JudikaturJustiz7Ob9/17z

7Ob9/17z – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Februar 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** reg GenmbH, *****, vertreten durch Dr. Matthias Lüth und Mag. Michael Mikuz, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Z***** C. S.a.s., *****, vertreten durch Dr. Otmar Schimana, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 259.146,81 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 19. Dezember 2016, GZ 4 R 178/16g 55, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 8. November 2016, GZ 66 Cg 38/08b-52, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten aufgrund von Warenlieferungen die Zahlung von 259.146,81 EUR sA.

Das Erstgericht setzte das Verfahren mit rechtskräftigem Beschluss gemäß Art 27 Abs 1 EuGVVO (alt) aus, bis die Zuständigkeit des Landgerichts Belluno (Italien) für das dort zwischen den Parteien mit umgekehrten Parteirollen anhängige Verfahren feststeht. Über Anfrage des Erstgerichts teilte das Landgericht Belluno in der Folge mit, dass das dort geführte Verfahren nach Löschung der (hier) Beklagten aus dem Firmenregister mangels Fortführung innerhalb der Verfallsfrist „erloschen“ sei und von den Parteien nicht mehr aufgenommen werden könne.

Die Klägerin stellte sodann den auf § 155 Abs 3 ZPO gestützten Antrag auf Ladung des Rechtsnachfolgers, nämlich des persönlich haftenden Gesellschafters der Beklagten M***** Z*****, mit der wesentlichen Begründung, dass dieser nach Löschung der Beklagten aus dem Firmenregister nach italienischem Recht deren Rechtsnachfolger sei.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ohne Durchführung einer Verhandlung a limine ab. Es führte rechtlich aus, dass M***** Z***** zwar persönlich haftender Gesellschafter der Beklagten gewesen und auch zu deren Liquidator bestellt worden, aber nicht deren Rechtsnachfolger sei. Der von der Klägerin angestrebte Parteiwechsel auf Seiten der Beklagten sei daher nicht zulässig.

Das Rekursgericht gab dem gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs der Klägerin nicht Folge. Es vertrat die Rechtsansicht, dass es sich bei der (Kommandit )Gesellschaft einerseits und deren persönlich haftendem Gesellschafter (Komplementär) andererseits um zwei verschiedene Rechtspersönlichkeiten handle. Der Komplementär sei nach italienischem Recht nicht Rechtsnachfolger der aufgelösten, liquidierten und gelöschten Kommanditgesellschaft.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass dem Antrag auf Fortführung des Verfahrens gegen den persönlich haftenden Gesellschafter der Beklagten stattgegeben werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – nicht bindenden (RIS-Justiz RS0042424 [insb T1]) – Ausspruch des Rekursgerichts zulässig und in seinem, im Abänderungsantrag mitenthaltenen Aufhebungsantrag auch berechtigt.

1. Nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO ist der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig, wenn der angefochtene erstrichterliche Beschluss zur Gänze bestätigt worden ist, es sei denn, dass die Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen worden ist. Einer Klagezurückweisung aus formellen Gründen ist ein Beschluss gleichzuhalten, mit dem die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens über eine Klage verweigert wird, somit ein prozessualer Rechtsschutzanspruch des Klägers, eine Sachentscheidung über das Klagebegehren zu erlangen, endgültig verneint wird (RIS-Justiz RS0109999). Diese Voraussetzung liegt im Fall der von der Beklagten behaupteten (Gesamt )Rechtsnachfolge auf Beklagtenseite vor, weil diesfalls einer (gesonderten) Klage gegen den Gesellschafter die Streitanhängigkeit aufgrund des gegen die Beklagte lediglich unterbrochenen Verfahrens entgegenstünde (RIS Justiz RS0037069 [zur Streitanhängigkeit bei Unterbrechung]; 4 Ob 1509/96 [zur Streitanhängigkeit gegenüber dem Rechtsnachfolger]; vgl auch RIS-Justiz RS0039429). Der Revisionsrekurs ist daher nicht zufolge § 528 Abs 2 Z 2 ZPO absolut unzulässig.

