15Os76/25b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 10. September 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Sadoghi sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel und Dr. Farkas in Gegenwart der Rechtspraktikantin Schurich LL.M., LL.M. als Schriftführerin in der Strafsache gegen L* D* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 15. Jänner 2025, GZ 41 Hv 12/24s-65, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus ihrem Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu III/, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und im Adhäsionserkenntnis aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Feldkirch verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1]Mit dem angefochtenen Urteil wurde L* D* des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I/), der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 und (gemeint [vgl RISJustiz RS0116669]) Z 3, 15 StGB (II/1/ und II/2/) sowie der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (II/3/), der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (III/) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (IV/) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in V*
I/ V* D* am 25. November 2023 mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie am Oberarm packte, in Richtung der Fahrradabstellräume zog, sie zu Boden und ihre Beine auseinander drückte und den Geschlechtsverkehr mit ihr vollzog;
II/ die Genannte mit Gewalt sowie durch gefährliche Drohung mit der Entführung von Sympathiepersonen und einer Verletzung am Körper zu – zu 1/ und 2/ besonders wichtige Interessen der genötigten Person verletzenden – Handlungen und einer Unterlassung genötigt oder zu nötigen versucht, und zwar
1/ zu einem Schwangerschaftsabbruch am 18. Oktober 2019 (US 6), indem er ihr davor mehrfach für den Fall der Verweigerung ankündigte, ihre beiden Kinder mit nach Rumänien zu nehmen und diese alleine zu lassen sowie sie zu schlagen, bis das Kind behindert auf die Welt komme, und er ihr mehrfach in den Bauch schlug;
2/ von September 2023 bis Jänner 2024 dazu, die Beziehung mit ihm wieder aufzunehmen, indem er sie mehrfach dazu aufforderte, zu ihm zurückzukommen, ansonsten werde er mit den Kindern nach Rumänien gehen oder sie wieder schlagen, sowie indem er sie im Oktober 2023 kräftig an den Oberarmen packte und schüttelte und zu ihr sagte, dass sie „etwas erleben“ werde, sollte sie nicht zu ihm zurückkommen, und sie anschließend auf einen Stuhl drückte;
3/ nach der zu I/ genannten Tat dazu, niemandem von dieser zu erzählen, indem er zu ihr sagte, dass es ansonsten das nächste Mal schlimmer und nicht mehr so sanft sein werde;
III/ gegen die Genannte eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er sie von 2015 bis November 2021 fortlaufend misshandelte und am Körper verletzte, und zwar dadurch, dass er ihr in einer Vielzahl von Angriffen an nicht mehr feststellbaren Tagen wiederholt Ohrfeigen sowie Schläge mit der flachen Hand und mit der Faust gegen den Bauch und die Oberschenkel versetzte und sie kräftig an den Oberarmen packte und schüttelte, wodurch sie teilweise Hämatome und Prellungen erlitt;
IV/ die Genannte am 20. Jänner 2024 vorsätzlich am Körper verletzt, indem er sie an den Oberarmen packte, gegen eine Wand drückte und ihr mehrere Faustschläge gegen den Bauch versetzte, wodurch sie multiple Hämatome im Bereich des Unterbauches erlitt.
Rechtliche Beurteilung
[3]Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die nicht berechtigt ist.
[4] Die Verfahrensrüge (Z 4) moniert, dass dem Antrag des Angeklagten auf Vernehmung der Zeugin * P* und Einholung eines „psychiatrischen Gutachtens über das Opfer“ nicht entsprochen worden sei.
[5] Sie übersieht, dass die genannte Zeugin sehr wohl in der Hauptverhandlung vernommen wurde (ON 64, 17 ff).
[6] Eine Unterstützung durch einen Sachverständigen bei der Beurteilung der Aussagefähigkeit kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn Hinweise für psychische Erkrankungen, Entwicklungsstörungen oder geistige Defizite aufgezeigt werden, die gegen die allgemeine Wahrnehmungsoder Wiedergabefähigkeit oder die Aussageehrlichkeit eines Zeugen schlechthin sprechen (vgl RIS-Justiz RS0097733, RS0120634 [insb T4]).
