JudikaturJustiz6Ob184/21h

6Ob184/21h – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Mai 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei S*, vertreten durch Dr. Heinrich Oppitz, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte und Gegnerin der gefährdeten Partei C* R*, vertreten durch Ganzgert Partner Rechtsanwälte OG in Wels, wegen Unterlassung und Widerruf, hier wegen einstweiliger Verfügung, über den Rekurs der beklagten und Gegnerin der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 6. September 2021, GZ 2 R 116/21y 13, womit der Beschluss des Landesgerichts Wels vom 28. Juli 2021, GZ 8 Cg 36/21x 5, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der R ekurs wird zurückgewiesen .

Die klagende und gefährdete Partei hat die Kosten ihrer erfolgreichen Rekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1] Die klagende und gefährdete Partei (im Folgenden: Klägerin) ist ein im Vereinsregister registrierter Verein und eine politische Organisation.

[2] R und um die Aufstellung einer Statue in * entstand eine öffentliche Diskussion über deren NS Belastung. Der Gemeinderat wurde aufgefordert, die Statue wieder zu entfernen. Ein Redakteur der Zeitung O* führte daraufhin mit der Beklagten und Gegnerin der gefährdeten Partei (im Folgenden: Beklagte), einer * Lokalpolitikerin, ein Interview. Bereits in den späten 1980er und in den 1990er Jahren hatte es in Wels eine öffentliche Debatte über den Umgang mit der NS Vergangenheit gegeben im Zuge derer auch die Benennung der Turnhalle des * Turnvereins nach einem NSDAP Funktionär thematisiert worden war . Der Vater der Beklagten war damals Funktionär dieses Turnvereins gewesen.

[3] Vor diesem Hintergrund gab die Beklagte in diesem Interview an: „Damals hat die S* ernsthaft gefordert, meine Familie sollte aus der Stadt verschwinden.“ Diese Aussage der Beklagten wurde in der Printausgabe der Zeitung im April 2021 veröffentlicht.

[4] Die Klägerin begehrt – gestützt auf § 1330 Abs 2 ABGB – die Unterlassung und den in der genannten Zeitung zu veröffentlichenden Widerruf dieser oder ähnlicher Behauptungen und beantragte zur Sicherung ihres Unterlassungsanspruchs die Erlassung einer gleichlautenden einstweiligen Verfügung. Der Vorwurf sei – was der Beklagten bewusst gewesen sei – unrichtig und kreditschädigend. Die unterstellte Aussage, Andersdenkende und ihre Familien müssten die Stadt verlassen, sei massiv undemokratisch und unmenschlich und stehe den von der Klägerin vertretenen Grundsätzen diametral entgegen. Dadurch könne in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, die Klägerin bediene sich in der politischen Auseinandersetzung demokratie und menschenrechtswidriger Mittel.

[5] Die Beklagte wendete unter anderem ein, es handle sich um eine inhaltlich richtige Aussage. Überdies sei wegen des zugrunde zu legenden höheren Grades an Toleranz angesichts des Betretens der politischen Bühne eine Kreditschädigung der Klägerin auszuschließen.

[6] Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab, ohne Feststellungen zur Richtigkeit der inkriminierten Behauptung zu treffen. Selbst bei Annahme der Unwahrheit der Aussage richte sich der Vorwurf bloß an die Klägerin in ihrer Zusammensetzung in den 1980er bzw 1990er Jahren, nicht aber in ihrer heutigen Zusammensetzung. Auch sei der rauere Umgangston und die Schnelllebigkeit der Politik zu beachten.

[7] Das Rekursgericht hob diesen Beschluss auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es war der Auffassung, die inkriminierte Tatsachenbehauptung sei geeignet, die Klägerin durch den Vorwurf undemokratischen und unmenschlichen Verhaltens in der öffentlichen Meinung herabzusetzen und ihr wirtschaftliches Fortkommen zu beeinträchtigen. Der Wahrheitsgehalt der Aussage sei daher vom Erstgericht zu prüfen; dazu seien Feststellungen erforderlich.

[8] Das Rekursgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil der Einwand, der Wahrheitsgehalt eines die Vergangenheit betreffenden Vorwurfs gegen eine juristische Person sei schon aufgrund der zwischenzeitig wechselnden Funktionäre nicht zu prüfen, für eine Vielzahl von Fällen Bedeutung habe. Auch sei eine Klarstellung zur Beweis bzw Bescheinigungslast geboten, wenn sich die Rufschädigung inhaltlich als Ehrenbeleidigung darstelle, die Ansprüche aber nur auf § 1330 Abs 2 ABGB gegründet würden.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der dagegen gerichtete Rekurs der Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekurs gerichts nicht zulässig:

[10] 1. Bei Ansprüchen sowohl nach § 1330 Abs 1 ABGB als auch nach § 1330 Abs 2 ABGB ist derjenige aktiv legitimiert, der von den ehrenrührigen (kreditschädigenden) Behauptungen betroffen ist. Das kann nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch eine juristische Person – wie ein Verein oder eine politische Partei – sein, weil auch juristische Personen sowohl einen wirtschaftlichen Ruf haben als auch passiv beleidigungsfähig sind (6 Ob 162/17t; 6 Ob 66/16y; vgl RS0031845 [T1, T3]; RS0008985). Dass es bei juristischen Personen immer wieder zu einem Wechsel der Funktionsträger – unter Umständen auch in relativ kurzen Zeiträumen – kommen kann, ist dem Wesen der juristischen Person immanent, weshalb ein solcher Wechsel an der Aktivlegitimation der juristischen Person grundsätzlich nichts ändert.

