JudikaturJustiz6Ob38/17g

6Ob38/17g – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. März 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Dr. Nowotny und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*****, vertreten durch den Obmann M***** L*****, dieser vertreten durch Mag. Markus Abwerzger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Landeshauptstadt *****, vertreten durch Heiss Heiss Rechtsanwälte OG in Innsbruck, wegen 7.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 25. November 2016, GZ 3 R 293/16h 17, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 30. Juni 2016, GZ 35 C 408/15s 13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen .

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:

Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob auch einer juristischen Person der Diskriminierungsschutz des Tiroler Antidiskriminierungsgesetzes 2005, LGBl Nr 25/2005 (TADG 2005), zukommt, und ob von Offenkundigkeit einer bestimmten Weltanschauung der klagenden Partei ausgegangen werden kann.

1. Die klagende Partei, eine „Burschenschaft“, stützt ihr Leistungsbegehren auf einen angeblichen Verstoß der Beklagten, namentlich deren Bürgermeisterin, gegen die Bestimmungen des Tiroler Antidiskriminierungs-gesetzes 2005. Die Beklagte habe die klagende Partei „unmittelbar diskriminiert“; die Auflösung des Vertrags (den die klagende Partei mit einem von der Beklagten gesellschaftsrechtlich dominierten Veranstaltungs-unternehmen für eine mehrtägige Veranstaltung abgeschlossen hatte) sei über Weisung der Bürgermeisterin erfolgt.

1.1. Das Erstgericht erörterte in der Tagsatzung vom 14. 4. 2016 das Klagsvorbringen umfassend, dennoch erstattete die klagende Partei zur Frage der „Weltanschauung“ kein näheres Vorbringen. Erstmals in ihrer Revision führt die klagende Partei klarstellend aus, sie sei „eine national-liberale Studentenverbindung, welche am 18. 11. 1876 in ***** gegründet wurde. [ Sie ] fühlt sich einem politischen-gesellschaftlichen und kulturellen Engagement verpflichtet. Werte wie Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Wehrhaftigkeit, Treue, Einsatzbereitschaft und Freiheit sind fixer Bestandteil des Bundlebens der [ klagenden Partei ]. Bei der [ klagenden Partei ] handelt es sich um eine Burschenschaft, die sich in ihrem Selbstverständnis auf die Freiheitsrevolution von 1848 und die zentralen Werte 'Ehre-Freiheit-Vaterland' bezieht. Diese Weltanschauung/Einstellung wird in der medialen Öffentlichkeit oft anders und verfälscht dargestellt. [ Es besteht ] der Vorwurf gegenüber Burschenschaften, dass diese ein elitäres Gesellschaftsverständnis hätten, und die Traditionen der Burschenschaften werden in etlichen Publikationen, Veranstaltungen und Demonstrationen – unberechtigterweise – in den rechtsradikalen Zusammenhang gerückt. Zudem werden durch Teile der medialen Öffentlichkeit die Burschenschaften als politisch häufig am rechten Rand eingeordnet“.

1.2. Die klagende Partei meint nun im Revisionsverfahren, ihre Weltanschauung wäre den Vorinstanzen iSd § 269 ZPO offenkundig gewesen. Dem ist nicht zu folgen: Zwar hat das Gericht offenkundige Tatsachen seiner Entscheidung auch dann zugrunde zu legen, wenn sie nicht vorgebracht wurden (RIS-Justiz RS0037536). Offenkundige Tatsachen muss das Gericht also seiner Entscheidung von Amts wegen zu Grunde legen, ohne dass sie behauptet werden müssen (RIS-Justiz RS0040240 [T3]). Bei Gericht offenkundig sind aber nur solche Tatsachen, die allen auf die Verhältnisse ihrer Umgebung aufmerksamen Personen bekannt sind oder die aus der täglichen Erfahrung abgeleitet werden können, also Naturereignisse, historische Begebenheiten und dergleichen (RIS-Justiz RS0040230). Allgemeinkundig sind nur jene Tatsachen, die einer beliebig großen Anzahl von Menschen bekannt oder doch ohne Schwierigkeiten jederzeit zuverlässig wahrnehmbar sind; gemeint sind zum Beispiel Erfahrungssätze der allgemeinen Lebenserfahrung, geographische Tatsachen oder Ereignisse des Zeitgeschehens (RIS-Justiz RS0110714). Für den Richter stehen nur Tatsachen unzweifelhaft fest, die entweder allgemein offenkundig sind oder von ihm amtlich wahrgenommen wurden (RIS-Justiz RS0040244). Offenkundigkeit einer Tatsache setzt voraus, dass sie ohne besonderes Fachwissen einem großen Personenkreis bekannt ist (RIS-Justiz RS0040237).