[7]Solche Hinweise zeigte der in der Hauptverhandlung gestellte Beweisantrag (ON 64, 23) mit dem Vorbringen, „im Akt objektivierte psychische Verhaltensstörungen“ würden eine fehlende Aussagefähigkeit des Opfers indizieren und es könne aufgrund von Kindheitserfahrungen durchaus falsche Schilderungen bzw verzerrte Wahrnehmungen geben, nicht auf, weshalb er sanktionslos abgewiesen werden konnte (zum Bezugspunkt dieser Anfechtungskategorie vgl im Übrigen RIS-Justiz RS0099618, RS0116749 [insb T9]).
[8]Die von der Mängelrüge zum „Tatbestand der Körperverletzung nach §§ 83 ff StGB“ behauptete Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) liegt nicht vor. Denn das Schöffengericht stellte zu IV/ klar und deutlich (vgl RISJustiz RS0089983) „multiple Hämatome im Bereich des Unterbauches“ (US 9) als Verletzungen fest und begründete diese Feststellung ebenso unzweideutig mit dem „Ambulanzblatt des Landeskrankenhauses B*“ sowie den Schilderungen des Opfers (US 16). Das übrige zu diesem Aspekt erstattete Vorbringen stellt keinen Bezug zu einer bestimmten Feststellung entscheidender Tatsachen her (vgl aber RIS-Justiz RS0130729 [insb T1]).
[9] Ferner rügt der Beschwerdeführer, die Angaben der Zeugin P* seien zu I/ unberücksichtigt geblieben (inhaltlich Z 5 zweiter Fall, nominell auch Z 3). Dieser Einwand trifft jedoch nicht zu, weil die Tatrichter diese Aussage – auch in Bezug auf das behauptete Alibi zur Tatzeit am 25. November 2023 – ausdrücklich erörterten (US 14).
[10]Auch die Deponate der Zeugin * B*, unter anderem dazu, keine unmittelbaren Wahrnehmungen über gewalttätige Übergriffe oder deren Folgen gemacht zu haben, wurden – der Rüge zuwider – gewürdigt (US 15). Zu einer weiteren Analyse der Angaben dieser Zeugin zum allgemeinen Verhalten des Angeklagten waren die Tatrichter schon mit Blick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verpflichtet (vgl RIS-Justiz RS0106642, RS0098778).
[11]Mit der Behauptung, im Urteil sei festgestellt, dass das Opfer ängstlich sei, obwohl die Einholung eines psychologischen Gutachtens abgelehnt wurde, wird weder ein innerer Widerspruch im Sinn der Z 5 dritter Fall (gleichzeitige, einander jedoch unter logischen Gesichtspunkten ausschließende Urteilsannahmen in Bezug auf eine entscheidende Tatsache – vgl RIS-Justiz RS0099709) noch sonst ein Begründungsmangel aufgezeigt.
[12] Weiters kritisiert der Nichtigkeitswerber (nominell Z 5 vierter Fall), das Schöffengericht hätte nicht näher erläutert, warum es dem Opfer und nicht ihm glaubte (vgl aber US 11 ff, 15 f) und warum es sein zu I/ behauptetes Alibi verwarf (vgl aber US 14). Ferner bemängelt er, dass die Feststellungen zum erzwungenen Schwangerschaftsabbruch (II/1/) nur auf die Angaben des Opfers gestützt worden seien und dass die „Bewertung der Zeugenaussage des Psychotherapeuten“ des Opfers „unzureichend begründet“ sei.