[11] Eine Gefährdung des Rufs einer juristischen Person kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die verbreiteten Tatsachen mit dem Betrieb des Unternehmens in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen und daher auch auf das Unternehmen selbst bezogen werden können. Das gleiche gilt bei ehrenrührigen Behauptungen. Diese Überlegungen lassen sich auf einen rechtsfähigen politischen Verein übertragen (vgl 6 Ob 162/17t ErwGr 1.2.; RS0031787).

[12] 2. Ehrenbeleidigung ist jedes der Ehre – verstanden als Personenwürde (§ 16 ABGB) – nahetretende Verhalten, auch wenn es strafrechtlich nicht zu ahnden ist (RS0008984 [T3 und T5]; RS0032008 [T1]). Es geht um die Einschätzung der Person durch ihre Umwelt, also um ihre soziale Wertstellung innerhalb der Gemeinschaft (6 Ob 162/17t ErwGr 2.1.). Es kommt darauf an, ob die Äußerung objektiv geeignet ist, ehrverletzend zu wirken und in concreto auch diese Wirkung gehabt hat ( RS0028870 [T5]). In die Ehre eines anderen eingreifende Äußerungen sind nach dem Gesamtzusammenhang, in den sie fielen, und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck zu beurteilen (RS0031883 [T15]).

[13] 3. Eine Herabsetzung des politischen Gegners durch unwahre Tatsachenbehauptungen, mit denen er eines verwerflichen Verhaltens bezichtigt wird, kann (auch) durch das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht gerechtfertigt werden (6 Ob 164/19i ErwGr 3.; RS0032201).

[14] 4. Die Auslegung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung hat nach dem Verständnis eines durchschnittlich qualifizierten Erklärungsempfängers zu erfolgen (RS0115084). Dies gilt auch für die Frage, ob ein verständiger Adressat Vorwürfe oder Mitteilungen, die die Vergangenheit betreffen, auch auf die gegenwärtige Einschätzung der juristischen Person bezieht (vgl 6 Ob 66/16y ErwGr 8.4.).

[15] 5. Die Ermittlung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung ist im Allgemeinen eine Rechtsfrage, die von den näheren Umständen des Einzelfalls, insbesondere aber von der konkreten Formulierung in ihrem Zusammenhang abhängt (RS0031883 [T6]). Solche Fragen des Einzelfalls sind in der Regel nicht erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0031883 [T28]). Ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar ist, hat damit regelmäßig keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (6 Ob 162/17t ErwGr 4.2.; RS0107768).

[16] 6. Das Rekursgericht war der Ansicht, die Äußerung sei nach dem Verständnis des Durchschnittsadressaten geeignet, die Klägerin in der öffentlichen Meinung herabzusetzen, weil ihr ein undemokratisches und unmenschliches Verhalten der Ausgrenzung und „Sippenhaft“ vorgeworfen werde, was bei einer politischen Organisation als schwerwiegendes Fehlverhalten angesehen werde. Dieser Vorwurf könne, auch wenn er Vorfälle in der Vergangenheit betreffe, deren Ansehen in der Öffentlichkeit und auch deren wirtschaftliches Fortkommen beeinträchtigen. Er impliziere im gegebenen Zusammenhang mit der aktuellen Debatte, dass sich insofern die Verhältnisse nicht geändert hätten. Die Äußerung der Beklagten sei daher ehrenbeleidigend und kreditschädigend iSd § 1330 Abs 1 und Abs 2 ABGB.

[17] Damit hat es – auch wenn die Klägerin einen höheren Grad an Toleranz zeigen muss und die Beklagte in ihren politischen Äußerungen privilegiert ist – den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten, zumal auch eine Assoziation mit bestimmten (historischen) Funktionären oder Entscheidungsträgern der Klägerin gegenständlich nicht erkennbar ist.

[18] 7. Ist eine Rufschädigung gleichzeitig Ehrenbeleidigung iSd § 1330 Abs 1 ABGB, so hat der Betroffene bezüglich der Ansprüche nach Abs 2 nur die Tatsachenverbreitung zu beweisen. Die Richtigkeit der Tatsache (Wahrheitsbeweis) beziehungsweise das Fehlen der (objektiven beziehungsweise subjektiven) Vorwerfbarkeit der unrichtigen Verbreitung hat der Täter zu beweisen (RS0031798 [T1]). Der erkennende Senat hat wiederholt (implizit) dahin erkannt, dass dies auch dann gilt, wenn der Kläger sein Begehren lediglich auf § 1330 Abs 2 ABGB stützt (6 Ob 164/19i ErwGr 3.3.; idS auch 6 Ob 15/21f ErwGr 1.).

[19] Die Beurteilung des Rekursgerichts, im vorliegenden Fall treffe die Beweislast für die Richtigkeit der behaupteten Tatsache die Beklagte, entspricht dieser Rechtsprechung.

[20] 8. Die Klägerin hat bestritten, dass die inkriminierte Behauptung oder ähnliche Aussagen von Einzelpersonen oder Funktionären getätigt oder von Letzteren gedulden worden seien . Die Frage, ob sich die Klägerin allfällige derartige Äußerungen zurechnen lassen muss, stellt sich daher im gegenwärtigen Verfahrensstadium mangels Tatsachengrundlage noch nicht.

[21] 9. Zusammenfassend bringt der Rekurs somit keine Rechtsfragen der von § 528 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zur Darstellung, sodass er spruchgemäß zurückzuweisen war.

[22] 10. Die Antragstellerin hat im Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Rekurses obsiegt. Sie hat daher gemäß § 393 Abs 1 EO iVm §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO die Kosten der Rekursbeantwortung vorläufig und die Antragsgegnerin die Kosten des unzulässigen Rekurses endgültig selbst zu tragen (vgl 6 Ob 16/21b).

Rechtssätze
9