2. Das Rekursgericht hat zutreffend erkannt, dass im Zusammenhang mit der von der Klägerin behaupteten Rechtsnachfolge auf Beklagtenseite ausländische Normen nur bei der Prüfung materiell-rechtlicher Fragen, auf verfahrensrechtliche Fragen aber stets die österreichischen Prozessvorschriften anzuwenden sind (RIS-Justiz RS0076618). Ob im Fall der Vollbeendigung einer juristischen Person (oder einer sonstigen parteifähigen Personenvereinigung) mit Gesamtrechtsnachfolge ein anhängiges Verfahren gegen den Gesamtrechtsnachfolger fortzusetzen ist, ist eine verfahrensrechtliche Frage, die auf der Grundlage österreichischen Verfahrensrechts nach herrschender Ansicht zu bejahen und nach §§ 155–157 ZPO zu behandeln ist (5 Ob 2001/96t; 8 Ob 185/00i; RIS-Justiz RS0036806; Fink in Fasching/Konecny 3 II/3 § 155 ZPO Rz 8).

3. Die Rechts- und Handlungsfähigkeit einer Person sind gemäß § 12 IPRG nach deren Personalstatut zu beurteilen. Mit „Rechts- und Handlungsfähigkeit“ erfasst § 12 IPRG alle Aspekte der Entstehung, der Existenz und des Untergangs juristischer Personen und ähnlicher Verbindungen ( Verschraegen in Rummel ABGB 3 § 12 IPRG Rz 7; RIS-Justiz RS0077097; vgl auch RS0077060, RS0108521). Das Personalstatut einer juristischen Person oder einer sonstigen Personen- oder Vermögensverbindung, die Träger von Rechten und Pflichten sein kann, ist gemäß § 10 IPRG das Recht des Staats, in dem der Rechtsträger den tatsächlichen Sitz seiner Hauptverwaltung hat. Die materiell-rechtliche Frage, ob – wie von der Klägerin behauptet – der persönlich haftende Gesellschafter der Beklagten deren Rechtsnachfolger ist, ist daher nach italienischem Recht zu beurteilen.

4. Ist fremdes Recht maßgebend, so ist es gemäß § 3 IPRG von Amts wegen und wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden. Nach § 4 Abs 1 IPRG ist das fremde Recht von Amts wegen zu ermitteln (vgl RIS-Justiz RS0040189). Zulässige Hilfsmittel hiefür sind auch die Mitwirkung der Beteiligten, Auskünfte des Bundesministeriums für Justiz und Sachverständigengutachten. Es kommt in erster Linie auf die Anwendungspraxis des ausländischen Rechts durch die herrschende (höchstgerichtliche) Rechtsprechung an. Nur wenn dieser Lösungsansatz keine eindeutige Antwort ergibt, ist der herrschenden fremden Lehre zu folgen (RIS-Justiz RS0080958 [T3]).

5. Das Erstgericht hat zur materiell-rechtlichen Frage nach der von der Klägerin behaupteten Rechtsnachfolge keinerlei Erhebungen über das maßgebliche italienische Recht angestellt. Das Rekursgericht hat sich ausschließlich auf den Wortlaut einzelner Bestimmungen der Art 2313 ff Codice Civile berufen und allein daraus abgeleitet, dass die italienische Rechtslage die von der Klägerin behauptete Rechtsnachfolge nicht vorsehe. Diese Vorgangsweise entspricht nicht den §§ 3, 4 Abs 1 IPRG, können doch dem bloßen Gesetzestext allein noch keine zuverlässigen Hinweise auf die praktische Rechtsanwendung entnommen werden (vgl 4 Ob 232/07g). Es fehlt also an einer (ausreichenden) Ermittlung des fremden Rechts durch die Vorinstanzen. Dies begründet einen Verfahrensmangel besonderer Art, der dem Revisions(rekurs)grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zu unterstellen ist und zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen führen muss (6 Ob 309/01m; RIS-Justiz RS0116580).

6. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren mit den nach § 4 Abs 1 IPRG vorgesehenen Möglichkeiten die Anwendungspraxis des einschlägigen italienischen Rechts zu ermitteln und danach die materiell rechtliche Frage der Rechtsnachfolge auf Beklagtenseite zu beurteilen haben. Sollte die von der Klägerin behauptete Gesamtrechtsnachfolge nach italienischem Recht zu bejahen sein, ist zu berücksichtigen, dass dann im Hinblick auf die gegebene Vertretung der Beklagten zufolge § 155 Abs 1 ZPO keine Verfahrensunterbrechung eingetreten ist (vgl Fink in Fasching/Konecny ³, § 155 ZPO, Rz 49 mwN) und dann der erstinstanzliche Antrag der Klägerin als schlichter Fortsetzungsantrag zu werten sein wird.

7. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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