[13]Mit diesem Vorbringen wird jedoch nicht geltend gemacht, dass eine konkrete (vgl erneut RIS-Justiz RS0130729 [insb T1]) Feststellung zu einer entscheidenden Tatsache (vgl RIS-Justiz RS0117264) gar nicht oder offenbar unzureichend begründet wäre (vgl RIS-Justiz RS0099413). Vielmehr wird damit – außerhalb des Rahmens dieser Anfechtungskategorie – behauptet, dass die Erwägungen der Tatrichter zur Überzeugungskraft von Beweismitteln nicht ausreichend seien (vgl Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 9.128).
[14]Mit dem Einwand der „Aktenwidrigkeit von Entscheidungsgründen“ (nominell Z 5 fünfter Fall) wird kein Fehlzitat aus einem Beweismittel aufgezeigt, sondern prozessordnungswidrig Kritik an den aus Verfahrensergebnissen gezogenen Beweisschlüssen des Schöffengerichts (an dessen „Bewertung“ von Zeugenaussagen und medizinischen Unterlagen) geübt (vgl aber RIS-Justiz RS0099431 [insb T14], RS0099524).
[15] Die Aufklärungsrüge (Z 5a, nominell auch Z 4) führt eine „mangelhafte Einvernahme“ der Zeugen B* und * M* sowie eine „unzureichende Aufklärung des Sachverhalts“ (hinsichtlich „medizinischer Unterlagen“ und „der Hintergründe der Beziehung zwischen dem Angeklagten und dem Opfer“) ins Treffen.
[16] Sie scheitert – mit Blick auf die Subsidiarität gegenüber der Verfahrensrüge (Z 4) – bereits daran, dass sie nicht darlegt, warum der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung an zielgerichteter Frage- und Beweisantragstellung gehindert gewesen sein sollte (RISJustiz RS0115823, RS0114036 [insb T1]).
[17]Die Tatsachenrüge (Z 5a) im Übrigen weckt mit ihrer eigenen, auf eine abweichende Interpretation der Angaben der Zeugin P* gestützten Schlussfolgerung zum Bestehen eines (von den Tatrichtern abgelehnten: US 14) Alibis für die Tat am 25. November 2023 keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zu I/ zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen (zu Anfechtungsgegenstand und Maßstab vgl RIS-Justiz RS0118780, RS0119583).
[18]Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[19]Aus ihrem Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass der Schuldspruch zu III/ mit dem Angeklagten zum Nachteil gereichender materieller Nichtigkeit behaftet ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO):
[20] Nach den Feststellungen übte der Beschwerdeführer gegen V* D* von 2015 bis November 2021 fortgesetzt Gewalt aus, indem er ihr „zunächst in unregelmäßigen Abständen, jedoch in einer Vielzahl von Angriffen an nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten im genannten Zeitraum Ohrfeigen“ versetzte, durch welche sie teilweise sichtbare Hämatome erlitt, ferner indem er in weiterer Folge (aus Sorge vor Entdeckung) dazu überging, sie „mit der flachen Hand auf Körperstellen zu schlagen, die üblicherweise von Kleidung bedeckt waren, insbesondere gegen den Bauch, aber auch gegen die Oberschenkel, wobei er ihr zum Teil auch Faustschläge versetzte“, und sie „kräftig an den Oberarmen [packte] und schüttelte“ (US 5).
[21]Diese Konstatierungen stellen jedoch keinen ausreichenden Sachverhaltsbezug (vgl RIS-Justiz RS0119090) zur Frequenz (vgl RIS-Justiz RS0129716 [insb T1]; Schwaighoferin WK² StGB § 107b Rz 23) der bezeichneten Tätlichkeiten her, weshalb sie die Annahme des für eine Subsumtion nach § 107b Abs 1 StGB erforderlichen Kriteriums fortgesetzterGewaltausübung nicht tragen (vgl 12 Os 138/14g; 11 Os 6/24b [Rz 4 f]; 11 Os 122/24m [Rz 6]).
[22]Das Urteil war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung wie im Spruch ersichtlich aufzuheben und es war die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Feldkirch zu verweisen (§ 285e StPO).
[23] Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
[24] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst ( Lendl , WKStPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.