erhobener Sachverhalt vorliegt, oder ob noch weitere Beweisaufnahmen erforderlich sind, in der Regel sofern nicht von einem krassen, die Rechtssicherheit beeinträchtigenden Fehler auszugehen istkeine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung darstellt (vgl. etwa VwGH 24.2.2023, Ra 2019/22/0107, Pkt. 6.2.1., mwN).
Vorliegend zeigt der Revisionswerber nicht auf, inwiefern das Unterlassen einer weitergehenden Ermittlungstätigkeit nach Lage des Falls einen krassen, die Rechtssicherheit beeinträchtigenden und daher eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG aufwerfenden Fehler darstellen könnte.
6.1. Der Revisionswerber macht ferner geltend, der belangten Behörde (gemeint: dem Verwaltungsgericht) sei eine antizipierende Beweiswürdigung anzulasten, weil sie trotz Durchführung einer mündlichen Verhandlung seine Angaben und die vorgelegten Urkunden nicht entsprechend berücksichtigt habe.
6.2. Eine unzulässige antizipierende Beweiswürdigung liegt dann vor, wenn ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorweggenommen und die Beweisaufnahme deshalb abgelehnt wird (vgl. VwGH 22.9.2022, Ra 2022/22/0117, Pkt. 5.2., mwN).
Vorliegend wendet sich der Revisionswerber aber nicht gegen das Unterbleiben der Aufnahme von Beweisen wegen antizipierender Würdigung, sondern behauptet vielmehr eine unzureichende Berücksichtigung der (ohnehin) aufgenommenen Beweise und bekämpft damit in Wahrheit die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts.
6.3. Die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts ist einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz nur insofern zugänglich, als es um die ordnungsgemäße Ermittlung der Beweisergebnisse und die Kontrolle der Schlüssigkeit der angestellten Erwägungen geht. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wäre nur dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht die diesbezügliche Würdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. VwGH 29.5.2024, Ra 2023/22/0011, Pkt. 7.2., mwN).
Derartiges zeigt die Revision aber nicht im Ansatz auf. Eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende, unvertretbare Beweiswürdigung ist auch in keiner Weise zu sehen.
7.1. Der Revisionswerber wendet sich schließlich gegen die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK und moniert, das Verwaltungsgericht habe willkürlich nicht berücksichtigt, dass seine privaten Interessen am Verbleib in Österreich höher anzusetzen seien als das gegenläufig öffentliche Interesse.
7.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG (vgl. etwa VwGH 26.6.2024, Ra 2024/17/0042 bis 0046, Pkt. 7.2., mwN).
Eine derartige Interessenabwägung ist vom Verwaltungsgerichtshof nur dann aufzugreifen, wenn das Verwaltungsgericht im Einzelfall die in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien und Grundsätze nicht beachtet und damit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse und unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalls vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 25.3.2024, Ra 2021/17/0014, Pkt. 8.2., mwN).
7.3. Vorliegend hat das Verwaltungsgericht die fallbezogen maßgeblichen Umstände in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise nach Durchführung einer mündlichen Verhandlungfestgestellt und in seine in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK einbezogen. Dass es bei seinen diesbezüglichen Erwägungen die in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien und Grundsätze in unvertretbarer Weise außer Acht gelassen bzw. eine krasse und unvertretbare Fehlbeurteilung vorgenommen hätte, wird in der Revision nicht begründet dargelegt und ist auch in keiner Weise zu sehen.
8. Insgesamt wird daherin der maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung (vgl. etwa VwGH 4.9.2024, Ra 2024/17/0071 bis 0073, Pkt. 9., mwN) keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.
Wien, am 16. Dezember 2024