Diese Voraussetzungen treffen auf die Weltanschauung der klagenden Partei nicht zu. Allgemein-kundig ist vielmehr die Tatsache, dass es ganz verschiedene Arten von Burschenschaften gibt, weshalb beispielsweise bereits bei Wikipedia (https://de.wikipedia.org/ wiki/Burschenschaft#.C3.9Cberblick) einleitend festgehalten wird, dass der inhaltliche Bezug der Burschenschaften zur „Urburschenschaft“ von 1815 stark variiert und die Bezeichnung „Burschenschaft“ heute von teilweise sehr unterschiedlichen Studentenverbindungen verwendet wird. Ein Detailwissen über die inhaltliche Ausrichtung jeder einzelnen der zahlreichen bestehenden Burschenschaften als notorisch anzusehen, vermag der erkennende Senat somit nicht.

1.3. Mangels dieser Notorietät verstößt die klagende Partei mit ihrer Darstellung (erst) im Revisionsverfahren gegen das Neuerungsverbot des § 482 ZPO.

1.4. Die klagende Partei verweist schließlich zur Dartuung ihrer Weltanschauung auf vorgelegte Urkunden, insbesondere die Beilage ./H. Fehlendes Vorbringen kann allerdings nicht durch den Verweis auf Urkunden ersetzt werden (RIS-Justiz RS0037780 [T13]).

2. Nach § 10 Abs 1 TADG 2005 hat die von der Diskriminierung betroffene Person, die (Schadenersatz )Ansprüche nach § 7 TADG 2005 geltend macht, die Diskriminierung zwar bloß glaubhaft zu machen, woraufhin dem beklagten Rechtsträger der Entlastungsbeweis obliegt. Einen möglichen Diskriminierungstatbestand hat sie aber dennoch zu behaupten (vgl RIS-Justiz RS0123606; vgl auch RS0123960, wonach die Glaubhaftmachung von verpönten Motiven nur dem durch die Herabminderung des Beweismaßes erleichterten Indizienbeweis, nicht aber dem Anscheinsbeweis zugänglich ist). Der (von der klagenden Partei im Verfahren erster Instanz behauptete) Diskriminierungsgrund „Weltanschauung ist zwar eng mit dem Begriff „Religion verbunden, dient aber auch als Sammelbezeichnung für andere Leitauffassungen vom Leben und von der Welt als einem Sinnganzen sowie zur Deutung des persönlichen und gemeinschaftlichen Standorts für das individuelle Lebensverständnis; Weltanschauungen sind keine wissenschaftlichen Systeme, sondern Deutungsauffassungen in der Form persönlicher Überzeugungen von der Grundstruktur, Modalität und Funktion des Weltganzen (vgl RIS-Justiz RS0124567).

Daher wäre es erforderlich gewesen, ein entsprechendes Vorbringen zur „Weltanschauung“ der klagenden Partei zu erstatten um beurteilen zu können, ob dies überhaupt eine Weltanschauung im Sinn des Gesetzes darstellt (vgl zu den Abgrenzungsfragen 9 ObA 122/07t).

3. Mangels Schlüssigkeit des Klagsvorbringens kommt es auf die (auch) im Revisionsverfahren erörterte und vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage der Aktiv- und der Passivlegitimation der Parteien nicht weiter an. Die Revision war daher zurückzuweisen.

In der Revisionsbeantwortung wurden keine Kosten verzeichnet.

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